Für ein gentechnikfreies Indien
Gerichtsentscheidungen müssen sich gegen Industrie-Lobbyismus behaupten
Die Kontroverse um Agro-Gentechnologie in Indien spitzt sich zu: Während Aktivisten immer wieder - zum Teil illegale - Freilandversuche zerstören, hat der Oberste Gerichtshof entschieden, dass vorerst keine neuen Feldversuche zugelassen werden. Bereits genehmigte unterliegen nun strikten Auflagen.
Das indische „Genetic Engineering Approval Committee“ (GEAC) ist seit der kommerziellen Zulassung von Bt-Baumwolle im Jahr 2002 immer wieder heftig kritisiert worden. Aufgabe der vom indischen Umweltministerium eingesetzten Behörde ist es, Forschung, Tests und kommerzielle Zulassung von gentechnisch veränderten Pflanzen, Nahrungsmitteln und Organismen zu regeln. In den zurückliegenden Jahren hat das GEAC 135 Bt-Baumwollsorten zugelassen. Derzeit stehen unter anderem die Zulassung von gentechnisch verändertem Reis, Mais und Brinjal (Aubergine) auf der Tagesordnung.
Kritik an der Zulassungspraxis der indischen Behörden
Einer der wichtigsten Kritikpunkte an der Genehmigungspraxis des GEAC ist, dass es mit seiner Beurteilung hauptsächlich den Interessen der Gentech-Industrie dient, die an einer schnellen Genehmigung interessiert ist. Hierbei lässt das Kommitee die Belange der Bauern, Verbraucher sowie der Umwelt weitgehend außer Acht. So verlässt es sich im Zulassungsverfahren ausschließlich auf die Daten, die von der beantragenden Institution eingereicht werden, ohne selbst eigene Risikoanalysen vorzunehmen. Diese Datenreihen sind nicht einmal für Wissenschaftler zugänglich, geschweige denn für die Öffentlichkeit. Viele Mitglieder des GEAC sind selbst in der Entwicklung von gentechnisch veränderten Organismen tätig, so dass Interessenskonflikte unvermeidlich sind. Oftmals kann das GEAC auf Nachfrage nicht angeben, wo überhaupt Freilandversuche stattfinden. In der Regel werden weder die Bundesstaaten, auf deren Gebiet die Versuche durchgeführt werden, noch die Gemeinden und die Farmer von diesen Versuchen informiert. Bereits im Jahre 1998 hatten die Regierungen der Bundesstaaten von Andhra Pradesh und Karnataka gegen illegale Versuche mit Bt-Baumwolle protestiert. Sie waren von der gemeinsamen Biotechnologie-Abteilung (Department of Biotechnology - DBT) des Forschungsministeriums und des „Ministeriums für die Wissenschaften der Erde“ (Ministry of Earth Science) genehmigt worden. Da aber das GEAC gemäß des Umweltschutzgesetzes „Environment Protection Act“ die einzige indische Behörde ist, die Freilandversuche genehmigen darf, handelte es sich bei der Zulassung durch das DBT um einen klaren Rechtsbruch.1
Oberster Gerichtshof setzt weitere Zulassungen aus
Diese Genehmigungspraxis hat dazu geführt, dass Vertreter der Zivilgesellschaft 2005 Klage beim Obersten Gerichtshof einreichten. Im September 2006 hat dieser das GEAC angewiesen, „sämtliche Zulassungen auszusetzen, bis weitere Anweisungen erfolgen“. Freilandversuche, die vor dieser Anweisung erteilt worden waren, unterliegen nun strengen Beschränkungen: Das GEAC muss ausreichende Vorsichtsmaßnahmen treffen um sicherzustellen, dass durch die Freilandversuche keine benachbarten Felder gentechnisch verunreinigt werden. Der Mindestabstand zu benachbarten Feldern, die mit der gleichen Kulturpflanze wie das Testfeld bebaut sind, muss 200 Meter betragen. Bei allen Freilandversuchen muss der Name des verantwortlichen Wissenschaftlers dem GEAC genannt werden, welches die Aufsicht über diese Versuche hat. Vor der Freisetzung hat die Institution, die den Versuch beantragt hat, außerdem ein spezifisches Testprotokoll zu übermitteln, anhand dessen eine mögliche Verunreinigung von 0,01 Prozent nachgewiesen werden kann. Diese Anordnungen des Obersten Gerichtshofs haben zu starker Kritik der Gentech-Lobby geführt. Ein im Juli veröffentlichter Bericht des US-Landwirtschaftsministeriums zu Biotechnologie in Indien bringt zum Ausdruck: „Industrieexperten sind der Ansicht, dass die meisten dieser Vorschriften keine wissenschaftliche Grundlage haben und schwer zu befolgen sein werden“.2 Im Vorfeld der diesjährigen Anbausaison hatten das GEAC und Industrievertreter den Obersten Gerichtshof ersucht, diese Anordnungen auszusetzen. Der Gerichtshof lehnte dieses Ersuchen am 8. Mai ab und bekräftige gleichzeitig seine Entscheidung vom September 2006. Doch die indischen Behörden versuchen weiterhin, die Interessen der Gentech-Industrie durchzusetzen. So hat das Umweltministerium am Tag nach der Entscheidung des Gerichtshofs eine Presseerklärung herausgegeben, in der behauptet wird, das Gericht hätte mit seiner Entscheidung das Moratorium für neue Freilandversuche aufgegeben - obwohl die Gerichtsentscheidung exakt das Gegenteil besagt!3 Auch das GEAC versucht weiterhin, die Bestimmungen des Gerichtshofs aufzuweichen: Es will die Mindestabstände herabsetzen und auf Analysen verzichten. Aruna Rodrigues, Hauptkläger vor dem Obersten Gerichtshof, sagt hierzu: „Der Interessenskonflikt innerhalb der Regulierungsbehörden, und damit der allumfassende Druck, die Einführung neuer gefährlicher gentechnisch veränderter Pflanzen voranzutreiben, ist so groß, dass die Behörden es für angemessen gehalten haben, die Anordnungen des Obersten Gerichtshofs zu ‚erweitern’ (...). Besonders Besorgnis erregend ist es, dass das GEAC großangelegte Freilandversuche mit Bt-Brinjal bewilligt. Die Genehmigung stellt einen beispiellosen Verstoß gegen die Bestimmungen des Obersten Gerichtshofs dar und bedeutet damit eine ‚Missachtung des Gerichts’“.4
Indo-US Knowledge Initiative
Bei seinem Staatsbesuch im April 2006 haben US-Präsident Bush und der indische Premierminister Singh eine gemeinsame Forschungs- und Bildungsinitiative, die „Indo-US Knowledge Initiative on Agricultural Research and Education” angekündigt. Deren Ziel ist es, insbesondere durch die Förderung von Gentech-Pflanzen und -Nahrungsmitteln eine Zweite Grüne Revolution in Indien voranzubringen. Im Rahmen dieser Initiative investiert Indien 75 Millionen Euro in die Landwirtschaft, von denen drei Viertel in die Bereiche Gen- und Biotechnologie fließen. Ein Großteil dieses Geldes dient dem wechselseitigen Austausch von Wissenschaftlern. Sämtliche Patente, die aus diesen gemeinsamen Forschungen resultieren, werden zugunsten der USA erteilt werden. Darüber hinaus werden die USA im Rahmen dieser Initiative unbegrenzten Zugang zu den indischen Genbanken erhalten. Desweiteren verlangen die USA, dass sämtliche Importbeschränkungen für amerikanische Agrarprodukte aufgehoben werden, womit sie das Recht erhalten, unbegrenzt Gentech-Pflanzen auf den indischen Markt zu bringen.5 Die Indo-US Knowledge Initiative wird von Bauernverbänden und der Zivilgesellschaft strikt abgelehnt. Sie befürchten, dass hierdurch die gesamte indische Agrarforschung und die Genbanken unter die Kontrolle der multinationalen Konzerne kommen, die im Vorstand dieser Initiative vertreten sind.
Für ein gentechnikfreies Indien - der Widerstand wächst
Als Reaktion auf die Ausbreitung der Agro-Gentechnik in Indien haben sich diverse Netzwerke von Bauern, Verbrauchern und Händlern gebildet, die hiergegen Widerstand leisten. Eine dieser Initiativen ist „GM-free India“ (Gentechnikfreies Indien), unter dessen Dach sich im Laufe des letzten Jahres landesweit tausende von Gemeinden für gentechnikfrei erklärt haben.6 Und auch auf der Ebene der Bundesstaaten wächst der Widerstand: Im Juni 2007 erklärten die Agrarminister von Kerala und Orissa, dass sie keine Genehmigung für den Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen in ihren jeweiligen Bundesstaaten erteilen werden. Begründet wurden diese Entscheidungen mit der Befürchtung von Kontaminationen, der ablehnenden Haltung der Öffentlichkeit sowie den schlechten Erfahrungen mit Bt-Baumwolle in Indien. 2006 hatte sich bereits der Bundesstaat Uttaranchal gentechnikfrei erklärt.
- 1Goswami, B. (2007): GEAC’s poor record of regulation. www.indiatogether.org/2007/aug/agr-geac.htm
- 2USDA (2007): India Biotechnology Annual 2007. USDA Foreign Agricultural Service, GAIN Report - IN7062. Washington, USA
- 3Kuruganti, K. (2007): Supreme Court Upholds Importance Of Biosafety. www.countercurrents.org/kavitha210507.htm
- 4GM Watch (2007): Indian regulators’ contempt for Supreme Court. www.gmwatch.org/archive2.asp?arcid=8221
- 5Sahai, S. (2006): Indo-US Agriculture Deal - Nukes in favour, crops downgraded. Im Netz unter: www.indiatogether.org/2006/apr/opi-cropdown.htm
- 6Weitere Informationen zu der Initiative unter www.indiagminfo.org
Widerstand gegen Kontrolle
Vor allem Bauernorganisationen wehren sich gegen den zunehmenden Einfluss von multinationalen Konzernen auf die Landwirtschaft und die Verbreitung von gentechnisch veränderten Pflanzen. Interview mit Usha S. und Devinder Sharma
Multinationale Konzerne wie Monsanto-Mahyco sind die zentralen Akteure der indischen Gentech-Industrie. Wie gehen diese vor und welchen Einfluss hat die indisch-amerikanische Kampagne „Indo-US Knowledge Inititative“, mit der auf dem indischen Subkontinent eine Zweite Grüne Revolution initiiert werden soll?
Devinder Sharma: Die multinationalen Konzerne haben die Kontrolle über Forschung und Verbreitung von gentechnisch verändertem Saatgut in Indien übernommen. Ihr Ziel ist es, den Saatgutsektor zu kontrollieren und die transgenen Saaten helfen ihnen dabei. Die Indo-US Knowledge Initiative legitimiert diesen Prozess. Im Vorstand sitzen Vertreter der US-Konzerne Monsanto, ADM und Wallmart, womit sehr deutlich wird, wessen Interessen diese Initiative in der nahen Zukunft dienen wird. Das bedeutet aber auch, dass die gesamte indische Agrarforschung und -beratung sowie die Vermarktung den Anweisungen von Monsanto, ADM und Wallmart folgen wird. Die Landwirtschaft wird in die Hände von drei Arten von Unternehmen übergehen: den Technologieunternehmen, den Handelskonzernen und den Supermärkten. Bauern werden hierfür nicht benötigt, diese Unternehmen werden vom Saatgut bis zum Teller die gesamte Produktionskette bestimmen.
Es gibt viel Widerstand gegen Gentechnik in Indien, insbesondere von Bauernverbänden. Wie sieht dieser Widerstand aus und was wollen diese Gruppen erreichen?
Usha S.: Im Prinzip wollen diese Gruppen ein gentechfreies Indien haben. Und der Grund dafür liegt in den Erfahrungen mit der Bt-Baumwolle - genau hier hat der Widerstand auch begonnen. Im letzten Jahr hat sich der Widerstand auf 16, 17 Bundesstaaten ausgeweitet, als GEAC versucht hat, großflächige Freilandversuche mit Bt-Brinjal, einer Art Aubergine, durchzuführen. Zu diesem Zeitpunkt haben viele Gruppen von Bauern, Konsumenten und Händlern die Koalition „GM Free India“, Gentechnikfreies Indien, gegründet. In den letzten drei Jahren haben Bauern Bt-Reisfelder zerstört. Hintergrund ist einerseits die fehlende Zulassung, aber auch die Tatsache, dass GEAC nicht einmal weiß, was im Land vor sich geht. Die Unternehmen gehen einfach zu den Bauern und versuchen, ihr Saatgut von ihnen anpflanzen zu lassen, ohne den Bauern zu sagen, dass es sich um Gentech-Saatgut handelt. Ein weiterer Grund für den Widerstand ist, dass so viele Alternativen zur Gentechnik vorhanden sind. Wo Bauernvereinigungen oder Nichtregierungsorganisationen in den letzten zehn Jahren gearbeitet haben, sehen sie die Erfolge dieser Alternativen. Bauern begehen Selbstmord auf Grund der hohen Anbaukosten in der Landwirtschaft. Wenn wir nach Alternativen suchen, so auch deshalb, um diese Anbaukosten zu senken. Die Unternehmen wissen, dass es diese Alternativen gibt, und sie wollen sie unterbinden und versuchen, die Politik zu manipulieren. Aber die Entwicklung läßt sich nicht aufhalten; Händler haben ihre Kampagnen gestartet, Konsumenten haben Kampagnen gestartet - es breitet sich aus wie ein Buschfeuer!
Wie haben die Bundesstaaten und die Gemeinden auf die Forderungen nach einem gentechnikfreien Indien reagiert?
Usha S.: Einige Staaten haben mittlerweile eine eigene Politik für organischen Landbau in die Wege geleitet. Andere Staaten haben eine solche Politik noch nicht, aber sagen, dass sie keine Gentech-Pflanzen haben wollen. Die Bevölkerung ist zunehmend informiert und aufgeklärt, und dies bereitet den Staaten Sorgen. Letztes Jahr musste Monsanto in Tamil Nadu Kompensationszahlungen an die Bauern leisten, weil Bt-Baumwolle gescheitert war, das heißt nicht Erträge gebracht hat, die versprochen worden waren und die den Landwirten ein Auskommen bereitet hätten. Also sind die Bundesstaaten gezwungen zu reagieren, und viele Gemeinden haben an das GEAC geschrieben und gesagt, dass sie kein Gentech-Saatgut haben wollen. Und in der nahen Zukunft werden immer mehr Staaten sich diesem Kampf anschließen.
Das Interview führte Karsten Wolff.
Devinder Sharma ist Direktor des “Forums for Biotechnology and Food Security” in Delhi. Er arbeitet und schreibt zu den Themen Gentechnologe, Geistige Eigentumsrechte, Agrarhandel und Armut. Usha S. koordiniert für die Organisation “Thanal” in Kerala die südindische Reis-Kampagne und ist Mitglied im Koordinierungkreis von “GM free India”.
Karsten Wolff, Geograph und Agrarwissenschaftler, hat bis März 2010 als Berater für die südindische Organisation THANAL gearbeitet, die auch Mitglied in der Koalition für ein gentechnikfreies Indien ist.