Kurz notiert – Mensch und Medizin

Reproduktions­medizin

Mehr Komplikationen nach  künstlicher Befruchtung

Frauen, die mit Hilfe von assistierten Reproduktionstechniken schwanger werden, haben ein höheres Risiko für Komplikationen während der Schwangerschaft. Dies zeigt eine Studie, die unlängst im Journal of the American Heart Association veröffentlich wurde. Forschende verglichen dabei Daten von mehr als 100.000 Geburten nach einer künstlichen Befruchtung, die zwischen 2008 und 2016 stattgefunden hatten, mit Daten von rund 34 Mio. natürlich gezeugten Schwangerschaften aus demselben Zeitraum. Zwar waren Frauen, die sich einer solchen Behandlung unterzogen und schwanger wurden, im Durchschnitt sieben Jahre älter und hatten mehr Vorerkrankungen. Allerdings war das erhöhte Risiko für Komplikationen nach einer künstlichen Befruchtung statistisch abhängig von diesen Faktoren. Frauen, die sich einer assistierten Reproduktion unterziehen, haben offenbar ein um 65 Prozent erhöhtes Risiko, während der Schwangerschaft Herzrhythmusstörungen zu erleiden. Das Risiko einer Plazentaablösung war um 57 Prozent höher und das Risiko einer Frühgeburt war um 26 Prozent höher als bei der Vergleichsgruppe. (BioNews, 28.02.22, www.bionews.org.uk; Ärzteblatt, 10.03.22, www.aerzteblatt.de) (ps)

USA: Drastische Zunahme der Präimplantationsdiagnostik

Bei der Präimplantationsdiagnostik (PID) handelt es sich um ein Verfahren im Rahmen der künstlichen Befruchtung (In-Vitro-Fertilisation, IVF), womit der erst einige Tage alte Embryo auf chromosomale Auffälligkeiten hin untersucht wird. In den USA wurden 2014 mehr als 17 Prozent der durch IVF entstandenen Embryonen genetisch untersucht, 2018 lag der Anteil bereits bei knapp 50 Prozent. Eine mögliche Begründung sahen Forschende darin, dass immer mehr ältere Frauen eine IVF in Anspruch nähmen. Ihre Studie, die im Journal of the American Medical Association veröffentlicht wurde, hatte auch gezeigt, dass die PID bei älteren Frauen etwas häufiger zur Anwendung kam als bei jüngeren Frauen. (Ärzteblatt, 07.04.22, www.aerzteblatt.de) (ps)

Präimplantationsdiagnostik für sog. Volkskrankheiten?

Laut eines Artikels in der Fachzeitschrift Nature reichen winzige Mengen DNA-Material von In-vitro-fertilisierten Embryos aus, um Gesamtgenomsequenzierungen durchzuführen. Mit diesen Daten berechneten die Autor*innen sog. Polygene Risikoscores (PGR) für 12 Erkrankungen wie Krebs, Autoimmun- und Herz-Kreislauferkrankungen. PGR sollen anhand von tausenden Genvarianten Auskunft über die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten bestimmter Erkrankungen oder Eigenschaften des zukünftigen Kindes geben können. Das Forschungsteam bestand hauptsächlich aus Mitarbeiter*innen von MyOme (Gentestfirma), Natera (Hersteller von Nicht-invasiven Pränataltests) und Spring Fertility (Kinderwunschklinik). Die Wissenschaft hinter PGR ist umstritten, da es sich um rein statistische Zusammenhänge handelt, die nicht auf alle Individuen zutreffen und Umweltfaktoren und Lebensumstände ignoriert werden. Grade bei den von den Autor*innen untersuchten sog. Volkskrankheiten spielen diese jedoch eine große Rolle. Nature publizierte gleichzeitig zwei Artikel zu der wissenschaftlichen und ethischen Problematik der Anwendung von PGR bei pränatalen Tests. Sowohl die European Society of Human Genetics (ESHG) als auch die European Society of Human Reproduction and Embryology (ESHRE) äußerten sich bereits Ende 2021 und im Februar diesen Jahres besorgt über die mögliche Ausweitung von Embryoselektion anhand von PGR. (ESHG, 17.12.21, www.eshg.org; ESHRE, 02.02.22, www.eshre.eu; Nature, 22.03.22, www.doi.org/10.1038/s41591-022-01735-0) (ib)

Schweiz: „Eizellenspende“ im Parlament

In der kommenden Sommersession debattiert der Ständerat über eine Motion der nationalrätlichen Wissenschaftskommission, welche die Zulassung der „Eizellenspende“ in der Schweiz fordert. Der Bundesrat beantragt die Ablehnung mit dem Argument, die im Gesetz festgeschriebene Evaluierung des erst unlängst geänderten Fortpflanzungsmedizingesetzes (FMedG) sei noch nicht abgeschlossen. Die „Eizellenspende“ müsse aber im Kontext der Gesamtentwicklung beurteilt werden. Die Evaluation wird im Verlauf des kommenden Jahres abgeschlossen sein. Erst dann werden Empfehlungen vorliegen, die allenfalls zu einer Gesetzesänderung führen könnten. Biorespect setzt sich schon seit Langem dafür ein, dass die „Eizellenspende“, ebenso wie die „Leihmutterschaft“, in der Schweiz verboten bleibt. Der Verein unterstützt deshalb die Haltung des Bundesrats: Die Diskussion um das heikle Thema ist in jedem Fall verfrüht. Denn die Wirksamkeitsprüfung bezüglich des FmedG stellt die zentrale Grundlage für eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der komplexen Materie dar. Erst wenn der Schlussbericht vorliegt, kann das Parlament über weitere Schritte seriös entscheiden. (PM biorespect, 28.04.22, www.biorespect.ch) (ps)

Genome  Editing

Mäuse aus unbefruchteten Eizellen erzeugt

Wissenschaftler*innen haben in einer Studie mit Hilfe der CRISPR-Cas-Technologie lebensfähige Mäuse aus einzelnen, nicht befruchteten Maus-Eizellen erzeugt. Formen der eingeschlechtlichen Fortpflanzung treten in der Natur u.a. bei einigen Insekten, Reptilien und Vögeln, aber nicht bei Säugetieren auf. Die Studie unterstreicht einen wichtigen Grund dafür: die sog. genomische Prägung. Einige DNA-Bausteine von bestimmten Abschnitten im Genom sind chemisch modifiziert (Epigenetik). Diese Veränderung kennzeichnet, welche Hälfte des doppelten Chromosomensatzes von welchem Elternteil vererbt wurde. Diese sog. maternale und paternale Prägung wird in den zukünftigen Geschlechtszellen eines Embryos gelöscht und anhand seines chromosomalen Geschlechts neu etabliert. In den übrigen Zellen hingegen bleibt er lebenslang erhalten und ist u.a. essenziell für die frühe Embryonalentwicklung. Diese Prägungsmuster immitierten die Forscher*innen mit Hilfe von DNA-Modifikationensenzymen und CRISPR-Cas an unbefruchteten Eizellen. Rund die Hälfte dieser Eizellen entwickelten sich zu frühen Embryonen und wurden wieder in Mäuse implantiert. Es kam zu 14 Schwangerschaften und drei Geburten. Zwei der Jungtiere starben nach wenigen Stunden. Eines gebar selbst gesunden Nachwuchs, zeigte jedoch ein reduziertes Wachstum. Die Studien-Autor*innen schlagen eine Weiterentwicklung ihres Ansatzes vor und hoffen auf mögliche Anwendungen in Landwirtschaft, Wissenschaft und Medizin. (PNAS, 07.03.22, www.doi.org/10.1073/pnas.2115248119; Focus on Reproduction, 29.03.22, www.focusonreproduction.eu) (tr)

Polizeiliche DNA-Analyse

USA: Widerrechtliche DNA- Profilspeicherung

Die New Yorker Polizei wird beschuldigt, eine DNA-Datenbank mit DNA-Profilen zu betreiben, die ohne rechtliche Grundlage gesammelt worden sind. Die Legal Aid Society hat deswegen auf Bundesebene eine kollektive Klage gegen die Polizeibehörde erhoben. Beispielhaft für die 31.000 DNA-Profile, die in der Datenbank gespeichert sind, ist der New York Times (NYT) zufolge das Profil einer Frau, die in einem Wagen saß, in dem eine andere mitfahrende Person eine Waffe in der Tasche hatte. Ihr DNA-Profil wurde ohne ihre Zustimmung von einem Becher genommen. Einem Vertreter der Legal AID Society zufolge seien die meisten Menschen, deren Profile gesammelt worden seien „Black or brown“ und viele von ihnen wären nie für eine Straftat verurteilt worden. Angesichts dieser Datenbank entspinnt sich in New York eine Debatte über Strategien gegen Waffengewalt. Tatsächlich erfordert das bundesstaatliche New Yorker Gesetz eine richterliche Anordnung oder eine Verurteilung, um DNA-Profile speichern zu dürfen. (NYT, 22.03.22, www.nytimes.com). (su)

Biopolitik

Informationsfreiheit zu Schwangerschaftsabbrüchen

Das sog. Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche (§219a) soll aus dem Strafgesetzbuch gestrichen werden. Das kündigte der Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) im Januar an. Ein entsprechender Gesetzentwurf muss nun von Bundestag und Bundesrat beraten werden. Dies entspricht dem Koalitionsvertrag der Regierung nachdem Ärzt*innen „öffentliche Informationen über Schwangerschaftsabbrüche bereitstellen können sollen, ohne eine Strafverfolgung befürchten zu müssen“. Die Debatte war 2017 durch ein Urteil gegen die Ärztin Kristina Hänel ausgelöst worden, die wegen unerlaubter Werbung für Schwangerschaftsabbrüche verurteilt wurde. Das Werbeverbot wurde danach gelockert, aber nicht abgeschafft. Die Lockerung hatte offensichtlich keinen Einfluss auf die Anzahl an Abbrüchen, die im letzten Quartal 2020 um 6,4 Prozent zurückgegangen ist. Rund 80 Prozent der Abbrüche fanden in Ärzt*innenpraxen statt. Die meisten Personen, die einen Abbruch vornehmen ließen, waren zwischen 18 und 34 Jahre alt (70 Prozent) und hatten bereits ein Kind geboren (60 Prozent). (Ärzteblatt, 17.01. u. 20.01.22, www.aerzteblatt.de; Tagesschau, 09.03.22, www.tagesschau.de; Bundestag Drucksache 20/1017) (ib)

Pränatal­diagnostik

Falsche Sicherheitsversprechen

Ein Bericht der US-amerikanischen Organisation The Hastings Center (THC) weist darauf hin, dass Nicht-invasive Pränataltests (NIPT) weltweit mit missverständlichen Angeboten beworben werden. So würden sie in englischsprachigen Broschüren oft als diagnostische Tests dargestellt, sie sind jedoch nur ein Screening. Die Hersteller*innen würden zudem oft keine wissenschaftlichen Belege für die angeblich hohe Genauigkeit der Tests liefern. Die Autor*innen orientierten sich an einer 2017 erarbeiteten Richtlinie des britischen Ethikrates Nuffield Council on Bioethics für NIPT-Hersteller*innen, mit der keine der untersuchten Broschüren im Einklang war. Im Januar hatte die New York Times (NYT) berichtet, dass viele NIPT äußerst fehleranfällig sind. Vielen Schwangeren würde aufgrund von falsch-positiven Ergebnissen unnötig Angst gemacht. Mit dieser Begründung hat eine US-Amerikanerin nun gegen die Firma Myriad Genetics geklagt. Diese hätte mit dem Versprechen, der Test sei sehr präzise, gegen Kalifornisches Verbraucher*innenrecht verstoßen. (NYT, 01.01.22, www.nytimes.com; CNS, 04.02.22, www.courthousenews.com; THC, 08.03.22, www.thehastingscenter.org) (ib)

Beeinträchtigungen durch Diabetes­medikament

Eine dänische Studie will einen Zusammenhang zwischen dem viel verwendeten Diabetesmedikament Metformin und physischen Besonderheiten bei Kindern von Behandelten gefunden haben. Die in der Fachzeitschrift Annals of Internal Medicine (AIM) veröffentlichte Untersuchung beinhaltet Daten von mehr als 1,1 Mio. Kindern, die in Dänemark zwischen 1997 und 2016 geboren wurden. Bei den 1.451 Neugeborenen von Vätern, die Metformin in den 90 Tagen vor der Befruchtung einnahmen, traten bei 5,2 Prozent der Kinder Besonderheiten auf, bei den anderen Neugeborenen der Vergleichsgruppe nur bei 3,3 Prozent. Besonders groß war der Unterschied bei genitalen Besonderheiten. Metformin wird seit den 1950ern weltweit vor allem bei Diabetes Typ 2 verschrieben – Tendenz steigend. In den USA hat sich die Anzahl an Verschreibungen von 2004 bis 2019 auf 86 Mio. mehr als verdoppelt. Wie die Zeitschrift Science berichtet, weisen Wissenschaftler*innen jedoch darauf hin, dass die Ergebnisse der Studie vorläufig seien und durch weitere Untersuchungen bestätigt werden müssten. (Science, 28.03.22, www.science.org; AIM, 29.03.22, www.doi.org/10.7326/M21-4389) (ib)

Entwicklungsverzögerungen durch Schadstoffexposition

Viele Chemikalien, denen wir im Alltag ausgesetzt sind, können das hormonelle Gleichgewicht stören. Die gesundheitlichen Auswirkungen etwa von Bisphenol A, Phtalaten und fluorierten organischen Verbindungen sind zwar im Einzelnen bereits nachgewiesen, nicht aber die gemeinsame Wirkung bei gleichzeitiger Exposition verschiedener dieser Stoffe. Forschende des European Institute of Oncology in Mailand haben nun ein Verfahren entwickelt, mit welchem sich die kombinierte Wirkung verschiedener solcher Substanzen bewerten lässt. In einem ersten Schritt bezog man sich auf Daten aus der schwedischen Beobachtungsstudie SELMA und es konnten 15 Substanzen im Urin von Schwangeren identifiziert werden, die mit einer verzögerten sprachlichen Entwicklung assoziiert waren. Eine pränatale Exposition mit endokrinen Disruptoren war mit schlechteren Ergebnissen in einem frühen Sprachtest verbunden. In einem nächsten Schritt wurden die Substanzen an Zellkulturen aus fetalen Vorläuferzellen getestet, die als Modelle für Gehirne dienen. Dabei fanden die Forschenden heraus, dass eine Mischung besagter Chemikalien in Stoffwechselwege eingreift, die auch an Eigenschaften auf dem Autismus-Spektrum oder Lernschwierigkeiten beteiligt sind. (Ärzteblatt, 07.03.22, www.aerzteblatt.de) (ps)

Gesundheitssystem

Spekulationsobjekt Gesundheit

Nach einer aktuellen Recherche der ARD-Sendung Panorama haben Finanzinvestor*innen in den letzten Jahren hunderte Ärzt*innenpraxen in Deutschland aufgekauft. Besonders die Praxen von Augenärzt*innen sind beliebt – mehr als 500 befinden sich inzwischen im Besitz internationaler Finanzfirmen. Wie die Journalist*innen herausgefunden haben, geht das auf Gewinn ausgerichtete System zulasten der Patient*innen – so werden besonders profitable Operationen und z.T. unnötige Behandlungen durchgeführt. Die Ärztekammer Berlin (ÄKB) forderte den Stopp weiterer Übernahmen von ärztlichen Praxen durch industrielle Fremdinvestor*innen oder Kapitalgesellschaften. Sie verwies auf eine Studie des IGES Instituts, die gezeigt hatte, dass in Medizinischen Versorgungszentren (MVZ), die sich im Eigentum von sog. Private-Equity-Gesellschaften befinden, bei gleicher Patient*innenstruktur, gleichen Vorerkrankungen und Behandlungsanlässen höhere Honorarvolumen abgerechnet werden. (ARD, 07.04.22, https://daserste.ndr.de/panorama; PM ÄKB, 11.04.22, www.aekb.de) (ib)

Reform des Fallpauschalen­systems

Das diagnosebezogene Fallpauschalensystem (DRG) soll zeitnah reformiert werden. Das kündigte Gesundheitsminister Karl Lauterbach im Rahmen des DRG-Forums 2022 im März in Berlin an. Hierzu soll eine Reformkommission eingesetzt werden. Lauterbach wertet die Ausgliederung der Pflege aus dem DRG-System als ersten Schritt. Die Arbeit der Kommission soll insbesondere eine Umgestaltung der Finanzierung für die Fachbereiche Kinderheilkunde und Geburtshilfe erarbeiten. Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft Gerald Gaß warnte davor, nur Einzelmaßnahmen zu ergreifen. Es dürfe nicht weiter nur am System „herumgedoktert“ werden. Das DRG-System wird schon lange von gesundheitspolitischen Akteur*innen wie z.B. dem Bündnis Krankenhaus statt Fabrik und dem Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte kritisiert. (Ärzteblatt, 17.03.22, www.aerzteblatt.de) (ts)

Corona

Gesetzentwurf zur Triage

Über Änderungen des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) will die Bundesregierung „jede Benachteiligung wegen einer Behinderung bei der Verteilung pandemiebedingt knapper intensivmedizinischer Behandlungsressourcen hinreichend wirksam verhindern“. Ein neuer Paragraf im IfSG soll Kriterien für eine ärztliche Entscheidung im Fall einer pandemiebedingten Triage vorgeben. Damit reagieren die Koalitionsfraktionen auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Triage Ende letzten Jahres. Dieses besagt, dass Menschen mit Behinderung nicht benachteiligt werden dürfen und nahm den Gesetzgeber in die Pflicht wirksame Vorkehrungen zum Schutz vor einer solchen Benachteiligung für den Fall einer notwendigen Triage zu treffen. Über die Gesetzesänderung hinaus sei auch eine Anpassung der ärztlichen Ausbildung geplant, um einer „unbewussten Stereotypisierung“ nachhaltig entgegenzuwirken. Ob die Forderung der Beschwerdeführer*innen nach konstruktiven Gesprächen zwischen Politik, Ärzt*innenschaft und Menschen mit Behinderung umgesetzt werden wird, bleibt abzuwarten. (Siehe „Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Triage“ unter Kurz notiert, GID 260, S.30; Die Neue Norm, 11.01.22, www.dieneuenorm.de; Ärzteblatt, 07.03.22, www.aerzteblatt.de) (ts)

Impfstoff-Patente

Es scheint innerhalb der Welthandelsorganisation (WTO) ein Kompromiss über einen Verzicht auf Patentansprüche für Coronaimpfstoffe gefunden worden zu sein. Mitte März sprach die WTO-Chefin Ngozi Okonjo-Iweala von einer prinzipiellen Einigung zwischen der Europäische Union, Indien, Südafrika und den USA. Einzelheiten der Vereinbarung müssen noch verhandelt werden. Der Verzicht ist nur temporär, er gilt nur für Impfstoffe, nicht für Tests oder Medikamente und nur für bestimmte Länder: Wer 2021 mehr als zehn Prozent der weltweiten Impfstoffdosen exportiert hat, ist ausgeschlossen. Das betrifft auch Indien, wo ein großer Teil der Impfdosen von AstraZeneca produziert wurde. Einen alternativen Weg geht ein Projekt der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Südafrika, das patentfreie mRNA-Impfstoffe produziert. Laut WHO wurde erfolgreich mit öffentlich zugänglichen Technologien ein Impfstoff hergestellt, der ab Herbst getestet werden kann. (taz, 06.02.22. www.taz.de; Medico, 29.03.22, www.medico.de) (ib)

UK: Schnell ansteckend

Die Ergebnisse einer umstrittenen Covid-19-Studie in Großbritannien liegen vor. Bei dem sog. Human Challenge Trial wurden gesunde, ungeimpfte Menschen absichtlich mit einer frühen Variante von SARS-CoV-2 infiziert, um den Krankheitsverlauf zu untersuchen. Nun berichten die verantwortlichen Wissenschaftler*innen, dass rund die Hälfte der 36 Proband*innen zwischen 18 und 29 Jahren, die eine kontrollierte Anzahl Viren in die Nase erhielten, später Corona-positiv (PCR-Test) waren. Bei diesen Personen tauchten die Symptome erstaunlich schnell auf – im Durchschnitt nach zwei Tagen. Es zeigte sich auch, dass die Viruslast und damit die Ansteckungsgefahr für Dritte nicht mit der Stärke der Symptome korrelierte. Laut der Autor*innen litt keine*r der Proband*innen unter schwerwiegenden Symptomen. Bei eine*r der Patient*innen war der Geruchssinn bei Studienende nach sechs Monaten jedoch immer noch nicht zurückgekehrt, zwei weitere hatten weiterhin Geruchsstörungen. Dies zeigt die potenzielle Gefahr für die Teilnehmenden solcher Studien. (Siehe Kurz Notiert: „UK: Unethische Studie“, GID 257, S.30; DAZ, 07.03.22, www.deutsche-apotheker-zeitung.de; Nature, 31.03.22, www.doi.org/10.1038/s41591-022-01780-9) (ib)

Untererfasste Impf­neben­wirkungen?

Die Nebenwirkungen der neuartigen mRNA-Impfungen der Hersteller BioNtech/Pfizer und Moderna sind überwiegend leicht und vorübergehend. Allerdings gibt es auch seltene Fälle schwerer Nebenwirkungen. Das ergibt die Auswertung von US-amerikanischen Datenbanken für Nebenwirkungen von Arzneistoffen durch Wissenschaftler*innen der Centers for Disease Control (CDC). Rund sieben Prozent der Nebenwirkungen wurden als schwerwiegend eingestuft. Die MDR-Sendung Umschau berichtete im März über Betroffene von Impfkomplikationen in Deutschland, die sich allein gelassen fühlen. Harald Matthes, Stiftungsprofessor für „Integrative und Anthroposophische Medizin“ an der Charité Berlin spricht von einer Untererfassung dieser Nebenwirkungen durch das Paul-Ehrlich-Institut (PEI). Die Daten der Befragung von Geimpften durch das Team von Matthes seien im Gegensatz zu denen des PEI vergleichbar mit den Daten anderer Länder zu Covid-19-Impfkomplikationen. Auch der Krankenkasse BKK Provita zu Folge kommt es häufiger zu schweren Covid-19-Impfnebenwirkungen als bisher bekannt ist. Sie wendete sich deshalb Ende Februar mit einem „Alarmbrief“ an das PEI. Die zugrundeliegende Datenanalyse ist jedoch methodisch fragwürdig, sie zählt z.B. auch vorübergehende grippeartige Symptome als schwerwiegende Nebenwirkungen. Nachdem bekannt wurde, dass sie durch den Aktivisten der „Querdenker“-Szene Tom Lausen durchgeführt wurde, zog die Krankenkasse den Brief zurück und entließ ihren langjährigen Vorsitzenden und Unterzeichner des „Alarmbriefes“ Andreas Schöfbeck. (Tagesschau, 03.03.22, www.tagesschau.de; Ärzteblatt, 09.03.22, www.aerzteblatt.de; Umschau, 22.03.22, www.ardmediathek.de) (ib)

Genom­forschung

Genetisch veränderte Immun­zellen

Zwei der ersten Patient*innen, die mit genetisch veränderten (gv) Immunzellen gegen Blutkrebs behandelt wurden, sind nach rund zehn Jahren weiterhin krebsfrei. Das Team um Carl June von der University of Pennsylvania stellte Ergebnisse der Langzeitbeobachtung in der Fachzeitschrift Nature vor. Der Status der anderen 18 Patient*innen aus der gleichen Phase-I-Studie bleibt unerwähnt. Zur Überraschung der involvierten Wissenschaftler*innen sind die gv-Zellen weiterhin im Blut der Patient*innen nachweisbar und aktiv. Die patient*inneneigenen Zellen waren im Labor mithilfe von viralen Genfähren so verändert worden, dass sie einen chimärischen Antigenrezeptor (CAR) an ihrer Oberfläche besitzen, der Krebszellen erkennen kann. Wieder zurück in den Patient*innen, sollen die sog. CAR-T-Zellen den Krebs angreifen und zerstören. Die aufwendige Therapie wird dann eingesetzt, wenn andere Behandlungen nicht anschlagen. Sie funktioniert jedoch nicht bei allen Patent*innen und kann schwere Nebenwirkungen haben. Eine aktuelle Studie der Bayer-Tochter Atara Biotherapeutics mit CAR-T-Zellen gegen eine andere Krebsform wurde im Februar gestoppt, weil ein Patient verstarb. Die Coordination gegen Bayer-Gefahren (CBG) fordert in einer Presseerklärung die Aufklärung des Todesfalls. (Studie: NCT01029366, www.clinicaltrials.gov; Nature, 17.02.22, www.doi.org/10.1038/s41586-021-04390-6; PM CBG, 14.03.22, www.cbgnetwork.org) (ib)

Stammbaum der Menschheit

Die Wurzeln des Homo sapiens reichen bis nach Afrika. Wissenschaftler*innen der Universität Oxford konnten anhand einer Analyse von 3.600 individuellen, teils uralten Genomdaten zeigen, wie die Menschen dieser Welt miteinander verwandt sind. Hierzu erstellten sie einen Stammbaum des Homo sapiens, der in der Fachzeitschrift Science vorgestellt wurde. Der Stammbaum soll verstehen helfen, wie sich der moderne Mensch auf dem Planeten ausgebreitet hat. Das Alter des modernen Menschen wird auf 250.000 bis 300.000 Jahre geschätzt. Seine frühesten Vorfahren gingen auf einen Ort im heutigen Sudan zurück, so die Forschenden. Die Studie zeigt auch, dass die bedeutendste Abwanderung aus Afrika vermutlich vor 72.000 Jahren stattfand und dass möglicherweise bereits vor 56.000 Jahren Vorfahren des modernen Menschen in Amerika vorkamen. Eindeutige Beweise könne die Methode der Untersuchung allerdings nicht liefern. (Der Spiegel, 25.02.22, www.spiegel.de) (ps)

Nur im Zoo lebensfähig

Einen Beitrag zur Wiederbelebung ausgestorbener Arten liefert eine im März erschienene Studie einer Forschergruppe aus China und Dänemark. Das bekannteste Projekt ist das Vorhaben des US-amerikanischen Genetikers George Church, indische Elefantenkühe als „Leihmütter“ genetisch aufbereitete Mammuts austragen zu lassen. Die neue Studie zeigt, dass der Erfolg davon abhängt, wie vollständig das Genom der ausgestorbenen Art aus der alten DNA rekonstruiert werden könne. Modellhaft wurde Erbmaterial aus Hautresten der ausgestorbenen Maclear-Ratte der Weihnachtsinsel untersucht und rund fünf Prozent Differenz zur heutigen Wanderratte aufgedeckt. Diese ist nicht zufällig, sondern erstreckt sich auf Gene des Immun- und des Riechsystems. Auch der evolutionäre Abstand der ausgestorbenen Spezies zu heutigen Verwandten spielt eine wichtige Rolle. Die Ergebnisse liefern Hinweise, dass derartige Stellvertretertiere in der aktuellen Welt Probleme mit neuzeitlichen Krankheitserregern, sowie Schwierigkeiten bei Nahrungssuche, Fressfeinderkennung und Partnerwahl haben werden. Selbst in ihrem ursprünglichen Lebensraum könnten sie wohl nicht überleben. (Nature Biotechnology, 07.10.21, www.nature.com; Cell, 11.04.22, www.doi.org/10.1016/j.cub.2022.02.027) (ms)

Sonstiges

Erster Patient mit Schweineherz verstorben

Zwei Monate nachdem dem 57-jährigen US-Amerikaner David Bennett das Herz eines genetisch veränderten Schweins eingesetzt worden war, verstarb er Anfang März. Die genaue Todesursache ist unbekannt. Die experimentelle, erstmals durchgeführte Transplantation war für Bennet die letzte Therapieoption. Sowohl er selbst als auch die US-Aufsichtsbehörde FDA hatten dem Eingriff zugestimmt. Laut behandelndem Krankenhaus hatte sich das Transplantat über Wochen hinweg als voll funktionsfähig erwiesen. Eine Abstoßung sei ausgeblieben, der Patient jedoch in einem schwachen Zustand verblieben. Er habe die Zeit mit seiner Familie verbracht und von der Rückkehr nach Hause gesprochen. Bennetts Sohn teilte mit, er setze große Hoffnung in die Fortschritte der Xenotransplantation. Die Übertragung von Zellen und Organen über Speziesgrenzen hinweg wird schon seit Jahrzehnten als mögliche Lösung für den Mangel an gespendeten Organen erforscht. Allein in den USA versterben rund 6.200 Menschen jährlich, während sie auf eine Organspende warten. Schweineorgane besitzen bereits eine hohe Ähnlichkeit zu denen des Menschen, die durch gentechnische Eingriffe weiter gesteigert werden soll. (Siehe „Xenotransplantation durchgeführt“ unter Kurz notiert, GID 260, S.31; BBC, 09.03.22, www.bbc.com) (tr)

Erschienen in
GID-Ausgabe
261
vom Mai 2022
Seite 28 - 31

GID-Redaktion

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