Neue mRNA-Impfstoffe
Mit Gen-Sequenzen gegen Corona-Viren?
Die ersten in der EU zugelassenen Covid-19-Impfstoffe sind sogenannte mRNA-Impfstoffe und folgen einem neuen, genbasierten Wirkprinzip. Doch wie funktionieren genhaltige Impfstoffe und was lösen sie im menschlichen Körper aus?
Impfungen können zwar (teils schwere) Impfreaktionen auslösen, die Immunreaktion führt im besten Fall aber zu einer langfristigen Immunität.
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Die Pandemie hat zu einer rasanten Entwicklung von Covid-19-Impfstoffen geführt, die teils auf konventionelle, seit über 100 Jahren genutzte Wirkprinzipien setzen. Vektor-, DNA- und mRNA-Impfstoffe hingegen folgen neuen, genbasierten Wirkmechanismen. Sie gelten der Forschung als wegweisende Waffe gegen die seit Jahrzehnten zunehmend aufkommenden Infektionskrankheiten, sind der Öffentlichkeit aber weitestgehend unbekannt.
Der Covid-19-Impfstoff Comirnaty aus dem Hause BioNTech ist der weltweit erste mRNA-Impfstoff. Da mRNA-Impfstoffe potenziell sogar Krebserkrankungen verhindern könnten, werden sie seit etwa 10 Jahren intensiv erforscht. Es liegen verschiedenste mRNA-Testimpfstoffe und einige Humanstudien vor. Arzneimittel können vielseitige Nebenwirkungen haben, sodass ihre Sicherheit allein davon abhängt, wie gut sie bereits erprobt wurden. Wird jedoch unser Erbgut in Mitleidenschaft gezogen, kann grundsätzlich die Entstehung einer Krebserkrankung begünstigt werden. Während viele Menschen sich fragen, ob mRNA-Impfstoffe genau dazu in der Lage sind, vermuten andere bereits hinter dem Einsatz gentechnischer Methoden in der Herstellung eine zusätzliche Gesundheitsgefahr. Um die Beschaffenheit und Wirkung von Impfstoffen zu verstehen, hilft es, das Immunsystem und die Bausteine des Lebens näher zu betrachten.1
Vom Gen zum Protein: mRNA
Die zellulären Gewebe aller Organismen – aber auch Viren – sind aus vier Grundsubstanzen aufgebaut. Neben Fetten und Kohlenhydraten sind vor allem Proteine und Nucleinsäuren (DNA, RNA) von zentraler Bedeutung. Protein- und Nucleinsäure-Moleküle sind lineare Polymere, setzen sich also – ähnlich einer bunten Perlenschnur – aus einer definierten Sequenz verknüpfter Bausteine zusammen. Mit etwa 50 bis 1.000 Bausteinen in rund 20 „Farben“ besitzen Proteine sehr individuelle Eigenschaften. Sie erfüllen in und auf jeder Zelle permanent zentrale Funktionen wie das Wahrnehmen (Rezeptoren) oder Herstellen (Enzyme) anderer (Protein-)Moleküle. Protein-Baupläne – oder Gene – sind in der „vierfarbigen“ DNA codiert. Die weit über 40.000 Gene des Menschen sind z.B. auf 46 DNA-Polymeren (Chromosomen) mit je 50 Mio. bis 250 Mio. Bausteinen verteilt.
Diese umfassende Zellkern-Bibliothek (Genom) ist durch eine Hülle vom Zell-Innenraum, dem Cytosol, getrennt. Da dort jedoch der Zusammenbau von Proteinen erfolgt, müssen deren Baupläne zunächst die Kernhülle passieren. Hier kommt die DNA-ähnliche Substanz RNA ins Spiel: RNA-Bausteine werden direkt am betreffenden DNA-Abschnitt zu einem RNA-Polymer, der messenger-RNA (mRNA), verknüpft. Diese kurzlebige, handliche Kopie des Gens verlässt den Zellkern und wird so lange zur Proteinproduktion genutzt, bis Enzyme sie abbauen. Die Zelle kann mRNA von anderen, zellulären RNA-Polymeren unterscheiden.
Viren sind keine eigenständigen Lebewesen und bestehen im Wesentlich aus einer Proteinkapsel, die ihr Genom umschließt. Sie sind viel kleiner als Zellen – um neue Viren zu erzeugen jedoch auf sie angewiesen. Mit ihrer Kapsel öffnen sie die Zellhülle einer Wirtszelle und schleusen ihr Genom hinein. Dort wird es vervielfältigt und zur Herstellung viraler Proteine genutzt. Während DNA-Viren DNA-förmiges Erbgut besitzen, enthalten RNA-Viren ein RNA-Genom. Es verbleibt zur Bildung neuer Viren meist im Cytosol, DNA-Genome müssen hingegen i.d.R. den Zellkern aufsuchen. Manche DNA-Viren integrieren ihr Genom sogar gezielt in das Erbgut der Wirtszelle (Provirus) – verändern es also. Solche Genom-Integrationen werden bei der Zellteilung weitergegeben und können folgenlos sein – oder z.B. die Entstehung einer Krebszelle begünstigen. Ein Teil des menschlichen Genoms besteht aus proviralen Sequenzen, wir sind solchen DNA-Veränderungen also häufig ausgesetzt.
Die Immunisierung
Bemerken Gewebsimmunzellen körperfremde Molekülfragmente, lösen sie eine unspezifische, angeborene Immunantwort bis hin zur Entzündung aus. Sie rufen z.B. weitere Immunzellen herbei, verleiben sich Eindringlinge durch Einstülpung ihrer Zellhülle ein, töten sie durch Freisetzung kleiner Moleküle oder eliminieren erkrankte Körperzellen, deren Oberflächenproteine z.B. einen Virusbefall signalisieren. Massive Unterstützung liefert die erregerspezifische, adaptive Immunantwort. Adaptive Immunzellen besitzen ausgewählte, passgenaue Proteine, mit denen sie eine bestimmte Infektion hocheffizient bekämpfen – vor allem, wenn diese bereits auftrat. Sie liegen in hunderttausendfacher genetischer Vielfalt, aber jeweils verschwindend geringer Stückzahl in den lymphatischen Organen vor.
Ihre Reifung wird durch fein im Gewebe verästelte Immunzellen initiiert, die kontinuierlich Proben ihrer Umgebungsflüssigkeit nehmen. Entdecken sie eine Infektion, z.B. durch Aufnahme eines viralen Proteins, wandern sie in die Lymphknoten, zerlegen ihren Fund unterwegs in kleine Bruchstücke und präsentieren diese Antigene auf ihrer Oberfläche. Adaptive Immunzellen, deren Rezeptor- und Antikörpervarianten das Antigen besonders gut binden, werden aktiviert. Sie steigern allmählich ihre Anzahl und suchen im Kampfmodus den Infektionsherd auf oder setzen Antikörper frei. Nach überstandener Krankheit bleibt ein Teil von ihnen zurück. Diese langlebigen Gedächtniszellen patrouillieren weiterhin durchs Gewebe oder verteilen Antikörper, sodass eine Reinfektion sofort effektiv bekämpft wird. Der Organismus ist gegen diesen Erreger nun teil-, zeitweise oder voll immunisiert.
Impfstoffe und Gentechnik
Gedächtniszellen können auch durch eine Impfung entstehen. Dabei wird dem Organismus kein Krankheitserreger, sondern ein abgetöteter, veränderter oder unvollständiger Ersatz, z.B. ein Teil seiner Hülle, angeboten. Die meisten Impfstoffe werden mit Hilfe gentechnischer Methoden hergestellt, d.h. Viren oder Zellen mit künstlich verändertem Erbgut sind beteiligt. Der Impfstoff muss deshalb jedoch keine Nucleinsäuren enthalten. Hepatitis-B-Impfstoffe enthalten z.B. ein virales Protein. Um es zu gewinnen, wird dessen Gen mit gentechnischen Methoden in einige Hefezellen eingeschleust. Immer wieder werden sie vermehrt, zur Protein-Produktion angeregt und schließlich zerstört, um das virale Protein für den Impfstoff zu extrahieren. Impfstoffe, die veränderte oder zerstörte Erreger enthalten (konventionelle Lebend- und Totimpfstoffe), werden ebenfalls mit Hilfe lebender Zellen produziert. Viren werden z.B. in Hühnereiern oder Zellkulturen vermehrt – eine aufwendige Technik, die das Risiko der Kontamination mit anderen Krankheitserregern birgt.
Die Wirkung konventioneller (Protein-)Impfstoffe tritt in erster Linie durch den direkten Kontakt des Immunsystems mit dem verabreichten Antigen, z.B. einem Protein-Bruchstück des Erregers, ein. Veränderte Impfstoff-Erreger können aber weiterhin fähig sein, Erbgut in Zellen einzuschleusen. Auch Vektor-Impfstoffe enthalten solche „lebenden“ Viren, jedoch keine Erreger-Viren, sondern genmanipulierte Transport-Viren. Dem DNA- oder RNA-Genom dieser sog. Vektor-Viren wurden einzelne Erreger-Gene hinzugefügt. Sie schleusen es in erreichbare Zellen, die die enthaltenen Erreger-Gene in Erreger-Proteine übersetzen und deren Bruchstücke ausscheiden – erst dann kann eine Immunisierung initiiert werden. Ist der Organismus gegen das Vektor-Virus immun, wirkt der Impfstoff ggf. nicht.
Dem genbasierten Wirkprinzip der Vektor-Impfstoffe folgen auch DNA- und mRNA-Impfstoffe. Sie enthalten „nackte“ Nucleinsäure-Polymere, die nach der Injektion in einzelne Körperzellen gelangen – dort gebildete Erreger-Proteine lösen die Immunisierung aus. Die Herstellung von DNA- und mRNA-Impfstoffen ist zwar indirekt von gentechnischen Methoden abhängig, kommt aber ohne die langwierige Kultivierung lebender Zellen aus. Aufwendige Genmanipulationen und die Abtrennung überflüssiger Biomasse entfallen. Das Verknüpfen von Nucleinsäure-Bausteinen kann als chemisch-enzymatische Synthese mit kommerziellen Reagenzien erfolgen. Die hergestellte Polymersequenz ist frei wählbar, sodass Nucleinsäure-Impfstoffe zügig an Erreger angepasst werden können.2, 3
Gefahr für unser Erbgut?
Impfstoffe mit genbasierter Wirkung sind keineswegs etabliert. Erste Vektor-Impfstoffe, z.B. gegen das Ebola-Virus, wurden erst vor wenigen Jahren zugelassen – DNA-Impfstoffe bisher gar keine. Die Befürchtung, jedes genbasierte Wirkprinzip gefährde unser Erbgut, ist allerdings nicht gerechtfertigt.
Über Vektor- oder DNA-Impfstoffe eingeschleuste DNA erreicht i.d.R. den Zellkern, wird dort in mRNA und im Cytosol in Proteine übersetzt. Im Kern kommt sie mit dem individuellen Erbgut des Organismus in Kontakt. Obwohl eine (gezielte) Integration unwahrscheinlich ist, bleibt sie in dieser Situation grundsätzlich möglich. Schon die zufällige Sequenzähnlichkeit zweier DNA-Polymere kann durch starke Interaktionen zu DNA-Veränderungen führen. Dies bliebt für die Zelle oftmals folgenlos – oder ist ein Schritt in Richtung Krebszelle.
Anders verhält es sich mit mRNA-Impfstoffen. Da sich RNA chemisch und strukturell von DNA unterscheidet, kann ein RNA-Polymer keinerlei sequenzverändernde Interaktion mit dem Erbgut im Zellkern eingehen. Auch eine zelluläre Umschreibung in DNA ist nahezu ausgeschlossen. Dieses Kunststück beherrschen nur Retro-Viren – eine Virensorte, die Eigenschaften von DNA- und RNA-Viren vereint. Über Vektor-Viren eingeschleuste RNA kann das Erbgut der Zelle folglich nur gefährden, wenn das eingesetzte Vektor-Virus ein solches Retro-Virus ist oder retrovirale Gene erhalten hat.
Neue mRNA-Impfstoffe: wirksam und sicher?
Durch ihre zell- und virusfreie Herstellung gelten mRNA-Impfstoffe als relativ sicher. Ihre Wirkung ist konventionellen Impfstoffen vor allem im Kampf gegen hartnäckige Viren überlegen, sodass aluminiumhaltige Wirkverstärker und hohe Dosen meist unnötig sind. RNA ist allerdings äußerst instabil. Stabilisatoren und spezielle RNA-Bausteine, die das Erscheinungsbild einer mRNA erzeugen, verlangsamen ihren Abbau. Der Zelleintritt wird meist durch eine Einbettung in fettlösliche Tröpfchensysteme erleichtert – eine Mischung potenziell schädlicher Hilfsstoffe. Welche Zellen den Impfstoff aufnehmen und wie lange hergestellte Proteine wo im Körper verbleiben ist vom Injektionsort abhängig, aber weitestgehend unklar. Alternative RNA-Bausteine dienen der Beschleunigung der Proteinproduktion. Es ist denkbar, dass dabei zufällige Protein-Moleküle generiert werden, die sich ggf. in einzelnen Zellen anreichern und sie schädigen könnten.
Einige experimentelle mRNA-Impfstoffe, z.B. gegen HI- oder Zika-Viren, erwiesen sich in klinischen Studien als gut verträglich. Andere verursachten bei einem Großteil der Testpersonen ausgeprägte, teils schwere Impfreaktionen. Dazu zählen Entzündungen an der Einstichstelle und kurzweilige, grippeähnliche Zustände. Fremde mRNA löst eine starke angeborene Immunantwort aus, die durch RNA-Bausteine, weitere RNA-Polymere und den Reinheitsgrad der mRNA beeinflusst werden kann. Sie trägt zur Aktivierung adaptiver Funktionen bei, kann jedoch auch außer Kontrolle geraten, sodass Ödeme oder systemische Entzündungen drohen. Außerdem können prädestinierte Personen durch Impfungen allergische oder autoimmune Reaktionen erleiden. Einige virale Atemwegserkrankungen z.B. nehmen in einzelnen Personen besonders schwere Verläufe. Statt das Immunsystem zu unterstützen, treiben dessen Antikörper eine schwere Lungenentzündung voran, z.B. weil Gedächtniszellen aktiviert wurden, die aus einer ähnlichen Infektion verblieben waren. Ebenso können Impfstoffe bei manchen Personen Gedächtniszellen erzeugen, die die Anfälligkeit für eine Erkrankung steigern und nicht senken. Dieser gefürchtete Effekt kann in klinischen Studien meist, aber nicht immer, erkannt werden.4
Die Weiterüberwachung zugelassener Impfstoffe ist gerade in der Hast einer Notlage besonders wichtig, denn seltene Nebenwirkungen und Langzeitfolgen sind unbekannt. Der Covid-19-Impfstoff Comirnaty verursachte bei rund zwei Prozent der Testpersonen schwere Impfreaktionen, manchmal kamen Komplikationen hinzu. Etwa 0,02 Prozent erlitten schwere Komplikation wie verzögert auftretende Lähmungen im Gesicht. Vereinzelt kam es nach der Zulassung zu allergischen Reaktionen. Ob Schwangere, Stillende, Kinder oder Menschen mit Autoimmunerkrankungen besondere Nebenwirkungen erfahren, ist noch offen. Ebenso ist offen, wie gut Comirnaty vor Covid-19 schützt, in welchen Fällen der Impfstoff die Anfälligkeit für Covid-19 erhöhen kann und ob bzw. wann sein Schutz durch neue Virus-Mutationen unterlaufen wird.5, 6
- 1Pardi, N. et al. (2018): mRNA vaccines – a new era in vaccinology. In: Nature Reviews Drug Discovery, 17, 4, S.261-279.
- 2Sharma, O. et al. (2020): A Review of the Progress and Challenges of Developing a Vaccine for COVID-19. In: Frontiers in Immunology, 11, S.2413-2430.
- 3Park, K. et. al. (2021): Non-viral COVID-19 vaccine delivery systems. In: Advanced Drug Delivery Reviews, 169, S.137-151.
- 4Lee, W. (2020): Antibody-dependent enhancement and SARS-CoV-2 vaccines and therapies. In: Nature Microbiology, 5, 10, S.1185-1191.
- 5Polack, F. et al. (2020): Safety and Efficacy of the BNT162b2 mRNA Covid-19 Vaccine. In: New England Journal of Medicine, 383, 27, S.2603-2615.
- 6Bundesministerium für Gesundheit (06.11.2020): Nationale Impfstrategie COVID-19. Online: www.bundesgesundheitsministerium.de [letzter Zugriff: 02.01.2020].
Theresa Roy war von Oktober 2020 bis April 2021 Redakteurin des GID und Mitarbeiterin im GeN.
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