„Bedürfnisse konkretisieren“

Debatte „Linke und Technologiekritik”

Welche Rolle spielt Technikkritik in linker Politik? Im letzten GID (193) versuchte sich Reinhard Mocek an Prämissen für eine linke Technologiepolitik, und Rainer Hohlfeld kritisierte den in der Linken verbreiteten Glauben an die „Unschuld der Produktivkräfte". Im Folgenden führt Werner Rätz die Debatte „Linke und Technologiekritik” fort.

Die Linke tut sich schwer mit Technologiekritik - das könnte die Quintessenz des Schwerpunkts aus dem letzten GID sein. Oder noch radikaler: Vielfach setzt die Linke ihre ganze Zukunftshoffnung auf technologische Versprechen. Der naive Glaube, dass sozialistische Kernkraftwerke gut und nur kapitalistische schlecht seien, bleibt jedoch auch dann blamiert, wenn man ihn auf die Gentechnik überträgt und die Ansprüche an eine angeblich verantwortbare Anwendung der Technologie etwas höher hängt. In diesem (Nicht-)Verhältnis der Linken zur Technologiekritik geht es nicht nur darum, dass Einzelne sich weigern, ihre Hausaufgaben zu machen und wenigstens ansatzweise die Debatten nachzuvollziehen, die es um Destruktivtechnologien etwa im Zusammenhang mit der Atomtechnik gab. Das Phänomen sitzt tiefer und besteht zuallererst darin, dass der Neoliberalismus nicht in Markt und Staat aufgeht, sondern auch ganz tief in unseren eigenen Köpfen und Bäuchen sitzt. Die von der kapitalistischen Globalisierung geschaffenen gesellschaftlichen Verhältnisse sind den Menschen ja nicht in einem gewaltsamen Prozess aufgezwungen worden. Sie wurden vielfach im Konsens mit Bevölkerungsmehrheiten entwickelt, oft von starkem Meinungsdruck nicht nur der Medien geradezu gefordert. Die Bürokraten auf der Post oder bei der Bahn, der Schlendrian in den Behörden, die Geldverschwendung im Gesundheitssystem sollten doch zurückgedrängt werden. Unbegrenzte Mobilität, allseitige Erreichbarkeit, rascher und unkomplizierter Zugriff aufs Essen, freie Selbstbestimmung auch als KrankeR waren Wünsche vieler, die durch Vermittlung der diversen Technologien möglich zu werden schienen. Dass die Blüten- sich dann vielfach in Albträume verwandelten, Flugverkehr, Handyterror, Mikrowelle und Ökonomisierung des Gesundheitswesens sich nicht als Lebensqualität erwiesen, hat nicht dazu geführt, die dahinter stehenden Bedürfnisse zu hinterfragen.

Was wäre „das gute Leben aller”?

Ich plädiere keineswegs für eine Verzichtsethik, die Computer, Apparatemedizin oder Haushaltselektronik verdammt und aus dem Leben verbannen will. Aber ich schlage vor, etwas genauer hinzuschauen, was denn der tatsächliche materielle Gehalt unserer Bedürfnisse ist. Die Gentechnologie gebe Antworten, ohne dass klar wäre, welche Frage eigentlich gestellt worden sei. Dieser Slogan von KritikerInnen drückt aus, wie moderne Technologie vielfach funktioniert: Die technologisch vermittelten Antworten liegen auf dem Tisch, ob sie es sind, die die zu Grunde liegenden Bedürfnisse befriedigen, wird nicht problematisiert. Es geht also nicht um eine Kritik der Bedürfnisse, gar ihre Sortierung in „richtige“ und „falsche“, sondern im Gegenteil darum, den Blick auf die nützliche, die Gebrauchsseite der Dinge und Dienstleistungen zu werfen. Was wäre das denn, das gute Leben aller? Was benötigen wir, damit wir gut leben können? Was müssen wir produzieren und wie wollen wir das organisieren? Welche gesellschaftlichen Verhältnisse sind dazu nötig?

Eine andere Seite der Technologie

Wenn ich die Welt so betrachte, von den konkreten Bedürfnissen her, dann wird auch eine andere Seite der Technologie sichtbar. Ihr sind nämlich die konkreten gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnisse jederzeit eingeschrieben, aber eben verborgen. Beispielsweise dürfte es klar sein, dass Kranke in der Regel Heilung wünschen. Nun verträgt das konkrete einzelne Individuum vielleicht ein vorhandenes Medikament nicht, was liegt also näher als die Hoffnung, dass eine individualisierte Medizin da Abhilfe schaffen könnte. Wenn ich mir als Kassenpatient aber den realen Vorgang anschaue, der nötig wäre, damit ich in den Genuss einer solchen Technologie käme, dann sehe ich, dass es dazu nie kommen wird. Gesunde Lebensverhältnisse, die die Hauptursachen von Krankheit angehen (Armut, Arbeit - auch keine Arbeit - fehlende Lebensperspektiven) sind dagegen sehr wohl vorstellbar, aber keinesfalls technologisch zu vermitteln. Der Kern des Problems fehlender linker Technologiekritik liegt also darin, dass der Blick auf die Technologie als abstrakte, inhaltsleere Sache gerichtet wird, und nicht auf die konkreten Bedürfnisse und Nützlichkeiten. Die konkreten Dinge sind es aber, die wir brauchen, nicht das Geld, um sie zu kaufen, oder die Technologie, um sie zu machen. Damit die ihren Selbstzweckcharakter verlieren, ist die Politisierung der Frage unerlässlich, in was für einer Gesellschaft wir eigentlich leben wollen.

GID Meta
Erschienen in
GID-Ausgabe
194
vom Juni 2009
Seite 60

Werner Rätz beschäftigt sich als Aktivist und Autor seit den 1970er Jahren mit praktischer und theoretischer Kapitalismuskritik und arbeitet unter anderem im Bonner Arbeitskreis gegen Gentechnologie und bei ATTAC mit.

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