Geschäftsfeld Blutspende

Biobanken bleiben im Trend. Die Gründerzeit wird zwar allmählich abgelöst durch die Verwertung bereits vorhandener Proben- und Datensammlungen. Nach wie vor wird aber mit der Rede von künftigen medizinischen Segnungen, an deren Entwicklung das Individuum mitwirken kann, Teilnahmebereitschaft hergestellt. Mit der im Juni vergangenen Jahres der Öffentlichkeit vorgestellten "Biobank der Blutspender" ist allerdings ein neuer Höhepunkt in Sachen Altruismusverwertung erreicht.

"Spende Blut, rette Leben", so heißt der Slogan des Blutspendedienstes (BSD) beim Roten Kreuz. Das deutsche Blutspendewesen baut von jeher auf karitative Selbstlosigkeit. Und in einigen Bundesländern funktioniert das besonders gut. So etwa in Bayern, wo der BSD die Zahl der so genannten aktiven Blutspender mit etwa 400.000 angibt. Allein 2005 spendeten dort rund 255.000 Menschen Blut oder Blutprodukte, und zwar im Schnitt zweimal. Betreut werden sie nicht nur von ein paar hundert fest Angestellten, sondern auch von 18.000 ehrenamtlichen Mitarbeitern.1 "Blutspende ist Herzenssache" ­ das Motto der bundesweiten Kampagne des Roten Kreuzes von 2005 scheint eine in Bayern verbreitete Einstellung wiederzugeben. Finanzielle Anreize jedenfalls gibt es für die Blutspende nicht, der BSD verteilt lediglich Ehrennadeln und Plaketten.2 Denn die altruistische Motivation der Spender und die damit verbundene kostengünstige "Gewinnung" von Blut ist Geschäftsgrundlage für den seit vielen Jahren einträglichen Handel mit Blutprodukten. Allerdings, so klagt der BSD in seinem Jahresreport 2005, zahlen "die selbst unter hohem Kostendruck stehenden Kliniken heute deutlich weniger für Blutpräparate (...) als in den Vorjahren." Da der BSD als gemeinnützige GmbH gesetzlich dazu verpflichtet sei, "effiziente und tragfähige Strukturen zu erhalten", müsse man "auf die Veränderungen entsprechend reagieren."3

Ein Markt für molekulare Marker

Die im Frühsommer 2006 gegründete "Biobank der Blutspender" soll diese Ausfälle kompensieren. Anders als bei vielen anderen Projekten dieser Art stehen hier nicht genetische Merkmale im Vordergrund, sondern Proteine (Eiweiße) und Metaboliten (Stoffwechselprodukte). Sie finden sich im Blutplasma und verändern sich bei Erkrankungen. Schon lange wird nach solchen Markern, die den Ausbruch einer Krankheit ankündigen und begleiten, geforscht. Insbesondere die Industrie interessiert sich für diese so genannten Biomarker. Tests zur individuellen Medikamentenverträglichkeit beispielsweise basieren darauf; zudem sind Biomarker als Zielmoleküle für Medikamente interessant. Wie Klaus Lindpaintner von Roche Genetics auf einem Kongress unter dem schönen Titel "Von Biobanken zu Biomarkern" im Juni vergangenen Jahres betonte, sei es aber "unwahrscheinlich, dass die Entdeckung von Biomarkern die Entwicklung billigerer Medikamente beschleunigt. Entdeckungen auf diesem Gebiet werden sicherere, spezifischere und deshalb effektivere Medikamente hervorbringen."4 Die Biobank der Blutspender soll Material für diese Biomarkerforschung liefern. Weil von den einzelnen Spendern in der Regel nicht nur medizinische und demografische Daten, sondern auch mehrere Plasmaproben vorhanden sind, können molekulare Veränderungen verglichen und mit späteren Erkrankungen der Blutspender in Beziehung gesetzt werden, so die Idee. In Aussicht gestellt werden Tests, mit denen die weit verbreiteten, häufigen Erkrankungen wie Krebs oder Diabetes schon vor ihrem Ausbruch vorhergesagt werden. "Da hier der Bedarf an guten und rechtzeitigen Diagnosemethoden besonders groß ist und viele Patienten davon betroffen sind, rechnen Experten langfristig mit einem Milliardenmarkt", wird bereits frohlockt.5 Sicher ist: Der Markt für molekulare Diagnostik, zu dem auch Biomarkertests gehören, ist ein so genannter Wachstumsmarkt.6 Bis Mitte 2007 ist zunächst geplant, 5000 kranke und 5000 gesunde Blutspender mit insgesamt rund 100.000 Proben in die Biobank aufzunehmen. Fokussiert wird dabei auf Diabetes, Herz-Kreislauf- und Krebserkrankungen. Im Sommer dieses Jahres soll dann entschieden werden, ob weitere 100.000 gesunde Spender aufgenommen und kontinuierlich begleitet werden. Dann wären mehr als eine Million Proben verfügbar. Ob sich die Zahlenangaben zum anvisierten Umfang der Biobank der Blutspender bewahrheiten, bleibt allerdings, wie bei neuen Biobankprojekten generell, abzuwarten. Die in Aussicht gestellten Dimensionen der Projekte dienen erfahrungsgemäß zunächst vor allem dem Erheischen von Aufmerksamkeit.

Ein Schatz im Kältelager

Insgesamt lagern nach Angaben des Bayrischen Blutspendedienstes derzeit rund drei Millionen Blutplasmaproben in dem zentralen Kältelager im bayrischen Wiesentheid. Die Proben werden von demografischen und medizinischen Daten begleitet. Dabei handelt es sich um so genannte Rückstellproben. Die Blutspendedienste in der Bundesrepublik sind gesetzlich dazu verpflichtet, über einen Zeitraum von mindestens vier Jahren von jeder Blutspende eine Referenzprobe zurückzubehalten.7 Die Aufbewahrung dient dazu, im Falle von Infektionen oder Erkrankungen eines Empfängers einer Bluttransfusion nachvollziehen zu können, ob sie mit der Blutspende in Zusammenhang stehen. Bisher wurden diese Proben nach der gesetzlich vorgeschriebenen Aufbewahrungsfrist vernichtet; statt dessen sollen sie nun für Forschungszwecke genutzt werden. "Eigentlich war der Blutspendedienst schon immer eine Biobank ­ man hat sich dies nur nie bewusst gemacht und entsprechend genutzt", so Stefan Rapp, Organisator des Projektes, im Interview mit dem elektronischen Newsletter der BioMAG, die als Service- und Finanzierungsgesellschaft der Biotech-Region München fungiert.8 Um die Rückstellproben und die dazugehörigen Daten nach Ablauf der Lagerfrist in die Biobank überführen zu können, ist allerdings das schriftliche Einverständnis der Spender erforderlich. Deren Zustimmung einzuholen, scheint indes nicht allzu schwierig. In den fünf Pilotprojekten seit dem Jahr 2001 jedenfalls war die Resonanz groß.9 Für ein 2005 mit dem Max-Planck-Institut für Biochemie Martinsried durchgeführtes Forschungsprojekt beispielsweise wurden in der Mitgliederzeitschrift des bayrischen BSD und in der Presse ehemalige Blutspender, die an Dickdarmkrebs erkrankt sind, gesucht und ohne Schwierigkeiten auch gefunden. Die Bereitschaft zur Teilnahme wird offenbar auch dadurch nicht eingeschränkt, dass die Spender schriftlich einer Kontaktierung des Hausarztes zustimmen müssen. Um die Daten zum Gesundheitszustand der Spender validieren zu können, werden die behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht entbunden. Durchschnittlich 70 Prozent der kontaktierten Spender erklärten sich in den Pilotprojekten damit einverstanden.10

Gesundheitsökonomien

Die Verwertung von Rückstellproben aus dem Blutspendegeschäft für biomedizinische Forschungen liegt voll im Trend der Nutzung bestehender Sammlungen von Körpersubstanzen und damit verknüpfter medizinischer, demografischer und persönlicher Daten. Dieser Trend ist auch politisch gewollt. So unterstützt die EU-Kommission mit ihrer Förderpolitik bereits seit Jahren den Aufbau von Biobanken; seit einiger Zeit ist aber eine Fokussierung der Förderpolitik in diesem Bereich auf Projekte zur Standardisierung und Zusammenführung von bestehenden Proben- und Datensammlungen zu beobachten. So erfreut sich das Public Population Project in Genomics (P3G) seit 2004 einer kontinuierlichen Förderung durch die EU-Kommission. P3G zielt darauf ab, große Proben- und Datensammlungen für populationsgenetische Forschungen verwendbar zu machen und vereint Institutionen in Europa, Australien, den USA und Kanada, die Biobanken betreiben oder aufbauen. Der Bestand, der zusammengeführt werden soll, beläuft sich nach Angaben des P3G-Konsortiums auf Proben und Daten von etwa drei Millionen Menschen.11 Seit der Gründung beschäftigt sich die Initiative vor allem mit Fragen der Standardisierung, Methodik und Organisation umfangreicher Proben- und Datensammlungen. Daneben finanziert die EU-Kommission gemeinsam mit dem britischen Wellcome Trust die Initiative EUHealthGen. Im vergangenen Jahr von der Kommission selbst ins Leben gerufen, hat sie zum Ziel, "Ergebnisse der populationsgenetischen Forschung in klinisch anwendbare und gesundheitsverbessernde Initiativen umzusetzen und dabei die Konkurrenzfähigkeit der EU-Industrie in diesem Bereich zu steigern."12 Der Forschung an Biomarkern wird dabei große Bedeutung zugemessen. Den EU-Strategen geht es allerdings nicht nur um das ökonomische Potenzial diagnostischer und prognostischer Biomarker-Tests und möglicherweise damit verbundene Konjunkturen. Die EU-Kommission betreibt mit EUHealthGen darüber hinaus auch eine "Förderung des erwarteten Paradigmenwechsels in der Gesundheitsversorgung von der Diagnose und Therapie von Krankheiten hin zur Identifizierung von individuellen Erkrankungsrisiken und zur Entwicklung passender personalisierter Präventionsstrategien".13

Eine Biobank für die Industrie?

Die Entwicklung von auf Biomarkern basierenden Tests für individuelle Krankheitsrisiken passt zu diesen Visionen. Und das Projekt des Bayrischen Blutspendedienstes bietet der Biomarkerforschung hervorragende Bedingungen. Die Plasmaproben sind einfach und zudem kostengünstig zu gewinnen. Der Bestand ist schon jetzt umfangreich und es existieren in der Regel mehrere Proben pro Individuum, sodass molekulare Veränderungen verglichen und mit späteren Erkrankungen der SpenderInnen in Beziehung gesetzt werden können. "Wir gehen davon aus, dass wir tatsächlich eine weltweit einmalige Ressource für die Forschung haben", so Stephan Rapp.14 Der Mitinitiator des Biobankprojektes muss es wissen. Bevor er 2001 die frisch gegründete Fachabteilung "Neue Geschäftsfelder" des Bayrischen Blutspendedienstes übernahm, war er in der Münchener Niederlassung des US-Pharmaunternehmens Wyeth angestellt. Dort habe er "konkret an einem Projekt gearbeitet, in dessen Rahmen derartige Proben gebraucht wurden, wir aber nicht wussten, wo diese zu finden sind."15 So wird die "Biobank der Blutspender" wohl vor allem Unternehmen zur Verfügung stehen. Die Nachfrage jedenfalls ist da. "Pro Tag mehrere Anfragen", so Rapp, seien in den Monaten nach der öffentlichen Vorstellung des Projektes eingegangen, hauptsächlich von Unternehmen, die "den prognostischen Wert ihrer oft bei Kranken gefundenen Biomarker mit unseren Proben überprüfen möchten."16 Über die Höhe des "Nutzungsentgeltes", das der BSD erhebt, wird bisher Stillschweigen bewahrt. "Unser Konzept sieht vor, dass niemand daran verdient, aber alle Beteiligten dabei gewinnen", sagt Stephan Rapp im Interview mit BioM. Einnahmen würden "wieder in das Projekt fließen". Außerdem, so Rapp, "möchten wir unseren Blutspendern durch die Biobank Gesundheitsleistungen vermitteln."14 So spendete Roche Diagnostics Biomarker-Testkits, mit denen 10.000 Blutspender unentgeltlich ihr Risiko testen durften, an Altersdiabetes zu erkranken. Eine echte Win-win-Situation ­ das Image des Blutspendedienstes, der Biobank und nicht zuletzt der "Partner" aus der Pharmaindustrie wird aufgewertet, die Blutspender werden motiviert wiederzukommen, und das neue Produkt ist auch gleich unters Volk gebracht. Blut-spenden ist eben eine feine Sache.

  • 1Blutspendedienst des Bayrischen Roten Kreuzes: Datenreport. Daten und Fakten 2005, S. 7. www.spende-blut.com/media/upload/Datenreport_2005…
  • 2Vgl. ebda, S. 48
  • 3Ebda. S. 17
  • 4European Commission/The Wellcome Trust: From Biobanks to Biomarkers. Translating the potential of human genetics research to improve the quality of health of the EU citizen. Proceedings of a conference held at the Wellcome Trust Conference Centre, Hinxton, Cambridge, 20.-22.09.2005, veröffentlicht am 01.06.2006, download unter www.wellcome.ac.uk/assets/wtx032086.pdf, S.25
  • 5"Biobank der Blutspender soll Datenhunger der Forscher stillen", www.biotechnologie.de, 27.09.2006. Die Website wird von dem Informations- und Kommunikationsunternehmen Biocom AG betrieben, das für mehrere Biotechnologie-Organisationen auch die Zeitschrift transkript herausgibt. Die Firma will "aktuelle und belastbare Nachrichten, Daten und Fakten" bereitstellen, die "für eine effiziente Entwicklung einer jungen High-Tech-Branche unverzichtbar sind". Vgl. www.biocom.de
  • 6In der Presse wird das derzeitige Umsatzvolumen molekularer Diagnostika mit etwa zwei Milliarden Euro beziffert - bei einem jährlichen Wachstum von 15 Prozent. Vgl. Rheinischer Merkur, Nr.38/2006, 21.9.06, S.10
  • 7Vorgeschrieben sind ein bis zwei Milliliter.
  • 8BioM, www.bio-m.de/web/index.php4, 29.6.06. Das Interview ist auf dem Portal inzwischen nicht mehr verfügbar, liegt dem GID aber als pdf-Dokument vor und kann auf Anfrage per Mail zugesandt werden.
  • 9Die Firma Roche Diagnostics beispielsweise überprüfte mit Rückstellproben aus dem Fundus des Bayrischen Blutspendedienstes den Vorhersagewert eines Biomarkers für Herzinfarkt; weitere Partner in Pilotprojekten waren das Pharmaunternehmen Wyeth, das GSF-Forschungszentrum Umwelt und Gesundheit Neuherberg und das Max-Planck-Institut für Biochemie Martinsried. Vgl. Rheinischer Merkur, Nr.38/2006, 21.9.06, S.10
  • 10Biobank der Blutspender soll Datenhunger der Forscher stillen", www.biotechnologie.de, 27.09.2006
  • 11Vgl. www.p3g.consortium.org
  • 12European Commission/The Wellcome Trust, a.a.O., S.7
  • 13Ebda., S.9
  • 14a14bBioM, a.a.O.
  • 15transkript 08/2006
  • 16Rheinischer Merkur, Nr.38/2006, 21.9.06, S.10
Erschienen in
GID-Ausgabe
180
vom Januar 2007
Seite 35 - 37

Uta Wagenmann war Mitarbeiterin des GeN und GeN-Vorstandsmitglied.

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Forschungsmaterial Blutspende in den USA

Am Puget Sound Blood Center in Seattle, der größten Blutspendeeinrichtung im Bundesstaat Washington, wird derzeit mit der Sammlung von DNA-Proben der Spender begonnen. Das Projekt ist zunächst für ein Jahr vom Kongress bewilligt und wird mit 850.000 US-Dollar finanziert; die Förderung kann aber um ein weiteres Jahr verlängert werden. Proben von 5.000 Spendern sollen in die Studie einbezogen werden. Nach Angaben des Sprechers des Blutspendezentrums, Richard Counts, sollen DNA-basierte Tests entwickelt und evaluiert werden, mit denen jenseits der groben Klassifizierung von Blutgruppen ausgefeiltere Profile der Spenden erfasst werden können. Mit solchen Tests auf genetische Marker, so wird in Aussicht gestellt, könnten schneller und billiger als bisher seltene Blutgruppen identifiziert werden. Insbesondere Notfallpatienten, die multiple Bluttransfusionen benötigen, würden davon profitieren. Nach Erscheinen eines Zeitungsartikels über das Projekt, in dem unabhängige Kritiker vor Gefahren der Speicherung genetischer Informationen warnten, sahen sich die Betreiber des Projektes zu einer Reaktion genötigt. Auf ihrer Website betonen sie, dass die Proben ausschließlich für die beschriebene Studie genutzt werden. Zudem werde nach der DNA-Typisierung und der Einstellung des Datensatzes in die Datenbank das jeweilige Labor die Verbindung zwischen Spender und Probe aus seinen Unterlagen löschen. Darüber hinaus werde der Großteil der Proben vernichtet, sobald alle für die Studie notwendigen Tests abgeschlossen sind.
Seattle Times Online, 28.01.2007; www.psbc.org/press/2007.01.30.pdf