Fleischkonsum: Mit Zellmasse gegen die Klimakrise?

Große Versprechen, wenig Einblicke: Zum Stand der Forschung an In-vitro-Fleisch

Forscher*innen arbeiten seit Jahren an der Entwicklung von Fleisch aus dem Labor. Über die Herstellungsprozesse geben sie nur wenig preis, versprechen aber das Tierleid zu lindern und die Belastungen für die Umwelt zu vermindern. Auch neue Gentechnik kann dabei zum Einsatz kommen. Die ersten Produkte könnten bald im Handel sein.

Kai Fiedler

Foto: © Katharina Link

Herr Fiedler, was ist In-vitro-Fleisch?

In-vitro-Fleisch wird auf Basis tierischer Stammzellen im Labor gezüchtet und ist ein Produkt aus der synthetischen Biologie. Die Stammzellen kommen vom Rind, Huhn oder Schwein. Manche Firmen arbeiten sogar an Fischfleisch. Diese Stammzellen werden in einer Nährlösung im Labor vervielfältigt. Der Prozess ähnelt dem Ansetzen einer Gewebekultur, wie sie in der medizinischen Forschung genutzt wird. Anschließend werden die Zellen abgeerntet und weiterverarbeitet, momentan hauptsächlich zu Burger-Buletten oder Fleischbällchen.

Die Trendstudie „Fleisch der Zukunft“ des Bundesumweltamts beschreibt die Entwicklung von In-vitro-Fleisch als noch in den Kinderschuhen.1 Das erste Produkt in Form einer Burger-Bulette wurde bereits 2013 vorgestellt. Wie ist der aktuelle Stand der Forschung?

Der aktuelle Stand der Forschung ist schwierig einzuschätzen. Die meisten Hersteller haben zwar eine Internetpräsenz, aber das sind vor allem Bilder und ein paar schöne Worte über ihre Technologien. Vieles ist öffentlich nicht einsehbar, Einblicke in die Labore gibt es leider auch nicht.
Einige Firmen haben der Öffentlichkeit zwar schon ein Fleischbällchen oder einen Chicken Nugget präsentiert, die Produkteinführung steht jedoch international noch aus. Mittlerweile sind viele Patente dieser Firmen einsehbar, die Aufschluss über ihre Technologien und ihr Vorgehen geben. Zwischen der Patentanmeldung und der Veröffentlichung vergehen jedoch eineinhalb Jahre. Das bedeutet, dass die Patente, die man jetzt einsehen kann, den Stand von 2018, maximal Beginn 2019 widerspiegeln. Es ist also schwer zu sagen, wieweit der momentane Entwicklungsstand wirklich ist.
Es wird beispielsweise an Gerüsten geforscht, an denen die Zellen wachsen können. Damit würde die wabbelige Zellmasse, aus der man bisher lediglich Fleischbällchen oder Buletten machen kann, eine Struktur bekommen. Mit diesen Gerüsten könnte richtiges Muskelfleisch imitiert werden, mit der typischen Textur und Dichte – eher so in Richtung Steak. Während einige Firmen an essbaren Gerüsten aus pflanzlichen Zuckermolekülen arbeiten, forschen andere zu Gerüsten, die vor dem Essen entfernt werden müssten. Was sich durchsetzen wird, ist aber schwierig abzusehen.
Aus den Patenten geht auch hervor, dass jede Firma eine eigene Technologie zur Herstellung von In-vitro-Fleisch entwickelt hat. Es wird klar, dass es bisher nicht die eine Lösung gibt, es wird sich erst noch zeigen, welche Methode sich durchsetzen wird. Die Technologien unterscheiden sich beispielsweise im Hinblick auf die Bioreaktoren, in denen die Zellen wachsen sollen. Während die einen an der Optimierung großer Bioreaktoren mit recycelbaren Zellmedien arbeiten, setzen andere auf eine dezentrale Lösung mit kleinen Bioreaktoren. Das Zellmedium ist derzeit noch sehr teuer, es lohnt sich also, an Methoden zu forschen, die eine erneute Verwendung zulassen.
Diese kleinen Reaktoren sollen dann an Unterhändler oder sogar Bäuer*innen verkauft werden, die dann selber In-vitro-Fleisch herstellen könnten. Auch an Hybridprodukten wird geforscht, das ist eine Mischung aus In-vitro-Fleisch und pflanzlichen Ersatzstoffen. Hier hat bisher lediglich die Firma Super Meat ein Patent angemeldet.

Können wir In-vitro-Fleisch bald im Supermarkt kaufen?

Auch das ist schwierig einzuschätzen. Manche Firmen hatten ihre Markteinführung für 2019 angekündigt, bisher ist aber nichts passiert. Aktuell ist von 2021 oder 2022 die Rede. Ich kann mir vorstellen, dass es in den USA schneller geht als in der EU, zumal in der EU die Risikobewertung der Produkte noch aussteht und die gesetzlichen Regelungen strenger sind. Die Firmen haben gerade viele Gelder eingesammelt, daher schätze ich, dass es langsam in Richtung Massenproduktion geht. Ein Grund für die noch ausstehende Markteinführung ist also sicher, dass noch nicht so ganz feststeht, wie man von den ersten Produktpräsentationen in die Massenproduktion übergeht.

Entwickler*innen von In-vitro-Fleisch argumentieren, das Tierwohl verbessern zu wollen. Bislang wird als Nährlösung das ethisch stark umstrittene Kälberserum verwendet, für das sowohl das schwangere Muttertier als auch der Fötus getötet werden…

Viele Firmen preisen auf ihren Webseiten an, dass das Kälberserum nicht mehr für die Herstellung benötigt wird. Leider ist unklar, wie sie die Verwendung von Kälberserum umgehen wollen. Sie geben auch an dieser Stelle nicht viel Preis. Lediglich in der Patentanmeldung der Firma Wild Type ist beschrieben, dass sie das Kälberserum mit einer Mischung aus einem Pilzextrakt und einem Extrakt aus Sojabohnen ersetzen. Andere Zellen benötigen gar kein Kälberserum zum Wachsen, da hat sich das Problem dann von allein erledigt. Sollten die Firmen das Problem tat-sächlich gelöst haben, wäre das Produkt dann tierleidfrei, bis auf die Entnahme der Stammzelle am Anfang.

Die industrielle Fleischproduktion trägt durch die hohen Emissionen einen bedeutenden Teil zur Klimakrise bei und belastet die globalen Ressourcen. Entwickler*innen des In-vitro-Fleischs argumentieren auch ökologisch. Welchen Beitrag soll In-vitro-Fleisch im Hinblick auf den Umgang mit der globalen Klimakrise leisten?

Dabei geht es hauptsächlich um die Ökobilanz der In-vitro-Fleischprodukte. Diese soll insgesamt besser ausfallen als die der Fleischindustrie. Da es noch keine Produkte und Produktionsprozesse gibt, sind die Berechnungen aber bisher eher vage. Die Herstellung von Fleisch aus dem Labor benötigt weniger Wasser und Land, verbraucht aber gleichzeitig viel Energie. Es kommt zudem sehr darauf an, mit welcher Art von Fleisch der Vergleich angestellt wird: Im Vergleich zu Rindfleisch hat Laborfleisch durchweg eine bessere Ökobilanz, sowohl im Hinblick auf den Boden- als auch auf den Wasserverbrauch. In Sachen Energie sind die Einsparungen aber deutlich geringer. Bei Geflügelfleisch sieht das schon anders aus. Man erzielt zwar eine Einsparung bei der Bodennutzung, aber dafür entsteht ein hoher Energiebedarf und eine Zunahme der CO2-Emissionen auf das Doppelte. Es stellt sich die Frage, wie diese Energie gewonnen wird und mit welchem Energiemix die Berechnungen stattfinden. Die Bilanz könnte unter der Verwendung von Ökostrom etwas besser ausfallen als mit konventionellem Strom.

Die Annahme, dass In-vitro-Fleisch von Geflügel und Schwein den Energie- und Wasserverbrauch im Vergleich zu industriellem Fleisch deutlich senken könnte, musste laut Fleischatlas der Böll Stiftung bereits revidiert werden.2 Der Grund dafür ist, dass die Herstellung im Bioreaktor wesentlich mehr Energie und Wasser benötigt, als die konventionelle Herstellung…

Das ist ein interessanter Fakt. Bei den Bioreaktoren geht es um das Nährmedium für die Zellen. Da es noch nicht den einen Bioreaktor gibt und einige Firmen versuchen Nährmedien zu entwickeln, die eine Wiederverwendung erlauben, ist auch hier eine endgültige Aussage bisher schwierig. Was wir in den Patenten bisher einsehen können ist mittlerweile fast zwei Jahre alt. Bei einem sich so schnell entwickelnden Feld finde ich es schwierig Vergleiche zu ziehen, bevor es einen transparenten Herstellungsprozess gibt. Wirklich gute Vergleiche kann man wohl erst führen, wenn das Produkt tatsächlich auf dem Markt ist.

Kritiker*innen geht es nicht nur um die Ökobilanz, sondern auch darum, dass die Diskussion um die Nachhaltigkeit von In-vitro-Fleisch von den komplexen Problemen in der Tierhaltung ablenken könnte. Zudem trägt In-vitro-Fleisch im Gegensatz zur Weidehaltung nicht aktiv zum Klima- und Bodenschutz bei.3

Dass in Sachen Massentierhaltung dringend etwas passieren muss steht außer Frage. Das zeigt auch der aktuelle Tönnies-Skandal.4 Laut einer Studie zu Framing und Verbraucherakzeptanz von In-vitro-Fleisch ist für Verbraucher*innen vor allem der gesellschaftliche Nutzen von In-vitro-Fleisch gegenüber konventioneller Fleischherstellung attraktiv.
Ich hoffe auf eine Umstellung von konventionellem Fleischkonsum hin zu Ersatzprodukten wie In-vitro-Fleisch oder pflanzlichen Produkten. Dass man mit der Diskussion um In-vitro-Fleisch eine Konkurrenz schafft und niemand mehr über die Massentierhaltung reden wird, halte ich für unwahrscheinlich. Die Massentierhaltung hat so einen breiten Einfluss: das Düngerproblem, der Flächenverbrauch, die schlechten Arbeitsbedingungen – es wird immer noch genug Angriffspunkte geben. Ich erhoffe mir eher eine Art Synergieeffekt.

Im Hinblick auf die Klimakrise wäre es doch viel dringender, den globalen Fleischkonsum zu reduzieren, oder?

Das kann so argumentiert werden. Viele Umfragen und Studien ergeben jedoch, dass ein Rückgang des Fleischkonsums so nicht eintreten wird. Das liegt zum einen daran, dass einige Länder ihren Fleischkonsum gerade erst richtig ankurbeln. Zum anderen liegt es daran, dass selbst im Falle einer Einschränkung des Fleischkonsums in den westlichen Industriestaaten, sich der Konsum vor allem auf Produkte aus Milch und Käse verlagert. Das hat dann auf die CO2-Bilanz nur einen geringen Einfluss. Es muss davon ausgegangen werden, dass der Fleischkonsum noch einmal zunimmt. Sollten In-vitro-Fleischprodukte tatsächlich eine bessere Ökobilanz aufweisen und zu einer Verringerung des konventionellen Fleischkonsums führen, könnten sie aus meiner Sicht sinnvoll sein. Es bleibt jedoch abzuwarten, wie sich die Forschung in diesem Bereich entwickelt.

Sie hatten das Thema Transparenz ja bereits angesprochen. Kritiker*innen befürchten, dass gentechnische Verfahren Teil des Produktionsprozesses werden könnten. Dabei geht es insbesondere um die fehlende Transparenz hinsichtlich des Produktionsprozesses. Wo kommen neue Verfahren der Gentechnik bei der Herstellung von In-vitro-Fleisch zum Einsatz?

Aus den Patentanmeldungen geht hervor, dass die allermeisten Firmen keine Gentechnik in ihren Herstellungsprozessen einsetzen wollen. Zellen hören irgendwann auf sich zu teilen, das ist auch bei den Muskelzellen so, die für das In-vitro-Fleisch verwendet werden. Sie teilen und vervielfältigen sich dann nicht mehr. Die meisten Firmen warten hier eine spontane Mutation dieser Muskelzellen ab, sodass sie von sich aus unsterblich werden. Das klingt abstrus, ist aber ein relativ normaler Vorgang und braucht keine Gentechnik. Memphis Meats ist die einzige Firma, die hier Gentechnik einsetzt. In deren Patentanmeldungen ist immer eine Optimierung der Zellen vorgesehen, beispielsweise, damit sie besser wachsen. Bisher ist Memphis Meats der einzige Hersteller, der so handelt und ich sehe noch nicht so ganz, warum. Das Produkt würde dann anders reguliert werden, wobei ich bezweifle, dass das in den USA so ein starkes Hindernis wäre. Für den europäischen Markt wäre es das aber in jedem Fall.

Welche Möglichkeiten bestehen, um zu prüfen, ob Gentechnik im Produktionsprozess verwendet wurde?

Eine Möglichkeit wäre, die Idee des Lieferkettengesetzes, welche ja gerade an anderer Stelle im Gespräch ist, auch auf die In-vitro-Fleischindustrie anzuwenden. Es müsste eine Transparenz darüber gefordert werden, wie die Produkte hergestellt wurden, welche Zellen genutzt wurden und ob es gentechnische Veränderungen gegeben hat oder nicht. Falls ja, und auch wenn nicht, müssten von der Firma Informationen zur Verfügung gestellt werden, sodass man das auch überprüfen kann. Diese Transparenz sollte auch im Interesse der Firmen sein, insbesondere in der EU, in der so eine klare Abneigung gegenüber gentechnisch veränderten Produkten herrscht. Bisher gibt es noch keine Testverfahren, die sicherstellen könnten, dass in den Fleischbällchen aus dem Labor wirklich keine gentechnischen Verfahren angewendet wurden. Wenn Veränderungen mit der Genschere CRISPR-Cas gemacht wurden, gibt es bisher keine Möglichkeit das Ergebnis von einer spontanen, eigenen Mutation zu unterscheiden. Es wird sich dann zeigen, wie man solche Produkte regulieren kann.

Meines Wissens ist ein solcher Nachweis möglich, erfordert aber im Voraus genaue Informationen über die vorgenommene Veränderung durch Technologien wie CRISPR-Cas

Das stimmt, ein Nachweis ist möglich, sofern die Hersteller die Informationen über die gentechnische Veränderung mitliefern. Werden diese Informationen nicht bereitgestellt, ist es nach aktuellem Stand der Wissenschaft unmöglich, die gentechnische Veränderung nachzuweisen. Es wäre demnach auch eine politische Entscheidung entsprechende Herstellerinformationen bei der Zulassung vorauszusetzen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Pia Voelker.

GID Meta
Erschienen in
GID-Ausgabe
255
vom November 2020
Seite 16 - 18

Kai Fiedler ist Doktorand für Genetik und Zellbiologie am Max-Planck-Institut für Biologie des Alterns in Köln.

zur Artikelübersicht