Biologische Vielfalt und Agrarkultur
Die Vielfalt von landwirtschaftlich genutzten Pflanzen und Tieren nimmt ab. Die Rahmenbedingungen bevorteilen Massenproduktion, mit der sich die Economies of Scale nutzen lassen. Vielfaltsfördernde Instrumente fehlen weitgehend, so dass nur ein Bruchteil der noch existierenden Pflanzensorten und Tierrassen genutzt wird. "Erhaltung durch Nutzung" heißt die Devise. Dazu bedarf es der Einbeziehung aller beteiligten Akteure - von der Zucht bis zur Vermarktung.
Wer sich mit Biodiversität beschäftigt, spürt schnell die Herausforderungen, die darin liegen, dass alles mit allem zusammenhängt. Dabei handelt es sich jeweils um dynamische Prozesse, weshalb das "stabile Gleichgewicht" als Ziel und Metapher für gesunde Ökosysteme nicht taugt. Auch reines Zählen von Genen, Arten und Ökosystemen wird der Erfassung und Bewertung von Vielfalt nicht gerecht. Dass weniger mehr sein kann, zeigen Ökosysteme wie Magerrasen mit ihrer typischen Flora und Fauna. Auswirkungen unterschiedlicher landwirtschaftlicher Bewirtschaftungsformen auf die Agrobiodiversität und die "wilde" Diversität sind bisher nicht ausreichend analysiert geschweige denn ökonomisch bewertet worden. Kosten der intensiven Landwirtschaft werden zu einem großen Teil externalisiert. Rahmenbedingungen für eine "Erhaltung durch Nutzung" vielfältiger Pflanzensorten und Tierrassen sind unterentwickelt; sie betreffen Zuchtziele, Eigentumsrechte, Sozio-Ökonomie und auch Ökologie und damit grundsätzliche Fragen der Agrarkultur und des Miteinander-Lebens.
Das Übereinkommen über die Biologische Vielfalt
Entgegen der verbreiteten Auffassung, das Übereinkommen über die Biologische Vielfalt (CBD) beschränke sich auf die "wilde" Biodiversität vom Schmetterling über Enzian, den Regenwald und Wale bis zum sibirischen Tiger, umschließt ihr Wirkspektrum auch die Agrobiodiversität, die Vielfalt der gezüchteten Pflanzensorten und Tierrassen. Inzwischen wird anerkannt, dass der Verlust der biologischen Vielfalt auch ein gravierendes Nachhaltigkeitsproblem darstellt. Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) hebt hervor: "Gen- und Artenverluste wiegen um so schwerer, als es sich um irreversible Vorgänge handelt".(1) Mit der CBD wurde 1992 auf der Weltkonferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung im brasilianischen Rio de Janeiro die wichtigste rechtliche Grundlage zur Erhaltung der biologischen Vielfalt verabschiedet. Deutschland ratifizierte die CBD bereits ein Jahr später und inzwischen beläuft sich die Zahl der Vertragsstaaten auf 187. Die Vielfalt umfasst laut CBD drei Ebenen: die Vielfalt der Gene, der Arten und der Ökosysteme. Ihre Erhaltung basiert auf drei Säulen:
- der Erhaltung und dem Schutz der biologischen Vielfalt,
- der nachhaltigen Nutzung von Tier- und Pflanzenarten sowie deren Lebensräumen und
- der gerechten Aufteilung der Vorteile, die sich aus der Nutzung dieser natürlichen Ressourcen ergeben.
Mit der expliziten Nennung von Lebensräumen, nachhaltiger Nutzung und Ökosystemen in der CBD finden die biologischen Zusammenhänge zwischen gezüchteter Biodiversität (Agrobiodiversität) und wilder Biodiversität ihre rechtliche Würdigung und damit die Basis für die Entwicklung von Schutzkonzepten, die beiden zugute kommen.
Ursachenvermeidung und Schadensbegrenzung
Früher beschränkte sich die Ausrichtung des Naturschutzes auf die Erhaltung der wilden Biodiversität. Danach galt jegliche landwirtschaftliche Nutzung als eine Bedrohung. Und auch heute noch gibt es Vertreter des segregativen Modells, das zum vermeintlichen Schutz der Natur eine intensive Landwirtschaft mit möglichst hohem Flächenertrag - bis hin zur Anwendung transgener Pflanzen - fordert. Nicht berücksichtigt bleibt bei dieser Sichtweise der relative Energieverbrauch. So ist in der Intensivproduktion trotz höherer Erträge das Verhältnis des Energiegehalts von Produkten (Output) zum Verbrauch der zu ihrer Herstellung benötigten - fossilen - Energie (Input) schlechter als in traditionellen Systemen. Bei der Bewertung der Erträge ebenfalls unberücksichtigt bleibt der dramatische Flächenverbrauch durch Übernutzung, Versalzung und vor allem Erosion, wodurch Flächen unbrauchbar werden für die landwirtschaftliche Erzeugung. Eine ganz andere - integrative - Sichtweise drängt sich bei Berücksichtigung der tatsächlichen Flächennutzung und -verteilung auf: Zirka 37 Prozent der Landoberfläche der Erde werden landwirtschaftlich genutzt.(2) Demgegenüber beträgt die dem Naturschutz vorbehaltene Fläche weltweit nur zirka 12 Prozent.(3) Erst bei näherer Betrachtung offenbart sich die Zwangsläufigkeit der engen (Lebens-) Zusammenhänge zwischen den gezüchteten und den wilden Arten: Letztere stehen in direkter Abhängigkeit von der Nutzung der gezüchteten Arten. Das landwirtschaftliche Produktionssystem entscheidet auf der landwirtschaftlich genutzten Fläche direkt über die Agrobiodiversität - die verwendeten Tierrassen und Pflanzensorten - und indirekt über die vergesellschaftete Flora und Fauna. Darüber hinaus erstrecken sich indirekte Wirkungen durch die Nutzung auf der landwirtschaftlich genutzten Fläche auf die Flora und Fauna der umgebenden nicht landwirtschaftlich genutzten Flächen. Extensive, kleinräumige Nutzung bietet wilden Kulturfolgern - Pflanzen und Tieren, deren Verbreitung eng mit der agrarischen Nutzung verbunden ist - die vielfältigsten Voraussetzungen. Als Naturschutzorganisationen nach der politischen Wende in Osteuropa zum Schutz der Vogelwelt die landwirtschaftliche Nutzung lokal vollends zurückdrängten, sank dort binnen weniger Jahre das Vogelaufkommen nach Art und Anzahl dramatisch. Insbesondere den Bodenbrütern war ihr Habitat abhanden gekommen. Für die Wiedereinführung der - extensiven - Weidehaltung wurden zum Beispiel in der Umgebung des Flusses Narew in Ostpolen, die auch als Amazonien Europas bezeichnet wird, Exemplare des Roten Polnischen Rindes genutzt. Bereits nach kurzer Zeit fanden sich wieder Bodenbrüter ein.
Der Büffel fehlt
Ein nur scheinbar kompliziertes Beispiel erhellt den gleichen Zusammenhang zwischen landwirtschaftlichem Produktionssystem und außerlandwirtschaftlichen Folgen. In afrikanischen Nationalparks erwarten Touristen in der Regel die so genannten Big Five: Elefant, Nashorn, Löwe, Leopard und Büffel. In einigen Parks des südlichen Afrika müssen sie sich aber mit den Big Four begnügen, der Büffel fehlt. Der Grund sind zu Tausenden insbesondere auf den Köpfen grassierende Zecken, die zum Erblinden und letztlich zum Tod der Büffel führen können. Als monatliche und später wöchentliche Desinfektionsbäder nicht mehr reichten und die Büffel fast täglich chemisch gereinigt werden mussten, wurden sie in andere Gebiete verfrachtet. Betroffen von dieser Entwicklung sind in der Regel kleinere Parks. Der Grund ist simpel und liegt in den die Parks umgebenden Monokulturen, wo auf Tausenden von Hektaren Ananas und anderes Obst produziert wird - überwiegend für den Export. Der intensive Chemieeinsatz führt in diesen lebensfeindlichen Zonen zum Verdrängen und Aussterben der Vögel, die uns in Großaufnahme, auf den Büffeln sitzend, als Zeckenvertilger so vertraut sind. Wären diese Parks von ökologischem Landbau umgeben, könnte dieser als Pufferzone wirken. Mit dem Konsum dieser Öko-Produkte - zum Beispiel hier in Deutschland - wäre ein direkter Beitrag zum Naturschutz verbunden. In der Regel werden aber die Chancen, die in der Ursachenvermeidung liegen, kaum genutzt. Seit Jahrzehnten wird versucht, die von den landwirtschaftlich genutzten Flächen ausgehenden Schäden durch Maßnahmen außerhalb dieser Flächen beziehungsweise an den Rändern der Nutzflächen zu kompensieren. Das Ackerrandstreifenprogramm, das den Nicht-Eintrag von Giften und chemischem Dünger belohnt, zählt zu den verbreitetsten und bekanntesten Maßnahmen. Wirkliche Ursachenvermeidung kann aber nur vom gewählten Produktionssystem selbst, das heißt von der eigentlichen Nutzung und somit von der genutzten Fläche ausgehen.
Agrobiodiversität entwickeln
Vor diesem Hintergrund startete im Herbst 2002 das Verbundprojekt "Agrobiodiversität entwickeln - was hemmt sie und was fördert sie?", finanziert im Rahmen der sozialökologischen Forschung des Bundesforschungsministeriums (BMBF). Die ersten eineinhalb Jahre galten der Analyse des Status quo bei den Tierrassen und Pflanzensorten unter besonderer Berücksichtigung der Frage nach den Rahmenbedingungen, die zu den jeweiligen spezifischen Entwicklungen geführt hatten - beim Rind anders als beim Schwein und beim Gemüse anders als beim Weizen. Dieser ersten Phase sollte eine Impulsphase folgen, in der konkrete Projekte zur "Erhaltung und Förderung durch Nutzung" angestoßen werden sollten. "Erhaltung durch Nutzung" ist, wie oben gezeigt, auch Leitmotiv des UN-Übereinkommens zur Biologischen Vielfalt. Der übergreifende Zusammenhang zwischen diesen Impulsprojekten lag in der Überzeugung, dass züchterische Initiativen von Anbeginn an von Vermarktungskonzepten begleitet werden müssen. Das schließt jeweils die Einbeziehung aller am Prozess beteiligten Akteure ein. Ein weiterer Impuls sollte im Bereich der Entwicklung von Instrumenten zur Vielfaltsförderung erfolgen, die bisher noch kaum zur Verfügung stehen. Da der Antrag für die Impulsphase vom BMBF nicht genehmigt worden ist, wird an anderen Umsetzungsmöglichkeiten gearbeitet.
Kulturlandschaften und Agrobiodiversität
Die züchterische Entwicklung von Nutztierrassen und Kulturpflanzen wurde lange Zeit von bäuerlichen Gemeinschaften kooperativ durchgeführt. Jede Generation baute unter regional und geschichtlich unterschiedlichen Produktionsweisen und Lebenswelten auf den Leistungen der vorherigen Generation auf. Viele Pflanzen und Tiere wurden dabei aus Zentren außerhalb Europas eingeführt. Agrobiodiversität ist das Ergebnis internationalen Austauschs und kollektiver Anstrengungen. In Deutschland gibt es fast überhaupt keine Natur im ursprünglichen Sinne mehr, sondern flächendeckend nur noch sogenannte Kulturlandschaften. Der Begriff Kulturlandschaft steht für die anthropogenen Einflüsse auf die Entwicklung der Landschaft, sagt aber nichts aus über die Bewirtschaftungsform und somit über den Charakter und das Erscheinungsbild einer jeweiligen Landschaft. Der WBGU hebt hervor: "Ein Dilemma besteht darin, dass die moderne Landwirtschaft in Gefahr ist, eine ihrer Erfolgsgrundlagen zu vernichten: eben diese reichhaltige Vielfalt existierender Kulturpflanzen und Haustiere".(1) Das Spektrum der Kulturlandschaften reicht von "ausgeräumten" Landschaften mit intensiven Monokulturen bis zur kleinräumigen, vielfältigen, standortangepassten Landnutzung. Der Bewirtschaftungsform kommt somit sowohl ein weitreichendes Potenzial als Schadensverursacher als auch als Vielfaltsförderer zu. Bei Monokulturen finden bestenfalls nur die Insekten Nahrung, die an die jeweilige Pflanze angepasst sind. Da Monokulturen aber beste Voraussetzungen für ihre eigenen Schädlinge bieten, ist die massive Bekämpfung eben dieser Schädlinge die Regel - mit der Gefahr der Ausbreitung von Resistenzen. Intensive Landwirtschaft ist aber auch von einem massiven Rückgang der Weidehaltung gekennzeichnet. Das gilt artübergreifend und betrifft zum Beispiel auch die Milchviehhaltung.
Beweidung: das richtige Maß
Auf Flächen im Schwarzwald, die nicht beweidet werden, hat die vom Aussterben bedrohte Arnika in der Konkurrenz mit anderen Pflanzen keine Chance; aber auch auf Flächen mit einem Tierbesatz oberhalb von 1,5 GVE (1 Großvieheinheit beträgt 500 kg) ist sie kaum zu finden, da sie dann zu großen Tritt- und Fraßschäden ausgesetzt ist. Sie wächst und blüht hingegen auf Flächen mit angepasster Besatzdichte. Auf den steilen Hängen des Schwarzwaldes spielt zudem die Rassewahl eine Rolle, da nur die Hinterwälder - die kleinste und leichteste deutsche Rinderrasse - bei angemessener Besatzdichte keine Trittschäden verursachen und als angepasst gelten können. Der landschaftsprägende Einfluss der Beweidung zeigt sich sehr ausgeprägt in Form der Weidbuchen. Im Schwarzwald finden sich noch heute jahrhundertealte Exemplare, die teilweise aus bis zu 20 Stämmen zusammengesetzt sind: Weidenschösslinge sprießen - und werden abgefressen. Darauf sprießen weitere Schösslinge aus der selben Wurzel, werden aber auch abgefressen. Schösslinge haben erst dann eine Chance, wenn um sie herum bereits so viele angefressene Schösslinge stehen, dass die Rinder mit ihrem Hals nicht mehr bis in die Mitte reichen können. Die wachsenden Schösslinge bilden dann einen "Gemeinschaftsstamm" mit einer gemeinsamen Baumkrone.(4) Letztlich entscheidet das landwirtschaftliche Produktionssystem direkt über die Auswahl der Nutz-Arten und indirekt über die "Begleit"-Flora und -Fauna und somit die "wilde" Biodiversität. Dabei spielt der enge Zusammenhang zwischen der Wild- Flora und der Wild-Fauna eine große Rolle. Das Verschwinden eines Gehölzes verursacht das Verschwinden des Zehnfachen an Insekten, wodurch wiederum das Spektrum der Vögel Einbußen hinnehmen muss. Es ist diese habitatgebundene Nahrungskette, die das gesamte Potenzial aber auch das mögliche Schadensausmaß darstellt.
Agrarkultur - Erhaltung durch Nutzung
Während immer weniger gezüchtete Hühner, Schweine und Rinder freilandtauglich sind, nimmt die Vielfalt der verbleibenden Weiden immer mehr ab. Deutliches Zeichen dieser Verarmung ist aber auch, dass der Mistkäfer - ein Bioindikator für Weidebiotope - inzwischen auf der Roten Liste steht. Es ist inzwischen kein exklusives Expertenwissen mehr, dass es ohne die Erhaltung seines Lebensraumes, des Dschungels, keine Erhaltung des Tigers gibt, ebenso wie viele bodenbrütende Vogelarten als Habitat einer extensiv bewirtschafteten Rinderweide bedürfen. Dieses Postulat gilt es auf die Agrobiodiversität anzuwenden. Als Bestandteil von Kulturlandschaften haben landwirtschaftlich genutzte Tiere nur eine Chance, wenn auch diese erhalten bleiben. Dem entgegen verkümmern die ursprünglichen Lebensräume durch anthropogenen Einfluss zunehmend, und gleichzeitig liegt seit den 1950er Jahren die Ausrichtung der Zuchtziele neben der Leistungssteigerung erklärtermaßen auf der Standortunabhängigkeit. So führte die einseitige Selektion auf einheitliche Zuchtziele und rationalisierte Haltungsbedingungen zu einer extremen Anpassung und letztlich Angepasstheit an uniforme Standorte für die spezialisierten Nutzungsrichtungen bis hin zur "Käfig-Henne". Die Verfügbarkeit von Importfuttermitteln, Vitaminen, Hormonen, Aminosäuren und Antibiotika machte die Entwicklung zur ganzjährigen Stallhaltung möglich. Nur unter diesen rationalisierten und spezialisierten Bedingungen einer permanenten Standardisierung - der Tiere und ihres Lebensraumes - lassen sich die ökonomischen Vorteile durch große Produktionseinheiten - die so genannten "Economies of Scale" - ausnutzen. Es lassen sich in der industrialisierten Tierzucht klare Trends erkennen, durch die die Agrobiodiversität und eine nachhaltige Entwicklung der Tierzucht stark eingeschränkt werden (Idel und Mathes 2004):
- Verlust der Variabilität innerhalb der Rassen,
- Verlust der Variabilität zwischen den Rassen,
- Bevorzugung von Hochleistungsrassen,
- Ersatz und/oder Verdrängung einheimischer Rassen durch Hochleistungsrassen,
- zunehmender Einsatz künstlicher Fortpflanzungsmethoden,
- zunehmende Privatisierung der Tierzucht (Eigentumsrechte),
- Verlust von Zuchtwissen und -erfahrung in der Landwirtschaft und
- Mangel an freilandtauglichen Herkünften.
Genetische Vielfalt in der Tierzucht ist notwendig für nachhaltige Tierhaltung und ist Teil des Welterbes. Nach Schätzungen der FAO - der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen - sind aber in den vergangenen 100 Jahren 1.000 der anerkannten 6.400 Nutztierrassen ausgestorben. Die FAO warnt vor dem Aussterben von 2.000 weiteren hochbedrohten Rassen mit dem Hinweis darauf, dass derzeit jede Woche zwei lokale Rassen verschwinden - häufig ersetzt durch krankheitsanfällige Hochleistungsrassen und Hybriden. Die heute in der EU verbreiteten landwirtschaftlich genutzten Tiere entstammen überwiegend Hochleistungsrassen oder Hybridlinien. Bedenklich ist nicht nur, dass zahlreiche Rassen vom Aussterben bedroht sind, sondern auch die kleiner werdende genetische Basis der Hochleistungsrassen. Die Konzentration der Verfügungsgewalt über züchterische Entscheidungen auf immer weniger Menschen ist zudem mit einem Verlust von züchterischem Erfahrungswissen verbunden. Diese Entwicklung betrifft auch die ökologische Landwirtschaft, da sie bisher nicht über eine eigene Tierzucht verfügt.(5) Somit ist sie von züchterischen Entscheidungen abhängig, die nicht für die Belange standortangepasster Tierhaltung getroffen werden. Am deutlichsten zeigt sich die Diskrepanz zwischen Zuchtziel einerseits und Haltungsform andererseits bei der Freilandhaltung von Legehennen. Dabei handelt es sich in der Regel um Legehybriden, die seit Jahrzehnten für die Käfighaltung selektiert worden sind.(6) "Erhaltung durch Nutzung" - diese Devise gilt nicht nur für die oben genannten Big Five und die touristische Nutzung in exotischen Ländern. Urlaub machen wir in afrikanischen Nationalparks und nicht in der lebensfeindlichen Welt der Ananas-Monokulturen. Naheliegend - im wahrsten Sinne des Wortes - ist die "Erhaltung durch Nutzung" auch in unseren Breiten, wo wir ja unseren Urlaub mitnichten da verbringen wollen, wo Mais wächst und Gülle stinkt, soweit Auge und Nase reichen. Wir bevorzugen die kleinräumigen und vielfältigen Landschaften für alle Sinne. Ihre Erhaltung - durch Nutzung! - bedarf vielfältiger Anstrengungen und Kooperationen auf und zwischen allen Ebenen. Noch hat die Nachhaltigkeitspolitik diese Bereiche kaum erreicht. Aktuelle Chancen liegen in der Erarbeitung einer "Nationalen Strategie biologische[r] Vielfalt", mit der Ziele für alle biodiversitätsrelevanten Bereiche formuliert werden sollen. Andere Länder bezeichnen die Landwirtschaft per se als "Agrarkultur", beispielsweise Frankreich "l'agriculture" und England "agriculture". Mit "Agrarkultur" wird hingegen in Deutschland nicht der Status quo bezeichnet, sondern ein Leitbild, das neben den marktstrategischen ökologische, gesundheitliche, pädagogische und ethische Ziele für die Erzeugung, Verarbeitung und Vermarktung von Lebensmitteln verfolgt. Statt die Landwirtschaft auf die Erzeugung von Rohstoffen zu reduzieren, soll ihre Wertschöpfung erhöht werden und durch Reintegration in den Gesamtprozess eine Wieder-Inwertsetzung des landwirtschaftlichen Produktionsprozesses und damit der ländlichen Region und ihrer Produkte erreicht werden. Dieser Wieder-Inwertsetzung kommt erhebliche soziale Bedeutung für eine nachhaltige landwirtschaftliche Erzeugung zu.(7)
Weitere Informationen:
Das Übereinkommen der Vereinten Nationen zur Erhaltung der Biologischen Vielfalt, im Internet unter www.biodiv.org.
Quellen:
Idel A, Mathes M (2003): Warum die Tierzucht ökologisiert werden muss. In: Landwirtschaft 2004. Der Kritische Agrarbericht. Hrsg. Agrarbündnis. AbL-Bauernblatt Verlag, Hamm 2003, 197 - 202
Fußnoten:
- WBGU (2000): Welt im Wandel. Erhaltung und nachhaltige Nutzung der Biosphäre. Berlin
- Krug, A.; Kärcher, A. (2005): Organic Farming and Biodiversity - Current Contributions and Future Possibilities. In: Stolton, S. (Hrsg.), Organic Agriculture for Biodiversity: Current Contributions and Future Possibilities: Proceedings of the Third International IFOAM Conference on Biodiversity and Organic Agriculture, IUCN, UNEP and IFOAM, Bonn, (im Druck)
- Stolton, S.; Dudley, N. (2005): Biodiversity and Organic Agriculture: Introduction. In: Stolton, S. (Hrsg.), Organic Agriculture for Biodiversity: Current Contributions and Future Possibilities: Proceedings of the Third International IFOAM Conference on Biodiversity and Organic Agriculture, IUCN, UNEP and IFOAM, Bonn, (im Druck)
- Schwabe, A.; Kratochwil, A. (1986): Zur Verbreitung und Individualgeschichte von Weidbuchen im Schwarzwald.- Abhandl. West. Mus. Nat.kde 48 (2/3): 21 - 54. Münster (Westf.). (Festband E. Burrichter).
- Idel, A. (2005): Biodiversity and Animal Husbandry. In: Stolton, S. (Hrsg.), Organic Agriculture for Biodiversity: Current Contributions and Future Possibilities: Proceedings of the Third International IFOAM Conference on Biodiversity and Organic Agriculture, IUCN, UNEP and IFOAM, Bonn, (im Druck)
- Idel, A.; Petschow, U. (2004): Das globale Huhn. In: Ressourcenkonflikte, Hrsg.: Vereinigung zur Kritik der politischen Ökonomie e.V., PROKLA 135, Zeitschrift für kritische Sozialwirtschaft, Verlag Westfälisches Dampfboot, Münster 263 - 285
- Gottwald, F. T. (2002): Agrarkulturelle Perspektiven einer nachhaltigen Land- und Lebensmittelwirtschaft. In: Publikation zum Symposium aus Anlass des 250. Geburtstages von Albrecht Daniel Thaer. Eigenverlag, Berlin
Anita Idel ist Tierärztin und Mediatorin. Sie ist Gründungsmitglied und langjährige Beirätin des GeN.