Drohender ‚Lock Down‘ für konventionelle Züchtung
Patente auf Gene von Pflanzen könnten traditionelle Züchtung bald unmöglich machen
Ein aktueller Bericht von Keine Patente auf Saatgut! gibt einen Einblick in ein wachsendes Dickicht von Patenten, das für die meisten Züchter*innen zu einem undurchdringlichen Hindernis wird und traditionelle Züchtung in Zukunft unmöglich machen könnte.
Biologische Vielfalt in der Züchtung wird durch rechtliche Unsicherheiten und Patentansprüche gefährdet. Foto: gemeinfrei auf pixabay.com (1630239)
Ein aktuell vom Europäischen Patentamt (EPA) erteiltes Patent auf Mais (EP3560330) zeigt1 : Das Patentamt lässt auch zufällige genetische Variationen, wie sie beispielsweise durch Sonnenlichtstrahlung ausgelöst werden, als technische Erfindungen gelten. Das Patent beansprucht die Pflanzen mit zufällig veränderten Genen, deren Ernte und die Verwendung von diesen Genvarianten für die konventionelle Züchtung.
Die Koalition Keine Patente auf Saatgut!, der auch das Gen-ethische Netzwerk angehört, warnt davor, dass durch zunehmende rechtliche Unsicherheit über die Patentierung von Pflanzen und deren Genen eine ernste Gefahr für die Zukunft der konventionellen Züchtung droht. Ein aktueller Bericht 2 gibt einen Einblick in ein wachsendes Dickicht von Patenten, das für die meisten Züchter*innen zu einem undurchdringlichen Hindernis wird und traditionelle Züchtung in Zukunft unmöglich machen könnte.
Hintergrund
Im Juni 2017 entschied der Verwaltungsrat des EPA, dass keine weiteren Patente auf konventionell gezüchtete Pflanzen und Tiere erteilt werden dürfen: Dazu wurde eine neue Regel (28(2)) in die Ausführungsordnung des EPA aufgenommen.3 Diese Entscheidung des Verwaltungsrates war ein Erfolg für die Interessen der Öffentlichkeit, die auch durch Organisationen der internationalen Koalition von Keine Patente auf Saatgut! repräsentiert wird. Doch die Entscheidung des Verwaltungsrates geht nicht weit genug. Besonders problematisch: Als Grundlage für den Beschluss des Verwaltungsrates können weiterhin Patente auf die Nutzung genetischer Variationen (Mutationen) zur Züchtung erteilt werden. Es wird also nicht zwischen natürlicherweise vorkommenden Genvarianten und zufälligen Mutationen auf der einen Seite und technischen Interventionen mit den Mitteln der Gentechnik (wie Anwendungen der sogenannten Gen-Schere CRISPR-Cas) auf der anderen Seite unterschieden. Nach der gegenwärtigen Praxis gelten daher auch Pflanzen, die mit Hilfe von zufälligen genetischen Mutationen gezüchtet wurden, als patentierbare Erfindungen. Beispiele sind u.a. Patente auf Braugerste der Firma Carlsberg, gegen die mehrere Einsprüche eingereicht wurden.4
Jüngste Beispiele für Patentanträge
Patentanträge von Syngenta/ChemChina beanspruchen die Nutzung von tausenden Genvarianten (auch ‚single nucleotid polymorphism‘ genannt, SNPs) u.a. von Ackerpflanzen wie Soja und Mais, die natürlicherweise vorkommen und die zum Beispiel die Widerstandskraft der Pflanzen gegenüber Krankheiten stärken können (WO2021000878, WO202103391, WO2021154632, WO2021198186, WO2021260673). In den meisten Fällen wurden die jeweiligen Genvarianten in wilden Verwandten der gezüchteten Sorten entdeckt und auf diese per Kreuzung und Selektion übertragen.
Derartige Patentanträge bedeuten für Züchter*innen erhebliche rechtliche Unsicherheiten. Es dürfte fast unmöglich sein, herauszufinden, ob eine bestimmte Sojapflanze, die eine erhöhte Resistenz gegenüber dem asiatischen Soja-Rost zeigt, einige der rund 5.000 Genvarianten in ihrem Erbgut trägt, die in der Patentanmeldung WO2021154632 aufgelistet sind. Werden diese Patente erteilt, können Züchter*innen nicht mehr länger alle Sorten für die weitere Züchtung verwenden. Sie können nicht einmal auf wilde verwandte Arten der Soja für ihre Züchtung ausweichen, weil jegliche züchterische Verwendung der betreffenden Gene durch die Patente abgedeckt sind. Im Ergebnis werden diese Patente so zu einem undurchdringlichen Dschungel für alle anderen Züchter*innen.
Ein weiteres erschreckendes Beispiel ist die Zucht von Tomaten mit einer Resistenz gegen das sogenannte Tomato Brown Rugose Fruit Virus (ToBRFV, auch ‚Jordanvirus‘). In diesem Fall beanspruchen mehrere Unternehmen verschiedene Regionen im Erbgut von Tomaten, die auf mehreren Chromosomen liegen. Beispielsweise ist das Chromosom 11 von Tomaten das Ziel von zehn Patentanträgen, die von fünf verschiedenen Unternehmen (wie Bayer/Seminis, BASF/Nunhems und Rijk Zwaan) eingereicht wurden und in denen ähnliche Genregionen beansprucht werden, die sich zum Teil auch überlappen. Alle Tomatenpflanzen, die diese Genvarianten aufweisen und aus irgendwelchen züchterischen Aktivitäten stammen, werden als Erfindung beansprucht. Die beanspruchten Genvarianten kommen natürlicherweise und insbesondere in wilden Arten der Tomate vor. Das Ergebnis ist eine ‚Über-Patentierung‘, die den Zugang zu der biologischen Vielfalt blockiert, die benötigt wird, um die erwünschte Resistenz mit traditionellen Verfahren zu züchten.
Patent auf Mais bestätigt die Sorgen
Im Juni 2022 wurde für die deutsche Firma KWS ein Patent (EP 3560330) auf Mais mit einer erhöhten Verdaulichkeit erteilt, unabhängig davon, ob die Pflanzen mit Hilfe von zufällig mutierten Genen gezüchtet oder per Gentechnik generiert werden. Auch die Nutzung von natürlicherweise vorkommenden Genvarianten zur Auswahl von Pflanzen im Rahmen der konventionellen Züchtung ist patentiert. Dieses aktuelle Beispiel zeigt, dass auch Patentanträge wie die auf Soja oder Tomaten in naher Zukunft erteilt werden könnten.
Patente gewähren eine Monopolstellung
Werden Patente auf konventionell gezüchtete Pflanzen und Tiere erteilt, können alle anderen Züchter*innen von deren Nutzung für die Produktion und Vermarktung neuer Sorten ausgeschlossen oder durch Lizenzverträge abhängig gemacht werden. In vielen Fällen erstrecken sich die Patente auch auf die Verwendung der Ernte zur Produktion von Lebensmitteln. Ohne Patente hatten bisher alle Züchter*innen unter dem Regelwerk des Sortenschutzes, die Möglichkeit, alle anderen Pflanzensorten zu verwenden, um eine neue, noch bessere Sorte zu züchten. Dieser Motor der Innovation in der Pflanzenzucht wird jetzt in einem undurchdringlichen Dickicht von Patentanträgen auf das Genom von Nahrungspflanzen blockiert. Wird diese Entwicklung nicht gestoppt, können die fortgesetzten rechtlichen Unsicherheiten und Patentstreitigkeiten die weitere Pflanzenzüchtung unmöglich machen. Die Auswirkungen gefährden auch die Zukunft der Ernährung und Landwirtschaft ebenso wie den Erhalt unserer Lebensgrundlagen.
Der Zugang zu biologischer Vielfalt, die für die weitere Züchtung benötigt wird, darf durch Patente nicht kontrolliert, behindert oder blockiert werden. Keine Patente auf Saatgut! hat deswegen eine Petition für die Einberufung einer internationalen Konferenz gestartet.5 Gefordert wird, dass die Minister*innen der Vertragsstaaten des EPA eine Konferenz einberufen und wirksame Maßnahmen gegen Patente auf die konventionelle Zucht von Pflanzen und Tieren ergreifen. Patente auf Verfahren, die auf Kreuzung, Selektion, die Verwendung natürlicher genetischer Variationen oder zufälligen Mutationen beruhen, müssen ebenso verboten werden, wie die Ausweitung von Ansprüchen von Gentechnik-Patenten auf konventionell gezüchtete Pflanzen und Tiere. Bis Ende des Jahres soll die Petition mit über 250.000 Unterschriften übergeben werden – auch an die deutsche Bundesregierung.
- 1Patentbeschreibung von EP3560330. Online: www.kurzelinks.de/gid263-rc.
- 2Keine Patente auf Saatgut! (2022): Patente auf Gene und Gen-Variationen können den Zugang zur biologischen Vielfalt für die Pflanzenzucht blockieren. Online: www.no-patents-on-seeds.org/de/bericht2022.
- 3Pressemitteilung des EPA (29.06.2017): EPA stellt Praxis im Bereich der Pflanzen- und Tierpatente klar. Online: www.kurzelinks.de/gid263-rd.
- 4Düesberg, J. (2018): Wem gehört das Bier? In: GID 247, S.23-25.
- 5Petition: Internationale Konferenz: Patente auf Saatgut stoppen! Online: www.no-patents-on-seeds.org/de/petition
Christoph Then ist Geschäftsführer der Nichtregierungsorganisation Testbiotech und Sprecher des internationalen Bündnisses No Patents on Seeds (Keine Patente auf Saatgut), www.no-patents-on-seeds.org.
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