Aigner vs. Schavan
Die Debatte um die Agro-Gentechnik in Deutschland
Das Verbot des Anbaus gentechnisch veränderter Pflanzen durch Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner hat in Deutschland die Debatten über die Agro-Gentechnik neu entfacht. Nicht nur zwischen den gesellschaftlichen Gruppen gibt es Differenzen, auch im Kabinett der Bundesregierung stehen sich unterschiedliche Positionen gegenüber. Ein Runder Tisch soll es nun richten.
Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU) hatte für den 20. Mai zu einem „Runden Tisch Grüne Gentechnik” nach Berlin geladen. Nach den Vorstellungen der Ministerin sollte es „nicht nur um forschungspolitische Fragen, sondern um eine Wertedebatte mit weit reichenden Folgen” gehen. Diplomatie, das hat sich in diesem Zusammenhang gezeigt, ist nicht die Stärke von Frau Schavan. Sonst hätte sich die Ministerin nicht zu einem Beitrag für die Financial Times Deutschland überreden lassen, der zwei Tage vor dem anvisierten Termin unter dem programmatischen Titel „Gentechnik muss sein” erschien.1 Dies und die Einladungsliste (siehe Kasten) lassen erhebliche Zweifel daran aufkommen, ob Schavan bereit und in der Lage ist, einen offenen Dialog zu führen. Thomas Dosch, Präsident von Bioland: „Wenn von 24 Geladenen gerade sechs dem kritischen Lager zuzurechnen sind, dann läuft das der Idee eines Runden Tisches völlig zuwider.” Ilse Aigner (CSU), Bundeslandwirtschaftsministerin, hatte mit ihrem Verbot des Anbaus von gentechnisch verändertem Mais MON810 den Anlass für den Runden Tisch gegeben. Dem entsprechenden Bescheid haben verschiedene Gerichte mittlerweile seine vorläufige Rechtmäßigkeit bestätigt. Im so genannten Eilverfahren ging es um den sofortigen Vollzug des Verbotes. Bemerkenswert an den Entscheidungen ist, dass die Gerichte betonten: Damit das Verbot auf der Basis des Gentechnikgesetzes rechtmäßig ist, „müssten keine gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse vorliegen, aus denen zweifelsfrei Gefahren für die Umwelt herzuleiten sind. Es genüge, wenn sich aus neuen oder zusätzlichen Informationen Anhaltspunkte dafür ergeben, dass Menschen oder Tiere geschädigt werden können.” In dem so genannten Hauptsacheverfahren erwartet die Bundeslandwirtschaftsministerin die Entscheidung im kommenden Herbst.2
Formale Hürde mit Eleganz überwunden
Im europäischen Recht steht (und ein entsprechender Passus findet sich auch im deutschen Gentechnikgesetz), dass ein EU-Mitgliedstaat, wenn er „berechtigten Grund zu der Annahme [hat], dass ein GVO [ein gentechnisch veränderter Organismus] als Produkt oder in einem Produkt eine Gefahr für die Umwelt darstellt”, diesen „in seinem Hoheitsgebiet” verbieten kann. Frau Aigner gab Mitte April zu Protokoll, es gebe „berechtigten Grund zu der Annahme (...), dass der genetisch veränderte Mais der Linie MON810 eine Gefahr für die Umwelt darstellt”. So hatte sie die erste formale Hürde mit Eleganz überwunden. Aigner hat ihre Entscheidung im Wesentlichen mit drei Argumenten begründet: Eine wissenschaftliche Untersuchung von Jörg E. U. Schmidt hatte zum Beispiel gezeigt, dass das vom MON810-Mais produzierte insektengiftige Bt-Toxin (das so genante Cry1Ab-Protein) dazu führen kann, dass Larven des Zweipunkt-Marienkäfers eine höhere Sterblichkeit aufweisen als die Tiere in der Kontrollgruppe. Die Ergebnisse der zweiten neueren Publikation, auf die Aigner sich bezog, hatten verdeutlicht, dass sich das Verfüttern des Toxins Cry1Ab negativ auf die Fitness von Wasserflöhen auswirkt. Diese gelten als Modellorganismen der Wissenschaft der Umweltgifte und ihrer Wirkungen. Beobachtet wurde zum Beispiel eine höhere Sterblichkeit und eine reduzierte Anzahl von weiblichen Tieren, die das Alter der Geschlechtsreife erreichten. Last but not least zeigen die Arbeiten von Hofmann und Kollegen, dass sich die Pollen von (gentechnisch veränderten) Maispflanzen deutlich weiter verbreiten als bisher angenommen.3Auch die Tatsache, dass fünf weitere Mitgliedstaaten der Europäischen Union den Anbau von MON810 verboten haben, blieb nach Darstellung der Ministerin nicht unberücksichtigt.
Ergebnis einer Einzelfallentscheidung
Weniger vor dem Hintergrund dieser Ergebnisse als vielmehr wegen der Verbots-Entscheidung an sich sind die Diskussionen in Deutschland über den Einsatz der Gentechnik in der Landwirtschaft erneut stark entfacht. Aigner habe sich gegen die Agro-Gentechnik positioniert und sei im Zweifelsfall sowieso von Horst Seehofer ferngesteuert, war eine oft zu hörende Meinung. Dabei hatte die Landwirtschaftsministerin stets betont, das Verbot von MON810 sei das Ergebnis einer Einzelfallentscheidung. Der Chor der deutschen Wissenschaftsorganisationen4schreibt in einer gemeinsamen Erklärung: „Der Zusatz, dass es sich dabei um eine Einzelfallentscheidung handelt, kann über den negativen Effekt für den Forschungsstandort Deutschland nicht hinwegtäuschen und steht einer zukunftsorientierten Ausrichtung diametral entgegen.”
Konzeptionell in der Krise
Nach Einschätzung des Gen-ethischen Netzwerkes (GeN) zeigt sich durch die aktuelle Situation jedoch vielmehr, dass die Art der bisherigen Forschung zu den mit dem Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen verbundenen Risiken erhebliche Mängel aufweist. „Dem Mainstream der beteiligten Forscherinnen und Forscher” sei es „nicht gelungen, die vielstimmige Kritik zu integrieren”, heißt es in der Pressemitteilung des GeN zum Runden Tisch. Und weiter: „Konzeptionell stecken die Programme in der Krise: Produktentwicklung geht vor Prüfung der Umweltrisiken.” Dass die Forschung an gentechnisch veränderten Pflanzen auch strukturell renovierungsbedürftig ist, ist ein weiterer Punkt, den das GeN kritisiert. Insbesondere beklagt sich das GeN über die fehlende Transparenz bei der Vergabe der Fördermittel im Rahmen der deutschen so genannten Biosicherheitsforschung.5
Unabhängige Forschung nicht möglich
Ein weiteres strukturelles Problem zeigt ein Fall aus den USA auf, der es bereits im Februar bis in die New York Times (NYT) schaffte: 26 WissenschaftlerInnen, die sich vorwiegend mit Maisanbau und Insekten beschäftigen - die NYT nennt sie „corn-insect specialists” -, haben sich im Rahmen einer Anhörung der US-Umweltbehörde EPA darüber beklagt, dass wirklich unabhängige Forschung über viele kritische Fragen (mit Bezug zu gentechnisch veränderten Pflanzen) auf legalem Weg nicht möglich sei.6Das Problem sei, dass Landwirte und andere Käufer gentechnisch veränderter Saaten einen Vertrag unterzeichnen müssten. Diese sichern den Firmen ihre Patente, „verbieten aber auch, die Pflanzen für Forschungszwecke anzubauen”. Solche Verträge gebe es schon lange, schreibt die NYT, die ForscherInnen würden jetzt an die Öffentlichkeit gehen, da sich die Frustrationen aufgestaut hätten. Die ExpertInnen hatten im Rahmen der EPA-Anhörung zwar ihre Namen nicht veröffentlicht, einige von ihnen sind aber seither in Interviews aufgetreten. Auch in Europa und Deutschland ist das gentechnisch veränderte Material nicht frei zugänglich. Zudem wäre es von Bedeutung, dass ForscherInnen auch das entsprechende nicht gentechnisch veränderte Saatgut - die so genannten isogenen Linien - bekommen, um vergleichende Untersuchungen mit möglichst nah verwandten Sorten durchführen zu können. Gerade diese isogenen Linien sind aber auf dem Markt oft nicht verfügbar. Fragen dieser Art werden aber von den ForscherInnen, die in Deutschland „Biosicherheitsforschung” machen, nicht gestellt. Es steht also ein bunter Strauß von Themen zur Verfügung, wenn über Werte, Forschung und Landwirtschaft gesprochen werden soll. Auch wenn das nächste Treffen schon für Anfang Juli vorgesehen ist, darf man aber wohl gespannt sein, ob nach Europa-, Bundestags- und verschiedenen Landtagswahlen von dem Dialog überhaupt noch gesprochen wird.
- 1„Gentechnik muss sein”, Financial Times Deutschland, 18.05.09, im Netz unter: www.ftd.de.
- 2Die Entscheidungen des Verwaltungsgerichtes Braunschweig und des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichtes Lüneburg im Netz unter: www.verwaltungsgericht-braunschweig.niedersachsen… und www.oberverwaltungsgericht.niedersachsen.de (Aktenzeichen des Eilverfahrens: 2 B 111/09, des Klageverfahrens: 2 A 110/09).
- 3Schmidt und Kollegen (2008 online/2009 print): „Effects of Activated Bt Transgene Products (Cry1Ab, Cry3Bb) on Immature Stages of the Ladybird Adalia bipunctata in Laboratory Ecotoxicity Testing”. Archives of Environmental Contamination and Toxicology, Band 56. Bøhn und Kollegen (2008 online/print): „Reduced Fitness of Daphnia magna Fed a Bt-Transgenic Maize Variety”. Archives of Environmental Contamination and Toxicology, Band 55. Zu Hofmann und Kollegen siehe zum Beispiel das Interview mit Frieder Hofmann im Gen-ethischen Informationsdienst (GID) 192, Februar 2009.
- 4Alexander von Humboldt-Stiftung, Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina, Deutsche Forschungsgemeinschaft, Deutscher Akademischer Austauschdienst, Fraunhofer Gesellschaft, Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren, Hochschulrektorenkonferenz, Leibniz-Gemeinschaft, Max-Planck-Gesellschaft und der Wissenschaftsrat. Im Netz unter: www.idw-online.de (16.04.09).
- 5Die vollständige Pressemitteilung des GeN vom 19.05.09 im Netz unter www.gen-ethisches-netzwerk.de.
- 6„No truly independent research can be legally conducted on many critical questions”; das vollständige Statement der WissenschaftlerInnen im Netz unter: http://tinyurl.com/us-crop-scientists-feb2009; Der Artikel „Crop Scientists Say Biotechnology Seed Companies Are Thwarting Research” (New York Times, 19.02.09) im Netz unter: http://tinyurl.com/nyt-us-crop-scientists-feb2009.
Christof Potthof war bis Ende April 2020 Mitarbeiter im GeN und Redakteur des GID.
Einladungsliste:
• Prof. Dr. Regina Ammicht-Quinn (Uni Tübingen) • Prof. Dr. Peter Beyer (Uni Freiburg) • Gerd Billen (vzbv) • Prof. Dr. Joachim von Braun (IFPRI) • Dr. Broder Breckling (Uni Bremen) • Prof. Dr. Inge Broer (Uni Rostock) • Dr. Andreas Büchting (KWS AG) • Dr. Jürgen Hamprecht (BASF AG) • Bischof Prof. Dr. Wolfgang Huber (EKD) • Dr. Kartz von Kameke (Bund Deutscher Pflanzenzüchter) • Prof. Dr. Jozsef Kiss (Uni Budapest, Ungarn) • Dr. Felix Prinz zu Löwenstein (Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft) • Prof. Dr. Jürgen Mlynek (Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren) • Stefan Mörsdorf (Saarländischer Umweltminister) • Prof. Dr. Ortwin Renn (Uni Stuttgart) • Prof. Dr. Joachim Schiemann (JKI) • Hubertus Schmoldt (IG BCE) • Prof. Dr. Ingolf Schuphan (RWTH Aachen) • Gerd Sonnleitner (Deutscher Bauernverband) • Dr. Theo Spettmann (Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde) • Hubert Weinzierl (Deutscher Naturschutzring) • Petra Wernicke (Ministerin für Landwirtschaft und Umwelt des Landes Sachsen-Anhalt) • Prof. Dr. Lothr Willmitzer (MPI für Molekulare Pflanzenphysiologie) • Erzbischof Dr. Robert Zollitsch (Deutsche Bischofskonferenz)
(Christof Potthof)