Selbstregulierung reicht nicht

Über den Sommer versuchte der US-Konzern Monsanto den Schweizer Konkurrenten Syngenta gegen den Willen von dessen Vorstand zu übernehmen. Das Unterfangen scheiterte letztendlich, wirft aber trotzdem einige Fragen auf, die wir mit François Meienberg von der Erklärung von Bern besprechen.

Monsanto hat versucht Syngenta zu übernehmen. Macht es für eure Arbeit einen Unterschied, ob Monsanto Syngenta übernimmt oder nicht?

Ich denke schon, dass es einen Unterschied machen würde. Die Konzentration an den Agrarmärkten - bei Syngenta geht es in erster Linie um Pestizide und darüber hinaus um Saatgut - ist ja heute schon extrem fortgeschritten.1 Und diese Konzentration würde durch eine solche Übernahme nochmal deutlich zunehmen, was sich sicherlich negativ auf die Bauern auswirken würde.

Insofern denke ich, dass die Abwendung der Übernahme wichtig war. Es war ja in der Tat auch so, dass sich zum Beispiel US-amerikanische Bauernorganisationen nach dem Übernahmeangebot zu Wort gemeldet haben und sich explizit gegen diese Übernahme ausgesprochen haben. Ich selbst bin deshalb durchaus erleichtert, aber das bedeutet nicht, dass ohne Übernahme alles super ist. Ich bin der Meinung, dass die Konzentration schon heute viel zu weit fortgeschritten ist und der Markt nicht mehr überall richtig spielt. Und weitere Übernahmen sind absehbar.

 

Gleichzeitig deutete sich in den letzten Tagen an, dass Syngenta einen Teil des Saatgutgeschäftes abspalten und verkaufen will. Dabei ist ja nicht zu erwarten, dass ein neues eigenständiges Unternehmen entsteht. Vielmehr können wir davon ausgehen, dass dieser Teil dann von einem der anderen Konzerne übernommen wird.

Interessant ist, dass das Übernahmeangebot den Druck der Investoren auf Syngenta markant erhöhte.  Es gab vor dem ersten Übernahmeangebot einen Aktienkurs von Syngenta, der lag bei rund 330 Franken.2 Mit dem Monsanto-Angebot ist der Kurs auf über 400 Franken gestiegen - knapp unter die Höhe der Offerte, die Monsanto geäußert hatte. Als das Angebot seitens Monsanto - wegen des Widerstandes des Svngenta-Vorstandes - wieder zurückgenommen wurde und die Übernahme damit gescheitert war, ist der Kurs der Syngenta-Aktie wieder auf die Höhe vor dem Angebot gesunken. In denZeitungen standen dann aber Schlagzeilen wie: „Syngenta verliert zwanzig Prozent“, „Investoren schwer enttäuscht“, „untragbare Situation“ oder „das Management muss jetzt zeigen, dass wir es selbst können“ und so weiter. Dabei ist ja im Grunde gar nichts passiert. Aber aufgrund dieses - sozusagen - theoretischen Verlusts der Investoren ist der Druck auf Syngenta nun so groß, dass der Konzern unter Umständen jetzt sehr schnell Aktionen macht oder machen muss, um den Preis der Aktien wieder hoch zu treiben.

Lange Rede, kurzer Sinn: Syngenta hat jetzt angeboten, das Saatgut-Geschäft für Blumen und das für Gemüse zu veräußern, und natürlich ist es spannend, wer es kauft. Monsanto wird es meiner Einschätzung nach aufgrund wettbewerbsrechtlicher Hindernisse nicht kaufen können, da sie damit - gerade in Europa - viel zu groß werden würden. Syngenta und Monsanto teilen zum Teil zwischen 50 und bei einzelnen Gemüsearten bis zu 70 Prozent des Marktes untereinander auf. Andere mögliche Käufer sind natürlich Firmen wie die BASF, die bisher ein sehr kleines Saatgut-Geschäft hat. Oder auch Bayer. Der Konzern könnte dadurch seine Stellung auf dem Saatgut-Markt festigen. Auch Dow käme infrage - ich denke, dass es eine Reihe von Chemie-Unternehmen gibt, die gerne tiefer ins Saatgutgeschäft einsteigen wollen.

 

Ich habe den Eindruck, dass die längere Beschäftigung mit einem Konzern zum Teil auch dazu führt, dass man zum Beispiel die Entscheidungen des Vorstandes nicht nur versteht, sondern auch plausibel findet.

Ja, das stimmt vielleicht. Ich finde es auch wichtig, diesen Konzern zu kennen, um zu wissen, wo es Chancen gibt, dass er sich bessert, und wo nicht. Wenn man das versteht, kann man auch ein realistischeres Campaigning machen. Das heißt, dass die Forderungen an den Konzern auch Erfolgschancen haben. Wo es klar ist, dass der Konzern nicht lernfähig ist, muss man andere Strategien suchen um unhaltbare Zustände zu verändern. Sei dies direkt über die politischen Rahmenbedingungen bespielsweise Gesetze oder über die potentiellen Kunden des Konzerns. 

 

Sprechen wir  über eure konkrete Arbeit zu dem global agierenden Agrarkonzern Syngenta. Was würde sich für euch ändern, wenn Syngenta einen Teil seines Saatgutgeschäftes abspalten würde?

Für unsere Arbeit konkret würde sich zunächst einmal gar nichts ändern. Interessant ist natürlich die Frage, wer der neue Besitzer ist und ob dieser eine andere Strategie verfolgt. Das können wir ja zum jetzigen Zeitpunkt nicht beantworten. Natürlich haben wir Kritik an Syngentas Saatgutpolitik, insbesondere an der Patentierungspraxis. Wenn das Saatgutgeschäft also von einem Unternehmen wie der KWS übernommen würde, könnte sich die Praxis, Saatgut zu patentieren, möglicherweise zum Besseren ändern. Würde das Geschäft von einem Chemie-Unternehmen wie der BASF oder Bayer übernommen, würde diese Praxis vielleicht noch schlechter werden. Insofern ist das heute noch ein bisschen Kaffeesatz-Leserei.

 

Meine Frage zielte auch in die Richtung, ob sich für die EvB etwas ändern würde, weil das Saatgutgeschäft an ein Unternehmen gehen könnte, das vielleicht nicht in der Schweiz angesiedelt ist.

Das ist sicher richtig. Wir denken schon, dass wir als in der Schweiz ansässige Organisation besser bei hiesigen Unternehmen etwas bewirken können als zum Beispiel bei Unternehmen, die in China oder in Patagonien ihre Zentralen haben. So ist es natürlich leichter, mit den Mitarbeitern oder der Führung in Kontakt zu sein oder ihre Aktivitäten zu verfolgen. Und man kann auch auf den Aktionärsversammlungen präsent sein. Darum könnte sich mittel- oder langfristig etwas in unserer Arbeit ändern, wenn die Geschäftsteile veräußert werden; kurzfristig würden wir aber eine Kampagne nicht einfach abbrechen - das würde uns unglaubwürdig machen. Wir kritisieren ja Syngentas Pflanzenpatente nicht nur, weil Syngenta ein schweizerisches Unternehmen ist, sondern weil wir das Prinzip, Saatgut zu patentieren, grundsätzlich ablehnen.

 

Welche Aktivitäten von Syngenta sind für euren Verein, die Erklärung von Bern, besonders interessant?

Die Erklärung von Bern ist in erster Linie eine entwicklungspolitische Organisation. Wir beobachten die Auswirkungen, die das Handeln des Konzerns auf die Menschenrechte in den Ländern des Südens hat. Offensichtlich werden diese Auswirkungen zum Beispiel bei dem Pestizidgeschäft von Syngenta: Syngenta ist weltweit die Nummer eins, wenn es um den Verkauf von Pestiziden geht. Das Unternehmen kontrolliert mittlerweile beinahe 25 Prozent des globalen Pestizidmarktes und verursacht  mit seinem Pestizidgeschäft einen wesentlich höheren impact in den Ländern des Südens als zum Beispiel mit seinem Saatgutgeschäft. Aus diesem Grund machen wir seit vielen Jahren Pestizidkampagnen, die auf Syngenta als Produzent und Verkäufer zielen. Dabei steht das Produkt Paraquat im Mittelpunkt. Paraquat ist ein Unkrautvernichtungsmittel, das in der Schweiz seit 1989 verboten ist, ebenso in der EU und vielen anderen Ländern. Trotzdem verkauft Syngenta das Produkt weiter. Der Konzern macht damit jährlich einen Umsatz von rund 550 Millionen US-Dollar. Die Anwendung hat in der Vergangenheit zu tausenden von Todes- und noch mehr Vergiftungsfällen bei Menschen in verschiedenen Teilen der Welt geführt. Wir sehen eine große Spur des Verderbens, die Syngenta mit diesen Produkten aussprüht.

 

Eine eurer Aktionsformen besteht darin, Betroffene zu den Hauptversammlungen von Syngenta zu bringen. Warum?

Hier sehen wir einen wichtigen Teil unserer Aufgabe: Das Aktionariat soll mit den Realitäten der Syngenta-Unternehmenspolitik in den Ländern des Südens konfrontiert werden. Der Vorstand präsentiert mit seinen Berichten und Werbebotschaften eben nur einen Teil der Wirklichkeit. Hier sind Menschen, die von den Geschäften Syngentas direkt betroffen sind und sie können von ganz konkretem Fehlverhalten berichten.

 

Aber es geht nicht nur um die konkreten Fälle, oder?

Die Fallbeispiele bei Pestiziden oder auch bei den Patenten sind in aller Regel ‚Mittel zum Zweck‘, um auf ein bestimmtes Problem hinzuweisen. Das Beispiel soll helfen, die Rahmenbedingungen zu ändern. Das Problem soll zunächst ins Bewusstsein gebracht werden, um dann zum Beispiel Behörden oder Regierungen für eine Lösung zu gewinnen.

 

... und gesetzliche Regelungen sind das Ziel?

Ja. Es gibt vielleicht Leute, die glauben, dass freiwilliges Handeln oder Selbstverpflichtungserklärungen der Unternehmen ausreichen. Ich gehöre nicht dazu. Ich denke, dass die Corporate Social Responsibility, also die soziale Verantwortung von Unternehmen, wichtig ist. Aber in erster Linie in Staaten, die keine wirksame Regulierung einführen oder durchsetzen können.

 

Kommen wir zu der Kampagne gegen die Patente auf Pflanzen. Was sind deine prägendsten Erfahrungen der letzten Jahre?

Mir sind besonders die demokratischen Defizite in der Europäischen Patentorganisation schmerzlich bewusst geworden. Das Patentamt ist in weiten Teilen eine Blackbox und es gibt praktisch keine Möglichkeit für Bürgerinnen und Bürger, Zugang zu bekommen. Der Industrieverband Business Europe hat einen Beobachterstatus bei den Sitzungen des Verwaltungsrates, Bauern- oder Verbraucherverbände haben den aber nicht. Das Amt ist sehr industrienah, sehr intransparent und es wird in einer Art und Weise regiert, die sehr viele Menschen vor den Kopf stößt. Zudem ist es wirklich schwer, die Beweggründe einzelner Ländervertreter zu durchschauen. Wir hatten in der Vergangenheit bei einer Abstimmung - es ging um die Verteilung des Gewinns des Patentamtes als Bonus an die Mitarbeiter - die großen Länder überzeugen können: England, Frankreich, Deutschland und andere. Die Entscheidung konnten wir aber wegen der Stimmen von Ländern wie San Marino, Monaco oder Liechtenstein nicht gewinnen.

 

Seit einigen Jahren stehen in Kampagnen die Patente auf konventionell gezüchtete Pflanzen im Fokus. Das Patentamt hat mit dem Spruch der großen Beschwerdekammer im Frühjahr klar Position bezogen: Patente auf Pflanzen und Tiere, die konventionell gezüchtet sind, dürfen erteilt werden. Geht es zwei Schritte vor und einen zurück oder einen Schritt vor und zwei zurück?

Wenn wir auf das Europäische Patentamt schauen, müssen wir klar sagen, dass es einen Schritt vor und zwei zurück geht. Das Patentamt hat nicht die Fähigkeit zu sehen, welche Folgen seine Entscheidungen haben. Es erteilt weiter Patente auf konventionell gezüchtete Pflanzen - und das, obwohl in den Verbänden der Züchterinnen und Züchter und in den Züchtungsunternehmen klar die Position vorherrscht, dass Patente in diesem Bereich die Innovation behindern. Die großen Konzerne, von denen die meisten Chemiekonzerne sind und die seit Jahren mehr und mehr ins Saatgutgeschäft investieren, stehen mit ihrer Position für Patente auf Saatgut im Grunde allein auf weiter Flur. Allerdings steht das Patentamt eben auf der gleichen Seite und zieht sich auf die Position zurück, dass es nur die bestehenden Regeln implementiere. Dabei könnten sie die Regeln auch ganz anders auslegen.

 

Was sollte das Patentamt stattdessen tun?

Unserer Meinung nach müsste ein Patentamt die eigene Politik kritisch reflektieren: „Halt, wir befürchten aufgrund der Stimmen, die wir gehört haben und aufgrund unserer Analysen, dass das Patentrecht heute negative Auswirkungen auf die Innovation hat. Deshalb muss die rechtliche Basis geändert werden.“ Aber zu einem solchen Schritt ist das Patentamt nicht fähig. Wir dürfen nicht vergessen: Es gibt nur eine Daseinsberechtigung für Patente, und das ist der positive Einfluss auf die Innovation. Wenn die nicht gegeben ist, muss das Patentrecht geändert werden. Das ist schon eine verrückte Situation. Auch viele - sonst einflussreiche - Länder sind ja auf unserer Seite: Deutschland, Frankreich, die Niederlande und Österreich, aber auch andere sind in den wesentlichen Punkten unserer Meinung. Allerdings fehlt es bisher noch an konkreten Schritten dieser Länder auf der Ebene der Europäischen Union oder der Europäischen Patentorganisation. Aber das könnte sich vielleicht schon bald ändern: Die Regierung der Niederlande hat angekündigt, dass sie ihre EU-Ratspräsidentschaft in der ersten Hälfte des kommenden Jahres nutzen will, um die Verbesserung der Situation - konkret: die Revision der Bio-Patentrichtlinie - auf den Weg zu bringen. Wenn wir es mit dieser Ausgangslage nicht schaffen sollten, den Kampf um die nötigen Änderungen im Patentrecht zu gewinnen - sei es nun in der Ausführungsverordnung des Europäischen Patentamtes, sei es in der EU-Biopatentrichtlinie -, dann haben wir etwas falsch gemacht.

 

 

Vielen Dank für das Gespräch und weiter alles Gute!

Das Gespräch führte Christof Potthof.

  • 1Siehe dazu auch die Abbildung auf Seite 42 und den Beitrag „Was bewegt die Konzerne”, GID 230, Juni 2015, Im Netz unter www.gen-ethisches-netzwerk.de/3056.
  • 2330 Franken entsprechen etwa 300 Euro, 400 Franken etwa 365 Euro.
Erschienen in
GID-Ausgabe
232
vom Oktober 2015
Seite 40 - 42

François Meienberg ist Mitarbeiterin bei der schweizerischen Nichtregierungsorganisation "Erklärung von Bern".

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