Geheimnis um ... die Krankheitsgene
Die Dialektgruppe der Sorben in der Oberlausitz gilt als die einzige eigenständige Bevölkerungsgruppe Mitteleuropas, die groß genug ist, um statistische Zusammenhänge von Krankheit und Vererbung zu erkennen. Wissenschaftler der Universität Leipzig wollen jetzt - schon wieder - ihre Gene untersuchen.
SUSOD – "Sorbs Uncover the Secrets of Disease" – haben die Wissenschaftler um Michael Stumvoll vom Universitätsklinikum Leipzig ihre Studie getauft: Sorben lüften das Geheimnis um die Entstehung von Krankheiten. Dahinter verbirgt sich ein Wortspiel, da SUSOD gleichzeitig auf sorbisch "Nachbar" heißt. Der Begriff wurde gewählt "weil wir unsere slawischen Nachbarn (...) um ihre Hilfe bitten und weil die Teilnehmer möglichst alle Nachbarn und Verwandten zu uns schicken sollen," erläutert Michael Stumvoll, Leiter des Projekts.(1) Von jedem zehnten der 15.000 Sorben wollen die Mediziner in den nächsten vier Jahren Blut entnehmen, im Zentrallabor der Universität Leipzig einlagern und untersuchen. Dabei hoffen sie vor allem auf die "großzügige Unterstützung" sorbischer Hausärzte, die ihre Praxisräume zur Verfügung stellen.
In der Sackgasse
Die Untersuchung zielt auf die Ursachen so genannter Volkskrankheiten, wie Altersdiabetes oder Bluthochdruck. Vision sei die Entwicklung einer "genetisch basierten Therapie."(2) Zwar unterscheidet sich der Blutdruck der Sorben wohl kaum von dem anderer Menschen. Die genetische Krankheitsursachenforschung ist aber in eine Sackgasse geraten: Trotz großem Forschungsaufwand ist nämlich bisher keine genetische Ursache für eine dieser weit verbreiteten Krankheiten bekannt. Und selbst wenn man die Suche auf genetische Einflüsse beschränkt, findet man hunderte von Genen, die beispielsweise den Salzhaushalt und damit den Bluthochdruck beeinflussen. Genau diesem Problem sollen die Sorben nun Abhilfe verschaffen: Da sie nach Ansicht von Sprachforschern von wenigen Gründungsmüttern und -vätern abstammen, sind laut Theorie nämlich sehr viel weniger genetische Krankheitsursachen als in der Gesamtbevölkerung zu erwarten. Hat einer der besagten Ahnen beispielsweise ein verändertes "Salzhaushaltsgen" getragen, so ist anzunehmen, dass alle seiner Nachkommen, die einen hohen Blutdruck haben, dasselbe veränderte Gen haben. Ein Umstand, der für die Forscher aus pragmatischer Sicht von Vorteil ist: "Wenn es 100 Ursachen für Bluthochdruck gibt und davon kommen 95 in Leipzig vor und nur fünf in der Oberlausitz, dann ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass wir sie dort auch finden," erläuterte Stumvoll in einem Radio-Interview.(3) Allerdings, daraus macht der ehemalige Diabetes-Forscher keinen Hehl, wäre er schon froh, wenn sie nur eines dieser "Gründergene" fänden.(2) Unterdessen wirbt die Presse mit zweifelhaften Versprechungen für das Projekt: "Was bringt die Studie den Sorben?" fragen beispielsweise die Leipziger Kurznachrichten. Um dann zu antworten: "Der direkte Nutzen resultiert aus der eingehenden ärztlichen Untersuchung. Die Blutuntersuchungen zum Beispiel können auf Krankheiten hinweisen, die "nicht weh tun" und von denen der Patient bisher noch nichts wusste". Auf diese Weise sei schon so manche Blutarmut oder ein erhöhter Cholesterinspiegel entdeckt worden.(4) Offensichtlich wird der "kostenlose Gesundheitscheck" von den Sorben angenommen. Vermutlich sind sie mittlerweile ohnehin an solche Untersuchungen gewöhnt. Bereits vor einigen Jahren wurden nämlich zwei ähnlich angelegte Projekte zu Krebs und Bluthochdruck in der sorbischen Bevölkerung durchgeführt.(5) Damals, erinnert sich der sorbische PDS-Abgeordnete im sächsischen Landtag, Heiko Kosel, wurden manchmal auf "abenteuerliche Weise Blut- und Speichelproben entnommen."(3) Über die Ergebnisse der Arbeit hat er nie wieder etwas gehört. Grundsätzlich glaubt auch Kosel, dass SUSOD möglicherweise zu einem Fortschritt in der Bekämpfung von Krankheiten führen kann. Dennoch ist er skeptisch, befürchtet Missbrauch und hat daher im sächsischen Landtag eine kleine Anfrage gestellt: "Hält es die Staatsregierung mit dem Sorbengesetz für vereinbar, dass die Erforschung der Genetik komplexer Krankheiten allein nach ethnischen Gesichtspunkten erfolgt?", wollte Kosel unter anderem wissen. "Der hier gewählte Weg wird neben vielen anderen beschritten," lautete die nebulöse Antwort der sächsischen Regierung. Viele Fragen bleiben offen: Beispielsweise: Wie "anonym" sind angesichts der kleinen Bezugsgruppe und des kleinen Einzugsgebiets wohl anonymisierte Daten? Die Ethikkommission der Universität Leipzig und die sächsische Landesärztekammer sahen darin offenbar kein Hindernis, das Projekt uneingeschränkt zu befürworten.
Fußnoten
- "Auf der Suche nach den genetischen Ursachen von Volkskrankheiten," idw online, 02.08.05.
- "Volkskrankheiten: Auf der Suche nach den Ursachen," netdoktor, 08.09.05
- "Forschung an Sorben weckt Misstrauen," Neues Deutschland, 29.07.05
- "Die Sorben müssen ran," Leipziger Kurznachrichten, 04.08.05
- http://www.dkfz.de/de/klepidemiologie/arbeitsgr/g…; http://www.hu-berlin.de/forschung/fober/deutsch/P…
Monika Feuerlein ist freie Journalistin und arbeitete mehrere Jahre lang als Redakteurin für den Gen-ethischen Informationsdienst (GID).