Maschinelle Verschleppung

In der Koexistenzdebatte geht es zumeist um Sicherheitsabstände, Pollenflug und Auskreuzung. Wenig Beachtung finden hingegen andere mögliche Kontaminationsquellen: Maschinen wie Sämaschinen, Mähdrescher oder Häcksler, die in der Landwirtschaft überbetrieblich zum Einsatz kommen. Ist es in der Praxis überhaupt möglich, hier Verschleppungen zu vermeiden?

Fahren sie mal in der Erntezeit hinter einem Getreidewagen her, da schwappt in jeder Kurve was heraus und auf der Straße sind überall Schleier von Getreide zu sehen", erklärt der Geschäftsführer eines süddeutschen Maschinenrings, Herr Richard. An welchen Stellen es durch gentechnisches Material zu Verunreinigungen kommen kann, sehen Praktiker in der Landwirtschaft wie Herr Richard ganz anders, als die bislang befragten Wissenschaftler und die politisch Verantwortlichen in Bund und Ländern. Denn jenseits der diskutierten und beforschten Einkreuzung von gentechnisch veränderten Pflanzen in herkömmliche Pflanzen gibt es weitere kritische Punkte: gemeinsam genutzten Landmaschinen. Um Kosten zu sparen und dennoch auf moderne Spezialmaschinen zugreifen zu können, nutzen Landwirte vor allem Mähdrescher und Spezialsämaschinen gemeinsam: über Maschinengemeinschaften, als Mitglied in einem Maschinenring oder über Dienstleister wie Lohnunternehmer.

Forschung in den USA

Doch gerade über die Landmaschinen können herkömmliche Ernten in nennenswerten Anteilen verunreinigt werden. Forschungen aus den USA zeigen, dass je nach Breite der Sämaschine eine Reinigungszeit bis zu einer Stunde notwendig ist, um die Rate der Verunreinigung unter 0,1 Prozent zu drücken. Noch aufwändiger wird die Reinigung bei Mähdreschern. Ältere Untersuchungen aus den USA kamen zu dem Schluss, dass jedes Kilo gentechnische Körner als Rückstand im Mähdrescher eine Tonne – das entspricht 1000 kg – der folgenden Ernte mit 0,1 Prozent verunreinigt. Je nach Säuberung verbleiben 27 bis 54 kg in den vielen Winkeln und Ecken eines Mähdreschers. Das heißt mehrere Tonnen der folgenden Ernte können unter einem Prozent mit gentechnischem Material verunreinigt sein. Neue Studien aus den USA zeigen den Bedarf für einen noch größeren Reinigungsaufwand. Bislang wurde angenommen, dass es praktikabler sei, statt der stundenlangen Reinigung es den Mähdrescher mit einigen hundert oder tausend Quadratmetern der nächsten konventionellen Fläche zu spülen (ist gemeint: mit der Ernte der nächstgelegenen konventionellen Fläche zu "spülen"?)und damit, schnell und kostengünstig alle gentechnischen Reste aus dem Mähdrescher zu entfernen. Doch auch nach fünfstündiger Reinigung wird erst in der zweiten kompletten Füllung des Mähdreschertanks eine Sauberkeit von unter einem Prozent erreicht.

Ignorieren in Europa

Obwohl schon seit dem Jahr 2000 in den USA zu der Bedeutung der Landmaschinen für nicht-gentechnische Ernten geforscht und publiziert wurde, griffen europäischen Experten die Ergebnisse nicht auf. Als die EU-Kommission 2002 durch das Joint Research Center die Koexistenz auf einzelbetrieblicher Ebene bewerten ließ, gaben die Forscher als Grenze der Verunreinigung der Aussaat bei der Pflege, der Ernte und beim Transport selbst bei der Wiederverwendung der eigenen Ernte stets weniger als 0,1 Prozent an. Erst 2006 gaben die europäischen Experten zu, dass Mähdrescher nicht komplett zu reinigen seien und die Verunreinigung durch Mähdrescher ohne Reinigung 0,4 Prozent betrage.

Zeitdruck in der Ernte

Da es keine europäische Forschung zur Verschleppung durch Landmaschinen zu geben schien, interviewte ich im Winter 2005/06 Lohnunternehmer und Geschäftsführer von Maschinenringen. Die Aussagen der Praktiker zeigten einen hohen Grad an Übereinstimmung mit den Ergebnissen der Forschungen aus den USA. Um abwägen zu können, wie aufwändig und mit welchen organisatorischen Maßnahmen Maschinen nach einem Einsatz auf einer Fläche mit gentechnischem Mais gereinigt werden können, kommt der Planbarkeit der Einsätze eine Schlüsselrolle zu. Bei der Aussaat entsteht nur in spezialisierten Körnermaisregionen extremer Zeitdruck. Je nach Klima und Bodenstruktur gibt es in anderen Regionen gewisse Zeitpuffer, da hier notfalls auch mal eine Nacht hindurch gesät werden kann. In der Erntezeit wird es jedoch überall hektisch. Je nach Landwirtschaftstruktur kommt ein Mähdrescher auf großen Betrieben in Ostdeutschland mal nur auf einem einzigen Feld zum Einsatz, in Norddeutschland im Schnitt auf drei und im kleinstrukturierten Regionen können es auch mal 20 Felder am Tag sein. "Immer zu kurzfristig …. So ist es beim Maschinenring eben, weil er eher der Notnagel ist …. Das heißt entweder die Wetterbedingungen sind so schwierig, dass es von der Terminierung nicht klappt, oder die Maschine kaputt gegangen ist, … und nun ist der Maschinenring dran und muss sofort einspringen." (Herr Paul) Bei Lohnunternehmern kündigen die Kunden ihre zu erntenden Flächen meist einen Tag vorher an. Gedroschen werden kann am Tag von Mittag bis in den späten Abend, bevor der Tau die Ernte wieder zu feucht werden lässt.

Mähdrescher ist nicht zu reinigen

Die befragten deutschen Experten, Lohnunternehmer und Geschäftsführer von Maschinenringen, waren sich einig: "... dass der Mähdrescher 100 Prozent sauber wäre, das gibt es nicht, es gibt vielleicht nur 98 oder 99 Prozent. Man braucht zwei bis drei Stunden. Da müssen ja alle Siebe raus. Der Korntank und in die letzten Ritzen und Ecken, mit dem Staubsauger. Also, 100 Prozent geht nicht." (Herr Thomas aus Baden-Württemberg) "Reinigen ist kein definierter Begriff, da können sie auch in zehn Minuten fertig sein. Wenn einer sagt, mache die Deckel unten auf, Steigraummulde auf und dann Gewindetrommeldrehzahl und Dreschtrommeldrehzahl herauf, dass mal richtig Bewegung hineinkommt in die Maschine und dann lässt du ihn mal drei Minuten Vollgas laufen und vorne noch das Schneidwerk anfegen oder unten Streckförderer… Wenn natürlich einer anfängt mit dem Staubsauger und Korntank aussagen, Siebe ausbauen, Vorbereitungsboden, in den Schnecken die ganzen Ecken oder mit dem Kompressor, der Dreck muss aller runter. Dann sind da zwei, drei Stunden oder mehr kein Problem. Null gibt es nur bei einer fabrikneuen Maschine." (Herr Reiter) Die Vorstellung, zur besten Erntezeit mehrere Stunden für die Reinigung aufbringen zu können, wiesen sie zurück: "…zwischendrin am Nachmittag, das ist fast unmöglich. Von drei bis fünf oder sechs Uhr werden sie den Mähdrescher nicht stehen lassen, in der besten Zeit, weil sie jetzt sauber machen müssen. Das geht nicht. Dann muss der Betrieb eben morgens anfangen oder warten bis zum nächsten Morgen. Das muss in eine Zeit hineingelegt werden, in der wir nicht ernten können." (Herr Reiter aus Baden-Württemberg)

Nicht zu 100 Prozent machbar

Die Experten weisen darauf hin, dass nur die neuesten Mähdrescher überhaupt mit einem Kompressor ausgestattet sind, der Voraussetzung für eine gründliche Reinigung sei. Skeptisch betrachten sie auch die Frage, wo die Reinigung vorgenommen wird, auf dem Acker sollen die gentechnischen Körner nicht bleiben. Wenn der Mähdrescher zurück auf eine Hofstelle gefahren wird, wollen sie aber auch dort keine gentechnischen Maiskörner aus den Maschinen herumblasen. Allgemein wurde die Praktizierbarkeit einer Trennung der herkömmlichen Stoffströme von gentechnischen über die gesamte Kette hinweg folgendermaßen eingeschätzt: "Ich bin der Meinung, das können wir gar nie, gar nie, ganz trennen. Das ist unmöglich. zweierlei Schienen fahren ist unmöglich. Weil, da müsste man ja total getrennte Drescher habe, getrennte Wagen, Erfassung, wer soll das zahlen?" (Herr Thomas) "Ich sehe es von der praktischen Seite. Es muss ja nur einmal ein Tag nicht gemacht werden, darüber müssen wir diskutieren. Ein Prozent ist nicht tolerabel, sondern es muss eben zu hundert Prozent gemacht werden. Da sehe ich das Problem, denn ansonsten dürften die ganzen Skandale, die wir gerade wieder beim Fleisch haben, gar nicht passieren. Da redet man auch über Rückverfolgbarkeit." (Herr Richard aus Rheinland-Pfalz)

Informationsmangel

Keiner der Befragten kannte die Vorgabe aus dem Gentechnikgesetz, dass der Anbauer von gentechnisch verändertem Mais für die Maschinenreinigung aufzukommen. Durch die Landwirtschaftspresse erfuhren die Experten nichts über die konkrete Ausgestaltung des Gentechnikgesetzes. Für die Dienstleister stellt sich die Frage, ob sie vor dem Einsatz informiert werden müssen, ob gentechnische Pflanzen auf der Fläche wachsen: "Aber wenn es jetzt eine gentechnisch veränderte Fläche ist, dann ist er wahrscheinlich dazu verpflichtet, mir das mitzuteilen, aber ob er das dann wirklich tut in dem Moment? Mich dann zu informieren als Auftragnehmer? Ich weiß nicht." (Herr Paul aus Schleswig-Holstein)

Eigenmechanisierung bevorzugt

Als Modell favorisieren die Experten, wenn jene Landwirte, die gentechnisch veränderten Mais anbauen wollen, ausschließlich auf eigene Maschinen zurückgreifen würden. "Das ist meines Erachtens ausgeschlossen, da müsste man mit einer Maschine nur GVO-Verändertes dreschen und mit einer anderen nur die normalen Felder. Aber das zahlt ja wahrscheinlich niemand am Markt." (Herr Reiter) Denn die Kosten für eine gründliche Reinigung sind enorm. Je Minute kostet ein Mähdrescher in der wenigen Wochen andauernden Erntezeit fünf Euro beziehungsweise 360 Euro je Stunde. Eine flüchtige Reinigung kostet 185,5 und eine gründliche Reinigung 1.855 Euro, inklusive Arbeitszeit. Wobei die Kosten für die Arbeitszeit von 5,5 beziehungsweise 55 Euro den geringsten Anteil ausmachen. Zum Vergleich: In der spezialisierten Körnermaisregion am Oberrhein liegen die Erntekosten je Hektar bei rund 140 Euro. Müsste nach jedem Hektar gereinigt werden, würden sich die Kosten verdoppeln bis verdreizehnfachen. Selbst bei konzentrierten Reinigungen kommen so deutliche Mehraufwendungen für die Landwirte mit Anbau von gentechnisch verändertem Mais hinzu, die die Frage nach der Ökonomie des Gen-Mais in ein ganz neues Licht tauchen.

  1. Die Namen der befragten Experten sind anonymisiert worden.
Erschienen in
GID-Ausgabe
178
vom Oktober 2006
Seite 12 - 14

Mute Schimpf war Vorstandsmitglied des GeN und ist Food Campaigner bei Friends of the Earth Europe.

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