Rezension: Im Tsunami
The Coming Wave von Mustafa Suleyman
© C.H.Beck Verlag
Wie der Titel „The Coming Wave“ schon impliziert, nutzt Mustafa Suleyman das Motiv der Welle – oder eher des Tsunamis – um die seiner Meinung nach „größte Herausforderung des 21. Jahrhunderts“ zu beschreiben: Künstliche Intelligenz (KI). Wie eine Welle, die sich aufbaut und langsam ihrem Brechpunkt nähert, ist auch das Buch strukturiert: Der erste Teil liest sich wie eine komprimierte Abhandlung der Menschheitsgeschichte mit einem Fokus auf technologische Entwicklungen: von Feuer über Verbrennungsmotoren bis zu Computerchips und ChatGPT. Auch synthetische Biologie, CRISPR-Cas und Genome Editing spielen eine Rolle. Im zweiten Teil weitet sich die Welle zu einem dystopischen Szenario à la 1984 aus. Suleyman skizziert die komplexer Technologieentwicklungen und deren exponentielles Wachstum sowie die verstärkenden geopolitischen Dynamiken: „Technologie ist politisch“. Der dritte Abschnitt des Buches analysiert die Chancen und Risiken dieser Welle für den Nationalstaat als weltbestimmende Struktur und zentrales Instrument zur Machtsteuerung. Dabei sind es die geopolitischen Rahmenbedingungen, die die Welle nach Ansicht des Autors wahrscheinlich zum Einstürzen bringen werden. Um mit dem Dilemma umzugehen, dass wir zukünftig weder mit noch ohne neue Technologien auskommen werden, schlägt Suleyman zum Abschluss zehn Schritte zur Eindämmung der Welle vor und zeigt Möglichkeiten auf, sichere, kontrollierte Technologien als einen fortlaufenden Prozess zu steuern. Ich konnte beim Lesen ein Gefühl grundlegender Skepsis nicht ablegen, aber das machte das Buch nicht weniger spannend! Was mir fehlte, war die menschliche, die soziale Komponente: Was ist die Rolle der Zivilgesellschaft, wo bleibt die Macht der sozialen Bewegungen? Stattdessen entstand ein Gefühl der Machtlosigkeit – aber vielleicht ist genau das der beabsichtigte Weckruf.
Suleyman M./Bhaskar M. (2024): The Coming Wave. Künstliche Intelligenz, Macht und das größte Dilemma des 21. Jahrhunderts. C.H.Beck Verlag, 377 Seiten, 28,- Euro, ISBN: 978-3-40681-412-9
Janina Johannsen ist Mitarbeiterin des GeN und leitet die Redaktion des GID.
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