Kurz Notiert – Mensch & Medizin
Schwangerschaft
NIPT – Kommt das Monitoring?
Am 9. Oktober befasste der Gesundheitsausschuss des Bundestags sich in einer öffentlichen Anhörung mit der Frage nach der Notwendigkeit eines Monitorings, das die Folgen der Kassenzulassung des nicht-invasiven Pränataltests (NIPT) auf Trisomie 13, 18 und 21 untersuchen soll sowie der Einrichtung eines Expert*innengremiums, das künftig die Zulassung vorgeburtlicher Tests hinsichtlich ethischer und sozialer Aspekte prüfen soll. Eine entsprechende Entschließung des Bundesrates vom Mai 2023 wurde in den Ausschuss überwiesen. Geladen waren 16 Sachverständige aus Medizin, Beratung, (Eltern-) Selbstvertretung und Zivilgesellschaft, darunter auch der unabhängige Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) Josef Hecken. Die Mehrheit sprach sich für das Monitoring aus. Am 8. November berät der Bundestag über einen interfraktionellen Antrag, der ebenfalls die Einrichtung eines Monitorings und eines Gremiums zur Zulassung pränataler Tests fordert. (Deutsches Ärzteblatt, 09.10.24, www.aerzteblatt.de) (jl)
USA: Negative Folgen von Abtreibungsverboten
Nachdem das Grundsatzurteil Roe vs. Wade, das bisher das Recht auf Schwangerschaftsabbruch landesweit festschrieb, 2022 durch das Urteil Dobbs vs. Jackson Women's Health Organization gekippt wurde, haben inzwischen 21 US-Bundesstaaten ihre Abtreibungsregelungen verschärft. Dazu gehört beispielsweise der texanische „Heartbeat“-Act, der bereits im September 2021 in Kraft trat und Schwangerschaftsabbrüche nach der sechsten Schwangerschaftswoche verbietet – einem Zeitpunkt, wo die meisten Menschen noch nicht bemerkt haben, dass sie schwanger sind. Negative Auswirkungen zeigen sich bereits jetzt, so ist die Säuglingssterblichkeit in Texas seit Gesetzesänderung überdurchschnittlich stark um 21,9 Prozent gestiegen. Ein Grund dafür könnte darin liegen, dass Menschen gezwungen sind, Schwangerschaften auszutragen, obwohl der Fötus nahezu keine Überlebenschancen hat. Zudem ist es in den USA zu einer Zunahme selbst induzierter Schwangerschaftsabbrüche sowie damit zusammenhängender Komplikationen gekommen. (Deutsches Ärzteblatt, 10.07.24, www.aerzteblatt.de; JAMA Network Open, 30.07.24, www.doi.org/10.1001/jamanetworkopen.2024.24310) (jl)
Genomforschung
Künstliche Intelligenz und Genomik
Wissenschaftler*innen an verschiedenen deutschen Forschungseinrichtungen haben das Risikobewertungs-Tool DeepRVAT entwickelt, um den Zusammenhang von seltenen Erbgut-Varianten mit Erkrankungen zu untersuchen. Das Modell wurde an den Daten aus der UK-Biobank trainiert und validiert. Sie beschränkten sich dabei auf Menschen mit europäischer Abstammung. Für 34 getestete Merkmale, wie etwa krankheitsrelevante Blutwerte, fand das Testsystem 352 Assoziationen mit Genvarianten und übertraf damit vorhandene Modelle. Die Pharmafirma AstraZeneca verwendete ebenfalls Daten von Proband*innen der UK Biobank bei der Entwicklung eines Künstliche Intelligenz-Tools namens MILTON. Das Modell wurde in einer Studie für 1091 Krankheiten als „hoch prädiktiv“ und für 121 als „außergewöhnlich prädiktiv“ eingestuft. Humangenetiker Timothy Frayling an der Universität Genf warnte jedoch vor zu großen Erwartungen: Krankheiten vorhersagen würde in Wirklichkeit bedeuten „Wir können Ihnen eine etwas bessere Vorstellung von Ihren Chancen geben, eine Krankheit zu entwickeln“ aber es gäbe immer noch viele unbekannte Faktoren. (PET, 16.09.24, www.progress.org.uk; Nature Genetics, 25.09.24, www.doi.org/10.1038/s41588-024-01919-z) (ib)
CH: Teure Gentherapie für Blutkrankheit
Die Arzneimittelbehörde Swissmedic prüft zurzeit ein Zulassungsgesuch für „Casgevy“, ein Medikament, das bei schweren Erkrankungen durch Sichelzellenanämie und Beta-Thalassämie eingesetzt werden soll. Antragsteller sind ein Zuger Biotechunternehmen und ein US-Pharmakonzern. Das Mittel, das bereits seit Dezember 2023 in den USA und seit Frühjahr 2024 in der EU auf dem Markt ist, basiert als erstes Medikament auf der Genschere CRISPR-Cas. Aus dem Blut der Patient*innen werden Stammzellen entnommen, die genetisch so verändert werden, dass sie fetales Hämoglobin produzieren. Die Kosten für eine Anwendung werden bei über zwei Mio. Franken liegen. Fachleute erklären, dass die Therapie in der Schweiz überflüssig sei, da die Bluterkrankung im Land so gut wie nicht vorkommt. Die Mehrheit der Betroffenen lebt in Westafrika, nur können die Hersteller dort keine Gewinne erzielen, da sich das Mittel kaum jemand wird leisten können. Zudem gibt es bewährte Therapien wie Schmerzmittel und Bluttransfusionen. Das Bundesamt für Gesundheit sieht die Preisentwicklung kritisch. Seit 2015 sind die Kosten für Medikamente in der Schweiz um 30 Prozent gestiegen. Mögliche Langzeit-Risiken des Verfahrens sind bisher noch nicht geklärt. (Crispr Therapeutics, o.D., www.crisprtx.com; Medical Tribune, 27.10.23, www.medical-tribune.ch) (gp/tp)
Gentherapie verursacht Blutkrebs
In der Studie mit Kindern, die mit einer neuen Gentherapie behandelt wurden, erkrankten rund 10 Prozent an Blutkrebs. Zerebrale Adrenoleukodystrophie (ALD) ist eine vererbbare Stoffwechselkrankheit, die meist im Kindesalter auftritt. Unbehandelt ist sie durch einen fortschreitenden Funktionsabbau von Nervenzellen gekennzeichnet, der zu einem vegetativen Zustand und zum Tod führt. Bisher ist eine Heilung nur durch eine Stammzelltransplantation möglich. Bei der SKYSONA™-Therapie, entwickelt vom Unternehmen Bluebird Bio, wird in patient*inneneigene Stammzellen mithilfe eines lentiviralen Virus eine Kopie des ABCD1-Gens eingefügt und die Zellen werden dann zurück in die Patient*innen injiziert. In einer längerfristigen Studie wurde die Wirksamkeit der Therapie gezeigt. Laut einer ebenfalls im New England Journal of Medicine (NEJM) erschienenen Studie sind jedoch 7 von 67 behandelten Kindern an Blutkrebs erkrankt, eines davon starb nach einer Stammzelltransplantation. Ähnliche Fälle sind von anderen Gentherapien bekannt, da sich die verwendeten Viren an willkürliche Orte im Genom einfügen und Krebs verursachen können. (NEJM, 09.10.24, www.doi.org/10.1056/NEJMoa2400442; NEJM, 09.10.24, www.doi.org/10.1056/NEJMoa2405541; PET, 14.10.24, www.progress.org.uk) (ib)
Nobelpreis für microRNA
Die beiden US-amerikanischen Wissenschaftler Victor Ambros und Gary Ruvkun wurden im Oktober für die Entdeckung der microRNAs in der Kategorie Physiologie und Medizin ausgezeichnet. Diese kleinen RNA-Moleküle spielen eine entscheidende Rolle bei der Genregulation. Heute sind beim Menschen mehr als tausend Gene für verschiedene microRNAs bekannt und es wurde gezeigt, dass microRNAs bei allen mehrzelligen Organismen eine Rolle spielen. Der Nobel-Preis für Physik ging an John J. Hopfield und Geoffrey E. Hinton als Wegbereiter der Künstlichen Intellligenz, sie legten den Grundstein, künstliche neuronale Netzwerke zu entwerfen und zu trainieren. (The Nobel Prize, 07.10.24, www.nobelprize.org; Tagesschau, 08.10.2024, www.tagesschau.de) (ib)
Datenschutz
Kaum aktiver Widerspruch
Die elektronische Patient*innenakte soll ab 2025 starten. Bisher gäbe es kaum Widerspruch, so die Vorstandsvorsitzende des Spitzenverbands der gesetzlichen Krankenkassen, Doris Pfeiffer, bei der Vorstellung der Werbekampagne „ePA für alle“ mit Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Weniger als drei Prozent der Versicherten hätten der elektronischen Sammlung, zentralen Speicherung und Beforschung ihrer Gesundheitsdaten aktiv widersprochen – das ist durch die „out-out“-Lösung der ePA notwendig. Die passive Zustimmung könnte von einer allgemeinen Datenschutz-Resignation stammen – als noch eine aktive Einwilligung nötig war, wurde die ePA kaum angenommen. Pfeiffer interpretiert sie jedoch als Ausdruck von „Vertrauen der Menschen in unser Gesundheitssystem“. Laut Lauterbach können „60.000 Todesfälle im Jahr vermieden werden“ durch die erleichterte Überprüfung auf medikamentöse Wechselwirkungen. 100 Tage vor dem Startschuss fand im Oktober eine Aufklärungskampagne statt, mit einem Infomobil, das durch Deutschland tourte – für die meisten Versicherten lange nach der Widerspruchsfrist von sechs Wochen. Es ist jedoch auch möglich, dies jederzeit nachzuholen. (Ärzteblatt, 30.10.24, www.aerzteblatt.de; www.epa-vorteile.de) (ib)
UK: Biobank-Daten in rechten Händen
Rechte Forscher*innen, die versuchen, den Zusammenhang von Intelligenz mit der vermeintlichen „Rasse“ von Menschen zu belegen, haben anscheinend Daten aus der UK-Biobank erhalten. Die Daten wurden von 500.000 britischen Bürger*innen gespendet, um Gesundheitsforschung zu ermöglichen. Die Datensätze werden auch von „seriösen“ Forscher*innen zur Erforschung der genetischen Grundlage von sozialen Eigenschaften verwendet. Bei Recherchen zu extrem rechten Netzwerken (siehe „Rassen“theorien im Aufwind) prahlten Mitwirkende damit, einen „großen“ Teil der Daten erhalten zu haben. Katie Bramall-Stainer, Vertreterin von Allgemeinmediziner*innen in der British Medical Association, kommentierte: „Diese schockierende Nachricht deutet auf ein entsetzliches Versagen der Verwaltung auf mehreren Ebenen hin“. Vertreter*innen der Biobank behaupten, das Netzwerk würde lediglich öffentlich verfügbare, zusammengefasste Daten verwenden, führende Expert*innen bezweifeln das jedoch. Emil Kirkegaard, der eine führende Rolle im rechten Forschungsnetzwerk spielt, beschrieb in einem heimlich gefilmten Treffen, wie es möglich sei, durch gefälschte, seriös klingende Forschungsanträge Zugang zu Datensets zu bekommen. Die UK-Biobank enthält zwar keine Daten zu Intelligenz der Teilnehmenden, wohl aber zu Variablen wie Bildungsstand. (The Guardian, 17.10.24, www.theguardian.com) (ib)
Reproduktionsmedizin
Eizelltransfer: FDP macht Druck
Nach Veröffentlichung des Berichts der Kommission zu reproduktiver Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin wirbt die FDP offensiv fraktionsübergreifend für eine Legalisierung des Eizelltransfers noch in dieser Legislatur, beim Schwangerschaftsabbruch bremst sie jedoch. Die Kommission hatte sich mit einer Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs sowie einer Legalisierung von Eizelltransfer und Leihschwangerschaft befasst. Der Bericht hält fest, dass ein generelles Verbot des Schwangerschaftsabbruchs rechtlich nicht haltbar sei, zeigt aber auch, dass eine Legalisierung des Eizelltransfers unter bestimmten Voraussetzungen rechtlich möglich wäre. Die Verbotsbegründung gilt als überholt, da dort vor allem die „gespaltene Mutterschaft“ und eine damit zusammenhängende Beeinträchtigung des Kindeswohls angeführt wurde. Studien zum Erleben adoptierter Kinder oder der Lebenszufriedenheit von Kindern, die mit zwei lesbischen Müttern aufwachsen, widerlegen diese Argumentation. Dennoch zeigt der Bericht auch andere Probleme wie Gesundheitsrisiken und die Gefahr ökonomischer Ausbeutung auf. (Deutsches Ärzteblatt, 07.08.24, www.aerzteblatt.de; taz, 22.08.24, www.taz.de) (jl)
USA: Trump verspricht IVF für alle
In einem Interview mit dem US-Sender NBC hat Präsidentschaftskandidat Donald Trump universellen Zugang zu In-Vitro-Fertilisation (IVF) für „alle Amerikaner*innen, die ihn benötigen“ versprochen, sollten die Republikaner die Wahlen gewinnen. Pressefragen, ob dies auch für gleichgeschlechtliche Paare gelte, ließ sein Büro bisher unbeantwortet. Die Urteile, die während der letzten republikanischen Amtszeit berufene Richter*innen fällten, lassen daran Zweifel aufkommen. So bestätigten sie etwa konfessionelle Arbeitgeber*innen darin, LGBTQ-Personen von Zuschüssen für IVF-Behandlungen auszuschließen. Auch stellt das Urteil des Verfassungsgerichts von Alabama, das Embryonen Personenstatus verleiht, ein Verbot von IVF in den Raum. (PET, 30.09.24, www.progress.org.uk) (jl)
Sonstiges
„Rassen“theorien im Aufwind
Eine im Oktober veröffentlichte Recherche enthüllt die Bemühungen einer internationalen Gruppe von extrem Rechten, pseudowissenschaftlichen Rassismus massentauglich zu machen. Im Zentrum steht Erik Ahrens, ein rechtsextremer Aktivist und AfD-naher Social-Media-Experte. Die Berichte brachten u.a. die Existenz des Unternehmens „Human Diversity Foundation (HDF)“ ans Licht, das versucht, die Theorie einer vermeintlichen genetischen Überlegenheit von weißen Menschen in der öffentlichen Debatte sagbar zu machen. Ahrens nahm auch bei dem von Correctiv im Januar enthüllten Treffen von Neonazis, Geschäftsleuten sowie AfD- und CDU-Politiker*innen teil, bei dem ein „Masterplan der Remigration“ von Menschen nicht-deutscher Abstammung entworfen wurde. Geleitet wird HDF von Emil Kirkegaard, der einen „Untergrund-Forschungszweig“ des rechtsextremen Netzwerks leitet. Kirkegaard ist Autor von mehr als 40 Artikeln in der Zeitschrift Mankind Quarterly, einer in den 1960er Jahren gegründeten britischen Zeitschrift für „Rasseforschung“. (The Guardian, 16.10.2024, www.theguardian.com; Spiegel, 16.10.24, www.spiegel.de) (ib)
„Humane Eugenik“ – Vorstandschef der KV Sachsen abberufen
Anfang September hat die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Sachsen in einer außerordentlichen Sitzung ihren Vorsitzenden Klaus Heckemann abberufen, nachdem seine Äußerungen von unterschiedlichen Organisationen und Verbänden als behindertenfeindlich kritisiert worden waren. Heckemann hatte im Juni im Editorial der Mitgliederzeitschrift der KV Sachsen ein Zukunftsszenario entworfen, in dem „(a)llen Frauen mit Kinderwunsch (…) eine komplette Mutationssuche nach allen bekannten, autosomal-rezessiv vererbbaren, schweren Erkrankungen angeboten“ wird, dies sei kostengünstiger als teure Therapien. Heckemann selbst bezeichnete eine solche Praxis, die auf die Verhinderung der Entstehung behinderten und chronisch kranken Lebens zielt, als Eugenik im „besten und humansten“ Sinne. (Deutsches Ärzteblatt, 05.10.24, www.aerzteblatt.de; Neues Deutschland, 07.10.24, www.nd-online.de) (jl)
GID-Redaktion
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