Politisch positionierte Kritik!
Debatte „Linke und Technologiekritik”
Eine politische Positionierung zur Gentechnik kann nicht auf Grund einer pauschalen Bewertung von Technik beziehungsweise Gentechnik erfolgen. Ob eine befürwortende oder kritische Haltung eingenommen wird, ist abhängig von der konkreten gesellschaftlichen Situation und einer bestimmten historischen Epoche. Momentan empfiehlt sich eine radikale Ablehnung. Die pauschale Vernunftkritik bei Hauke Benner ist zu kritisieren. Vernunft ist nicht nur ein Werkzeug der Herrschaft, sondern auch ein Werkzeug der Kritik, ebenjene Herrschaft in Frage zu stellen. Es wäre politisch unklug, Vernunft vollkommen zu diskreditieren. Die Vernunftkritik Rainer Hohlfelds bezieht sich hingegen spezifischer nur auf die instrumentelle Vernunft. Damit bezeichnet er allein die Vernunft, welche die Phänomene auf determinierende Faktoren zurückführt, diese zu universell gültigen Gesetzlichkeiten erhebt und damit zweckrationales Handeln ermöglicht. Vernunft, verstanden als Fähigkeit, zwischen Einzelphänomenen einen Zusammenhang herzustellen, muss nicht durch diese drei Merkmale charakterisiert sein. Die Forderung Hohlfelds, die im Wissenschaftssystem manifestierte instrumentelle Vernunft durch Partizipation von Laien im Forschungsprozess zu mildern, ist jedoch zu kritisieren. Durch eine Partizipation von Laien ist noch nicht sichergestellt, dass Kontextsensitivität und Vielfalt produziert werden. Vielmehr besteht die Gefahr, dass das in partizipativen Forschungsprozessen gewonnene Wissen nur als Legitimation dafür benutzt wird, politische Entscheidungsprozesse abzukürzen. Die Partizipation von Bürgern ist zwar zu fordern, aber sie muss in politischen Entscheidungsprozessen eingebettet sein.
Für eine Trennung von Wissenschaft und Politik
Die Erkenntnis, dass jegliches Wissen wertbehaftet ist, da es von konkreten Menschen mit konkreten Interessen produziert wird, sollte nicht dazu führen, Wissenschaft und Politik miteinander zu vermischen. Wissen schafft einen Überblick, Politik positioniert sich. Das eine zeigt, was ist, das andere bestimmt, was sein soll. Eine Vermischung von politischer Entscheidungsfindung mit wissenschaftlicher Erkenntnisproduktion muss vermieden werden, analytisch wie auch praktisch. Ansonsten wird eine Form von Wissen und damit die Sichtweise einer politischen Position als die universal gültige gesetzt und andere Wissensformen marginalisiert. Die Einsicht in die Wertbehaftetheit wissenschaftlichen Wissens darf nicht zu einem totalen Theorieverzicht führen. Es ist erforderlich zu tun, was einige Feministinnen von ihrer Wissenschaft forderten: Mut zu haben, von einem bestimmten Standpunkt aus Theorie zu betreiben, die für alle gültig sein könnte, aber durch die Offenlegung dieses Standpunktes angreifbar zu werden. Um Wissenschaft von der Politik zu trennen ist es demnach geradezu geboten, dass sich Wissenschaft positioniert.
Gegen einen monolithischen Gesellschaftsbegriff
Bei Werner Rätz und Reinhard Mocek klingt ein monolithischer Gesellschaftsbegriff durch. Rätz empfiehlt, bei der Bewertung und Entscheidung über eine Technik maßgeblich die Nützlichkeit zur Entscheidungsgrundlage zu machen. Dabei fragt sich, Nützlichkeit für wen? Für die Gesellschaft? In einer Gesellschaft gibt es Gruppen, die unterschiedlich davon profitieren dürften, was die Gentechnik ihnen bringt. Ebenso spricht Mocek von Natur, Technik und Gesellschaft in der Einzahl. Es gibt aber eine Vielfalt von Naturen, Techniken und Gesellschaften, die zudem noch historisch variabel sind. All diese Gruppen zu einem großen „Wir“ zusammenzufassen, ist einer globalisierten Netzwerkgesellschaft wenig angemessen.
Zweigleisiger Ausblick
Die Lösung, welche der Feminismus für die Wissenschaft gefunden hat - die standortgebundene Wissenschaft - kann auch auf die Technik übertragen werden. Jeder Beitrag ist erlaubt, insofern man ihn in Frage stellen kann. Das heißt also: Jedes technische Experiment ist erlaubt, insofern diejenigen, die es betrifft, dagegen Einspruch erheben können. Das genau meint die von Benner angeführte Dialektik der Aufklärung: Jeder verfestigte Vernunftgebrauch verwandelt sich in einen Mythos. Die Forderung darf deshalb nicht lauten: Mehr Wissen oder anderes Wissen etc.!, sondern: Mehr Demokratie und Partizipation in Entscheidungsprozessen! Solange es aber rechtlich nicht möglich ist, eine Technikinnovation zu verbieten, ist Fundamentalkritik notwendig.
Birgit Peuker ist Soziologin und lebt in Berlin.
Die Debatte
Was bisher geschah:
Im GID 193 entwickelte Reinhard Mocek Prämissen für eine linke Technologiepolitik. Rainer Hohlfeld kritisierte den in der Linken verbreiteten Glauben an die „Unschuld der Produktivkräfte“. Im GID 194 empfahl Werner Rätz, die konkreten Bedürfnisse und Nützlichkeiten im Auge zu behalten. Nach Hauke Benner (GID 195) ist echter Fortschritt nur möglich, wenn das bestehende Herrschaftsverhältnis des Menschen zur Natur grundsätzlich revidiert wird.