Kurz Notiert - Mensch & Medizin
Schwangerschaft
Forderungen nach Altersgrenze beim NIPT
Eine Auswertung von Abrechnungsdaten der BARMER zeigt den Effekt der Kassenzulassung des Nicht-invasiven Pränataltests (NIPT) im Juni 2022 auf dessen Nutzung seitdem. Der NIPT testet auf Behinderungen des Fötus anhand des Blutes der schwangeren Person. Die im Mai 2025 veröffentlichte Studie zeigt: Im Schnitt nehmen fast 50 Prozent der Schwangeren den Test in Anspruch. Laut Studienautor*innen sei der NIPT durch die Kassenübernahme zu einem Screeningtest geworden, obwohl er nicht als Teil der Regelversorgung vorgesehen ist. Ebenfalls deutlich über der erwarteten Marke lag die Anzahl falsch-positiver Befunde. Zurückzuführen sei dies auch auf die hohe Nutzungsfrequenz bei jüngeren Schwangeren. Entgegen der Begründung für die Kassenübernahme kam es in diesem Zuge also nicht zu einer Abnahme invasiver Untersuchungen, sondern sogar zu einer Zunahme durch die Abklärung auffälliger Befunde. Der Berufsverband der Frauenärzte Schleswig-Holstein forderte auf Grundlage der Studie die Aufnahme einer Altersgrenze von 35 Jahren in die Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses. (Ärzteblatt, 16.05.25, www.doi.org/10.3238/arztebl.m2025.0043;SHZ, 06.06.25, www.shz.de) (jl)
NIPT: Interfraktionelle Arbeitsgruppe nimmt Arbeit wieder auf
Auch in der neuen Legislaturperiode arbeiten Abgeordnete im Bundestag fraktionsübergreifend zum Thema Pränataldiagnostik zusammen. Im vergangenen Jahr hatte die Gruppe einen Antrag auf den Weg gebracht, der ein Monitoring der Kassenzulassung des Bluttests auf Trisomien sowie die Einrichtung eines interdisziplinären Gremiums zur Prüfung der sozialen und ethischen Folgen vor Zulassung weiterer ähnlicher Tests fordert. Aufgrund der vorzeitigen Aufkündigung der Regierungskoalition im November 2024 konnte der Antrag, den 122 Abgeordnete verschiedener Parteien unterzeichnet hatten, nicht zur finalen Abstimmung gebracht werden. Dass dieses Anliegen nach wie vor auf die Tagesordnung gebracht werden soll, machte die Gruppe, in der CDU/CSU, SPD, Grüne und Linke vertreten sind, jüngst in einer gemeinsamen Erklärung zur Wiederaufnahme ihrer Arbeit deutlich. Dort heißt es: „Wir verstehen uns deshalb nicht nur als Gesprächskreis, sondern als gesetzgeberisch handelnde Initiative“. (Kobinet, 30.06.2025, www.kobinet-nachrichten.org) (jl)
RNA-Test für Schwangerschaftsvergiftung
Auf der 41. Jahreskonferenz der European Society of Human Reproduction and Embryology (ESHRE) wurde ein Testverfahren vorgestellt, das Präeklampsie, die sog. Schwangerschaftsvergiftung, frühzeitig erkennen soll. Die Ursache dieser lebensgefährlichen Bluthochdruckerkrankung in der Schwangerschaft ist unklar und die einzige nachhaltige Behandlungsmöglichkeit ist die Beendigung der Schwangerschaft. Nun hat eine spanische Forschungsgruppe einen Bluttest entwickelt, bei dem die Erkrankung anhand eines bestimmten RNA-Profils Monate vor der Diagnose bei 83 Prozent der betroffenen Schwangeren vorhergesagt werden konnte. Rund 9.500 Schwangere nahmen an der Studie in 14 Krankenhäusern teil. Allerdings schlug der Test bei 12 Prozent der getesteten Personen fehlerhaft an, ohne dass diese später erkrankten. (PET, 30.06.25, www.progress.org.uk; Human Reproduction, 02.07.25, www.doi.org/10.1093/humrep/deaf097.089) (ib)
Genomforschung
Selbstidentifikation und Genetik stimmen nicht überein
Eine Untersuchung innerhalb der US-amerikanischen „All of Us“-Studie zeigt, dass die selbstgewählte Zugehörigkeit von Proband*innen mit einer race oder Ethnizitäten nicht mit ihrer Genetik korrespondiert. Die öffentlich geförderte Bevölkerungsstudie mit rund 230.000 Teilnehmenden soll Forschung im Bereich der Präzisionsmedizin voranbringen, indem z. B. Bevölkerungsunterschiede bei genetischen Erkrankungsrisiken erforscht werden. Eine im „American Journal of Human Genetics“ (AJHG) veröffentlichte genetische Analyse ergab, dass die Proband*innen einen sehr vielfältigen genetischen Hintergrund haben, der sich nicht in Gruppen aufteilen lässt. Laut den Autor*innen der Studie können auch zwischen Individuen, die sich derselben Ethnie zugehörig fühlen, gesundheitsrelevante genetische Unterschiede bestehen. Sie raten daher davon ab, Proband*innen, wie oft üblich, in breite Abstammungsgruppen einzuteilen. Die race von Patient*innen wird trotz Kritik nach wie vor in vielen medizinischen Algorithmen und Risikoscores als Variabel verwendet (siehe „‚Rasse‘ in medizinischen Studien“, GeN, 26.10.21, www.kurzlinks.de/gid274-ie). (AJHG, 05.06.25, www.doi.org/10.1016/j.ajhg.2025.04.012;Ärzteblatt, www.aerzteblatt.de, 11.06.25) (ib)
UK: Synthetische menschliche DNA
Gefördert von der weltweit größten medizinischen Stiftung, dem Wellcome Trust, hat ein Forschungsprojekt in Großbritannien begonnen, künstliche menschliche Genome herzustellen. Die Verantwortlichen des „Synthetic Human Genome Project“ machen große Versprechen: „Die Möglichkeiten sind quasi grenzenlos. Wir suchen nach Therapien, die das Leben der Menschen im Alter verbessern und zu einem gesünderen Altern mit weniger Krankheiten führen“, so Dr. Julian Sale vom MRC Laboratory of Molecular Biology in Cambridge. Man könne z. B. krankheitsresistente Zellen herstellen, um erkrankte Organe zu heilen. Kritiker*innen sorgen sich, dass die Forschung dazu beitragen könnte, gentechnologisch „verbesserte“ Menschen herzustellen. Dr. Pat Thomas, Leiterin der Kampagne Beyond GM, sagte der BBC: „Wir denken gerne, dass alle Wissenschaftler*innen dazu da sind, Gutes zu tun, doch die Wissenschaft kann auch zweckentfremdet werden, um Schaden anzurichten und Krieg zu führen.“ (BBC, 26.06.25, www.bbc.com) (ib)
Genome-Editing-Medikament bewertet
Erstmals hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) den Zusatznutzen eines Arzneimittels bewertet, das auf Genome Editing basiert. Exagamglogen autotemcel (Exa-Cel) ist für die Behandlung von zwei angeborenen Bluterkrankungen zugelassen: Beta-Thalassämie und Sichelzellanämie. Laut G-BA war eine Quantifizierung des Zusatznutzens nicht möglich, da die vorliegenden Studien ungeeignet waren. Bei seltenen Erkrankungen gilt der Zusatznutzen jedoch als automatisch belegt. Ein Nutzen sei jedoch erkennbar, da „über den Zeitraum eines Jahres für den überwiegenden Teil der Teilnehmenden gar keine Bluttransfusionen notwendig waren“. Es könne daher „mit hinreichender Sicherheit von einem relevanten Effekt ausgegangen werden“. Die Bewertung des G-BA ist Basis für Preisverhandlungen; derzeit verlangt der Hersteller 2,2 Millionen Euro pro Behandlung. (Ärzteblatt, 03.07.25, www.aerzteblatt.de) (ib)
Datenschutz
UK: Neugeborenen-Sequenzierung wird Standard
Wie der britische Guardian berichtet, sollen alle Neugeborenen in England im Rahmen der 650 Millionen Pfund schweren staatlichen Investition in DNA-Technologie einem DNA-Screening unterzogen werden. Durch die frühe Identifizierung von Genvarianten sollen tödliche Krankheiten vermieden werden können. Das Vorhaben ist Teil eines Zehnjahresplans der Starmer-Regierung, um das nationale Gesundheitssystem NHS zu verbessern. Die Entscheidung kommt, bevor die erst 2023 gestartete Pilotstudie abgeschlossen ist, bei der 100.000 Neugeborenen sequenziert werden sollen, um die Konsequenzen eines solchen Programms zu testen. (siehe „Das gläserne Baby“, GeN, 24.01.23, www.kurzlinks.de/gid274-if; The Guardian, 21.06.25, www.theguardian.com) (ib)
Was passiert mit den Daten von 23andme?
Nach der Pleite des Marktführers für Gentests aus dem Gesundheitsbereich gab es große Sorgen, dass die Daten der rund 14 Millionen Kund*innen an den Meistbietenden weiterverkauft werden – mit unklaren Konsequenzen für Betroffene. Das Unternehmen Regeneron Pharmaceuticals hatte den Zuschlag für sein Gebot von 256 Millionen US-Dollar erhalten. Doch 27 Bundesstaaten erhoben Einspruch gegen den Kauf, da genetische Daten eine andere Art von Eigentum seien als die, die normalerweise Gegenstand von Insolvenzversteigerungen sei. Stattdessen erhielt mit TTAM Reserach Institute nun das nicht-profitorientierte Forschungsinstitut der 23andme-Gründerin Anne Wojcicki den Zuschlag. TTAM erklärte, dass es die Datenschutzrichtlinien von 23andMe einhalten und bestehende Richtlinien bezüglich der Rechte der Kund*innen respektieren werde. (NPR, 30.06.25, www.npr.org) (ib)
Reproduktionsmedizin
IVF: Mehr Fehlgeburten bei älteren Samenspender*innen
Eine bei der Jahreskonferenz der European Society of Human Reproduction and Embryology (ESHRE) in Paris erstmalig vorgestellte Studie belegt, dass das Alter der Person, von der das Sperma stammt, einen Einfluss auf das Auftreten von Fehlgeburten bei IVF-Behandlungen hat. Die Forscher*innen hatten Daten aus sechs Fertilitätskliniken in Spanien und Italien zwischen 2019 und 2023 ausgewertet, insgesamt 1.712 IVF-Behandlungen. Da alle Eizellen von jüngeren Personen stammten – das Durchschnittsalter lag bei 26,1 Jahren – konnte deren Alter als Faktor ausgeschlossen werden. Die Samenspenden wurden in zwei Gruppen eingeteilt: solche von unter und solche von über 45-Jährigen. Die Studie zeigt einen signifikanten Unterschied sowohl hinsichtlich der Häufigkeit von Fehlgeburten als auch der Gesamtzahl von Lebendgeburten. Bei Samen von Jüngeren lag die Fehlgeburtsrate bei 16,3 Prozent, bei Personen über 45 hingegen bei 23,8 Prozent. Die Lebendgeburtrate war bei den Älteren fast 6 Prozentpunkte niedriger. (The Sunday Times, 29.06.25, www.thetimes.co.uk; Independent, 30.06.2025, www.independent.com/uk) (jl)
Stammzellforschung
Erfolg gegen Diabetes
In einer kleinen Studie brauchen zehn von zwölf Patient*innen mit schwerer Diabetes Typ 1 durch eine Stammzelltherapie kein Insulin mehr. Die restlichen zwei kommen nach der Behandlung mit wesentlich niedrigeren Insulin-Dosen aus. Bei der Therapie namens Zimislecel des US-Unternehmens Vertex Pharmaceuticals wurden Stammzellen im Labor in spezielle Zellen der Bauchspeicheldrüse umgewandelt, die den Blutzucker regulieren. Diese Zellen wurden per Infusion in die Patient*innen gegeben, wo sie sich in der Leber ansiedelten. Nach rund sechs Monaten brauchten die meisten Patient*innen kein Insulin mehr. Allerdings müssen sie – möglicherweise lebenslang – Medikamente einnehmen, um zu verhindern, dass das Immunsystem die neuen Zellen zerstört. Mit einer Unterdrückung des Immunsystems bestehen neue Risiken, wie eine erhöhte Anfälligkeit für Infektionen. (TNEJM, www.doi.org/10.1056/NEJMoa2506549; NYT, 20.06.25, www.nytimes.com) (ib)
Behinderung
Analyse: Kommunale Umsetzung der UN-BRK
Die Monitoring-Stelle UN-Behindertenrechtskonvention zur kommunalen Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) hat zentrale Ergebnisse des von 2022 bis 2025 durchgeführten bundesweiten Forschungsprojekts zusammengefasst. Im Rahmen des Projekts wurde unter anderem ein Rechtsgutachten erstellt, das die Verpflichtungen der kommunalen Ebene zur Umsetzung der UN-BRK aufzeigt. Auf dieser Grundlage wurden verschiedene Planungsprozesse zum Abbau von Barrieren und für Inklusion in Städten ab 50.000 Einwohner*innen recherchiert. In 29 Gebietskörperschaften wurden vertiefte Studien durchgeführt. Zu den Ergebnissen gehört, dass behinderte Menschen bzw. Interessenvertretungen häufig impulsgebend sind und an Planungsprozessen beteiligt werden, aber nur selten in konkrete Entscheidungen eingebunden werden. Es fehle vielerorts an Verbindlichkeit, Ressourcen und personellem Rückhalt, auch die Orientierung an der UN-BRK sei „ausbaufähig“. (PM DIMR, 16.06.2025, www.institut-fuer-menschenrechte.de) (jl)
Sonstiges
Sexistische Medizin
Ein Gewebe an Eierstöcken wurde „wiederentdeckt“, nachdem es als „nutzlos“ aus Anatomiebüchern gestrichen worden war. Jennifer McKey von der University of Colorado fiel an der Rückseite von Eierstöcken ihrer Labormäuse eine Struktur auf, die sie in keinem Lehrbuch finden konnte. In alten Anatomiebüchern war es jedoch als Rete ovarii beschrieben worden. Es wurde auch bei allen anderen untersuchten Tierarten sowie beim Menschen gefunden. Seine Funktion ist noch unklar, möglicherweise ist es wichtig für den Hormonhaushalt sowie für die Embryonalentwicklung der Eierstöcke und es könnte eine Rolle in der Entwicklung von Zysten spielen. (Tagesschau, 13.06.25, www.tagesschau.de) (ib)
GID-Redaktion