Fehlerhafte Pränataltests
Rund 80 bis 90 Prozent der „auffälligen“ Ergebnisse sind falsch
Eine Recherche zeigt, dass Nicht-invasive Pränataltests unzuverlässig sind, wenn sie nach seltenen genetischen Abweichungen suchen. Auch in Deutschland machen die Hersteller Schwangeren nicht erfüllbare Sicherheitsversprechen.
Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass ein nicht-invasiver Pränataltest falsch liegt, wenn er eine „genetische Auffälligkeit“ feststellt.
Der Nicht-invasive Pränataltest (NIPT) auf die Trisomien 13, 18 und 21 ist nach einem Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) in Deutschland seit neustem Kassenleistung. Noch im Frühling dieses Jahres kann der Test also von allen gesetzlich versicherten Schwangeren in Anspruch genommen werden. Ein Argument von Kritiker*innen gegen die Finanzierung der vorgeburtlichen Suche auf Behinderungen durch die Solidargemeinschaft ist die drohende Ausweitung des Testspektrums. Schon jetzt bieten die verschiedenen Firmen ihren schwangeren Kund*innen ein erweitertes Spektrum von genetischen Abweichungen an – geschlechtschromosomale Varianten und, je nach Anbieter, Mikrodeletionen. Wie eine im Januar von der New York Times (NYT) veröffentliche Recherche zeigt, sind diese Testangebote nicht nur aus behindertenpolitischer Perspektive hochproblematisch. Die Journalist*innen Sarah Kliff und Aatish Bhatia zeigen wie fehleranfällig diese Testangebote sind. Statt der versprochenen Sicherheit bewirken die Tests vor allem eine Verunsicherung bei vielen Schwangeren.
NIPT sind keine diagnostischen Tests sondern Screenings, d.h. Vorhersagen aufgrund von statistischen Berechnungen. Zur Durchführung wird der schwangeren Person Blut abgenommen und darin nach fötaler DNA gesucht. Diese wird dann – je nach Angebot – auf die genetischen Abweichungen überprüft. Auch bei dem NIPT auf Trisomie 21 kommen durch verschiedene Faktoren falsch-positive Ergebnisse vor. Das heißt der Test zeigt eine hohe Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen der Trisomie 21 beim Fötus auf, dieses Ergebnis ist jedoch falsch. Die NIPT-Firmen werben mit sehr hohen Werten für Sensitivität und Spezifität bei Tests. Doch je seltener Erkrankungen und Behinderungen sind, desto weniger aussagekräftig sind diese Werte. Trisomie 21 tritt gerade bei werdenden Kindern von älteren Schwangeren noch vergleichsweise häufig auf (durchschnittlich 1 von 700 Schwangerschaften). Rund die Hälfte der positiven Ergebnisse stellen sich, bei weiterer Überprüfung durch invasive Diagnostik, als falsch heraus. Trisomie 13 und 18 sind dagegen sehr seltene Befunde. Bereits letztes Jahr hatte ein Artikel im Ärzteblatt anlässlich der Kassenfinanzierung von NIPT in Deutschland auf die Fehleranfälligkeit der Tests hingewiesen. Dasselbe gilt für Mikrodeletionen und andere, ebenfalls sehr seltene genetische Abweichungen. Die Firmen bewerben die erweiterten Screenings als „präzise“, „sicher“ und „zuverlässig“ . Doch wie die NYT unter Verweis auf wissenschaftliche Studien für fünf Testangebote zeigt, liegen sie in den allermeisten Fällen falsch, wenn sie eine „genetische Auffälligkeit“ feststellen.
Es ist sehr fraglich ob z.B. das Werbeversprechen „PraenaTest® schafft Wissen“ von der Firma Lifecodexx erfüllbar ist. Es müsste eher heißen: der Test schafft „bei auffälligen Befunden oft unnötige Verwirrung und Sorgen“. Der in Deutschland erhältliche NIPT sucht unter anderem nach dem DiGeorge-Syndrom, ausgelöst durch eine Mikrodeletion auf dem Chromosom 22. Laut der Webseite von Lifecodexx liegt die falsch-positiv-Rate für die unterschiedlichen genetischen Abweichungen bei „bis zu 0,1 Prozent“. Das DiGeorge-Syndrom kommt bei einer von 4.000 Schwangerschaften vor. Das heißt: Würden alle von diesen 4.000 Schwangeren ein NIPT durchführen lassen, würden vier Personen ein positives Ergebnis bekommen, das falsch ist, und eine Person ein positives Ergebnis, das richtig ist. Das heißt 80 Prozent der positiven Ergebnisse sind falsch. Auch die NYT kommt für das DiGeorge-Syndrom auf 81 Prozent falsche Ergebnisse, wenn sie auf ein Vorhandensein der Erkrankungen hinweisen. Für andere Tests, auf noch seltenere Abweichungen, sind auffällige Ergebnisse noch unzuverlässiger: für Prader-Willi und Angelman-Snydrom (1 von 20.000 Geburten) sind 93 Prozent der positiven Ergebnisse falsch.
Schwangere Personen stehen unter einem großen Druck alles richtig zu machen für das werdende Kind und sind vulnerabel für Angebote, die ihnen Sicherheit und Gewissheit versprechen. Laut der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der FDP gibt es in Deutschland fünf Firmen mit NIPT-Angeboten (Stand 29.03.21). Eins dieser Angebote ist der im NYT-Artikel besprochene Test Panorama™ der Firm Natera. Er ist auch in Deutschland unter diesem Namen durch die Firma Eluthia erhältlich, die letztes Jahr durch Datenschutzprobleme eines NIPT-Angebots in den Medien war. Im Vergleich zu anderen Selbstdarstellungen ist die Webseite von Eluthia relativ nüchtern gestaltet und enthält auch einen Absatz zu „Grenzen der Aussagekraft von NIPTs“. Doch auch hier wird der Test als „sehr sicher“ beschrieben und die Bedeutung einer falsch-positiv-Rate nicht anschaulich aufgeschlüsselt. Die Firma verweist darauf, dass „Testergebnisse mit einem erhöhten Risiko üblicherweise mit einem diagnostischen Test bestätigt“ werden. Doch verstehen Schwangere die Tests tatsächlich als Screening mit begrenzter Aussagekraft? Alexander Weichert, Perinatalmediziner an der Charité Berlin, warnte im Ärzteblatt: „Seitdem der nichtinvasive Pränataltest immer günstiger wird, erleben wir regelmäßig schwangere Frauen, die einen NIPT ohne humangenetische Beratung über die Aussagekraft und Limitationen und ohne differenzierten vorherigen Ultraschall haben durchführen lassen“. Wie die NYT-Journalist*innen recherchiert haben, gibt es immer wieder Schwangere, die aufgrund eines NIPT-Ergebnisses abtreiben, ohne vorher eine zuverlässigere invasive Diagnostik abzuwarten. Auch für diejenigen, die weitere Diagnostik in Anspruch nehmen, ist ein positives Ergebnis wirkungsmächtig und erzeugt großen Stress und Angst. Die 14 im Artikel interviewten Betroffenen berichten in der NYT von ihrer „qualvollen“ Erfahrung. Sie erinnern sich daran, wie sie verzweifelt nach den Auswirkungen von zuvor für sie unbekannten genetischen Syndromen recherchiert, schlaflose Nächte verbracht, und ihre Bäuche vor ihren Freund*innen versteckt hätten. Acht von ihnen gaben an, keine Information darüber erhalten zu haben, dass es die Möglichkeit von falsch-positiven Ergebnissen gäbe und dass ihre Ärzt*innen ihre Ergebnisse als definitiv dargestellt hätten.
Es ist zu hoffen, dass Ärzt*innen in Deutschland bessere Statistikkenntnisse haben und ihre Patient*innen sensibler beraten. Doch so lange Firmen mit missverständlichen Werten für Testgenauigkeiten werben dürfen, werden immer wieder Schwangere die Belastung durch falsche Ergebnisse erfahren. Studien belegen, dass Stress in der Schwangerschaft negative Auswirkungen auf die Gesundheit des werdenden Kindes und die schwangere Person haben kann.
Die Suche nach seltenen genetischen Abweichungen als Kassenleistung ist kein hypothetisches Szenario: Der Antrag für die Kostenübernahme für den NIPT auf Mukoviszidose wurde von der Firma Eluthia bereits angekündigt. Bei einer weiteren Ausweitung und Normalisierung von NIPT werden zudem mehr Schwangere invasive Diagnostik zur Abklärung in Anspruch nehmen, die ein geringes aber signifikantes Fehlgeburtsrisiko mit sich bringt. Im Zusammenwirken von fehleranfälligen Tests und Ausweitung auf mehr Schwangere könnte sich insgesamt ein medizinisch schädlicher Effekt von NIPT für Schwangerschaften ergeben. Es stellt sich daher spätestens jetzt die Frage, ob wirtschaftliche und nicht medizinische Interessen darüber entscheiden sollten, mit welchen Angeboten Schwangere konfrontiert sind.
Dr. Isabelle Bartram ist Molekularbiologin und Mitarbeiterin des GeN.
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