Gentech-Saatgut aus Lateinamerika
Bevor transgene Nutzpflanzen in Monokulturen zum Einsatz kommen, muss erst einmal das entsprechende Saatgut in ausreichender Menge erzeugt werden. Bereits vor 1996, dem Jahr des ersten kommerziellen Anbaus im Pionierland der Gentechnik, den USA, begannen die Saatgutvermehrungen und der experimentelle Einsatz. Beides fand überwiegend in Staaten statt, wo derartige Arbeiten unbehelligt von gesellschaftlichen Debatten oder besonderen Kontrollen möglich sind.
Im Herbst 2006 waren auf Einladung des Gen-ethischen Netzwerk drei AktivistInnen aus zwei Ländern, in denen Vermehrungen von gv-Saatgut stattfinden – Costa Rica und Chile – in Deutschland und der Schweiz unterwegs. Unter dem Titel "Mythos Biosicherheit" berichteten sie von ihren Erfahrungen mit dem Anbau transgener Kulturen, über den Einfluss der Agro-Gentechnikkonzerne und über den behördlichen Umgang mit der Biosicherheit.
Ein großer Schatz
Ana Julia Arana stopft die Hände in die Taschen ihrer Windjacke und zieht sich den Schal noch einmal bis über die Nase hoch. Fröstelnd durchstreift die Bürgerrechtlerin aus dem tropischen Costa Rica gemeinsam mit zwei weiteren lateinamerikanischen Kollegen den Garten im brandenburgischen Greiffenberg, der mit besonderen Kulturpflanzen und altem Saatgut aufwartet. Es ist kalt an diesem Oktobertag. Ins Haus will dennoch niemand zurück. Im Kaltgewächshaus locken letzte Tomaten, die Giftpflanzenecke will noch besichtigt werden und ebenso die Saatgutreinigung. Besonders begeistert sind die Gäste über die Sämereien, die man hier seit zehn Jahren bewahrt und nutzt. Alte Kultursorten von Getreide oder Tomaten, für deren Erhalt sich inzwischen nicht mehr nur Hobbygärtner erwärmen. "Bei uns steht genauso die Bewahrung von altem einheimischem Saatgut auf der Tagesordnung”, sagt María Isabel Manzur, die das Netz für ein gentechnikfreies Chile koordiniert. "Wir verfügen über einen großen Schatz. In den Andenregionen liegen die Ursprungzentren der Kartoffel und im Norden Chiles haben wir einheimische Tomatensorten.” Den Mais wiederum hat die Welt den Bauern und Bäuerinnen Mittelamerikas zu verdanken. Allerdings wären in den Ländern Hispano-Amerikas viele der alten Sorten bereits verloren gegangen, so Ana Julia Arana, weil seit den 1970er Jahren ein wachsender Anteil der Böden für Agrarexporte genutzt würde. Dadurch gebe es immer weniger Kleinbauern, die eher eine große Sortenvielfalt anpflanzen, und die Plantagenwirtschaft mit ihrem monokulturellen Anbau übernehme deren Flächen. Im Falle Costa Ricas expandierten seither die Bananen- und Ananasplantagen und auch der Rinderzucht wurde viel Land geopfert. Chiles Wirtschaft stellte auf die Einfuhr von Nahrungsmitteln um. Die Böden des Landes versorgen nun den Weltmarkt mit Äpfeln und Wein. "Problematisch bei diesem Entwicklungsweg ist, dass damit auch massiv solche Agrarkulturen genutzt werden, die einen höheren Chemieeinsatz nach sich ziehen”, sagt Fernando Ramírez. Der Agraringenieur weiß, wovon er spricht. Er ist Fachmann für die Auswirkungen synthetischer Pestizide und arbeitet im Regionalinstitut für Toxische Substanzen an der Nationaluniversität von Costa Rica (IRET-UNA). "Wir haben in Costa Rica in den letzten Jahren gesehen, dass der Verbrauch von Pestiziden enorm angestiegen ist. Gleichzeitig verzeichnen wir eine hohe Zahl von Vergiftungen bei Menschen und Amphibien, wie die Goldkröte, sterben bei uns aus."
Experimentierfelder für transgene Kulturen
Was Fernando Ramírez mit wachsender Sorge betrachtet, ist, "dass unsere Länder als Experimentierfelder für gefährliche transgene Kulturen genutzt werden, deren Auswirkungen nicht genügend erforscht sind. Und dass dies ohne die entsprechenden Regularien oder Kapazitäten zur Überwachung geschieht.” In Costa Rica wird seit gut 15 Jahren gentechnisch angebaut. Der costaricanische Agronom beobachtet dabei, welch großer Druck zur Deregulierung der Gentech-Kulturen ausgeübt wird. Auch in Chile, wo 1992 der kommerzielle Gentech-Anbau begann, spüre man diesen politischen Druck, berichtet María Isabel Manzur. Dahinter stünden Kreise, die der sogenannten Miami Group angehören, einem informellen Club der Gentech-Anbauländer Kanada, USA, Argentinien, Uruguay und Chile, die während der Verhandlungen zum Cartagena-Protokoll auf schwache Reglements zur biologischen Sicherheit gedrängt hatten.(1)
Ein Appell zu globalem Denken
Dieser "Erfahrungsvorsprung” im gentechnischen Anbau bildete dann auch einen der Bezugspunkte für die Reise des Trios aus Mittel- und Südamerika ins spätherbstliche Deutschland. Denn hierzulande geht es zwar mit selbigem Anbau nicht so zügig voran wie es Industrie und Forschung gerne sähen. Doch wird inzwischen bereits auf etwa 1.000 Hektar offiziell transgener Mais erzeugt. So macht es durchaus Sinn, sich einmal anzusehen, welche Erkenntnisse aus den Jahren kommerziellen Gentech-Einsatzes in anderen Ländern zu ziehen sind. Ein weiterer Aspekt war für die Tour ebenso ausschlaggebend: der Anbau transgenen Saatguts. Auf hiesigen Äckern bringen Gentech-Landwirte bislang die insektenresistente Bt-Sorte MON810 des Agrokonzerns Monsanto aus. Was nur wenigen bekannt ist: Das MON810-Saatgut für Deutschland wird in Chile erzeugt. Zudem entsteht dort transgenes Saatgut von Soja und Raps. Auf Costa Ricas Gentech-Feldern wiederum wird die herbizidresistente Sojasaat Monsantos (Handelsname RoundupReady) ebenso vermehrt wie die Sojasaat des Bayer-Konzerns mit einer Resistenz gegen dessen Herbizid Basta (Handelsname LibertyLink). Überwiegend leistet der kleine mittelamerikanischen Staat allerdings Dienste für den US-Baumwollsektor. Der lässt dort transgene Saaten mit verschiedensten Resistenzen ziehen. Die Saatgutwirtschaft nutzt in beiden Ländern die Tatsache, dass das Klima mehrere Ernten pro Jahr erlaubt und dort auch das Saatgut für die Frühjahrssaat in Westeuropa und Nordamerika vorbereitet werden kann. Unter welchen Bedingungen wird diese Gentech-Saat erzeugt? Was ist der Bevölkerung darüber bekannt, und welche Erfahrungen machen zivilgesellschaftliche Initiativen der Länder? Diese Fragen wollte man beim Gen-ethischen Netzwerk einmal genauer beleuchten. Denn die Globalisierung der Agrarwirtschaft bringt es auch mit sich, dass der Blickwinkel der KritikerInnen der sogenannten grünen Gentechnik gelegentlich neu justiert und nötigenfalls erweitert werden muss. Diese Begegnungsreise kann und soll also auch als ein Angebot verstanden werden, die allzu engen Grenzen der sich zunehmend im Technischen oder im Bürokratischen verlierenden deutschen Debatte um Abstandsregeln und Koexistenz, oder um die Neufassung von Gesetzen, zu überdenken. Womit sich die Hoffnung verbindet, dass die Frage cui bono? – wem dient es? – erneut in den Mittelpunkt einer eigentlich gesellschaftlichen Debatte um asymmetrische Abhängigkeiten im gegenwärtig dominierenden Entwicklungsmodell sowie über alternative Pfade dazu rückt. So mahnte das Team aus Chile und Costa Rica während der Tournee durch Deutschland und bis in die Schweiz wiederholt an, die weltumspannenden Auswirkungen der Gentech-Kulturen nicht aus den Augen zu verlieren. "Für diese Saaten, die in den USA und in Europa verkauft werden, zahlen wir in den Erzeugerländern einen hohen Preis, denn sie stellen bei uns ein Risiko dar für die Biovielfalt, die menschliche Gesundheit und die Umwelt”, erklärte María Isabel Manzur. Schließlich schaffe die Gentechnologie ein Problem von globaler Tragweite, und das müsse auch gemeinsam angegangen werden.
Chile: Bedrohung der Nahrungskette
Selbst wenn in Chile und in Costa Rica inzwischen aus der Zivilgesellschaft die Forderung kommt, die Landwirtschaft und insbesondere die Ursprungsregionen der einheimischen Agrarkulturen frei vom Gentech-Anbau zu halten, so ist eine öffentliche kritische Debatte dazu in beiden Ländern jüngeren Datums und nach wie vor noch eher die Ausnahme. Demzufolge konnten transnationale Konzerne wie Monsanto, Bayer, Syngenta, Dow, Pioneer, Kleinwanzlebener Saatzucht (KWS), Limagrain oder Delta & Pine Land sich dieses gesellschaftliche Vakuum zunutze machen, um dort seit Beginn der 90er Jahre unbehelligt von Meinungsbildungsprozessen oder besonderen Kontrollen Fakten zu schaffen. Bis heute verfügen weder Costa Rica noch Chile über eine spezielle Gesetzgebung zur Handhabung der modernen Biotechnologien. Import, Zulassung und Anbau sowohl der kommerziellen Gentech-Kulturen als auch deren experimenteller Einsatz erfolgen dort bis in die Gegenwart unter lediglich rudimentären Sicherheitsmaßnahmen. Die heutige chilenische Präsidentin Michelle Bachelet versprach noch in ihrem Wahlkampf im Herbst 2005, den Anbau kommerzieller Gentech-Kulturen im Land zu bremsen. So sollten ökologische Folgeabschätzungen für den transgenen Vermehrungssektor Standard werden. Ein Jahr später fällen Umweltgruppen jedoch eine negative Bilanz über den tatsächlich erfolgten Wandel. "In Chile gibt es bei politischen Entscheidungen über die Gentechnik allgemein oder bei Genehmigungen über Freisetzungsanträge keine öffentliche Beteiligung”, berichtet María Isabel Manzur. "Wir wissen nicht einmal, wo genau die Standorte liegen. Wir wissen nur, dass in neun der zwölf Regionen Chiles schon gentechnische Kulturen ausgesät wurden. Damit ist den Landwirten in der Nachbarschaft solcher Felder verwehrt, Maßnahmen zum Schutz gegen gentechnische Kontamination zu ergreifen.” Gegenwärtig ist in Chile der Gentech-Anbau allein zur Saatgutvermehrung und für Experimente zugelassen. Die Gesamtfläche betrug im Jahr 2005 nach offiziellen Angaben rund 13.000 Hektar. Über die Jahre wurden 18 verschiedene transgene Kulturen dort freigesetzt, davon hauptsächlich Mais, Soja und Raps. Zudem wird mit einer großen Anzahl anderer Kulturen experimentiert, darunter Tomate, Kartoffel, Weizen, Melone, Färberdistel oder Wein. Die vorwiegenden Charakteristika der Gentech-Pflanzen sind Herbizidresistenz und Insektenresistenz. Chile erzeugt für die Saatgutwirtschaft auch konventionelle Saaten und nimmt im Vermehrungssektor weltweit den sechsten Platz ein. Wobei zuvorderst Saatgut von Mais, gefolgt von Zierpflanzen und Raps produziert wird. Die Kundschaft kommt aus den USA, Frankreich, Holland, Deutschland und Japan. Die Exporte von Maissaat nach Deutschland stiegen zwischen 2003 und 2005 von 1.000 auf 3.150 Tonnen kräftig an. Genaue Zahlen zum Umfang transgener Saaten sind nicht bekannt. Es wird jedoch angenommen, dass etwa 50 Prozent der Maissaat gentechnisch verändert ist. Darunter findet sich auch die Sorte MON810 von Monsanto. Die Folgen des gentechnischen Anbaus in Chile für den konventionellen Anbau werden bereits sichtbar, sagt María Isabel Manzur. Denn aus jüngster Vergangenheit sind zwei Fälle von kontaminiertem Vermehrungsaatgut bekannt. So hatte die North Dakota State University im Jahr 2001 konventionelle Sojasaat zur Vermehrung nach Chile geschickt. Diese Saat wurde dort durch herbizidresistente Soja verunreinigt, weshalb man die Dienste Chiles nicht weiter in Anspruch nahm. Im Jahr 2005 fand man in Frankreich in einer Lieferung von konventionellem Maissaatgut aus Chile Spuren von DNA, die den transgenen Sorten NK603 und MON810 enstammten. Beide Fälle bewiesen, wie sehr tatsächlich die für die Ernährung der Bevölkerung bedeutenden einheimischen Kulturen – der Mais, die Kartoffel oder die Tomate – durch die Gentech-Vermehrungsindustrie bedroht sind, urteilt Manzur.
Anbau von Pharmapflanzen
Seit 1996 ist in Chile zudem der Anbau sogenannter Pharmapflanzen, denen mittels Gentechnik beispielsweise menschliche und tierische Proteine oder andere, industrielle Inhaltsstoffe eingeschleust werden, gestattet. An derartigen Experimenten mit Mais, Reis, Raps, Leinen und Färberdistel sind die Unternehmen Limagrain, Pioneer, Agrosearch und Ventria Bioscience beteiligt. Wie die engagierte Chilenin berichtet, kam das Unternehmen Ventria Bioscience nach Südamerika, um Akzeptanzprobleme in den USA zu umgehen. Denn dort sah sich Ventria mit Protesten seitens Verbrauchern, Landwirten und der Nahrungsmittelindustrie konfrontiert und strebte in einigen US-Bundesstaaten vergebens nach einer Genehmigung auf Freisetzung von Pharmareis. Der zuvor in den USA abgelehnte Ventria-Reis, der die Proteine Lysozym und Laktoferin enthält, wurde daraufhin im Jahr 2002 in Chile erstmals auf zwei Hektar freigesetzt.(2) Welche Maßnahmen zur Biosicherheit beim Anbau transgener Pflanzen angewendet werden, ist unbekannt, erklärt María Isabel Manzur. Sicher sei aber, dass chilenische Behörden nach wie vor keine Untersuchungen über die Wirkung dieser Kulturen auf die heimische Umwelt oder auf die menschliche Gesundheit fordern. Insgesamt existiere eine schwache Gesetzgebung und nur wenige Kapazitäten zur Kontrolle und wirksamen Handhabung der Biosicherheit. Der Mangel an Informationen bedrohe daher die konventionelle und die organische Landwirtschaft gleichermaßen, und damit auch die Nahrungsmittelversorgung im Land. Dies gelte besonders für die Pharmapflanzen, von deren Standorten selbst die anliegenden Bauern keinerlei Kenntnis erhielten. Bekannt sei lediglich, dass derartige Pflanzen seit 1996 in mindestens vier Regionen angepflanzt wurden. Dort wachsen ebenfalls die entsprechenden konventionellen Kulturen. Die Gefahr sei deshalb groß, so Manzur, dass transgene Pharmakulturen bereits benachbarte Nahrungspflanzen, das Wasser und die Böden kontaminiert haben.
Costa Rica: Unkontrollierter Wildwuchs
In Costa Rica ist die Situation ähnlich, was die rechtliche und die institutionelle Seite angeht. Auch dort sind transgene Kulturen für den einheimischen Markt bislang offiziell nicht zugelassen. Und ebenso wie in Chile hat sich der experimentelle Anbau und die Vermehrung für den Re-Export unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu einem attraktiven, weil weitgehend ungeregelten Sektor für zahlreiche Saatgutkonzerne und forschende Institute aus Nordamerika und Westeuropa ausgeweitet. Daneben gibt es einen konventionellen Vermehrungssektor, der Zierpflanzen in alle Welt liefert. Das Land ist spezialisiert auf die Vermehrung transgener Saaten von Sojabohne und auch Baumwolle. Den konventionellen Baumwollanbau hatte Costa Rica vor Jahren schon aufgegeben. Die genveränderten Kulturen sind überwiegend mit Resistenzen gegen Insekten und Herbizide ausgestattet. Bis zum Jahr 2005 stieg die gesamte transgene Vermehrungsfläche in dem Land, das mit 50.000 Quadratkilometern ungefähr die Größe Niedersachsens hat, auf mehr als 1.440 Hektar an. Wobei inzwischen auf über 90 Prozent dieser Fläche transgene Baumwollsaat wächst. Zudem wird mit Mais, Reis, Banane und Ananas experimentiert. Anders als in Chile sind in Costa Rica gewisse Kenntnisse über die Standorte der Vermehrungsflächen vorhanden. Wenngleich auch hier die Nachbarn und anliegende Bäuerinnen und Bauern nicht informiert werden, berichtet die Bürgerrechtlerin Ana Julia Arana. So steht die Mehrzahl der Vermehrungssaaten im Nordwesten des Landes, und zwar überwiegend auf gepachteten Flächen. Diese befinden sich mehrheitlich im Besitz von finanzschwachen Kleinbauern, die mit der Verpachtung an die Gentech-Vermehrer ein Vielfaches dessen einnehmen, was sie mit Reis, Bohnen oder Zuckerrohr verdienten. Die Handelsroute des Gentech-Saatguts verläuft direkt zwischen den USA und Costa Rica, wobei das Geschäft nicht nur mit US-Unternehmen, sondern auch mit den US-Niederlassungen europäischer Unternehmen abgewickelt wird. Seit 1991 sind in dem mittelamerikanischen Land eine Vielzahl ausländischer Kunden daran beteiligt, darunter große und mittlere Betriebe sowie Universitäten aus den USA und Europa, etwa Monsanto, Pioneer, Delta & Pine Land, Syngenta, Pau Semences, Reliance Genetics, Aventis und Bayer International, ebenso wie die Universität von Tennessee oder die Katholische Universität von Leuven.
Lasche Haltung der Behörden
Die Einschätzung des Pestizidfachmanns Fernando Ramírez, dass es nicht nur um die Regelung sondern auch um die Überwachung der transgenen Kulturen schlecht bestellt sei, kann Ana Julia Arana nur bestätigen. Die Bürgerrechtlerin kommt aus der Provinz Guanacaste, jener ländlichen Region im Norden, in der viele der Gentech-Pflanzen wachsen. Bei ihnen würden die Behörden eine besorgniserregend lasche Haltung bei der Überwachung der Betriebe an den Tag legen, sagt Arana, die als Mathematiklehrerin arbeitet und ansonsten ihre MitbürgerInnen im kantonalen Comité Cívico de Cañas ehrenamtlich in Rechtsfragen berät und dabei auch schon mal beim Abfassen von Briefen hilft. Überall im Kanton stoße ihre Bürgerinitiative mittlerweile auf verschleppte Baumwolle. So wachsen Samen aus den Ernteresten unbehelligt nach und würden selbst die Vorgärten der Anwohner verunreinigen. In einem Garten in der Nachbarschaft habe man wiederholt erfolglos versucht, eine eingeschleppte Pflanze mit der Giftspritze zu zerstören. "Die anderen Pflanzen im Umfeld der Baumwolle sind zwar vernichtet, aber die Pflanze selbst schlägt immer wieder aus". Wie Fernando Ramírez annimmt, haben sich viele der herbizidresistenten Pflanzen aus den Feldern durch den erhöhten Einsatz von Pestiziden wie Glyphosat in Unkräuter verwandelt. In diesem Fall sei ihnen nur noch mit härtesten Giftcocktails auf der Basis von Paraquat beizukommen, wie auch das Unternehmen Syngenta sie bei Glyphosatresistenz anbietet. "Wir sind Zeugen davon, wie die multinationalen Unternehmen und das Landwirtschaftsministerium die Region Guanacaste in ein riesiges Feld für einen unkontrollierten Freilandversuch verwandelt haben", sagt Ana Julia Arana. Nur einmal, Mitte des Jahres 2005, sei die Aufsichtsbehörde deutlich, wenngleich wenig nachhaltig, gegen die Kontamination im Kanton zur Tat geschritten. So hätten bis zum Ende des Jahres 2004 in einigen Vierteln des Städtchens Cañas, der Hauptstadt des gleichnamigen Kantons, Baumwollpflanzen an den Wegesrändern und in Vorgärten derart überhandgenommen, dass die zuständige Stelle im Pflanzenschutzdienst sich auf Drängen des Bürgerkomitees veranlasst sah, im Mai 2005 von an Straßenrändern wachsenden Baumwollpflanzen fünf Proben zu nehmen. Nachdem man festgestellt hatte, dass drei dieser Proben eindeutig Fremd-DNA enthielten, wurden zwei Monate darauf die Vermehrungsbetriebe zur Zerstörung von etwa 50 Baumwollpflanzen in den Straßen von Cañas unter Aufsicht der Behörde verpflichtet. Die zu der Aktion hinzugerufenen Manager der Vermehrungsbetriebe hätten sich ziemlich verärgert gezeigt, erinnert sich Ana Julia Arana. In der Folgezeit fanden im Ort keine weiteren Nachkontrollen seitens der Behörde statt. Und die Vermehrungsfirmen selbst blieben beim Anbau und beim Transport der transgenen Ernte so nachlässig wie zuvor. Weshalb das Bürgerkomitee schon wenige Wochen später feststellte, dass sich der Durchwuchs der Samen der herausgerissenen Gentech-Pflanzen in ihrer Stadt wieder ungehindert hatte etablieren können und auch an weiteren Orten in der Nachbarschaft Baumwolle wuchs. Konsequenzen für die Betriebe habe dies bis heute keine. Im Gegenteil. Auf Druck der Gentech-Lobby sei in ihrem Land nun seit 2006 ein Teil der Überwachung privatisiert worden, berichtet Ana Julia Arana. Seither stellen die Betreiber der Gentechnik ihre Kontrolleure selbst ein. Wenngleich Chile und Costa Rica als politisch stabil und als relativ demokratisch unter den Staaten Lateinamerikas gelten, die Quintessenz des Gentech-Einsatzes in ihren Ländern ist für die Gäste die gleiche: Die von den gentechnischen Kulturen ausgehende Unsicherheit und die Unfähigkeit der Behörden, sie kontrollieren zu können, sei offenkundig. "Für uns ist deshalb beispielsweise die Kampagne gegen gentechnische Produkte in Europa wichtig", wandte sich die Chilenin María Isabel Manzur an hiesige KritikerInnen. "Denn die verhindert gewissermaßen eine noch stärkere Expansion der Transgene auch in unseren Ländern. Deshalb möchten wir Sie ermuntern, damit weiterzumachen.”
Zum inhaltlichen und organisatorischen Gelingen der vom GeN initiierten und koordinierten Tour unter dem Titel "Mythos Biosicherheit" haben unter unter anderem folgende Organisationen und Initiativen beigetragen: Der Greiffenberger Erhaltungsgarten, zum Verein zur Erhaltung und Rekultivierung von Nutzpflanzen in Brandenburg (VERN) gehörig, BUND - Freunde der Erde (Referat für Landnutzung), BUKO Agrar Koordination, Bündnis für eine gentechnikfreie Landwirtschaft in Niedersachsen, Bremen und Hamburg, Koordination Gentechnikfreie Regionen in Deutschland bei der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL), Interessengemeinschaft für gentechnikfreie Saatgutarbeit, Kritische Aktionärinnen und Aktionäre, Coordination gegen Bayer Gefahren, FIAN-Gruppe Köln, Institut für Ökologie und Aktions-Ethnologie (INFOE), Evangelisches Bauernwerk in Württemberg, Aktionsbündnis gentechnikfreie Landwirtschaft im Landkreis Heilbronn, Swiss Aid, Gen Au Rheinau, GMO ERA (Environmental Risk Assessment) Project, Evangelischer Entwicklungsdienst (EED), Aktion Selbstbesteuerung (asb), Zukunftsstiftung Landwirtschaft (ZS-L), Stiftung Umverteilen - AG dritte Welt-Hier!.
- Das Cartagena-Protokoll ist ein im Jahr 2000 verabschiedetes internationales Abkommen zum internationalen Handel mit gentechnisch veränderten Organismen, das Mindeststandards zur biologischen Sicherheit setzt. Es ist eines der Protokolle von Rio (1992). Costa Rica ist derzeit dabei, das Protokoll zu ratifizieren. Chile hat das Abkommen bislang lediglich unterzeichnet.
- Mittlerweile hat der US-Bundestaat Kansas, wo weiter kein Reisanbau stattfindet, Ventria eine Genehmigung für den Pharmareis erteilt (siehe GID 178, 2006, S. 56).
Ute Sprenger ist Soziologin und freie Publizistin. Sie arbeitet zudem als Beraterin, Trainerin und Gutachterin in der internationalen Zusammenarbeit und in der Technikfolgenabschätzung.
RR-Soja und die Tomate FlavrSavr: Erste Versuche zu Beginn der 90er Jahre in Costa Rica und in Chilev
In Costa Rica begannen die Arbeiten mit Gentech-Saatgut im Freiland 1991 mit einem Antrag des seinerzeit noch vorwiegend in der Agrochemie tätigen US-Konzerns Monsanto für herbizidresistente Soja. Das Unternehmen erbat in jenen Tagen, zwei Kilogramm Sojasaat mit einer Resistenz gegen Glyphosat, ein hauseigenes Totalherbizid, importieren und anbauen zu können. Vermutlich war dies der erste Test der neuen Sojasaat unter Freilandbedingungen bei dem gleichzeitig Saatgut für weitere Experimente auf US-amerikanischem Boden erzeugt wurde. Immerhin hatte Monsanto in den USA im selben Jahr gerade erst die Genehmigung für Freilandexperimente mit herbizidresistenter Soja erhalten. Ab 1996 wurde dieses Sojasaatgut in den USA unter dem Handelsnamen RoundupReady vermarktet.
In Chile wurde Gentech-Saat erstmals im Jahr 1992 vermehrt. Die US-Behörden hatten dem Unternehmen Calgene grünes Licht für die reifeverzögerte transgene Tomate FlavrSavr gegeben, die lange transport- und lagerfähig gemacht worden war. Und so wurde sie in Chile unter Freilandbedingungen auf 200 Quadratmetern erprobt. Bei diesem Test gewann Calgene nicht nur neue Erkenntnisse, sondern auch gleich das Saatgut für weitere Tests in den USA, Mexiko und Kanada. In Guatemala, Heimat Hunderter von Tomatensorten, wurde sie dann für den US-Markt angebaut. Nachdem Calgene 1994 die später auch als "Anti-Matsch-Tomate” bezeichnete Frucht auf den Markt gebracht hatte, erlebte das Unternehmen damit eine ziemliche Schlappe. Die Verbraucher wollten diese gentechnische Kröte – die einzige übrigens, die in den USA explizit als gentechnisch veränderte Organismen etikettiert wurde – nicht schlucken. Weshalb sie schon 1997 wieder aus dem Angebot verschwand. Calgene geriet in der Folge in finanzielle Schwierigkeiten und wurde von Monsanto übernommen. (usp)