Rezension: Körper als Maß?

Körper als Maß?

Wie werden unsere Vorstellungen darüber, was den Menschen ausmacht, durch die scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten der (regenerativen) Medizin verändert? Die Grenze zwischen Gewordenen und Gemachten verschiebt sich mehr und mehr - ein anderes Menschenbild ist unausweichlich. Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für Individuum und Gemeinschaft? Welche normierenden Imperative entstehen durch die technischen Möglichkeiten? Der vorliegende Band steckt den bioethischen Rahmen durch philosophische, theologische, psychologische, literatur- und kulturwissenschaftliche, sozialwissenschaftliche und rechtlich-politische Betrachtungen ab. Die bearbeitete Palette ist vielseitig breit gefächert und damit auch die mögliche Leserschaft; Alraunen und Cyborgs, Medical Thriller sowie Xeno-transplantation sind nur einige der Themen. Francis Galton, der Begründer der Eugenik, war Mathematiker und hat als erster den Normalitätsdispositiv systematisch untersucht. Es verwundert daher nicht, dass die Verbesserung der Gesellschaft "nicht der statistischen Logik" entkommt, "einen Raum des ‚Normalen‘ zu umreißen", so Nicolas Pethes in seinem Beitrag. Heiko Stoff kommt in seinem Bericht zu folgendem Schluss: "Allen Körpern - und dies ist etwas historisch Neues - steht das Recht auf Transformation, auf Anpassung, auf den Erwerb von Leistungsfähigkeit, Jugendlichkeit und Schönheit zu. Dass dabei Freiheit und Zwang kaum zu unterscheiden sind, verweist auf die Wirksamkeit eines über das Selbst, über Bedürfnisse und individualisierte Wünsche funktionierendes Körperregimes." Angereichert werden die wissenschaftlichen Erklärungsansätze mit lebensweltlichen Einblicken: Wie fühlt sich ein Mensch, in dessen Körper sich tierische Zellen, Gewebe oder Organe befinden? Ein Parkinson-Patient berichtet über seinen Wunsch, "normal" zu sein: "Wenn ein Schwein mir helfen kann, gesund zu sein, (...) dann bin ich dafür bereit". Es wird deutlich, dass die eigene, allgemeine ethische Einstellung zu solchen Fragen der Medizin stark von einer Entscheidung abweichen kann, die im Kontext der persönlichen Betroffenheit gefällt wird.

Erschienen in
GID-Ausgabe
175
vom April 2006
Seite 66

Katrin Lange ist Diplom-Pädagogin und hat ihre Diplomarbeit zum Thema "Was ist neu an der "neuen Eugenik"? Eine kritische Analyse am Beispiel der Pränataldiagnostik und der Präimplantationsdiagnostik" geschrieben. Ab Januar wird sie ein Praktikum im Gen-ethischen Netzwerk e. V. machen.

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