Neue Sorten, neue Produkte, neue Kontroversen

Die zukünftigen transgenen Pflanzen sollen’s auch in Europa endlich bringen: Nutzen, Akzeptanz und Profit. Gesundheitsfördernde Lebensmittel, Medikamente vom Acker, Biokunststoffe und schneller nachwachsende Energiepflan-zen könnten die bestehende Ablehnung überwinden – so lautet eine verbreitete Annahme. Doch welche Produkte sollen mit den nächsten Generationen gentechnisch veränderter Pflanzen ermöglicht werden? Und welche neuartigen Gefahren könnten daraus resultieren? Ein Projekt des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) untersucht diese Fragen.

Derzeit erscheint es trotz entsprechender Weichenstellungen durch die EU schwer vorstellbar, dass tatsächlich bald transgene Pflanzen in größerem Umfang in Deutschland oder sonst wo in der EU angebaut werden. Auch wenn nationale oder EU-weite Einigungen zu Koexistenzregeln und Saatgutschwellenwerten erzielt werden und die Novellierung des deutschen Gentechnikgesetzes gelingt, wird aller Voraussicht nach ein Meinungsumschwung pro Gentechnik und insbesondere pro gentechnisch veränderte Lebensmittel wohl ausbleiben. Die manchmal geäußerte Annahme, wenn die Verbraucher erst einmal "Gentechnik geschmeckt" hätten und dabei feststellten, dass entweder kein Unterschied oder aber nur Besseres zu erfahren sei, dann würden sie plötzlich ihre Bedenken aufgeben, überzeugt in keiner Weise – zum einen, weil es überhaupt keine zugelassenen oder angemeldeten transgenen Sorten gibt, mit denen Verbraucher/innen eine neue Produktqualität angeboten werden könnte, zum anderen, weil dieselben Meinungsvertreter in anderen Argumentationskontexten darauf verweisen, dass die Furcht vor Gentechnik allein deshalb völlig un-begründet und irrational sei, weil ja sowieso schon in den meisten Lebensmitteln gentechnisch veränderte Anteile enthalten seien. Mit Debattenbeiträgen dieser Qualität werden Fronten zusätzlich zementiert.

Restrisiko bleibt - Vorsorgeprinzip ebenfalls

Das TAB als unabhängige Beratungseinrichtung des Parlaments hat schon vor Jahren darauf hingewiesen, dass die Debatten über Zweck, Nutzen und Risiken wohl noch lange anhalten werden – und zwar auf wissenschaftlicher, politischer und allgemein gesellschaftlicher Ebene. Egal, wie viele Projekte der Sicherheitsforschung noch durchgeführt werden, egal, wie viele Sicherheitsmaßnahmen noch ergriffen werden: Ein Restrisiko wird immer verbleiben, allein deshalb, weil Wissenschaft nie hundertprozentig beweisen kann, dass etwas nicht geschehen wird. Und genau diesem Umstand trägt unter anderem das Vorsorgeprinzip Rechnung, dessen Anwendung die EU für den Bereich der Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen beschlossen hat. Hieraus folgt die Sonderbehandlung transgener Pflanzensorten (gegenüber "konventionellen" Sorten) mit Sicherheitsbewertung vor der Zulassung und Dauerbeobachtung (Monitoring) nach Inverkehrbringen beziehungsweise Markteinführung. Die erwähnte Annahme, dass die zukünftige Generation transgener Pflanzen quasi automatisch die Kontroversen beenden kann, weil sie durch ihre neuartigen, nützlichen Eigenschaften die Konsumenten wird überzeugen können, muss wohl realistischerweise eher so lauten: Erst wenn transgene Sorten tatsächlich gänzlich neue und erfahrbare, fühlbare, schmeckbare Qualitäten liefern können, erst dann erscheint es derzeit überhaupt denkbar, dass in der Abwägung gegenüber den Vorbehalten - die unter anderem aus dem Misstrauen gegenüber einer Technologie mit Restrisiko resultieren, deren Produkte einer Dauerbeobachtung unter-worfen werden – sich eine größere Akzeptanz entwickelt.

Interesse des Bundestages

Für die Politik beziehungsweise das Parlament als Gesetzgeber ist es in verschiedener Hinsicht spannend und wichtig, sich ein genaueres Bild zu verschaffen, wie denn nun "die Zukunft" transgener Pflanzen aussieht, was in der "Pipeline" ist und daher in Form neuer Sorten und Produkte auf uns zukommen kann. Zum einen als allgemeine Orientierung in der auch im Bundestag meist hochkontrovers geführten Debatte über Sinn und Unsinn des Einsatzes gentechnisch veränderter Pflanzen, zum anderen auch gezielter mit Blick auf eine mittel- und langfristige Ausgestaltung von Forschungspolitik und mögliche beziehungsweise notwendige Anpassungen von Sicherheitsmaßnahmen und entsprechende regulatorische Vorgaben. Dabei dient das TAB als eine Informationsquelle, die sich im Konzert der vielen Stimmen nach eigenem Verständnis und aufgrund des institutionellen Auftrags durch zwei Charakteristika definiert: seine Interessenungebundenheit (Kontrolle nur durch die Abgeordneten selbst; nicht der Bundestagsverwaltung angehörig, daher keine weitere Weisungsgebundenheit; keine Involviertheit in Forschungsförderungskontexte; keine wertbasierte Grundorientierung auf bestimmte Beratungsziele beziehungsweise Schwerpunkte wie Ökonomie oder Ökologie, sondern Anspruch der Offenheit und Umfassendheit) bei gleichzeitiger besonderer Nähe zum Parlament und der daraus resultierenden Möglichkeit, die Untersuchungsergebnisse den Abgeordneten direkt zu präsentieren und zugänglich zu machen.

Definition nötig

Der Begriff "transgene Pflanzen der 2. und 3. Generation" ist nicht eindeutig definiert. Häufig werden mit "2. Generation" diejenigen gentechnisch veränderten Pflanzen (GVP) bezeichnet, die sich in der "Pipeline", also konkret in der industriellen Entwicklung bis kurz vor der Zulassung, befinden und mit "3. Generation" diejenigen im Forschungs- beziehungsweise ganz frühen Entwicklungsstadium. Das Projekt des TAB wird sich auf die Teilmenge der GVP mit geänderten Nutzungseigenschaften (beziehungsweise mit neuen "Output-Traits") konzentrieren. Die zu untersuchenden neuartigen GVP lassen sich vor allem drei Kategorien zuordnen: "Bioreaktoren" ("gene f/pharming" zur Produktion und Ernte industriell, insbesondere pharmazeutisch nutzbarer Stoffe), in Richtung "Functional Food" veränderte Nahrungspflanzen sowie für sonstige industrielle Anwendungen veränderte Pflanzen (zum Beispiel Bäume mit veränderter Holzstruktur). Nicht erfasst werden also GVP mit höheren Erträgen oder solche mit bislang nicht realisierten verbesserten Resistenzen beziehungsweise Toleranzen gegenüber weiteren Krankheiten und Schädlingen, vor allem aber gegen Trockenheit, Salz- und Schwermetallbelastungen. Die erste Teilaufgabe des Projekts ist die Erarbeitung eines detaillierten Überblicks über die beforschten beziehungsweise in Entwicklung befindlichen neuen Merkmale, differenziert nach Pflanzenarten, nach Zahl und Umfang der Freisetzungsversuche, der räumlichen Verteilung weltweit und in der EU sowie im zeitlichen Verlauf. Hierbei kann angeknüpft werden insbesondere an die erst vor kurzem von Benno Vogel und Christof Potthof vorgelegte Studie des Gen-ethischen Netzwerks.(1) Interessant wird sein zu überprüfen, ob die von Vogel/Potthof ausgemachte Tendenz eines rückläufigen Anteils von Änderungen der Output-Eigenschaften unter den freigesetzten GVP auch in den vergangenen zwei Jahren angehalten hat.

Annahmen hinterfragen

Es ist gar nicht so einfach, aus den von den Firmen beziehungsweise den Zulassungsbehörden bekannt gegebenen Informationen zur Art der gentechnischen Veränderung abzuleiten, welche Nutzung denn eigentlich anvisiert wird (zum Beispiel bei einer Veränderung des Fettsäure- oder Aminosäurespektrums als Lebens- oder Futtermittel oder aber zu industriellen Zwecken). Dabei spielen sowohl restriktives Informationsverhalten aus Geheimhaltungs-gründen als auch die vielseitige Nutzung von Pflanzen wie Mais oder Kartoffeln eine Rolle. Neben die quantitative Beschreibung der "Pipeline" muss daher eine Beschreibung der möglichen Anwendungen, der möglichen Produkte aus den neuartigen GVP treten. Dazu wird im Projekt des TAB gehören, unter anderem auch bei den Entwicklern noch einmal genau nachzufragen, wie – zum Beispiel im Bereich der funktionellen, gesundheitsfördernden Lebensmittel – die postulierten "Zusatznutzen" realisiert werden sollen (beziehungsweise könnten) und welche ökonomischen Potenziale damit verbunden sind. Je früher das Entwicklungsstadium allerdings ist, umso schwieriger wird es sein, fundierte Ergebnisse zu erhalten – ein Umstand, der mitbedacht werden muss, aber bei der gewählten Fragestellung unabwendbar ist. Das TAB wird sich hier besonders bemühen, ein realistisches, nüchternes Bild zukünftiger Nutzungsmöglichkeiten zu zeichnen, jenseits inhaltsarmer Werbeversprechungen und reflexhafter Industriekritik.

Neuartigkeit der Risiken untersuchen

Neuartige Produkte können natürlich auch neuartige Gefahren bergen. Unabhängig von der Antwort auf die Frage, ob die Risiken der aktuellen, der 1. Generation transgener Pflanzen (mit Herbizid-, Insekten- und Virusresistenz) hinreichend untersucht und klein genug für eine Zulassung sind, werden zumindest manche der angestrebten GVP mit geänderten Nutzungseigenschaften gänzlich neue Sicherheitsfragen aufwerfen und daher bisherige Konzepte der Risikobewertung (prinzipiell) infragestellen. Insbesondere das Prinzip der substanziellen Äquivalenz zur Bewertung gentechnisch veränderter Lebensmittel bildet kein geeignetes Konzept, um die Sicherheit funktioneller Lebensmittel zu bewerten: Bei dem bisher zugelassenen gentechnischen Novel Food wurde immer die Gleichartigkeit zu konventionellen Nahrungsmitteln als Grundlage der Zulassung (durch Notifizierung) angenommen und begründet – funktionelle Lebensmittel hingegen können ja per definitionem gar nicht gleichartig sein. Bei ihrer Sicherheitsbewertung wird es theoretisch in einigen Fällen sogar aus prinzipiellen Gründen nicht möglich sein, die Schadlosigkeit des Verzehrs nachzuweisen, nämlich dann, wenn die gesundheitliche Wirkung tatsächlich eine hochspezifische wäre und deshalb bei manchen Bevölkerungsgruppen auch – gesundheitlich negative – Nebenwirkungen auftreten können. Noch klarer wird dies bei den sogenannten Pharmapflanzen, die zur Produktion von Medikamenten genutzt werden sollen. In beiden Fällen stellen sich zusammen mit neuen Sicherheitsproblemen auch Fragen nach behördlichen und regulatorischen Zuständigkeiten. Im TAB-Projekt wird Wert darauf gelegt werden, klar herauszuarbeiten, welche Risiken tatsächlich als neuartig aufgrund der neuartigen Eigenschaften betrachtet werden müssen. Vermieden werden soll eine komplette Rekapitulation der Risikodiskussion. Es wird eine gezielte Konzentration auf neue Sicherheitsfragen erfolgen, wozu allerdings auch gehören kann, dass bereits von den jetzigen transgenen Pflanzen bekannte Probleme beziehungsweise Gefahren durch die neuartigen Eigenschaften eine neue Qualität beziehungsweise Dimension erlangen können (so zum Beispiel Fragen der Auskreuzung, der Schwellenwerte und damit der Koexistenz im Fall der Pharmapflanzen). Bei mehrjährigen transgenen Pflanzen wie Bäumen stellen sich manche neuen Fragen, nicht vorrangig aufgrund möglicher neuer Eigenschaften, sondern eher aufgrund mangelnder Erfahrung und den Grenzen der prospektiven Sicherheitsforschung.

Diskussion anstoßen

Mit Blick auf den Bundestag als Auftraggeber und vorrangiger Adressat des TAB wird sich an die Analyse und Beschreibung möglicher neuartiger Risiken ein weiterer Schritt anschließen. Durch Diskussion mit Fachleuten aus Wissenschaft, Behörden, Verbänden, Industrie und gesellschaftlichen Gruppen soll ein Meinungsbild zum einen über die Bedeutung der neuartigen Gefahren – auch und gerade angesichts der möglichen erzielbaren neuartigen Nutzen – und zum andern bezüglich zukünftiger Anpassungserfordernisse der einschlägigen Regularien für den Umgang mit gentechnisch veränderten Organismen beziehungsweise Produkten erhoben werden. Solch eine prospektive Betrachtung kann sicher noch nicht im Detail beschreiben, welche Defizite der bestehenden Regelungen in welcher Art behoben werden können, sollte aber den Fachpolitikern erste Hinweise geben, in welche Richtung die Fortentwicklung von Sicherheitsforschung, Risikobewertung und Zulassungsverfahren verfolgt werden sollte, nachdem alle drei Bereiche wohl niemals als abgeschlossen betrachtet werden können, sondern kontinuierlich fortgeführt und verbessert werden müssen.

(Nicht nur) das Parlament informieren

Das TAB-Projekt läuft bis zum Frühjahr 2005. Über die Erstellung von Teilgutachten sind bislang das Fraunhofer Institut Systemtechnik und Innovationsforschung (ISI), Karlsruhe – das seit September 2003 fester Kooperationspartner im TAB ist –, das Interuniversitäre Forschungszentrum für Technik, Arbeit und Kultur (IFF/IFZ) in Graz sowie BioTechConsult, Berlin, an der Untersuchung beteiligt. Die Ergebnisse werden (wie üblich) in einem Abschlussbericht dokumentiert werden, der dem Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-Abschätzung zur Abnahme vorgelegt und danach auch der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt wird.

Fußnote:

  1. Die Studie von Benno Vogel und Christof Potthof "Verschobene Marktreife – Materialien zur zweiten und dritten Generation transgener Pflanzen" (Hrsg: Gen-ethisches Netzwerk) ist als Printversion beim Gen-ethischen Netzwerk für 15 Euro erhältlich. Sie entstand mit Unter-stützung des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Bio Suisse, Greenpe-ace Schweiz, Pro Natura (Schweiz), WWF Schweiz und der Zukunftsstiftung Landwirtschaft. Als pdf unter: http://www.gen-ethisches-netzwerk.de/gen/html/pro…. Siehe auch Artikel im GID 162, S.23: "The next Generation" von Benno Vogel und Christof Potthof.
GID Meta
Erschienen in
GID-Ausgabe
164
vom Juni 2004
Seite 27 - 29

Arnold Sauter ist stellvertretender Leiter des Büros für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB). Er leitet dort das aktuell laufende Projekt „Synthetische Biologie“. Das TAB im Netz unter www.tab-beim-bundestag.de.

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