Biotech macht Schule

In konzertierten Aktionen versuchen Forschungseinrichtungen, unternehmensnahe Stiftungen und Industrie den Unterricht in allgemein- und berufsbildenden Schulen umzukrempeln: Naturwissenschaftliche Ausbildung soll "standortdienlich" sein und die Akzeptanz der Biotechnologie erhöhen. Die Frage, ob und wie stark wirtschaftliche Interessen öffentliche Bildung mitgestalten sollten, wird gar nicht erst gestellt.

Seit Oktober 2002 verfügt das Bertha-von-Suttner Gymnasium im schwäbischen Neu-Ulm über ein Gentechnik-Labor. Darin dürfen die Schüler nun auch an gentechnisch veränderten Organismen arbeiten. Besonders beliebt, berichtet der Fachlehrer für Biologie, sei ein Experiment, bei dem E-coli Bakterien ein Protein der Tiefseequalle eingefügt wird, so dass sie grün fluoreszieren.(1) Die Ausstattung ist Teil eines neuen Bildungsgangs, der in Baden-Württemberg inzwischen an rund zwanzig beruflichen Gymnasien eingerichtet wurde: Das Biotechnologische Gymnasium.(2) Es bündelt die an den Schulen bereits bestehende Ausbildung in Agrartechnik, Biologie, Datenverarbeitung, Verfahrenskunde und Chemie im Profilfach "Biotechnologie". Wie an anderen beruflichen Gymnasien können Schülerinnen und Schüler nach der vollendeten 10. Klasse im Gymnasium oder der Realschule auf ein solches Biotechnologisches Gymnasium wechseln und innerhalb von drei Jahren das Abitur erlangen; mit einem Unterschied: In der Prüfung zur allgemeinen Hochschulreife steht neben den landesweiten Pflichtfächern Deutsch und Mathematik auch Biotechnologie auf dem Programm.

Schule als Standortfaktor

"Wir bilden aus, um Fachkräfte für biotechnologische Betriebe zu liefern", erklärt der Direktor eines biotechnologischen Gymnasiums in Freiburg. Nicht umsonst befinden sich viele der Schulen, die das neue Profil eingerichtet haben, in den so genannten BioRegionen ­ Gegenden, in denen Firmengründungen vom Bundesforschungsministerium gezielt gefördert wurden. Es gehe darum, die "bundesweite Führungsrolle" Baden-Württembergs auf dem Biotechnologiemarkt zu behaupten. Gleichzeitig kämpfen Land und Regionen gegen Imageprobleme an: "Während pharmazeutische, medizinische Innovationen (Rote Biotechnologie) auf eine breite Akzeptanz in der Bevölkerung stoßen, fehlt diese noch weitgehend in den Bereichen der Grünen Biotechnologie", heißt es in einem Mitteilungsblatt für Gewerbliche Schulen, das vom Landesinstitut für Erziehung und Unterricht herausgegeben wird. Daher müsse man "in den Schulen ansetzen, um die Schülerinnen und Schüler so zu qualifizieren, dass sie die Chancen aber auch Risiken dieser innovativen Technologie beurteilen können, um durch Dialogfähigkeit und Fachkompetenz innovative Zukunftsentwicklungen in der Gesellschaft voranbringen zu können."(3) Im Klartext: während unverbesserliche Gentechnik-Kritiker in der Nachbarschaft Versuchsfelder zerstören und Ethikgremien die Vor- und Nachteile der Gentherapie rauf und runter diskutieren, soll die nächste Generation von Labortechnikern und Wissenschaftlern sicherheitshalber schon in der Schule an das gentechnische Experiment herangeführt werden.

Leise Akzeptanzbeschaffung

Neu ist diese Strategie grundsätzlich nicht: Wenn es um Akzeptanzbeschaffung bei zukünftigen Generationen geht, präsentieren forschungsnahe Politiker und Wissenschaftsverbände gerne "Wissenschaft zum Anfassen." Dieses Motto verfolgten beispielsweise das Bundesforschungsministerium und das Land Bayern mit mobilen Genlaboren, die bereits Ende der 90er Jahre quer durch das Bundesgebiet rollten. "Einseitige Propaganda statt umfassende Aufklärung" urteilte damals der bayrische Landtagsabgeordnete Volker Hartenstein von Bündnis 90/ Die Grünen. Das verwendete Informationsmaterial stamme entweder von der chemischen Industrie oder decke sich mit deren Forderungen.(4) Heute läuft die Akzeptanzbeschaffung meist leiser, flächendeckender und vor allem: weniger öffentlich. So gibt es mittlerweile im Umfeld zahlreicher Forschungseinrichtungen ein öffentliches Genlabor. Die Angebote ­ Seminare, Fortbildungen ­ richten sich gezielt an Schulen. Biotechunternehmen bieten Lehrern Betriebsbesichtigungen und Praktika an. Forschungsorganisationen entwickeln kostenlose Schulmaterialien und schreiben Schülerwettbewerbe zum Thema Genomforschung am Menschen aus. Solche Aktivitäten werden als "gesellschaftliches Engagement" präsentiert und als Bemühungen zum Dialog; tatsächlich dienen sie vor allem dazu, gentechnische Experimente gesellschaftsfähig zu machen, ihren vermeintlichen Nutzen (be)greifbar zu machen­ ganz nach dem Motto: Seht her, was es bisher schon alles gibt.

Bildungsreform à la BASF?

Doch solch sporadische Kontakte sind offensichtlich einigen Unternehmer- und Wissenschaftsverbänden nicht genug. So trafen sich Ende 2003 Vertreter der Firmen BASF, Degussa und Merck mit Vertretern des Kultusministeriums Baden-Württemberg, um diese bei der Einführung eines neuen Schulfachs "zu unterstützen".(5) Das Fach "Naturwissenschaft und Technik", das inzwischen bereits an circa zwanzig Versuchsschulen unterrichtet wird, soll die klassischen Fächer wie Physik und Chemie durch einen "fächervernetzten, praxisnahen und projektorientierten" Unterricht ergänzen. Besonderes Gewicht liegt auf experimentellem, handlungsorientiertem Arbeiten. Beispielsweise, so sehen es von der BASF erarbeitete Materialien für eine Unterrichtseinheit zum Thema Arzneimittel vor, sollen die Schüler am Beispiel Aspirin die Grundlagen der Wirkstoffsynthese, des Wirkungsnachweises und der Marktforschung erarbeiten.(6) Ab 2007 soll das Fach flächendeckend an allen baden-württembergischen Gymnasien eingeführt werden. Das Land sieht sich hier wiederum als Vorreiter und will sein Modell auch gerne in andere Bundesländer exportieren. Im Prinzip sind die öffentlichen Schulen auf eine solche experimentelle Ausrichtung überhaupt nicht eingestellt. Damit beispielsweise gentechnische Experimente durchgeführt werden dürfen, müssen laut Gesetz erst einmal entsprechende Zertifikate der Projektleiter und Sicherheitsvorkehrungen nachgewiesen werden. Es fehlt an einer adäquaten Ausbildung der Lehrkräfte, an aktuellen Lehrmaterialien, an moderner Laborausrüstung - und an Geld. Hier setzt NUGI an, ein landesweites "Netzwerk Universität, Gymnasium, Industrie", das von rund vierzig Unternehmen, vorwiegend aus der Computer- oder Medizinproduktebranche gefördert wird. Als Initiator des Projektes gilt der Ulmer Biotechnologe Erhard Stupperich, der nach "frustrierenden" Erfahrungen bei der Lehrerfortbildung beschloss, dass " die derzeit ungünstigsten Rahmenbedingungen geändert werden" müssen.(7) NUGI verfolgt die Neuorientierung des gymnasialen Biologieunterrichts unter Mitwirkung der Universitäten und der Industrie. Auf dem Weg dorthin vermittelt die Initiative Patenschaften zwischen ausgewählten beruflichen und allgemeinbildenden Gymnasien und der Industrie, sucht Sponsoren für technische Geräte, erstellt Unterrichtsmaterialien und bietet Fortbildungen "für motivierte Lehrer, Schüler sowie teilweise für ihre Eltern" an.(8) Auch Referendare sollen in das Netzwerk eingebunden werden, "um den Generationenwechsel in den Lehrerkollegien aktiv zu gestalten".(9) Nebenbei betreibt NUGI auch noch ein bisschen Eliteförderung: So werden "besonders leistungswillige und motivierte Schüler und Lehrer" im Ulmer Leistungszentrum für Biowissenschaften in einer Kleingruppe gefördert. Entsprechend ausgebildete SchülerInnen sollen später auch in die Grundschulen geschickt werden. Das Konzept scheint lückenlos darauf ausgelegt, auch ja keinen Zweifel an der Sinnhaftigkeit biotechnologischer Forschung aufkeimen zu lassen.

"Keep it simple and safe"

Entsprechend widerspruchsfrei ist auch das pädagogische Konzept von NUGI ausgelegt. "Keep it simple and safe" empfiehlt Stupperich für die Arbeit mit den exemplarisch erarbeiteten Unterrichtsmodulen. In diesen setzt das Lernen beim Experimentieren an, wobei den Partnergymnasien aus industriellen Verfahren abgeleitete Versuche angeboten werden ­ auf diese Weise sollen die SchülerInnen auf den praktischen Nutzen schließen können. Gesellschaftliche Hintergründe und Theorie seien zweitrangig. "(B)ei der Vermittlung eines Lernstoffs (müsse) nicht bei dessen frühen Anfängen begonnen werden", schreibt Eberhard Stupperich. "Die Auseinandersetzung mit dem Hershey-Chase-Experiment zur rein theoretischen Klärung der Frage, ob DNA oder Protein der Informationsspeicher in der Zelle sei, erscheint mir als pure Zeitverschwendung."(10) Schließlich fahre man auch Auto, ohne ein Maschinenbaustudium absolviert zu haben. Kritisches Denken ist in dieser verwertungsorientierten Biologieausbildung nicht angesagt. Wissenschaftsgeschichtliche oder -theoretische Reflexionen werden einfach abgeschnitten. Bildungssponsoring auf dem Vormarsch Ohnehin stellt sich die Frage, inwieweit in einer industrie-gesponsorten Umgebung unabhängiges Lehren und Lernen überhaupt möglich ist. Immerhin haben Unternehmen über das NUGI-Netz nicht nur Know-How und Fachkräfte, sondern auch finanzielle Mittel investiert. Allein die Bereitschaffung von Laborgeräten ließen sich beteiligte Unternehmen insgesamt rund 500.000 Euro kosten.(11) Und NUGI ist kein Einzelfall, darüber hinaus gibt es zahlreiche Initiativen, unternehmensnahe Stiftungen und freiwillige Arbeitsgruppen, welche die Kooperation von Schulen und Wirtschaft auf unterschiedlichen Ebenen unterstützen. Teils geht es um eine ­ sinnvolle ­ Rückbindung der beruflichen Ausbildung an Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt aber allzu oft stehen auch weitreichendere Ziele dahinter, wie Imagepflege, Produktplatzierung oder eine Anpassung der Lehrpläne an standortpolitische Interessen. Der Verbraucherzentrale Bundesverband (Vzbv) verfolgt mit Argwohn die Zunahme von Aktivitäten im Bereich des "Bildungssponsoring". In einer jüngst veröffentlichten Studie stellt der Verband fest, dass "Sponsoring mit Imagewerbung (...) Alltag an deutschen Schulen und der Unterschied zur reinen Produktwerbung (...) in vielen Fällen fließend" ist. "Eine Gratwanderung", befindet Vzbv-Vorstand Edda Müller. Die Finanzausstattung und das Bildungsangebot der Schulen dürften nicht Unternehmen überlassen werden. Die Kultusministerkonferenz sei daher aufgefordert, "durch nationale Standards Werbeaktionen im Umfeld von Schulen Einhalt zu bieten und klare Regeln für Bildungssponsoring zu verabschieden."(12)

  1. "Erste Reifeprüfung Biotechnologie", Badische Neueste Nachrichten, 24.03.04, S.20
  2. Berufliches Gymnasium der dreijährigen Aufbauform ­ biotechnologische Richtung (BTG), Lehrplan auf der Webseite des Landesinstituts für Erziehung und Unterricht
  3. Jürgen Braun, "Das Biotechnologische Gymnasium", ZPG Mitteilungen Gewerbliche Schulen, 2/01, Seite 8.
  4. Dietmar Winkler, Schule machen ­ aber wie?, GID 124, Februar 98.
  5. Ergebnisprotokoll zum NaT-Working-Treffen "Erfahrungsaustausch zum Thema NWT" neues Schulfach "Naturwissenschaft und Technik", November 2003 in Stuttgart, Stuttgart, den 09.01.04.
  6. Die Unterrichtsmaterialien sind online. http://www.nwt-bw.de
  7. Stupperich, Erhard, Das NUGI-Konzept- Ein innovatives Netzwerk Universität, Gymnasien, Industrie. Praxis der Naturwissenschaften ­ Biologie, Heft 8/49, Jg. 2000.
  8. Ebda.
  9. www.nugi-zentrum.de/nugi/Konzept.html
  10. Stupperich, Das NUGI-Konzept, S. 43.
  11. "Eisbrecher und Krustenaufreißer", www.bio-pro.de, 30.11.04
  12. Werbeverbot an Schulen gefordert. Verbraucherzentralen: KMK muss handeln, www.bildungsklick.de, 05.09.05

Quellen

  • Peter Strahlendorf, Jahrbuch Sponsoring 2001, Hamburg 2001
  • Helmut Schorlemmer, Werbung und Sponsoring an Schulen. Der Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule im Spannungsfeld von Werbemaßnahmen und Sponsoringaktivitäten, Erstellt im Auftrag des Verbraucherzentrale Bundesverbandes e. V., Juli 2005
Erschienen in
GID-Ausgabe
177
vom August 2006
Seite 4 - 6

Monika Feuerlein ist freie Journalistin und arbeitete mehrere Jahre lang als Redakteurin für den Gen-ethischen Informationsdienst (GID).

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Rekrutierungsoffensive

Auch Baden-Württemberg hat ein Gen-Mobil: Unter dem Slogan "BioLab Baden-Württemberg on Tour ­ Forschung, Leben, Zukunft" rollt das 30 Tonnen schwere Labor der Landesstiftung Baden-Württemberg seit drei Jahren durch das Ländle ­ mit großzügiger Unterstützung der Chemie-Verbände. "Sachlich und fundiert" sollen sich die Schüler und Schülerinnen mit diesem Angebot angeblich informieren können. Dabei hat das Projekt die Ausrichtung einer Rekrutierungsoffensive: Zunächst werden die Anwendungsmöglichkeiten der Biotechnologie schöngemalt, dann informieren Referenten über Ausbildungsmöglichkeiten und berufliche Perspektiven. Die Biotechnologie sei "eine Schlüsseltechnologie für Wachstum und die Entstehung qualifzierter Arbeitsplätze, erklärte beispielsweise Staatsrat für Lebens- und Gesundheitsschutz in Baden-Baden, Konrad Beyreuther. Sie biete "die Chance zur Lösung zahlreicher globaler Probleme im Zusammenhang mit Gesundheit, Alter, Ernährung und Umwelt". Da wünscht man der Biotechnologie doch gerne freie Fahrt! (mf)

Bildungssponsoring

"Sponsoring-Projekte und Partnerschaften mit Unternehmen bis hin zu großen Public-Private-Partnership-Aktivitäten gehören heute bereits zum Alltag für Schulen ­ dies bundesweit." Zu diesem Ergebnis kommt der Schulsponsoringberater des Landes Nordrhein-Westfalen Helmut Schorlemmer, der im vergangenen Jahr für die Verbraucherzentrale Bundesverband durchgeführt hat. Zwischen 1990 und 2000 hat die Summe, die Unternehmen in Deutschland für Sponsoringaktivitäten an Schulen ausgaben um 650 Prozent zugenommen ­ von 15,4 Milliarden auf rund 100 Milliarden Mark. Diese Gaben bleiben nicht ohne Gegenleistung: Sponsoring beruht auf dem Prinzip "Förderung gegen Imagewerbung" ­ darin unterscheidet es sich vom uneigennützigen Mäzenatentum. Die rechtlichen Regelungen zum Bildungssponsoring sind in den Bundesländern unterschiedlich. Während alle Schulgesetze der Einwerbung von Drittmitteln durch Schulen weitgehend freie Hand lassen, erlauben nur einige, so das Berliner Schulgesetz, die kommerzielle Produktwerbung. Darunter wird die "absichtliche Beeinflussung von Menschen" verstanden, mit dem Ziel, "sie für ein bestimmtes Produkt als Käufer zu gewinnen". (mf)