Nikaragua grenzenlos

Das mittelamerikanische Land Nikaragua hat in diesem Jahr bilaterale Vereinbarungen über die Einfuhr transgener Agrarprodukte mit Argentinien und den USA, zwei der wichtigsten Erzeugerstaaten derartiger Kulturen, getroffen. Diese unterlaufen das Anliegen des internationalen Protokolls über die Biologische Sicherheit und fördern allein die Interessen der Staaten, die in großem Stil gentechnisch veränderte Organismen exportieren.

Im September einigten sich die Landwirtschaftsminister des Soja-Giganten Argentinien und Nikaraguas auf ein Kooperationsabkommen zum grenzüberschreitenden Verkehr von gentechnisch veränderten Organismen (GVO). Bereits im Januar kam ein bilaterales Abkommen zwischen Nikaragua und den USA zustande. Nikaragua, das im Gegensatz zu Argentinien und den USA das Cartagena-Protokoll ratifiziert hat, ein internationales Abkommen zur biologischen Sicherheit, das seinen Mitgliedern Regeln für den internationalen Handel mit GVO vorschreibt, muss entsprechende nationale Vorschriften einführen. Dies beinhaltet Risikoanalysen und die Deklaration bei der Einfuhr von GVO. Die beiden bedeutenden Exportländer agrarischer Gentechprodukte haben wenig Interesse an strikten Regeln. Mit bilateralen Verträgen ausserhalb des Cartagena-Protokolls können weitaus laxere Verfahren vereinbart werden. Ein Ziel des Vertrags mit Argentinien sei es, so das Inter-American Institute for Cooperation on Agriculture (IICA), die notwendigen Veränderungen für Einfuhrdokumente von Schiffslieferungen mit GVO zu klären, "ohne den Warenverkehr unnötig zu unterbrechen".

Laxe Kennzeichnungsvorschriften

Der Vertrag zwischen Nikaragua und den USA über den Grenzverkehr mit GVO sieht laut IICA vor, dass Lieferungen von Agrarprodukten für die menschliche und tierische Ernährung oder für die Weiterverarbeitung lediglich mit der Aufschrift "kann GVO enthalten" versehen werden, jedoch nur, wenn diese mehr als fünf Prozent GVO enthalten. Voraussetzung für die Einfuhr ist, dass die jeweilige gelieferte Sorte in den USA zugelassen ist. Weiter werden Ausnahmen von dieser Deklarationspflicht festgelegt. Etwa wenn Nikaragua ein bestimmtes Produkt zwar importiert, aber keine Kommerzialisierung der gelieferten Sorte vorsieht. Ebensowenig sollen "zufällig" verunreinigte Lieferungen kennzeichnungspflichtig sein.Damit unterläuft der Vertrag das Anliegen des Abkommens über Biologische Sicherheit.

Unabhängigkeit unerwünscht

Nikaragua zählt zu den ärmsten Ländern Lateinamerikas. Seine Regierung ist derzeit an den Verhandlungen um ein regionales Abkommen über den Freihandel mit den USA (CAFTA) beteiligt. Dies sieht unter anderem eine weitgehende Öffnung der Märkte für US-Erzeugnisse und eine Umwandlung der Agrarsektoren der beteiligten lateinamerikanischen Staaten vor. Beide Fragen gehören im Rahmen der Welthandels-Verhandlungen innerhalb der WTO seit Jahren zu den größten Streitpunkten. Die US-Regierung drängt nun bereits seit geraumer Zeit darauf, mittels bilateraler oder regionaler Verträge ihre Positionen dazu direkt durchzusetzen. Auffällig bei der Handhabung der Agro-Gentechnik in Nikaragua ist, dass allein die Interessen der großen Exportstaaten transgener Kulturen im Vordergrund stehen. Hatten die USA bereits seit 2002 beim Verfassen des allgemeinen gesetzlichen Rahmens die Hand geführt, so verschreibt sich das wirtschaftlich am Boden liegende Land mit den beiden Abkommen zur Einfuhr nun erneut den der Pro-Lobby genehmen Bedingungen. Eine Kommission zur Risikoanalyse von genmanipulierten Organismen (CONARGEN) wurde im Juli 2004 ins Leben gerufen. Ihr fehlt es nicht nur an der technischen Ausstattung für eigene Tests. Auch die Fortbildung ihrer Mitglieder wird momentan noch über Stipendien der bekanntermaßen Gentech-freundlichen Norman E. Borlaug-Stiftung finanziert. So sind Zweifel angebracht, ob es überhaupt erwünscht ist, dass Nikaragua in die Lage versetzt wird, die Einfuhr, Freisetzung und das Inverkehrbringen wirksam und unabhängig zu überwachen. Tatsächlich war es dann auch nicht die staatliche Kommission, sondern ein Zusammenschluss zivilgesellschaftlicher Organisationen, der unlängst Hilfslieferungen von Mais aus dem UN-Welternährungsprogramm untersuchte und dabei auf eine beträchtliche gentechnische Verunreinigung stieß.

Quellen

  • IICA Agronoticias, 16.08.05 und 23.-30.09.05
  • GENET-News: PM Friends of the Earth International, 16.02.05; AP, 16.02.05
Erschienen in
GID-Ausgabe
172
vom Oktober 2005
Seite 28

Ute Sprenger ist Soziologin und freie Publizistin. Sie arbeitet zudem als Beraterin, Trainerin und Gutachterin in der internationalen Zusammenarbeit und in der Technikfolgenabschätzung.

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