Neue Möglichkeiten, alte Debatten

Monitoring von Einzelzellanalyse als neue Plattformtechnologie

Einzelzellanalysen sind eine neue Methode, die auf aktuellen Entwicklungen der Hochdurchsatzsequenzierung (Next Generation Sequencing, NGS) aufbauen. Die neue Technologie berührt viele bestehende ethische Fragen.

DNA-Bausteine ACGT auf einem Bildschirm

Mit Hilfe der Einzelzellanalyse können Daten über molekulare Zustände und Funktionsweisen einzelner Zellen erhoben werden. Bislang war es nur möglich, Untersuchungen an Zellgemischen oder vermeintlich gleichartigen Gruppen von Zellen durchzuführen. Die dabei gewonnenen Informationen etwa über die Aktivität bestimmter Gene spiegelten somit die Summe der Eigenschaften dieser Zellpopulationen wider und erlaubten keine Rückschlüsse auf die Merkmale individueller Zellen. Die neuen sogenannten Einzelzell-Omics-Technologien bieten nun erstmals die Möglichkeit, individuelle Charakteristika von Zellen zu erfassen. Der Zusatz „Omics“ ist dabei ein Neologismus und deutet auf eine umfassende Analyse hin. Zu den „Einzelzell-Omics-Technologien“ gehören etwa die Genomik für das Studium der Gesamtheit der Gene, Transkriptomik für das Studium aller Transkripte (also der Übersetzung der DNA-Informationen), Metabolomik für die Gesamtheit aller Stoffwechselprodukte (Metabolite) und Proteomik für die Gesamtheit aller Proteine einer Zelle.  Diese Daten können für tausende bis zu Millionen einzelner Zellen gleichzeitig erfasst werden und sogar räumliche oder zeitliche Informationen liefern. Die Interpretation dieser Daten soll in Zukunft helfen, komplexe Prozesse zu entschlüsseln, etwa Entwicklungsprozesse, Alterungsprozesse, Anpassungen an Umweltbedingungen sowie Ursachen und Folgen von Erkrankungen.

Das Gebiet entwickelt sich rasant und hat bereits Einzug in die klinische Forschung gehalten. Prominentestes Beispiel ist der „Human Cell Atlas“ (HCA), ein internationales Konsortium mit dem Ziel der Kartierung aller Zellen des Menschen als Referenzquelle für weitere Forschungsvorhaben. Ein Anwendungsbeispiel aus der Medizin ist die Analyse heterogener Zellen in Tumoren, die zukünftig mit einer verbesserten Diagnose und Vorhersagbarkeit therapeutischer Maßnahmen einhergehen soll. Auch für die Präimplantationsdiagnostik sowie eine laborbasierte sogenannte personalisierte Medizin sollen neue Impulse von der Einzelzellanalytik ausgehen. Um Rückschlüsse auf die Pathogenität von Krankheitserregern zu ermöglichen wird zudem an Mikroorganismen geforscht.

Bei Pflanzen steht die Nutzung der Einzelzellanalytik vor größeren Herausforderungen, da hier die starre Zellwand überwunden werden muss. Bislang spielt sie daher nur eine untergeordnete Rolle und die Forschung beschränkt sich auf die Modellpflanze Arabidopsis thaliana (Stand: Herbst 2019). Es ist jedoch damit zu rechnen, dass die Technologie langfristig auch bei Pflanzen an Bedeutung gewinnen könnte.

Ethische Aspekte

Die Einzelzellanalyse wirft bislang keine gänzlich neuartigen ethischen Fragen auf. Sie betrifft jedoch eine ganze Reihe von Fragen, die bereits seit Langem im Kontext der Gentechnologien kritisch diskutiert werden. So ist im Sinne einer realistischen Interpretation der großen Datenmengen darauf zu achten, dass Korrelationen nicht als Kausalitäten ausgegeben werden und das gesellschaftliche Ursachen für Krankheitsrisiken nicht außer Acht gelassen werden. Auch die Möglichkeit eines umfassenden Datenschutzes und Fragen nach dem Besitzrecht an den erhobenen Daten werden diskutiert. So müssen die erhobenen Einzeldaten wirksam vor dem Zugriff Unbefugter geschützt werden. Zentral ist dabei eine möglichst umfassend informierte Zustimmung seitens der Spender*innen, welche die Voraussetzung für die Speicherung und Nutzung von Biomaterialien und davon abgeleiteten Informationen sein muss. Damit ist ebenso die Frage nach der Rückmeldung zufälliger Nebenbefunde an Patient*innen oder Spender*innen verbunden. Standards für die informierte Zustimmung von Patient*innen sowie Proband*innen müssen auch für diesen Kontext erarbeitet werden.

Wo die Einzelzellanalytik mit der Präimplantationsdiagnostik oder mit dem Genome Editing kombiniert wird, sind die Debatten um diese Technologien zu berücksichtigen.  

Besonderes Gewicht haben aber auch Fragen der Verteilungsgerechtigkeit und der Priorisierung von Forschungsgeldern bis hin zur Versorgung von Patient*innen. Es muss verhindert werden unter den Schlagwörtern „Präzisionsmedizin“ oder „personalisierte Medizin“ eine sehr teure Medizin zu vermarkten, die nur von wenigen Wohlhabenden in Anspruch genommen werden kann. Eine Stratifizierung von Patient*innenuntergruppen sollte nicht dazu führen, dass bestimmte Gruppen aufgrund zu hoher Kosten von der Versorgung ausgeschlossen werden. Zusätzlich muss Stigmatisierungen und Diskriminierungen vorgebeugt werden. Die Standards guter Wissenschaftlicher Praxis dürfen selbst dann nicht ausgehebelt werden, wenn es zu einem Hype um die neuen Möglichkeiten kommen sollte.  

Fazit

Auch wenn die neuen Methoden bislang keine neuartigen oder spezifisch ethischen und rechtlichen Fragen aufwerfen, so werden doch eine ganze Reihe seit Langem diskutierter und noch ungelöster Probleme verschiedener Anwendungsbereiche genetischer Diagnostik berührt und möglicherweise verschärft. Da die Einzelzellanalytik für Biologie und Medizin an Bedeutung gewinnen könnte, sollte dieser Prozess im Sinne eines Monitorings kritisch begleitet werden.

 

Der Text basiert auf einer Stellungnahme interdisziplinären Arbeitsgruppe Gentechnologiebericht (IAG) der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaftezu Einzelzellanalysen vom Herbst 2019, insbesondere auf dem Kapitel „Einzelzellanalysen und Überlegungen zur Ethik“, welches die Autorin gemeinsam mit Heiner Fangerau und Angela Osterheider verfasst hat.

17. April 2020

Dr. Lilian Marx-Stölting ist wissenschaftliche Referentin in der Geschäftsstelle des Deutschen Ethikrates.

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