Zittern wie Espenlaub
Was droht uns durch schnell wachsende und früh blühende NGT-Pappeln?
Wissenschaftler*innen konnten die Jugendphase von Pappeln durch den Einsatz neuer Gentechnik drastisch verkürzen, um so die Entwicklung zu beschleunigen. Eine Freisetzung hat möglicherweise weitreichende ökologische Folgen: Die Pappeln könnten sich ausbreiten, die gefährdete Schwarzpappel verdrängen sowie negative Auswirkungen auf Insekten haben.

Pappeln können riesige Mengen an Samen und Pollen produzieren und über große Gebiete verbreiten. Ein weiblicher Pappelbaum kann jährlich zwischen 25 und 50 Millionen Samen produzieren, die als charakteristische „Pappelwolle“ verbreitet werden. Foto: gemeinfrei auf pixabay.com
Pappeln sind wirtschaftlich wertvolle und intensiv genutzte Bäume. Sie eignen sich für die Forstwirtschaft, da sie schnell wachsen und sich leicht vermehren lassen, z. B. vegetativ durch Stecklinge. Pappelholz wird vor allem zur Herstellung von Papier und Kartonagen eingesetzt, aber auch als Bau- und Brennholz.
Um die Eigenschaften der Pappeln zu verändern oder neue Eigenschaften einzuführen, werden seit vielen Jahren gentechnische Methoden eingesetzt. Die Westliche Balsampappel (Populus trichocarpa) war der erste Waldbaum mit vollständig sequenziertem Genom. Das schaffte die Voraussetzung für den Einsatz der neuen Gentechniken (NGT) bei Pappeln. NGT sind molekularbiologische Werkzeuge (z. B. die Genschere CRISPR-Cas9) und Methoden, die gezielte Eingriffe in das Erbgut von Organismen ermöglichen. Sie erlauben es, einzelne Gene gezielt umzuschreiben, zusätzliche Gene einzufügen oder Gene auszuschalten.
Die ersten Studien zur Anwendung von NGT bei Pappeln wurden 2015 veröffentlicht. Seitdem werden NGT genutzt, um die Funktionen von Genen zu untersuchen und pflanzliche Eigenschaften zu verändern. Zu den jüngsten Anwendungen zählen die Optimierung der Holzeigenschaften für die Papierherstellung, die Steigerung des Ertrags durch schnelleres Wachstum, die Erhöhung der Toleranz gegenüber abiotischem Stress wie salzigen und trockenen Böden sowie die Verkürzung der Jugendphase. Die biologischen Merkmale (Genotyp und Phänotyp2) von NGT-Pappeln sowie die Geschwindigkeit zur Einführung neuer Merkmale in Pappelpopulationen können im Vergleich zu früheren Methoden ganz anders sein.
Biologie und Ökologie der Pappel
Pappeln gehören zur Familie der Weidengewächse (Salicaceae), die Gattung umfasst etwa 35 verschiedene Arten. Diese wachsen in den gemäßigten Klimazonen der nördlichen Erdhalbkugel und sind – von Portugal im Westen bis China im Osten – in den meisten Regionen Eurasiens sowie in den USA und Kanada zu finden. In Mitteleuropa ist die Pappel die Baumart, die am schnellsten wächst. Natürlich vorkommende, einheimischen Arten sind die Weißpappel (Populus alba), die Schwarzpappel (P. nigra) und die Espe (P. tremula) sowie Hybriden wie die Graupappel (P. × canescens = P. alba × P. tremula).
Pappelarten sind Pionierpflanzen: Sie wachsen fast überall – in verlassenen Steinbrüchen, Kiesgruben, auf sandigen oder lehmigen Böden, in Feuchtgebieten, in den Bergen oder auf weiten Ebenen. Außerdem verbreiten sie sich leicht über Pollen, Samen, Wurzelschösslinge sowie abgebrochene Äste und Stockausschläge. Wenn sie an Flussufern gedeihen, können ihre Samen und abgebrochenen Äste im fließenden Wasser über weite Strecken transportiert werden.
Pappeln können riesige Mengen an Samen und Pollen produzieren und über große Gebiete verbreiten. Ein weiblicher Pappelbaum kann jährlich zwischen 25 und 50 Millionen Samen produzieren, die als charakteristische „Pappelwolle“ verbreitet werden. Ein Teil der Samen und der Pollen werden bis zu sechs bzw. acht Kilometern transportiert. Sobald eine junge Pappel die ersten sechs Monate überlebt hat, kann sie widrigen Umweltbedingungen wie Überschwemmungen, Trockenheit, Erosion oder Kälte widerstehen. Unter günstigen Bedingungen kann sich das genetische Material eines einzigen Baumes in einer ganzen Region ausbreiten. Berücksichtigt man die Ausbreitungsbiologie der Pappel und ihr enormes Potenzial zur Hybridisierung3, dann wird der eurasische Raum von China bis Mitteleuropa zu einem riesigen zusammenhängenden Ökosystem für Pappelarten. Wird genetisches Material in dieses Ökosystem eingebracht, ist ein Genfluss kaum zu kontrollieren, insbesondere wenn er mit einem Fitnessvorteil verbunden ist.
Pappeln sind auch zentrale Bestandteile komplexer ökologischer Systeme und stehen in enger Wechselwirkung mit einer Vielzahl von Arten wie Schmetterlingen und Käfern, darunter zahlreiche geschützte Arten. Obwohl Pappeln durch den Wind bestäubt werden, sind sie dennoch wichtig für Bienen (Apis mellifera): Im Frühjahr liefern sie reichlich Pollen, der im Honig nachweisbar ist. Außerdem sind die Knospen der Schwarzpappel eine bedeutende Harzquelle für das von den Honigbienen hergestellte Propolis. Das dient zum Abdichten von Spalten im Bienenstock und zur Abwehr von Mikroorganismen und Pilzen.
Verkürzte Jugendphase und erste Blüte
Es gibt zwei technische Herausforderungen beim Einsatz von NGT bei Pappeln. Erstens ist das genetische Material von Pappeln im Vergleich zu anderen Kulturpflanzen viel heterogener. Das bedeutet, dass die Nachkommen von NGT-Pappeln sich stark von der Elterngeneration unterscheiden können. Zweitens sind die Vermehrungszyklen bei Pappeln – wie bei vielen Bäumen – viel länger als bei anderen Pflanzen, da es sieben bis zehn Jahre dauert, bis Pappeln zum ersten Mal blühen. Diese lange Jugendphase macht es beispielsweise zeitaufwendig und kostspielig, die Genschere nach ihrem Einsatz im Editierungsprozess durch Rückkreuzung wieder aus dem Pappelgenom zu entfernen. Es vergehen mehrere Jahre bis die ersten Blüten erscheinen und die Kreuzungen durchgeführt werden können. Wird diese Rückkreuzung nicht durchgeführt, können die NGT-Pappeln nicht transgenfrei vermarktet werden, was ihre Einführung behindern könnte.
Eine kürzere Jugendphase und damit eine frühe erste Blüte bei jungen Pappeln ist daher ein wichtiges Ziel der NGT-Anwendungen bei Pappeln. 2022 berichteten US-Wissenschaftler*innen, dass sie durch den Einsatz von NGT bei Pappeln die Zeit bis zur ersten Blüte von mehreren Jahren auf vier Monate verkürzen konnten4.
Dies gelang durch eine gentechnische Veränderung in einem Bereich des Erbguts, der den Blühzeitpunkt der Bäume steuert. Stecklinge dieser Pflanzen blühten sogar schon nach ein bis zwei Wochen.
Wenn diese frühblühenden Pappeln erfolgreich etabliert werden, könnten bei ihnen Transgene in einem frühen Entwicklungsstadium per Segregation entfernt und so transgenfreie NGT-Pappeln in der Praxis entwickelt werden. Die frühe Blüte kann auch dazu genutzt werden, Nachkommen mit mehr homozygoten Allelen5 zu erzeugen, um das gewünschte Merkmal zu stabilisieren. Darüber hinaus können auch mehrere NGT-Merkmale in einer Pflanze rasch kombiniert oder NGT-Merkmale von einer Pappelunterart auf eine andere übertragen werden.
Ganz allgemein zeigt das Beispiel der frühen Blüte, dass wesentliche artspezifische Merkmale von Bäumen durch wenige kleine Genomeingriffe verändert werden können. In dieser Hinsicht scheint die neue Gentechnik auch erfolgreicher und leistungsfähiger zu sein, als frühere Ansätze bei transgenen Pappeln. Das enorme technische Potenzial von NGT ist allerdings mit potenziell weitreichenden Umweltrisiken verbunden.
NGT-Pappeln können zur Gefahr für natürliche Pappelbestände werden
NGT-Pappeln haben das Potenzial, sich mit Wildpappelpopulationen zu kreuzen. So könnten sich NGT-Pappeln durch Fitnessvorteile, die sich aus NGT-Merkmalen ergeben (z. B. frühe Blüte, höheres Wachstum, Resistenz gegen Stressfaktoren), invasiv über weite Distanzen ausbreiten und natürliche Bestände gefährden. Konventionelle Pappelpflanzungen werden bereits als ernsthafte Bedrohung für einheimische Pappelbestände angesehen. Die europäische Schwarzpappel (P. nigra) wird allmählich von den euro-amerikanischen (P. × canadensis) und interamerikanischen (P. × generosa) Hybridpappeln verdrängt, aber auch von P. nigra-Sorten wie der männlichen Lombardei-Pappel (Populus nigra cv. 'Italica' Duroi). Tatsächlich gelten die einheimischen Pappeln seit einiger Zeit als die wahrscheinlich am stärksten bedrohten Waldbaumarten in den alten natürlichen Auenwäldern der gemäßigten Zone.
Die Verwilderung von NGT-Pappeln oder die Auskreuzung von NGT-Merkmalen in Wildpappelpopulationen könnte schwerwiegende Auswirkungen auf die Ökologie haben. Vor allem der pollenvermittelte Genfluss kann NGT-Merkmale in Wildpopulationen verbreiten und ihre Allele aus dem natürlichen Genpool verdrängen. Dies verringert die genetische Vielfalt einer Population und könnte ihre allgemeine Anpassungsfähigkeit und ihre langfristige Fitness gefährden, mit unvorhersehbaren Folgen für die künftige Populationsdynamik z. B. der eurasischen Schwarzpappel.
Im Falle der NGT-Pappel mit vorzeitiger Blüte kann das neue Merkmal auch negative Folgen für die Fitness haben. Daher ist es nicht klar, ob diese NGT-Pflanzen invasiv werden könnten. Es besteht jedoch auch die Gefahr einer outbreeding depression, wenn schlecht angepasste Genotypen in lokal angepasste Populationen eindringen. Kreuzungen mit leistungsschwachen NGT-Pflanzen können die Fitness der Hybriden im Vergleich zu den lokalen Pflanzen verringern, wodurch die Gesamtfitness der natürlichen Pflanzenpopulationen sinkt. Somit können auch NGT-Pflanzen mit verminderter Fitness zu einer Bedrohung für die Population z. B. der Schwarzpappel werden.
Die Verkürzung der Entwicklungszeit von gentechnisch veränderten Bäumen kann dazu führen, dass zahlreiche NGT-Pappeln mit unterschiedlichen Merkmalen in kurzer Zeit in die Umwelt freigesetzt werden. Das kann die Wahrscheinlichkeit unerwünschter Wechselwirkungen stark erhöhen. Außerdem können die Nachkommen einer Kreuzung mit Wildpopulationen, Hybriden oder anderen gentechnisch veränderten Pappeln neuartige Eigenschaften und Risiken aufweisen. Generell kann die Verwendung von NGT die Eigenschaften von Arten viel schneller verändern, als die Ökosysteme in der Lage sind, sich anzupassen.
Abrupte Veränderungen in der Zusammensetzung von Pappeln können Ökosysteme destabilisieren und das Artensterben beschleunigen. Viele Arten, insbesondere Insekten, die mit (Schwarz-) Pappeln interagieren, stehen bereits unter erheblichem Umweltstress aufgrund von Umweltgiften, Lebensraumfragmentierung, Verlust von Lebensräumen und Artenvielfalt oder Klimawandel. So können unbeabsichtigte Veränderungen bei der Knospenbildung, z. B. durch das Ausschalten von Genen, die den Blütenansatz regulieren, Folgen für die Propolisproduktion und damit für die Bienenpopulation haben.
Bei der Entwicklung von NGT-Pappeln sind nicht nur Auswirkungen für die Umwelt, sondern auch für die menschliche Gesundheit zu beachten: Pappelpollen sind dafür bekannt, dass sie mehrere Allergene produzieren, die beispielsweise Heuschnupfen auslösen können. Daher muss auch berücksichtigt werden, inwieweit NGT-Pappeln in der Umwelt in Zukunft das Allergenspektrum ungewollt erweitern können.
Konsequenzen für die Regulierung von NGT-Pflanzen
Das Beispiel Pappeln verdeutlicht, dass durch NGT veränderte Pflanzen eine gründliche Risikobewertung durchlaufen sollten, bevor sie in die Umwelt und auf den Markt gelangen. Selbst geringfügige genetische Veränderungen durch NGT können ein Merkmal so stark verändern, dass erhebliche Auswirkungen auf das ökologische Gleichgewicht möglich sind. Bei einem hohen Ausbreitungspotenzial durch Invasion und/oder Auskreuzung sowie einer komplexen Schlüsselrolle der Pflanze im Ökosystem wäre es leichtfertig, sie unkontrolliert in die Umwelt einzuführen. Deshalb sollte die bestehende EU-Freisetzungsrichtlinie 2001/18 ausnahmslos auch für alle NGT-Pflanzen gelten. Nur durch eine Risikobewertung sowie durch angemessene räumliche und zeitliche Überwachung freigesetzter NGT-Pflanzen können mögliche langfristige ökologische Schäden frühzeitig erkannt werden.
Dies ist eine übersetzte und gekürzte Fassung eines englischsprachigen Artikels von den Autor*innen. Quellen und Verweise finden sich im Original.1
- 2
Der Genotyp ist die Gesamtheit des genetischen Materials eines Organismus, der Phänotyp bezieht sich auf die äußere Erscheinung.
- 3
Als Hybride werden Individuen bezeichnet, welche durch die geschlechtliche Fortpflanzung unterschiedlicher Gattungen, Arten, Unterarten, Rassen oder Zuchtlinien entstehen.
- 4
Ortega, M.A., Zhou, R., et al. (2022): In vitro floral development in poplar: insights into seed trichome regulation and trimonoecy. In: New Phytol, 237:1078-1081, www.doi.org/10.1111/nph.18624
- 5
Bei homozygoten Allelen liegen zwei identische Genkopien auf beiden Allelen vor.
- 1
Koller, F. und Cislak, M. (2024): First-time flowering in poplars: minor genomic changes using new genomic techniques can change species-specific characteristics. Online: https://fachstelle-gentechnik-umwelt.de/wp-conten… [letzter Zugriff: 11.09.24]
Dr. Franziska Koller ist promovierte Mikrobiologin und arbeitet bei der Fachstelle Gentechnik und Umwelt.
Dr. Michael Cieslak promovierte im Bereich Evolutionsgenetik und arbeitet bei der Fachstelle Gentechnik und Umwelt.