Food and Democracy
Zur Konferenz der gentechnikfreien Regionen Europas
Die Konferenz der gentechnikfreien Regionen Europas ist mittlerweile eine liebgewordene Gelegenheit, Erfahrungen auszutauschen und den Stand der Dinge in der Agro-Gentechnik-Debatte zu untersuchen. In diesem Jahr traf sich die Bewegung zu „Food and Democracy” in Luzern.
Die Schweiz ist so etwas wie ein Vorbild. Mit einem Moratorium haben die Menschen in der Schweiz den kommerziellen Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen für Jahre verboten. Das war ein bewundernswerter Erfolg, gerade auch, weil die Entscheidung in einer Volksabstimmung gefallen ist. Dafür wurden der schweizerische Zweig der Anti-Gentechnik-Bewegung - so könnte man es interpretieren - nun nachträglich belohnt, er durfte die 5. Konferenz der gentechnikfreien Regionen Europas mit zirka 250 Gästen aus mehr als 30 Ländern ausrichten. In mancherlei Hinsicht sind die Konferenzen, das war in Luzern unschwer zu erkennen, nicht mehr das, was sie einmal waren. Mit Chiara Simoneschi-Cortesi, der Präsidentin des Schweizer Nationalrates, war zum Beispiel die erste Bürgerin des Alpenstaates für ein Grußwort gekommen. Ebenso Karel Blaha, der stellvertretende Umweltminister der Tschechischen Republik, die aktuell die Ratspräsidentschaft der Europäischen Union innehat. Auch sonst war einiges an Prominenz in Luzern zu sehen. Niki Berlakovich, Österreichischer Bundeslandwirtschaftsminister, Renate Künast, Deutsche Bundeslandwirtschaftsministerin a.D. und Adrian Borgula, Kantonsratspräsident des Kanton Luzern. Sein Übriges tat in diesem Sinne der repräsentativen Ort, den die schweizerischen KollegInnen ausgewählt hatten: Das Konferenzzentrum KKL liegt unmittelbar am Vierwaldstättersee und gehört sicher zu den ersten Adressen am Ort. Natürlich kann man sagen, das sind nur Oberflächlichkeiten. Andererseits kann aus der Präsenz vermutlich auch abgelesen werden, dass es der Bewegung - nicht zuletzt auch wegen der Wahlen, die es in diesem Jahr gab und gibt - gelungen ist, die Aufmerksamkeit der Politik auf sich zu lenken. Das ist aber sicher nur die eine Seite der Medaille: Schaute man sich in den Räumen, den Gängen und Workshops der Konferenz um, dann war auch zu spüren, dass über die Jahre viele Verbindungen zwischen den Aktiven aus den verschiedenen Ländern entstanden sind. Diskussionen lassen ahnen, welche Potentiale noch in der Bewegung stecken. Einige treibt es in den Pausen hinaus an den See. Man kann sie dort sehen, wie sie weiterdiskutieren und Pläne schmieden. Zum Beispiel über „Stop-the-Crop!”1 - die Kampagne zur Verhinderung der Anbauzulassungen für weitere gentechnisch veränderte Maissorten, die in Luzern in einem Workshop vorgestellt und diskutiert wurde. Oder über Patente: Vor dem Hintergrund der anstehenden Entscheidung der Großen Beschwerdekammer des Europäischen Patentamtes über die Rechtmäßigkeit der Patentierung konventionell gezüchteter, nicht gentechnisch veränderter Pflanzen 2 ist die fortschreitende „Patentierung von Leben” eine Entwicklung, die in der Bewegung große Sorgen auslöst. Auch zu diesem Thema gab es einen Workshop („The monopolisation of plants and animals”) und, als ein besonderes Highlight, einen Beitrag von Percy Schmeiser, dem von Monsanto verklagten kanadischen Rapsbauern, der sich fast ein Jahrzehnt mit dem Gentech-Konzern Monsanto vor Gericht stritt, ohne sich entmutigen zu lassen. 2007 wurde Percy Schmeiser, gemeinsam mit seiner Frau Louise, für diesen Kampf mit dem Alternativen Nobelpreis geehrt. Außerdem wurde in Luzern der neue Bericht „Saatgut und Lebensmittel - Zunehmende Monopolisierung durch Patente und Marktkonzentration” der internationalen Koalition „No Patents On Seeds” veröffentlicht (siehe Kasten).
Demokratie zum Thema gemacht
Natürlich kein Zufall in der Schweiz, dass sich der programmatische Titel Food and Democracy wie ein roter Faden durch die Tage der Konferenz zog. Immer wieder kommen Diskussionen auf die Frage, wie ermöglicht werden kann, dass sich die gentechnikfreien Regionen auf eine rechtliche Basis stützen. Regionen wollen sich über das bisher genutzte freiwillige rechtlich unverbindliche Maß hinaus als „gentechnikfrei” erklären können. Dies soll auch vor einzelnen Gentech-Anbauern oder Feldversuchen mit gentechnisch veränderten Planzen schützen. Auch wenn bisher keine gemeinsamen Patentrezepte gefunden wurden, wurde in Luzern mehr als deutlich, dass sich die Bewegung mit einer pauschalen Ausrede im Sinne von „Das geht nicht.” nicht zufrieden geben wird. Diese Diskussion wird in der Zukunft noch dringlicher zu führen sein. Demokratie wurde in Luzern auch in anderer Weise zum Thema gemacht: „Demokratie lebt durch Partizipation” war der Titel eines Workshops, der vom Autor dieser Zeilen mitgestaltet worden war. Neben der Aarhus-Konvention für Partizipation, Information und Rechtsschutz unter dem Dach der Vereinten Nationen 3 stand der Austausch über konkrete lokale Aktivitäten und die Partizipation in der Forschung im Zentrum der Diskussionen.
Moratorium jetzt!
In ihrer Abschlusserklärung machten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer von Food and Democracy mit ihrer Forderung nach einem erneuten Moratorium für die Zulassung und den Anbau gentechnisch veränderten Pflanzen in Europa das Vorbild der gastgebenden Schweiz zu eigen. Sie verbanden damit unter anderem den Aufruf nach einer gestärkten regionalen Selbstbestimmung und der Unterstützung einer gentechnikfreien und vielfältigen Landwirtschaft.
Kraftvolle Signale
Der Wandel zu einer repräsentativen Veranstaltung, mit der die große Politik beeindruckt werden kann - und beeindruckt wird! - kann nicht ohne Wirkung auch auf die Bewegung selbst bleiben. Dieser Rahmen kann auch ausschließend wirken. Nicht immer ist es zum Beispiel gelungen, Unterstützung in infrastruktureller oder auch finanzieller Art zu organisieren, mit der Folge, dass der eine oder die andere nicht nach Luzern kommen konnte. Auch konzeptionell muss in der Zukunft weitergearbeitet und diskutiert werden, um die internationale Kooperation zu stärken. Ist die Bewegung zum Beispiel in der Lage, auch in diesem Rahmen - mit mehreren hundert Teilnehmerinnen und Teilnehmern und über Sprachbarrieren hinweg - noch stärker partizipatorische Methoden zu nutzen? Ist nach der First-Class-Adresse des KKL am Vierwaldstättersee im nächsten Jahr die Zeit reif für eine Konferenz in der Abgeschiedenheit der Provinz - ohne Pressezentrum und kabelloses Internet? Food and Democracy hat - wie schon Planet Diversity im vergangenen Jahr anlässlich der Verhandlungen über UN-Biosicherheitsprotokoll 4 - gezeigt, dass die Bewegung gegen den Einsatz der Gentechnik in der Landwirtschaft - in Europa und darüber hinaus - in der Lage ist, nach außen deutliche und kraftvolle Signale zu senden.
- 1Im Netz unter: www.gmo-free-regions.org/stop-the-crop-action.html.
- 2Siehe dazu auch im Kasten und zum Beispiel das Interview mit Christoph Then im GID 190, Oktober 2009.
- 3Siehe dazu auch das Interview mit Bettina Hennig im GID 191, Dezember 2008, im Netz unter www.gen-ethisches-netzwerk.de/gid/191.
- 4Zu Planet Diversity siehe zum Beispiel den Artikel von Naima Blum im GID 188, Juni 2008, im Netz unter www.gen-ethisches-netzwerk.de/gid/188 oder www.planet-diversity.org.
Christof Potthof war bis Ende April 2020 Mitarbeiter im GeN und Redakteur des GID.
Kein Patent auf Leben!
Bericht
Der Bericht „Saatgut und Lebensmittel - Zunehmende Monopolisierung durch Patente und Marktkonzentration” von Christoph Then und Ruth Tippe wurde für die internationale Koalition „No Patents On Seeds” verfasst und im April, anlässlich der Konferenz der gentechnikfreien Regionen Europas, veröffentlicht. Der Bericht zeigt eindringlich, dass die Patentierung, insbesondere auch von konventionellen Pflanzen, voranschreitet. Die AutorInnen machen deutlich, dass eine Änderung der europäischen Biopatentrichtlinie dringend geboten ist. No Patents on Seeds sind: Der Entwicklungsfonds (Norwegen), Erklärung von Bern (Schweiz), Greenpeace, Kein Patent auf Leben, Misereor (alle Deutschland) und Swissaid (Schweiz). Der Bericht ist in deutscher und englischer Sprache verfügbar und steht auf den Internetseiten der Koalition zum kostenlosen Herunterladen bereit: www.no-patents-on-seeds.org.
Demonstration
Im Rahmen einer gemeinsamen Demonstration von Biopatent-GegnerInnen, landwirtschaftlichen Verbänden, Umweltschutzorganisationen, dem bischöflichen Hilfswerk Misereor und der Initiative „Kein Patent auf Leben!”, an der sich neben dem Gen-ethischen Netzwerk zum Beispiel auch die Free-Software-Initiative „Foundation for a Free Information Infrastructure” (FFII) beteiligte, wurden am 15. April mehr als 5.000 Einwendungen und Unterschriften gegen das so genannte Schweine-Patent an das Europäische Patentamt (EPA) übergeben. 1.500 UnterstützerInnen forderten auf ihren Kundgebungen auf dem Marienplatz und vor dem EPA in München, dass die Politik endlich Schluss macht mit Patenten auf Pflanzen und Tiere.
Bundestags-Ausschüsse
Am 11. Mai tagten die Bundestagsausschüsse für Recht und für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz gemeinsam in einer öffentlichen Anhörung zu dem Antrag „Biopatentrecht verbessern - Patentierung von Pflanzen, Tieren und biologischen Züchtungsverfahren verhindern” (eingebracht von Bündnis 90/Die Grünen; Bundestagsdrucksache 16/11604). Im Rahmen dieser Sizung wurden sieben Sachverständige gehört, deren Beiträge auf den Internetseiten des Rechtsausschusses (www. bundestag.de > Ausschüsse > Recht > Anhörungen > 11. Mai 2009).
Bundesrats-Initiative
Unmittelbar nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe wird sich auch der Bundesrat dem Thema der Biopatente annehmen. Zu der Initiative der hessischen Landesregierung lesen Sie in der nächsten Ausgabe des GID.
(Christof Potthof)