Uninformierte Einwilligung

Wie wir die Kontrolle über unsere Gesundheitsdaten verlieren

Die Informierte Einwilligung ist heutzutage ein internationales Leitprinzip in der biomedizinischen Forschung mit Proband*innen. In Zeiten von Big Data scheint die Autonomie der Proband*innen allerdings zunehmend wieder nachrangig zu den Forschungszielen zu sein. 

Ein Tunnel oder eine Unterführung in schummrigem Licht, weiter hinten läuft eine Person

Die Informierte Einwilligung sollte dem Misstrauen gegenüber dem medizinischen System entgegen wirken, dass durch Fälle von ärztlichem Missbrauch und Forschungsskandalen entstanden war. Foto: gemeinfrei auf pexels.com (Kemal Emre Koç)

Nach dem Prinzip der Informierten Einwilligung können Patient*innen oder Teilnehmende nur dann eine gültige Zustimmung zu einer Therapie oder der Teilnahme an einer Studie geben, wenn sie zuvor ausreichend aufgeklärt wurden. Die Aufklärung muss die Behandlung verständlich machen, vor Risiken warnen und mögliche Konsequenzen beinhalten, sodass die betroffene Person eine fundierte und freie Entscheidung treffen kann. Diese Zustimmung der betroffenen Person wiederum ist Grundvoraussetzung für einen Eingriff in ihre körperliche oder psychische Unversehrtheit durch Ärzt*innen oder innerhalb von Studien. Das kann z. B. die Gabe von Medikamenten betreffen, aber auch negative Konsequenzen wie Stigmatisierungseffekte, die sich aus der Auswertung von Studiendaten für die betroffene Person ergeben können. 

Selbstbestimmung als zentraler Wert

Wie von den Bioethiker*innen Ruth Faden und Tom Beauchamp in den 1980er Jahren beschrieben (1), geht das Konzept der Informierten Einwilligung auf verschiedene Fachdisziplinen und Kontexte zurück – Medizin, Rechts-, Sozial- und Verhaltenswissenschaften sowie Moralphilosophie trugen ihren Anteil zur Etablierung des Konzepts bei. Die Moralphilosophie setzt sich mit moralischen Grundsätzen für das ärztliche Handeln auseinander, die in die Debatte um die Informierte Einwilligung einfließen: Wohltätigkeit, Gerechtigkeit und vor allem die Autonomie oder Selbstbestimmung. Sie steht in einer liberalen westlichen Tradition, die der individuellen Freiheit einen zentralen Wert beimisst. Autonomes Handeln ist nach den Autor*innen nur erreicht, wenn 1. eine Entscheidung intentional, also bewusst getroffen wird, 2. ein Verständnis der Entscheidungsmöglichkeit vorliegt und 3. die Entscheidung der betroffenen Person nicht von außen beeinflusst wird. Die Rechtfertigung der Informierten Einwilligung mit der Autonomie von Proband*innen heißt jedoch nicht, dass dies auch die wesentliche Funktion ist, die sie für Institutionen erfüllt. Die Informierte Einwilligung hat nämlich auch noch eine zweite Bedeutung: die Einhaltung der sozialen Regeln der Einwilligung aus Perspektive des medizinischen Personals und der Institutionen. Nach Beauchamp und Childress besteht oft eine Diskrepanz zwischen autonomiebasiertem Verständnis von Informierter Einwilligung und dem Einholen von einer Einwilligung nach institutionellen Kriterien.(2)

In ihrem Standardwerk der Bioethik unterteilen die Autor*innen die Informierte Einwilligung in sieben Komponenten: I. Voraussetzungen: 1. Einwilligungsfähigkeit, 2. Freiwilligkeit; II. Informationsmerkmale: 3. Bereitstellung wesentlicher Informationen, 4. Empfehlung eines Vorgehens und 5. Verstehen (von 3. und 4.); III. Zustimmungsmerkmale: 6. Entscheidung für ein Vorgehen, 7. Autorisierung des gewählten Vorgehens.

Dass die Informierte Einwilligung eine zentrale Rolle in der Medizin und Wissenschaft spielt bzw. überhaupt existiert, war nicht immer so und es muss auch nicht so bleiben. Erst Mitte der 1950er Jahre wurde das Konzept in den USA entwickelt, und noch später in Europa und Asien eingeführt. Inzwischen werden im Feld der Biobanken und Big-Data-Forschung neue Einwilligungsmodelle für notwendig erklärt, da es Forschenden im Augenblick der Datenerhebung nicht möglich ist, alle zukünftigen Forschungszwecke mit diesen Datensammlungen vorherzusagen. 

Wohltätigkeit reicht nicht

Die Betonung der Autonomie und Rechte von Patient*innen oder Studienteilnehmenden ist eine neuere Entwicklung, die nach Faden und Beauchamp in erster Linie von außen an die Medizin herangetragen wurde. Historisch gesehen ist der Grundstein aller medizinischen Ethik die Wohltätigkeit: primum non nocere, secundum cavere, tertium sanare (erstens nicht schaden, zweitens vorsichtig sein, drittens heilen) sind die Prinzipien der hippokratischen Tradition. Auch bei klinischen Studien ist Wohltätigkeit ein zentrales Motiv. Das zeigt sich in der Begründung für Studien, einen Beitrag zur Therapieentwicklung oder zum Erhalt von Gesundheit durch die Erprobung von präventiven Maßnahmen leisten zu wollen. Schwammiger wird es bei Biobanken, die Proben und Daten der Teilnehmenden für die biomedizinische Grundlagenforschung sammeln. Auch hier wird von Forscher*innen der Nutzen für die allgemeine Gesundheit in den Vordergrund gestellt: Beispielsweise, wenn statistische Zusammenhänge zwischen Biomarkern und Erkrankungen Hinweise für zukünftige Therapieentwicklung und Prävention liefern soll. Das Potenzial eines direkten Nutzens für die Proband*innen ist jedoch – anders als bei klinischen Studien – gering oder gar nicht vorhanden. Obwohl es bei beiden Arten von Studien wichtig ist, Schäden für die Versuchsperson zu vermeiden, darf von der therapeutischen Forschung berechtigterweise ein erhöhtes Schadenspotenzial ausgehen, wenn dieses durch einen angemessenen möglichen Nutzen für die betroffene Person ausgeglichen wird.

Wohltätigkeit als Prinzip alleine reicht jedoch nicht aus: Es führt zu einem medizinischen Paternalismus, bei dem Ärzt*innen zum vermeintlichen Nutzen der Patient*innen in einer Art elterlichen Rolle über deren Kopf hinweg entscheiden. Paternalistische Dynamiken können auch im nicht therapeutischen Forschungskontext in Erscheinung treten, wenn z. B. angenommen wird, dass eine Mitentscheidung durch Proband*innen das Risiko, die als gemeinnützig formulierten Forschungsziele zu erreichen, verringern würde.

Gerichtlich erstritten, durch Proteste erkämpft und zuletzt freiwillig

Die Faktoren, die zur Etablierung der Informierten Einwilligung als Leitprinzip der Medizin und Forschung führten, sind vielfältig und basieren auf dem Zusammenspiel von diversen Strukturen, Ereignissen und Protestbewegungen. Ein Aspekt waren vermehrte Rechtsstreitigkeiten nach missglückten ärztlichen Behandlungen – der englische Begriff des Informed Consent wurde in den USA im juristischen Kontext geprägt. 1957 verklagte der Patient Martin Salgo die Kuratoriumsmitglieder der Stanford University und seinen Arzt Frank Gerbode. Laut Salgo seien weder er noch seine Familie über die Einzelheiten und Risiken einer Behandlung informiert worden, die zu einer dauerhaften Lähmung geführt habe. Er gewann den Fall, ihm wurden 250.000 US-Dollar zugesprochen. Für Ärzt*innen bestand also ein Interesse, sich die Information und Einwilligung von Patient*innen schriftlich bestätigen zu lassen, um sich vor einem wirtschaftlichen Risiko zu schützen.

Ein weiterer Faktor waren die gesellschaftlichen Bewegungen, die individuelle Freiheiten und soziale Gerechtigkeit erkämpften und die sowohl das Recht als auch Ethik und Medizin beeinflussten. Die Themen, die u. a. von den antirassistischen Bürgerrechtsprotesten, feministischen Bewegungen und bei Kämpfen für Behindertenrechte aufgeworfen wurden, beinhalteten häufig auch Gesundheits­aspekte: reproduktive Rechte, Abtreibung und Verhütung, das Recht auf Information, den Zugang zu Gesundheitsversorgung, Kritik an Menschenversuchen etc. Gleichzeitig wurden in den USA Fälle von ärztlichem Missbrauch und Forschungsskandale bekannt, die zusammen mit der Aufklärung über die ärztlichen Schreckenstaten im Nationalsozialismus Misstrauen gegenüber dem medizinischen System schürten. 

Das Entsetzen über die Beteiligung bzw. federführende Rolle von Ärzt*innen in den Nazi-Verbrechen führte zu einer nachhaltigen Veränderung im Umgang mit Versuchspersonen. Der Nürnberger Kodex stellte die erste große Einschränkung von medizinischer Forschungsfreiheit dar. Er wurde 1948 als Teil des Urteils des Nürnberger Prozesses gegen deutsche Ärzte erlassen, die an biomedizinischen Experimenten in Konzentrationslagern beteiligt waren. Der erste Satz des Kodexes lautet: „Die freiwillige Zustimmung der Versuchsperson ist unbedingt erforderlich.“ Zudem verlangt er, dass Betroffene in die Lage versetzt werden müssen, eine „verständige und informierte Entscheidung treffen zu können“. Die durch die Nürnberger Prozesse zu Tage geförderten Verbrechen wurden als Gefahr für die Integrität und den Ruf der Medizin wahrgenommen. Unter anderem um diese Bedrohung einzudämmen, begann der Weltärztebund (WMA) Anfang der 1960er Jahre mit der Ausarbeitung eines geeigneteren Kodexes, um ethische von unethischer klinischer Forschung zu unterscheiden. 1964 wurde er als Deklaration von Helsinki auf einer Tagung beschlossen. Diese macht die Einwilligung zu einer zentralen Anforderung an die ethische Forschung. Diese Forderung war mit einer einflussreichen Unterscheidung zwischen therapeutischer und nicht therapeutischer Forschung verbunden. Während diese erste Version den Bedarf einer Einwilligung bei therapeutischer Forschung von der „Psychologie des Patienten“ abhängig machte, verlangte sie bei nicht therapeutischer Forschung immer eine Einwilligung (bzw. die eines Vormundes bei nicht einwilligungsfähigen Personen). Die Deklaration stellt – als erster bedeutender Versuch einer Selbstregulierung – einen Meilenstein in der Medizinethik dar. Inzwischen wurde sie zum zehnten Mal überarbeitet und die Revision im Oktober 2024 verabschiedet. In ihrer letzten Version wurde u. a. der Schutz für vulnerable Bevölkerungsgruppen verstärkt.(3)

Laut Faden und Beauchamp lässt sich der große Einfluss des Rechts auf die medizinische Praxis so erklären, dass Gerichte bereits über eine Struktur verfügten, die besser für die Behandlung von Fragen der Einwilligung geeignet war als die Medizin oder die Medizinethik. Das Recht besaß früher passende Prinzipien, während diese in der Medizin noch entwickelt werden mussten. Dies geschah wie beschrieben mit dem Nürnberg-Kodex und der Deklaration von Helsinki, die die freiwillige Zustimmung von Versuchspersonen in das Zentrum stellten. In den Jahrzehnten danach führte die Entwicklung neuer transformativer Medizintechnologien wie Organtransplantationen, Reproduktions- und Gentechnologien zu einem exponentiellen Wachstum des neu entstandenen Feldes der Bioethik und zu der weiteren Ausdifferenzierung medizinethischer Prinzipien. 

Informierte Einwilligung auf Deutsch

Auch in der Bundesrepublik Deutschland ist das Konzept der Informierten Einwilligung juristisch geprägt: Jeder ärztliche Eingriff in die körperliche Integrität der Patient*innen, in den diese*r nicht eingewilligt hat, erfüllt zivilrechtlich den Straftatbestand der Körperverletzung nach §223 des Strafgesetzbuches und §823 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Dies gilt auch, wenn der Eingriff wohltätig gemeint ist und der Gesundheit der betroffenen Person dient. 

Wie im US-amerikanischen Kontext entstand der deutsche Standard der Informierten Einwilligung zunächst nicht durch Selbstregulation von Medizin und Forschung, sondern wurde zunächst von außen initiiert bzw. aufgezwungen. Ein Beitrag der Medizinhistoriker Friedrich Moll und Matthis Krischel zur medizinethischen Debatte ab 1900 erläutert, dass diese u. a. vom Bekanntwerden der unethischen Forschung des renommierten Dermatologen Albert Neisser angetrieben wurde.(4) Dieser hatte gesunden Proband*innen Syphilisbakterien injiziert und seine Fahrlässigkeit in seinen wissenschaftlichen Veröffentlichungen dokumentiert. Menschenexperimente wie diese, bei denen meist armutsbetroffene Patient*innen ohne Einwilligung absichtlich mit gefährlichen Erregern infiziert wurden, gerieten zunehmend in Kritik, auch innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft. Neisser wurde gerichtlich zu einer Geldstrafe verurteilt, die seinem Ruf und seiner Karriere zwar nicht nachhaltig schadete, doch das zuständige preußische Ministerium veröffentlichte anlässlich des Urteils eine Anweisung für nicht therapeutische medizinische Forschung, die eine Einwilligung nach einer „sachgemäßen Belehrung über möglicherweise nachteilige Folgen“ voraussetzt. Umgesetzt wurde sie allerdings nicht unbedingt: Paul Ehrlich, der Namensgeber des heutigen Instituts für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel, z. B. testete den Wirkstoff Arsphenamin zur Syphilistherapie an Hunderten Patient*innen, ohne dass diese eingewilligt hatten. 

Im Jahr 1931 wurde die Informierte Einwilligung als Grundlage für Menschenversuche erneut durch Forschungsrichtlinien des Reichsinnenministeriums bestätigt. Richtlinien, die formal auch während der Zeit des Nationalsozialismus gültig waren. Auslöser war u. a. ein Skandal in Lübeck, bei dem durch einen verunreinigten Tuberkulose-­Lebendimpfstoff insgesamt 77 Menschen, darunter vor allem Kinder, starben. Zudem blieb – im noch immer paternalistisch geprägten ärztlichen Selbstverständnis – Interpretationsspielraum, was eine laut Richtlinien „zweckentsprechende Belehrung“ darstellt. Moll und Krischel verweisen jedoch darauf, dass die Richtlinien in anderen Aspekten bereits inhaltlich über den Nürnberger Kodex und die erste Fassung der Deklaration von Helsinki hinausgingen. Diese wiederum zeigten in der Bundesrepublik Deutschland erst sehr spät Wirkung: Angelehnt an die Deklaration von Helsinki wurde 1988 vom Deutschen Ärztetag der Zusatzparagraf 1a zur (Muster-)„Berufsordnung für die deutschen Ärztinnen und Ärzte“ beschlossen, wonach „der Arzt das Selbstbestimmungsrecht des Patienten zu achten (hat)“. Erst 1997 wurde die Berufsordnung überarbeitet und der Wechsel vom „Wohl“ zum „Willen des Patienten“ als oberstes Gebot für das ärztliche Handeln vollzogen.(5)

Forschungsfreiheit vs. Autonomie?

Wenn auch heutiges Leitprinzip, ist die Informierte Einwilligung in medizinischer Behandlung als auch Forschung nicht unumstritten. Aus Perspektive der Proband*innen- und Patient*innenrechte stellt sich die Frage, inwieweit eine wirklich autonome Entscheidung überhaupt möglich ist. Immer noch herrscht eine paternalistische Beziehung in dem Ungleichgewicht zwischen Patient*in und Ärzt*in, das sich aus den Positionen und Strukturen heraus ergibt. In vorher festgelegten Studiendesigns – wie sie aus wissenschaftlicher Sicht essenziell sind – gibt es für individuelle Proband*innen wenig zu entscheiden außer eine grundsätzliche Entscheidung für oder gegen die Teilnahme. Bei der Erprobung von therapeutischen Behandlungen sind Patient*innen zudem z. T. in einer medizinischen Notlage, die ihre Entscheidungsfreiheit beeinflusst. Zusätzliche Herausforderungen stellen die unterschiedlichen Wissensstände dar sowie die individuellen Kompetenzen von Ärzt*innen und Forschenden, Behandlungen oder Studieninhalte verständlich zu kommunizieren. 

Eine ganz neue Herausforderung für die Informierte Einwilligung stellt jedoch ein neues Forschungsmodell dar, dass durch die bioinformatische Technologieentwicklung und große öffentliche Investitionen möglich gemacht wurde: der Wandel von begrenzten Hypothesen-orientierten Forschungsprojekten zur Hypothesen-freien Aufbewahrung von Bioproben für zukünftige – und oftmals nicht spezifizierte Nutzung – innerhalb großer und z. T. international angelegter Projekte. Zum einen dient die Speicherung von Daten und Material explizit dazu, diese für zukünftige Forschungsfragen nutzbar zu machen, die zum Zeitpunkt der Studienteilnahme auch den Forschenden selber noch unklar sind. Zum anderen ermöglicht die Forschung mit den Datensätzen von (Hundert-)Tausenden Proband*innen Big-Data-Analysen mittels künstlicher Intelligenz, bei denen nach unerwarteten Mustern und Korrelationen gesucht wird – unerwartet für Studienteilnehmende, aber auch für die Forschenden. Wie der Rechtswissenschaftler Michael Froomkin schreibt, ist es gerade diese Möglichkeit zur Entdeckung überraschender Zusammenhänge, die den Reiz der modernen Analytik ausmacht.(6) Laut Froomkin ist die Informierte Einwilligung daher unvereinbar mit dieser Art von Forschung. 

Im Kontext von Biobanken wurden in den letzten Jahrzehnten neue Einwilligungsmodelle entwickelt. Der Broad Consent (breite oder allgemeine Einwilligung) sieht vor, dass Studienteilnehmende ihre Zustimmung zur Verwendung ihres Körpermaterials und ihrer Daten für eine bestimmte, grob umrissene Forschungsrichtung geben. Ihre Einwilligung gilt für einen bestimmten Zeitrahmen oder kann unbegrenzt sein. Dabei prüfen – statt den Proband*innen selber – Ethikkommissionen die einzelnen Forschungsprojekte auf Risiken und Wertigkeit ihrer Ziele. Ein Blanket Consent (pauschale Zustimmung) dagegen gibt Datensammlungen unabhängig vom Zweck frei – auch über biomedizinische Forschung hinaus. Einige Befürworter*innen argumentieren, es handele sich bei beiden Modellen um eine Informierte Einwilligung und autonome Entscheidung, da sich Proband*innen auch hier frei für oder gegen die Studienteilnahme entscheiden könnten. Zudem seien Biobanken eine wichtige Forschungsressource, die durch spezifische Abfragen der Einwilligung zu jedem einzelnen Forschungsprojekt gefährdet würden. Eine Alternative stellt der Dynamic Consent (dynamische Einwilligung) dar, bei dem Proband*innen softwaregestützt immer wieder gefragt werden, ob sie der Nutzung ihrer Daten zu bestimmten Forschungsprojekten zustimmen. Bisher nutzen aber nur ein Bruchteil der weltweiten Forschungsprojekte diese Einwilligungsform. Ein weiterer Vorschlag ist der Meta Consent, bei dem Proband*innen angeben können, wie detailliert sie über zukünftige Verwendungen ihrer Daten informiert und nach Erlaubnis gefragt werden sollen.

Die neuen Einwilligungsmodelle mögen eine pragmatische Lösung für die Umsetzung von Biobanken sein, aber einige scheinen nicht vereinbar mit der Informierten Einwilligung, wie sie in der Deklaration von Helsinki beschrieben wird. Die Verlagerung der Entscheidung über einzelne Forschungsprojekte auf Ethikkommissionen oder andere Gremien könnte auch als ein neuer Paternalismus beschrieben werden, bei dem Expert*innen den Studienteilnehmenden die komplexe Entscheidung über Risiko und Nutzen zum als wohltätig begründeten Nutzen für die Gemeinschaft „abnehmen“. Auf S.12 in diesem Heft beleuchte ich die Knackpunkte der Biobank-Forschung intensiver. Dass der vermeintlich überwundene ärztliche Paternalismus auch bei modernen biomedizinischen Studien wirkt, zeigt der Bericht eines Betroffenen unter einem Pseudonym (S.17) der seine Erfahrung schildert, wie ein „Schuljunge einem Lehrer“ seinem Arzt gegenüberzustehen, als dieser ihn auffordert seine Daten einer genetischen Studie zu „spenden“. Der Psychiater Andreas Meißner beschäftigt sich mit der Informierten Einwilligung im Kontext einer Studie, in der wir alle (wenn wir nicht aktiv widersprechen) Teilnehmende sind: Dieses Jahr wird die elektronische Patientenakte (ePA) eingeführt und die darin enthaltenen Daten anonymisiert zentral gespeichert, öffentlich sowie privatwirtschaftlich beforscht und über Grenzen hinweg geteilt (S.14). Die Debatte um Informierte Einwilligung hat weitere Kreise gezogen und beeinflusst auch andere Forschungskontexte. Der Schwerpunkt schließt daher mit einem Text des Soziologen Dalton George und Kolleg*innen (S.19) ab, der sich der Informierten Einwilligung in Bezug auf experimentelle Gentechnologien und indigene Rechte widmet. Auch hier werden die Grenzen der Autonomie von Betroffenen, Forschungsfreiheit und versprochenem Gemeinnutzen ausgelotet.

GID Meta
Erschienen in
GID-Ausgabe
272
vom Februar 2025
Seite 8 - 11

Dr. Isabelle Bartram ist Molekularbiologin und Mitarbeiterin des GeN.

zur Artikelübersicht