Die Macht des Faktischen
Noch ist es nicht in trockenen Tüchern, das neue Gentechnikgesetz der Verbraucherministerin. Kaum aber hatte Renate Künast die Eckpunkte ihrer Novelle präsentiert, schon überschlugen sich landesweit die Reaktionen. Vor allem von Umwelt-, Verbraucher- und Bauernverbänden hagelte es Kritik – was zunächst überrascht, bekennt sich der Entwurf doch ausdrücklich zu „Wahlfreiheit“ und „Haftungsregelungen gemäß dem Verursacherprinzip“.
Auch Renate Künast gibt sich mehr als zufrieden: „Das Gesetz ist ein Durchbruch und ich freue mich auch persönlich über diesen Erfolg“, sagte sie der Berliner Zeitung. Sie habe damit der „Macht des Faktischen“ etwas entgegengesetzt, das heißt dem unaufhaltbaren Einzug der Grünen Gentechnik nach Europa beziehungsweise Deutschland. Was also ist auszusetzen am lange gereiften Künast‘schen Wurf? Der Teufel steckt wie so oft im Detail. Tatsächlich ist in der Novelle entsprechend dem Verursacherprinzip vorgesehen, bei gentechnischer Verschmutzung solche Landwirte in die Pflicht zu nehmen, die auf die neue Technologie setzen. Kann ein konventionell oder ökologisch arbeitender Bauer seine kontaminierte Ernte nicht mehr als „öko“ oder „Gentechnik-frei“ verkaufen, so hat er die Möglichkeit, den gentechnisch anbauenden Landwirt aus der Nachbarschaft auf Schadenersatz zu verklagen. Kommen mehrere Landwirte als Verursacher in Betracht, greift eine gesamtschuldnerische Haftung. Um herauszufinden, wer in seiner Nachbarschaft Gentechnik einsetzt, erhält der geschädigte Bauer Zugang zu einem eigens eingerichteten Standortregister.
Mit guter fachlicher Praxis
Die Haftungsregelung sehen Umweltverbände mit Skepsis. „Das würde eine Mehrbelastung für all diejenigen Landwirte bedeuten, die Gentechnik-frei anbauen wollen, weil sie im Schadensfall den teuren Beweisnachweis führen müssen“, beklagt Henning Strodthoff, Gentechnik-Experte bei Greenpeace. Außerdem biete das geplante Anbaukataster keinesfalls ausreichend Transparenz über Gentechnikanbau in der Nachbarschaft, weil es den Landwirten nur bei Nachweis eines „berechtigten Interesses“ zugänglich sei. Auch Heike Moldenhauer vom Referat Landnutzung des Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND) sieht die Informationspflichten der Landwirte im Gesetzentwurf nur mangelhaft berücksichtigt. „Angeblich soll die gute fachliche Praxis alles regeln – bloß ist bislang unklar, was darunter zu verstehen ist“, so Moldenhauer. Immerhin aber sei es als Erfolg zu bewerten, dass eine gentechnische Kontamination als Schaden definiert wurde.
Unkalkulierbares Rsiko
Anders als die Umweltverbände sorgt sich der Deutsche Bauernverband (DBV) um solche Landwirte, die künftig auf Gentechnik setzen wollen. Der Ansatz der gesamtschuldnerischen Haftung käme einem unkalkulierbaren Risiko gleich, meint der DBV. Schließlich könnten Landwirte auch dann zur Rechenschaft gezogen werden, wenn sie die gute fachliche Praxis einhalten und etwa für Sicherheitsabstände sorgen. Sollte die Haftung tatsächlich derart „verschuldensunabhängig“ geregelt werden, müsse der DBV allen Landwirten dringend vom Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen abraten. Verbraucherschützer hingegen befürchten, dass sich zusätzliche Kosten durch Grüne Gentechnik auf die Produktpreise auswirken und daher zu Lasten der Konsumenten gehen. Auch die Kennzeichnungsregeln stoßen ihnen bitter auf, die Vorsitzende der Verbraucherzentrale Bundesverband Edda Müller bezeichnet sie gar als „Mogelpackung“. Da tierische Lebensmittel wie Fleisch oder Milch selbst dann nicht gekennzeichnet werden müssten, wenn die Tiere mit gentechnisch verändertem Soja gefüttert würden, sei die Wahlfreiheit der Verbrauchers eingeschränkt. Die Aussage von Renate Künast, dass es keine Anhaltspunkte für eine Gesundheitsgefährdung durch gentechnisch veränderte Lebensmittel gebe, hält Müller für „erstaunlich“. Schließlich sei bislang kaum erforscht, wie sich die Gentechnik auf die menschliche Gesundheit auswirkt.
Eingeschränkte Wahlfreiheit
Ab dem April sollen EU-weit Lebens- und Futtermittel gekennzeichnet werden, wenn sie mehr als 0,9 Prozent zufällige gentechnische Verunreinigungen enthalten oder eines ihrer Bestandteile den Schwellenwert überschreitet. Laut Künast entscheiden künftig die Verbraucher darüber, ob sie Waren mit oder ohne Gentechnik wollen. Doch selbst wenn Handel und Lebensmittelhersteller gekennzeichnete Produkte vermeiden: Nach absolut Gentechnik-freier Ware wird der Verbraucher langfristig nicht mehr greifen können, sondern bestenfalls nach Produkten mit wenig Gentechnik. Das dürfte sogar für Bioware gelten. Denn darüber, was auf deutschen Äckern wächst und später auf dem Teller landet, entscheiden vor allem die europäischen Schwellenwerte für gentechnisch verunreinigtes Saatgut. Die Mitgliedsstaaten der EU konnten sich in dieser Frage noch nicht einigen. Je nachdem, wieviel unbeabsichtigte Verschmutzung sie tolerieren wollen, wird eine Grundkontamination von Saatgut – und daher auch von daraus resultierenden Lebensmitteln – auf Dauer ohnehin nicht mehr zu vermeiden sein, da diese nicht zu kennzeichnen wäre. Damit aber hätte die „Macht des Faktischen“ gesiegt, egal wie sehr das neue Gentechnikgesetz vorgibt, die Wahlfreiheit von Landwirt und Verbraucher zu garantieren.
Freiwillig Gentechnik-frei
Dass sich viele Bauern lieber nicht auf das neue Gentechnikgesetz verlassen, zeigt sich an der regen Gründung von Gentechnik-freien Zonen. Obwohl mittlerweile zur größten genfreien Region Deutschlands herangewachsen, ist beispielsweise das Modellprojekt in der Uckermark nordöstlich von Berlin noch lange nicht abgeschlossen. „Wir verzeichnen nahezu täglich neue Unterschriften und Beteiligte“, sagt Rudi Vögel von der Landesanstalt für Großschutzgebiete in Brandenburg. An der Initiative sind auch das Bundesamt für Naturschutz sowie das Institut für ökologische Wirtschaftsforschung beteiligt. Auf einer landwirtschaftlichen Fläche von 12.500 Hektar haben sich in der Uckermark bislang 21 biologische und konventionelle Betriebe aus Ackerbau und Tierhaltung zusammengeschlossen. Auch in Mecklenburg-Vorpommern und in der Röhn existieren bereits Selbstverpflichtungen zu Gentechnik-freien Gebieten. Umweltschützer treiben die Entwicklung voran: Die „Faire Nachbarschaft“ des BUND soll es Landwirten ermöglichen, gemeinsam auf Gentechnikfreiheit zu setzen und damit Schadensfälle beispielsweise Erlöseinbußen im voraus zu vermeiden. Selbst auf Länderebene bewegt sich etwas. So beteiligt sich Schleswig-Holstein an einer europäischen Initiative, in der Regionen aus Frankreich, Spanien, Österreich, Griechenland, Italien und Wales kooperieren. Sie wollen selbst darüber bestimmen, inwieweit gentechnisch verändertes Saatgut bei ihnen angebaut werden darf. Noch dieses Jahr soll das neue Gentechnikgesetz endgültig stehen. Bis zum Beschluss im Bundeskabinett feilt das Verbraucherministerium an den entscheidenden Details. Je nachdem, wie diese ausfallen, wird Renate Künast mit dem Widerstand der Länder im Bundesrat rechnen müssen. Neben Bayern und Mecklenburg-Vorpommern hat auch Sachen-Anhalt den Entwurf kritisiert. Doch was auch immer bei dem künftigen Gerangel um das Gesetz herauskommt: Im Zweifel werden Landwirte und Verbraucher die Suppe Grüne Gentechnik auslöffeln müssen.
Tamàs Nagy ist Ernährungswissenschaftler und arbeitet als Redakteur am Europäischen Institut für Lebensmittel- und Ernährungswissenschaften (www.das-eule.de).
Das Neue Gentechnikgesetz
Am 16. Januar verschickte das Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft (BMVEL) den Entwurf für das neue Gentechnikgesetz (GenTg). Das BMVEL legte den Entwurf ohne die zugehörigen Entwürfe für die nachgeordneten Rechtsverordnungen vor. Diese sollen Details zu den - so genannten - Koexistenzmaßnahmen und zum Beobachtungsplan regeln. Kurz gefasst hier die wichtigsten Neuerungen: § 1: Im "Zweck des Gesetzes"finden in Zukunft explizit auch ethische Belange Berücksichtigung. Weiter soll das Gesetz die Möglichkeit gewährleisten, dass sowohl mit konventionellen, ökologischen als auch gentechnisch veränderten Anbauformen Produkte, insbesondere Lebens- und Futtermittel, erzeugt und in den in Verkehr gebracht werden. Weiterhin ist im „Zweck des Gesetzes“ auch die Förderung der Gentechnik verankert. § 4: Die Kommission für die Biologische Sicherheit (ZKBS) bekommt eine zweite Kommission zur Seite gestellt, in der die so genannten Labor-Themen bearbeitet werden. Die ZKBS behält die Zuständigkeit für die Themen, die mit Freisetzungen und ähnlichem in Verbindung stehen. § 8: Unter bestimmten Bedingungen können Arbeiten mit gentechnisch veränderten Mikroorganismen ganz oder teilweise von den Regelungen des GenTG ausgenommen werden. § 9: Sollen in einem Labor "weitere Arbeiten der Sicherheitsstufe 2" durchgeführt werden, so müssen diese "von dem Betreiber" nicht mehr angemeldet, sondern nur angezeigt werden. § 14, (Abs. 1): Freisetzungen dürfen in Zukunft ohne Genehmigung geändert werden, wenn diese Abänderung - nach Ansicht der zuständigen Behörde - keine wesentlichen Auswirkungen auf die vorher gemachten Beurteilungen hat. Freisetzungen können in Zukunft als Teil des so genannten vereinfachten Verfahrens - unter bestimmten Bedingungen - ortsunabhängig genehmigt werden. § 16a: Es werden Standortregister auf Bundes- und auf Landesebene erstellt. Darin finden sich allgemein zugängliche Informationen wie Organismus, gentechnische Veränderung etc. Zugang zum nicht-öffentlichen Teil des Landesregisters hat, wer ein berechtigtes Interesse nachweisen kann, das sich - unter anderem - aus Nachbarschaft und aus Planungen, die gleiche Sorte anzubauen, ergeben. Im nicht-öffentlichen Teil ist zum Beispiel der genaue Ort des Anbaus beziehungsweise der Freisetzung angegeben. In bestimmten Fällen (vereinfachte Verfahren) kann es zu ortsunabhängigen Genehmigungen einer Freisetzung kommen. Dann muss der Ort, an dem die Freisetzung stattfinden soll, erst zwei Wochen bis drei Werktage vor dem Beginn der geplanten Freisetzung an das Landesregister (siehe unten) bekannt gegeben werden. Grundsätzlich soll die Einrichtung der Register die Überwachung von Langzeiteffekten ermöglichen. Außerdem können die Register hilfreich sein, um die Koexistenz der Gentech-verwendenden mit den Gentechnik-meidenden Betrieben zu regeln. Unklar bleibt das genaue Verfahren von Bringschuld und Holschuld bezüglich der relevanten Informationen. § 16b: Will jemand GVO in Naturschutzgebietenoder geschützten Landschaftsbestandteilen verwenden, so muss er dies der zuständigen Landesbehörde anzeigen. Diese kann die Verwendung der GVO zum Zweck des Schutzes von ökologisch sensiblen Gebieten untersagen, wenn mit dem Anbau eine für das entsprechende Schutzgebiet erhebliche Beeinträchtigung einhergehen kann. § 16c: Es werden Maßnahmen beschrieben, die die Koexistenz zwischen den verschiedenen Anbauformen, mit und ohne GVO, regeln sollen. Diese werden detailliert in der so genannten"guten fachlichen Praxis"zu beschreiben sein und dem GenTG in Form einer Rechtsverordnung zur Seite gestellt werden. Darin werden sich Beschreibungen von Mantelsaaten, Abstandsregelungen, die Trennung der Warenströme und ähnliches finden. § 16d: Auch genehmigte und bereits kommerzialisierte gentechnisch veränderte Produkte und Pflanzensorten unterliegen nach ihrer Zulassung der Beobachtung. Damit soll der Unbekanntheit von mittel- oder langfristigen Effekten von GVO Rechnung getragen werden. Details der Beobachtung werden in einer bisher nicht vorgelegten Rechtsverordnung geregelt. § 18, (Abs.2):Anhörungsverfahren: Vor der Entscheidung über die Genehmigung einer Freisetzung ist ein Anhörungsverfahren durchzuführen, dies gilt in Zukunft ohne Einschränkung. § 36a: Bezüglich der Haftung verweist das Gentechnikgesetz auf das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB). Das bedeutet, ein Geschädigter muss den vermutlichen Schädiger ermitteln und diesen vor einem Zivilgericht auf Schadensersatz verklagen. Ergänzend zu dieser Regelung - nach BGB § 906 - wird als Schaden definiert, wenn jemand einen finanziellen Nachteil erleidet, (1) weil er seine Produkte nicht mehr auf den Markt bringen kann, (2) weil er seine Ware nicht mehr als "biologisch" kennzeichnen kann oder (3) wenn er seine Ware mit einem Hinweis auf einen gentechnisch veränderten Anteil kennzeichnen muss, und deshalb einen geringeren Preis erzielt. Der Schaden ergibt sich aus der Differenz des ursprünglich und des neu zu erwartenden Marktpreises. Außerdem wird es dem Geschädigten insofern leichter gemacht, einen Schuldigen zu finden, weil im Zweifelsfalle - wenn zum Beispiel verschiedene Nachbarn für eine Verunreinigung in Betracht kommen - mehrere Verursacher in Haftung genommen werden können. In einem nächsten Schritt wird der Entwurf nun zunächst im Bundeskabinett abgesegnet und dann - für eine erste Stellungnahme - an den Bundesrat weitergeleitet. Versehen mit dieser Stellungnahme des Bundesrates geht er in die Gremien des Bundestages, wo dann voraussichtlich ab April beraten und möglicherweise noch vor der Sommerpause entschieden wird. Im Anschluss muss der Bundesrat seine Position zum Entwurf benennen, was gegebenenfalls zu einem Vermittlungsverfahren führt. (pau)