Leserbrief
GID 203: „Irgendwie gewonnen - 2:0“
Das Urteil des Amtgerichtes Aschersleben gegen die FeldbefreierInnen im Falle der Freisetzung von gentechnisch verändertem Weizen auf dem Gelände der Genbank in Gatersleben sei fast so gut wie ein Freispruch, schreibt Christof Potthof. Dem muss widersprochen werden. Um dies zu begründen, muss aber ein wenig ausgeholt werden: Die Genehmigungsverfahren für Freisetzungsversuche finden im Wesentlichen ohne Beteiligung der Öffentlichkeit statt. Zwar gibt es die Möglichkeit Einwendungen zu erheben (in Gatersleben ist davon 30.000fach Gebrauch gemacht worden), doch werden die Einwendungen nicht öffentlich erörtert. Die Klagemöglichkeiten gegen Freisetzungsversuche sind äußerst beschränkt, weshalb derzeit die Mehrzahl der Versuche ohne gerichtliche Überprüfung der Genehmigung stattfinden kann. Eine gerichtliche Überprüfung wäre allerdings dringend notwendig, schon weil das Gentechnik-Referat des BVL ohne weiteres als befangen gelten kann (siehe dazu auch Bergstedt, Jörg: „Organisierte Unverantwortlichkeit“ und „Risiko und Nebenwirkungen - die Genbank Gatersleben und die Freisetzung von gentechnisch verändertem Weizen“). Das Amtsgericht Aschersleben nimmt das im Strafverfahren gegen die sechs Feldbefreier von Gatersleben achselzuckend hin und sagt: „Pech gehabt“. Auch das Landgericht Magdeburg und das Oberlandesgericht Naumburg haben im Schadensersatzverfahren ebenso reagiert. Diese Auffassung verträgt sich aber nicht mit § 17 Abs. 2 Gerichtsverfassungsgesetz. Dieser verpflichtet die Richter, einen Fall insgesamt und unter jedem in Frage kommenden Gesichtspunkt zu prüfen. Im Gatersleben-Fall bedeutet dies, dass die Gerichte nicht einfach davon ausgehen dürften, der Versuch sei genehmigt, sondern dass sie dessen Rechtmäßig- beziehungsweise Rechtswidrigkeit prüfen müssten. Das Bundesverfassungsgericht hat genau das in einer Reihe von Urteilen entschieden, zum Beispiel: Wenn sich ein Versammlungsleiter vor Gericht dafür verantworten muss, eine verbotene Versammlung durchgeführt zu haben, muss das Gericht die Rechtmäßigkeit des Verbotes jedenfalls dann prüfen, wenn zuvor noch kein anderes Gericht darüber entschieden hat. Dieser Grundsatz ist nach Überzeugung der Verteidigung im Gatersleben-Verfahren auch hier anzuwenden. Eine gerichtliche Überprüfung des Genehmigungsbescheides fand bisher nicht statt, daher hätte schon die Zivilkammer des LG Magdeburg im Schadensersatzverfahren die Genehmigung überprüfen müssen (und nachdem dies im Zivilverfahren unterlassen wurde, wäre die Strafkammer in Aschersleben hierzu verpflichtet gewesen). Dies aber ist nicht geschehen - und nur deshalb konnte das Amtsgericht verurteilen: Weil es eine ganz offensichtlich fragwürdige, ja rechtswidrige Genehmigung war, die rein rechtlich von der Behörde selbst zwingend hätte widerrufen werden müssen - weil es diese Genehmigung als verbindlich voraussetzte. Dies war die entscheidende Hürde in dem Verfahren und wir haben sie nicht überwinden können. Deshalb kann meines Erachtens nicht von einem „Fast-Freispruch“ gesprochen werden. Daher macht es auch Sinn, in die Berufung zu gehen. Auch für die gentechnikkritische Bewegung wäre dies ein wichtiger Schritt, denn letztlich geht es in diesen Verfahren auch darum, den Rechtsweg gegen katastrophale Entscheidungen von Gentechnik-Lobbyisten in der Genehmigungsbehörde zu öffnen. Deshalb haben die AktivistInnen im Schadensersatzverfahren trotz hoher Kosten den Weg zum Bundesgerichtshof beschritten, um dort diese Frage klären zu lassen. Es ist nicht nur den Mandanten, sondern auch der Bewegung zu wünschen, dass es gelingt, dieses Verfahren zu finanzieren und erfolgreich abzuschließen.
Holger Isabelle Jänicke, Rechtshilfebüro, Hamburg