Der Markt regelt das nicht
Das Forschungsprojekt HoMaBiLe errechnet die wahren Lebensmittelkosten
An der Universität Greifswald und Technischen Hochschule Nürnberg errechnen Forscher*innen die wahren Kosten von Lebensmitteln, indem auch die Folgekosten für Umwelt und Gesellschaft einkalkuliert werden. Ziel ist, zu überlegen, wie die wirklichen Lebensmittelpreise bezahlt werden können, ohne dass sie rein den Verbraucher*innen zugeschoben werden.

Bei einer Anpassung an die „wahren Preise“ von Produkten, würde sich der Konsum in Richtung nachhaltigerer Lebensmittel verschieben. Foto: gemeinfrei auf pixabay.com
Der Ausgangspunkt für das Projekt HoMaBiLe (How much is the dish? – Maßnahmen zur Erhöhung der Biodiversität durch true cost accounting bei Lebensmitteln) ist die Berechnung der externen Kosten der Lebensmittelproduktion durch ein zweistufiges Verfahren mittels True Cost Accounting (TCA).1 Zunächst werden durch eine Lebenszyklusanalyse für die Wertschöpfungskette eines Produkts die Umweltschäden (Externalitäten) in den Bereichen Klima, Boden, Wasser und Gesundheit ermittelt. Anschließend werden diese Externalitäten, im Fall von Klima z. B. Treibhausgasemissionen (CO2, Methan, Lachgas), in CO2-Äquivalente umgerechnet und mit einem Kostenfaktor (in diesem Fall 201 Euro pro Tonne – empfohlen vom Umweltbundesamt) bewertet. So können die Auswirkung der Umweltschäden des Lebensmittelkonsums quantifiziert und der Unterschied zwischen Verkaufspreisen und tatsächlich anfallenden Folgekosten transparent und verständlich aufgezeigt werden.
Teurer Dünger und Pestizide
Zu den Folgekosten werden auch die Kosten für reaktiven Stickstoff gezählt, welcher unter anderem durch den Gebrauch an Düngemitteln auf landwirtschaftlichen Flächen entsteht. Mit der Produktion von Lebensmitteln gehen zudem Energieverbrauch sowie Landnutzungsänderungen (beispielsweise durch die geringere Kohlenstofffixierung von Ackerflächen im Vergleich zu gerodeten Waldflächen) einher, sodass hieraus ebenfalls Externalitäten resultieren. Auch die Pestizide, die in der Landwirtschaft eingesetzt werden, spielen eine große Rolle: Der übermäßige Einsatz von Pestiziden in der konventionellen Landwirtschaft stellt eine ernsthafte Bedrohung für Umwelt und Gesundheit dar und wirkt sich stark negativ auf die Biodiversität aus. Aktuell untersucht das Forschungsprojekt den Pestizideinsatz in Deutschland in einer bisher unveröffentlichten Studie: Die geschätzten jährlichen Kosten für die Gesellschaft belaufen sich dabei auf mehrere Milliarden Euro. Folglich wird es notwendig sein, dass Pestizide stärker reguliert oder teilweise verboten werden. Diese Erkenntnisse sollen der Politik helfen, nachhaltigere landwirtschaftliche Praktiken voranzutreiben.
Die Kosten, die dabei der Gesellschaft und insbesondere zukünftigen Generationen entstehen, werden bisher nicht in die Preise unseres Essens eingerechnet. Stattdessen bezahlen wir alle dafür, zum Beispiel mit höheren Wasserpreisen – Abwässer müssen immer aufwendiger und kostenintensiver gereinigt werden. Dadurch werden sie im Endverbrauch teurer. Das HoMaBiLe-Projekt erforscht außerdem die Folgekosten im Gesundheitswesen anhand der Beispiele von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes Typ 2 und Tumoren. Die Ergebnisse einer Studie des Forschungsteams zeigen, dass in Deutschland durch die Ernährung jährlich 601,50 Euro pro Kopf und 50,38 Milliarden Euro an externen Gesundheitskosten für die Gesamtgesellschaft entstehen – insbesondere durch den Überkonsum von Fleisch und den Mangel an Vollkorn und Hülsenfrüchten.2, 4
Bio ist billiger
Die Methodik von HoMaBiLe unterscheidet dabei zwischen konventionellen und biologischen Produktionspraktiken, um möglichst differenzierte Aussagen über die wahren Kosten von Lebensmitteln treffen zu können.3 Die Forschungsergebnisse zeigen, dass sowohl konventionelle als auch tierische Produkte das Mehrfache ihres derzeitigen Verkaufspreises kosten müssten; es liegt demnach ein Marktfehler vor. Während bei einer Implementierung von TCA, also einer Umsetzung von „wahren Preisen“, umweltschädlichere Produkte im Laden teurer würden, würden an anderer Stelle durch die Gesellschaft getragene Kosten eingespart (z. B. im Wasserpreis). Die Zuordnung der anfallenden Kosten wäre also fairer und transparenter, sie würden dem Polluter Pays Principle (z. dt. Verursacher*innenprinzip) entsprechend verursacher*innengerecht getragen.
In der Analyse wurden Kostenaufschläge für die verschiedenen Produktkategorien der Fleischprodukte, Molkereiprodukte und pflanzlichen Produkte differenziert. Es zeigt sich, dass ökologische Lebensmittel in allen Kategorien im Schnitt einen geringeren Kostenaufschlag nach sich ziehen, als konventionell hergestellte Lebensmittel.3 Dies ist vor allem in den strengeren Richtlinien für ökologische Landwirtschaft begründet. Die EU-Öko-Regulation verbietet die Nutzung von mineralischen Stickstoffdüngern auf Öko-Landwirtschaftsbetrieben, wodurch direkte und indirekte Stickstoffemissionen dort geringer sind, als bei konventionellen Betrieben. Zudem werden ökologische Futtermittel eher im eigenen Betrieb oder in regionalen Netzwerken produziert, wodurch keine Landnutzungsänderungen in Übersee stattfinden und geringere Umweltschäden durch Transport oder mineralische Düngung entstehen. Zudem bewirtschaften einzelne Biobetriebe in der Regel kleinere Anbauflächen.
Transparenz schaffen, Konsequenzen ziehen
Einerseits schafft das Projekt Transparenz über die „wahren Preise“ von Lebensmitteln bei Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Andererseits stellt es die Frage nach den Konsequenzen aus den Ergebnissen. Wie können sich nachhaltige Produkte und Preise am Markt durchsetzen und daraus resultierend umweltschädlichere Wertschöpfungsketten reduziert werden? Nach Einschätzung der Forschungsgruppe würde sich, bei einer Anpassung der Preise von Produkten mit hohen Folgekosten entsprechend ihrer „wahren Preise“, der Konsum in Richtung nachhaltigerer Lebensmittel verschieben. Die Einpreisung von Umweltfolgekosten kann also ein Schlüssel zur indirekten Förderung von weniger schädlichen Anbau- und Produktionsmethoden sein. Zudem kann sie als Unterstützung zur Erreichung der Ziele der Biodiversitätsstrategie der deutschen Bundesregierung und der Europäischen Union dienen. Dies würde auch zu einigen Zielen der Sustainable Development Goals (SDGs) der UN oder der aktuellen Ernährungsstrategie der Bundesregierung beitragen. Untersuchungen des HoMaBiLe-Projekts zeigen, dass TCA in der Gesellschaft als wichtiges Thema und das verursacher*innengerechte Tragen von externen Folgekosten als sinnvoll empfunden wird.5 Allerdings sehen sich Konsument*innen finanziell oft nicht in der Lage, höhere Preise zu bezahlen. Wie kann TCA also im Markt implementiert werden?
Wie geht es weiter?
Daher werden auch politische Handlungsempfehlungen aus den Forschungsergebnissen abgeleitet, um die Land- und Ernährungswirtschaft hin zu einem nachhaltigen und resilienten System zu unterstützen. Eine Umsetzung von TCA in der Praxis könnte über verschiedene Hebel erfolgen. Über eine Klimadividende oder eine Stickstoffsteuer könnte beispielsweise mehr Kostenwahrheit erreicht und so dem Polluter Pays Principle als Schlüsselziel der Umweltpolitik der Europäischen Union, nähergekommen werden. Auch eine Umstrukturierung von EU-Subventionen könnte zu einer stärkeren Förderung der Bio-Landwirtschaft führen. Hier hat das Projekt als eine mögliche Stellschraube eine differenzierte Mehrwertsteuer auf konventionelles Fleisch und Fisch (19 Prozent) bzw. vegetarische Bio-Produkte (0 Prozent) untersucht.6 Der Verbrauchsanteil von Bio-Lebensmitteln würde durch die modellierte Mehrwertsteuerreform in diesem Szenario im Vergleich zum Status quo um 21,83 Prozent steigen. Trotz der Mehrwertsteuersenkung auf 0 Prozent für vegetarische Bio-Produkte würden durch die höhere Besteuerung konventioneller Fleischprodukte zusätzliche Steuereinnahmen in Höhe von 2,04 Milliarden Euro pro Jahr in Deutschland erzielt. Zudem hätte diese Anpassung zur Folge, dass jährliche Umweltkosten in Höhe von 5,31 Milliarden Euro durch die geringeren externen Kosten eingespart würden.
Auf der Abschlusskonferenz des Projekts im September 2024 in München haben die Projektbeteiligten dabei folgendes Resümee gezogen: Die Ergebnisse des HoMaBiLe-Projekts zeigen klar, dass die Mehrzahl der Verbraucher*innen weder bereit noch in der Lage ist, die wahren Kosten von Lebensmitteln zu tragen. „Hier liegt die Verantwortung bei der Politik“, fordert Prof. Dr. Tobias Gaugler. „Es braucht Rahmenbedingungen, die nachhaltige Lebensmittel günstiger und umweltschädliche teurer machen.“ Neben der Senkung der Mehrwertsteuer auf pflanzliche und der Erhöhung auf tierische Produkte, fordert das Projektteam eine stärkere Honorierung von sog. Ökosystemdienstleistungen. Damit sind „Dienstleistungen“ der Natur für den Menschen gemeint, die durch die Lebensräume und Lebewesen wie Tiere und Pflanzen bezogen werden. Zudem müsse der ökologische Landbau massiv gefördert werden.
Das Projekt neigt sich dem Ende zu, die Forschung zu TCA führt das Wissenschaftsteam aktuell u.a. im EU-Horizon Projekt FOODCoST weiter. Hier wird gemeinsam mit der Universität Wageningen und Oxford ein europäischer Standard für die Methodik entwickelt und in mehreren Fallstudien die Übertragbarkeit in die Praxis untersucht.
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Finanziert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung, online: www.homabile.de [letzter Zugriff: 10.10.2024]
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Seidel, F./Oebel, B./Stein, L. et al. (2023): The True Price of External Health Effects from Food Consumption. In: Nutrients 15, 15, www.doi.org/10.3390/nu15153386
(3a,b) Pieper, M./Michalke, M./Gaugler, T. (2020): Calculation of external climate costs for food highlights inadequate pricing of animal products. In: Nature Communications 11, www.doi.org/10.1038/s41467-020-19474-6 - 4
Michalke, A./Köhler, S./Messmann, L. et al. (2023): True cost accounting of organic and conventional food production. In: Journal of Cleaner Production 408, www.doi.org/10.1016/j.jclepro.2023.137134
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Pieper, M./Michalke, M./Gaugler, T. (2020): Calculation of external climate costs for food highlights inadequate pricing of animal products. In: Nature Communications 11, www.doi.org/10.1038/s41467-020-19474-6
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Michalke, A./Stein, L./Fichtner, R: et al. (2022): True cost accounting in agri-food networks: a German case study on informational campaigning and responsible implementation. In: Sustainability Science 17, S.2269-2285, www.doi.org/10.1007/s11625-022-01105-2
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Oebel, B./Stein, L./Michalke, A. et al. (2024): Towards true prices in food retailing: the value added tax as an instrument transforming agri-food systems. Sustainability Science, www.doi.org/10.1007/s11625-024-01477-7
Benjamin Oebel ist Projektmitarbeiter von HoMaBiLe (How much is the dish? – Maßnahmen zur Erhöhung der Biodiversität durch true cost accounting bei Lebensmitteln) an der Universität Greifswald und der Technischen Hochschule Nürnberg
Lennart Stein ist Projektmitarbeiter von HoMaBiLe (How much is the dish? – Maßnahmen zur Erhöhung der Biodiversität durch true cost accounting bei Lebensmitteln) an der Universität Greifswald und der Technischen Hochschule Nürnberg
Moya Zoeller ist Projektmitarbeiterin von HoMaBiLe (How much is the dish? – Maßnahmen zur Erhöhung der Biodiversität durch true cost accounting bei Lebensmitteln) an der Universität Greifswald und der Technischen Hochschule Nürnberg
Dr. Tobias Gaugler ist Projektmitarbeiter von HoMaBiLe (How much is the dish? – Maßnahmen zur Erhöhung der Biodiversität durch true cost accounting bei Lebensmitteln) an der Universität Greifswald und der Technischen Hochschule Nürnberg