Gen-Küchen und Heim-Labore
Einführung
Biotechnologie war bisher nur in institutionellen und privatwirtschaftlichen Laboren zu finden. Jetzt gehen manche Akteure neue Wege.
Biotechnologische Forschung war bislang WissenschaftlerInnen vorbehalten, die in Universitäten oder ähnlichen akademischen Einrichtungen, in privatwirtschaftlichen Unternehmen oder Behörden arbeiten. Seit etwa fünf Jahren ändert sich das. Noch immer sind die allermeisten BiotechnologInnen in den genannten Institutionen zu finden. Aber immer häufiger gibt es Menschen, die in ihren Küchen oder Badezimmern mit Bakterien oder Algen Versuche durchführen. Sie kochen einfachste Protokolle nach - ohne konkretes Ziel oder Hoffnung auf eine neue Erkenntnis. Nicht selten steht dahinter purer Spaß an der Freude oder auch der simple Wunsch, besser zu verstehen. Andere gehen weit professioneller vor. Sie haben vielleicht sogar eine Ausbildung und/oder Berufserfahrung in der Forschung, wollen aber lieber abseits des etablierten Wissenschaftsbetriebs ihr eigenes Ding machen. Vielleicht sehen sie sich auf dem Weg zu einer strahlenden Karriere, vielleicht haben sie auch nur die Nase voll von einem Chef oder einer Chefin, der beziehungsweise die immer alles besser weiß. Und manche haben sich zusammengeschlossen und teilen sich als Gruppe ein Labor. Der eine wendet sich mit Kursen an eine (interessierte) Öffentlichkeit, der andere bastelt einfach vor sich hin. Bezeichnet werden diese neuen Akteure als Biohacker oder - insgesamt - als DIY-Bio-Szene.1 Denn Do it yourself (DIY) - Mach es selbst - ist das Motto dieser Szene. Apparaturen und Chemikalien werden selbst gebaut beziehungsweise gemischt oder aus den Dingen des täglichen Bedarfs gewonnen. Schnaps und Spülmittel beispielsweise werden zu Agenzien der Isolation von Erbgut. Und Hacken bedeutet hier nicht, die Kontrolle einer Website zu übernehmen, sondern bekannte Gegenstände in neuem Kontext zu nutzen, etwa, wenn eine Bohrmaschine mit wenigen Handgriffen zu einer Zentrifuge umfunktioniert wird. Dinge, die nicht selbst gebaut werden können, stammen oft von Auktionen auf Online-Portalen. Medienleute haben das Phänomen - auch für sich selbst - entdeckt. In den letzten Jahren ist mehr und mehr von „Biohackern“ und „Gen-Köchen“ die Rede, keine Tages- oder Wochenzeitung, die nicht schon in der einen oder anderen Art und Weise berichtete.2 Nie fehlt in diesen Beiträgen die Behauptung, dass „mehr und mehr“ Menschen Teil einer „wachsenden Community“ - der DIY-Biotech-Szene eben - sind. Auf welcher Datenbasis dieses Wachstum der DIY-Biotech-Szene festgestellt wird, ist allerdings nicht ersichtlich. Die Anzahl der Labore ist es wohl eher nicht - glaubt man einer jüngst veröffentlichten Zahl, dann gibt es in Europa und Nordamerika ein gutes Dutzend Gemeinschaftslabore der DIY-Biotech-Szene. Einer der Indikatoren, der tatsächlich auf ein Wachstum der DIY-Bewegung hinweist, ist die Zahl der AbonnentInnen der Mailingliste des DIYbio.org-Internetportals. DIYbio.org ist Dreh- und Angelpunkt in der Kommunikation der globalen Szene. Auf der Liste sind mehr als 3.000 AbonnentInnen eingetragen. Mit ihren Archivseiten, auf denen mittlerweile 4.000 und mehr Einzelbeiträge zu finden sind, ist sie Geschichtsbuch und Fundus in einem. Wir geben einen - notwendigerweise beschränkten - Einblick in diese Plattform. Um einen Eindruck von der DIY-Biotech-Bewegung zu bekommen, sind aber natürlich auch die realen Orte der DIY-Biotech-Bewegung, also die Labore, in denen Hobby- und/ oder Laien-BiotechnologInnen ihren Interessen nachgehen, wichtig. Deshalb haben wir eine Handvoll ausgewählt und kurz vorgestellt. Ergänzt wird der Blick in die Szene durch ein Interview mit dem Berliner Biohacker Rüdiger Trojok, in dem wir der Frage nachgehen, was es konkret damit auf sich hat, dass sich die Biohacker in der Tradition der Entwickler von Open-Source-Software sehen.
Demokratische Biotechnologie?
Die These, dass Gemeinschafts- beziehungsweise DIY-Biotech-Labore geeignet seien, an der Demokratisierung von Wissenschaft und Forschung mitzuwirken, ist oft zu hören. GID-Redakteur Christof Potthof ist davon bislang nicht überzeugt: Er zeigt zwar verschiedene Möglichkeiten auf, wie dies in Zukunft der Fall sein könnte. Seiner Meinung nach ist aber die Frage, ob - und wenn, in welcher Form - DIY-BiotechnologInnen zu einer Demokratisierung von Wissenschaft und Forschung beitragen werden, zum jetzigen Zeitpunkt noch völlig offen. Was die Beteiligung von Laien in der biotechnologischen Forschung bewirken oder eben nicht bewirken könnte, ist auch Thema bei Arnold Sauter. Unter anderem beschäftigt er sich in seinem Beitrag mit den Grenzen und Überschneidungen zwischen DIY- und synthetischer Biologie und den sich daraus ergebenden, möglichen Experimentierfeldern, stellt aber auch fest, dass synthetische Biologie und DIY-Biotech-Szene zum jetzigen Zeitpunkt an sich nichts miteinander zu tun haben. Das zeigt sich unter anderem darin, dass der Wettbewerb International Genetically Engineered Machine iGEM als weltweit bekanntestes Event der SynBio-Szene erst ab dem kommenden Jahr auch für DIY-Biotech-Gruppen geöffnet werden soll.3 Demokratisierung und Beteiligung sind auch die zentralen Punkte, um die sich die Argumentation unserer Autoren Hanno Charisius, Richard Friebe und Sascha Karberg dreht. Wie schon zuvor in ihrem Buch „Biohacking“ sehen sie der biotechnologischen Zukunft optimistisch entgegen. Sie brechen eine Lanze für eine individuelle Auslegung der im Grundgesetz festgeschriebenen Forschungsfreiheit und sind für offene Labore, damit es weniger einsam vor sich hin werkelnde Biohacker in Wohnungs-, Garagen- oder Kleiderschrank-Laboren gibt. Die Autoren eines erst vor kurzem erschienenen Berichts des US-amerikanischen Wilson Center und des Synthetic Biology Project sehen durch die DIY-Bio-Labore auch keine zusätzliche Gefahr für die Biosicherheit. Die Befürchtung, dass die Verbreitung biotechnologischer Fähigkeiten das Gefährdungspotential steigert, prägt Gespräche über DIY-Biotech-, Bürger- oder Gemeinschaftslabore oft. Bei der Bewertung dieses Risikos bleibt notwendigerweise ein Rest Unsicherheit, da nur der sichtbare Teil der DIY-Bewegung bewertet werden kann. Inwieweit es Biohacker gibt, die ihren - möglicherweise kriminellen oder auch terroristischen - Interessen im Geheimen nachgehen, lässt sich schlicht nicht beurteilen. Darin liegt ein Dilemma.4 Ähnlich problematisch ist jeder Versuch, einen Verhaltenskodex oder vergleichbare Absprachen für die DIY-Biotech-Szene zu entwickeln. Im Gegensatz zum Grad der Vernetzung ist der Organisationsgrad der „Biohacker“ und „Genköche“ gering - was dazu führt, dass es keine Möglichkeit gibt, nachhaltigen Einfluss auf die Akzeptanz von gemeinsamen Regeln auszuüben. Aber: Die Szene ist noch jung, und sie ist offen. Grund genug also, sich mit diesem Schwerpunkt einen ersten Eindruck zu verschaffen - um die DIY-Biotech-Szene nicht anderen zu überlassen, und um mitzureden zu können.
- 1Weil sich die meisten nicht mit Biologie ganz allgemein beschäftigen, sondern sich eher biotechnologischen Versuchen und Methoden zuwenden, wird in diesem Schwerpunkt auch der Begriff DIY-Biotech-Szene beziehungsweise DIY-Biotech-Labor benutzt.
- 2Siehe zum Beispiel: Die Zeit (21.11.12): „Das Spiel mit den Bakterien“; Süddeutsche Zeitung (05.08.12): „Gentechnik soll kein Herrschaftswissen sein“; New York Times (05.03.12): „Amateurs are New Fear in Creating Mutant Virus“; Technology Review (17.02.12): „Biohacking im Gästezimmer“; Deutschlandradio Kultur (04.11.10): „Basteln am Genom“. Auch der Gen-ethische Informtionsdienst (GID) hatte das Thema in der Vergangenheit aufgegriffen, und zwar in einem Beitrag von Benno Vogel (GID Spezial 10, Dezember 2010): „Kommen Sie, lassen Sie uns synthetische Biologie betreiben!“
- 3iGEM richtet sich an studentische Gruppen, die sich in eigenverantwortlicher Weise, wenngleich unter Anleitung, in der Entwicklung neuer Biotech-Features messen.
- 4In diesem Zusammenhang wird die Stellungnahme zu missbrauchsfähiger Forschung in Biotechnologie und medizinischer Forschung, an der der Deutsche Ethikrat derzeit arbeitet, interessant sein.
GID-Redaktion