USA: Mehr Zwillinge durch Hormonmilch?
In den USA wird Milchkühen ein vom Biotechnologiekonzern Monsanto hergestelltes gentechnisch verändertes Rinderwachstumshormon verabreicht, um deren Milchleistung zu erhöhen. Eine Studie deutet darauf hin, dass die Zunahme an Mehrlingsgeburten beim Menschen durch den Konsum von Milch- und Fleischprodukten dieser Tiere mitverursacht wird.
Ein in den USA zugelassenes gentechnisches Wachstumshormon führt womöglich dazu, dass dort in den letzten Jahren mehr zweieiige Zwillinge geboren werden. Der in der Geburtshilfe praktizierende Gynäkologe Gary Steinman vom Long Island Jewish Medical Center in New York ist der Frage nachgegangen, ob die Ernährung auf das Vorkommen von Mehrlingsgeburten Einfluss hat. Er stellte fest, dass Frauen, die vegan leben – also keinerlei tierische Produkte zu sich nehmen – um ein Fünftel weniger Zwillinge haben, als Frauen, auf deren Speisezettel auch Milchprodukte stehen. Da in der Milchkuhhaltung der USA das rekombinante Bovine Somatotropin (rBST) eingesetzt wird, vermutet der Frauenarzt hier einen Zusammenhang. Die Behandlung mit rBST steigert die Milchmenge bei Kühen um bis zu 40 Prozent. Das Hormon ist weder in Europa noch in Kanada zugelassen und unter anderem umstritten wegen des Verdachts auf seine krebsfördernde Wirkung beim Menschen. Hochleistungskühe leiden oftmals an Entzündungen der Milchdrüse, weshalb vermehrt Antibiotika verabreicht werden müssen. Bei rBST-behandelten Milchkühen steigt nicht nur die Milchleistung, sondern auch das Risiko von Euterentzündungen (Mastitis) und von Beinerkrankungen, ebenso zeigt sich eine veränderte Fruchtbarkeitsrate. Das Hormon BST kommt auch natürlich bei Kühen vor. Mit künstlich zugeführtem rBST erhöht sich im Blut und in der Milch der Tiere die Konzentration des insulinähnlichen Wachstumsfaktors 1 (IGF-1), ein Protein mit Signalfunktion aus der Gruppe der Zytokine. Zytokine steuern Wachstum, Differenzierung und das Überleben von Zellen. IGF-1 ist identisch bei Rindern, Schweinen und Menschen. Mit der Milch aufgenommen passiert es unbeschadet den Verdauungstrakt. Bei Frauen stimuliert IGF-1 die Ovulation und vermutlich auch die Überlebensrate der Embryonen im frühen Stadium.
Verzicht auf Milchprodukte wird empfohlen
Für Steinmans Untersuchung wurden Frauen mit Mehrlingsgeburten zu ihren Ernährungsgewohnheiten befragt und frühere Studien über Zwillinge ausgewertet. Demnach kamen auf 1.042 Schwangerschaften vegan lebender Frauen vier Zwillingsgeburten, während es bei Frauen, die Milch und Milchprodukte konsumieren, 19 waren. Seit der Mitte der siebziger Jahre stieg in den USA mit der künstlichen Befruchtung und der medikamentösen Eisprungstimulierung die Zwillingsrate deutlich an. Den weiteren Anstieg in den neunziger Jahren führt Steinman auf den Einsatz von rBST und die gesteigerte Wirkung des IGF-1 zurück. Da Mehrlingsgeburten oftmals mit Komplikationen verbunden sind, rät der Arzt Frauen mit Kinderwunsch, auf Rindfleisch und Milchprodukte zu verzichten, und dies vor allem in jenen Ländern, wo rBST zugelassen ist.
Eu-weit verboten
Hersteller des unter dem Namen Posilac vermarkteten Medikaments ist das Unternehmen Monsanto. In den USA wurde Posilac 1993 zugelassen. Dort erhalten etwa 30 Prozent der Milchkühe dieses Medikament. In Europa setzten kritische Gruppen ab 1988 ein Moratorium für rBST durch. Seit 2000 ist das Rinderwachstumshormon EU-weit wegen seiner Gefahren für die tierische und menschliche Gesundheit verboten. Auch in Kanada entschied man sich gegen den Einsatz. In zahlreichen Ländern des Südens ist das Medikament jedoch frei verkäuflich, darunter Südafrika, Kenia, Jamaika oder Mexiko. Das Unternehmen hat in der Vergangenheit US-Betriebe, die auf rBST verzichten und ihre Milch oder Milchprodukte als rBST-frei deklarieren, wiederholt verklagt. In Südafrika fordern zivilgesellschaftliche Gruppen seit dem Vorjahr ein Verbot von rBST in der Viehhaltung.
Quelle:
Mechanisms of Twinning: VII: Effect of Diet and Heredity on Human Twinning Rate. Gary Steinman, Department of Obstetrics & Gynecology, Long Island Jewish Medical Center, New York, veröffentlicht in: Journal of Reproductive Medicine, Bd. 51, S. 405
Interview mit Gary Steinmann
Was hat Sie dazu veranlasst, nicht nur dem Zusammenhang zwischen Ernährung und Mehrlingsgeburten, sondern auch der Verbindung zu künstlich mit IGF-1 angereicherter Milch nachzugehen? Nun, wir wussten drei Dinge. Erstens: Kühe, die Zwillinge auf die Welt bringen, haben einen erhöhten Spiegel des IGF (siehe Artikel). Zweitens: Eine Ernährung mit Milchprodukten kann den Spiegel des IGF im Blutplasma des Menschen erhöhen. Und drittens: Kühe, die mit dem Rinderwachstumshormon (rBST) behandelt werden, haben einen erhöhten IGF-Spiegel.
Was bewirkt die erhöhte Konzentration von IGF-1 im Körper von Frauen noch, ausser den Eisprung zu stimulieren? Bei großgewachsenen Frauen ist der IGF-Spiegel höher, gleiches gilt für die Rate an Zwillingsgeburten. Hier ist ebenso Vererbung beteiligt. Menschen afrikanischer Abstammung haben einen höheren IGF-Spiegel als Menschen asiatischer Herkunft und ihre Zwillingsrate geht in die gleiche Richtung. Manche Forscher vermuten, dass IGF mit Krebs in Verbindung gebracht werden kann.
Was bedeuten diese Ergebnisse für den Stoffwechsel von Männern? Beispielsweise scheinen Männer mit erhöhtem IGF-Spiegel häufiger Darmkrebs zu bekommen.
Was ist weiter geplant, um ihre Vermutungen zu verifizieren? Müssen die Daten nicht auch mit denen von Frauen verglichen werden, die Milchprodukte konsumieren, die von nicht rBST-behandelten Kühen stammen? Eine Reihe von weiteren Projekten läuft bereits. Die Ergebnisse werden veröffentlicht, sobald sie verfügbar sind. Zum Beispiel vergleichen wir konventionelle und biologisch erzeugte Milch.
Was raten Sie den Ländern des Südens, wo wenig bekannt ist über Verbindungen, wie sie in Ihrer Studie hergestellt werden, wo rBST aber bislang im Einsatz ist? Im Moment ist es zu früh, um klar behaupten zu können, dass es mit rBST ein Problem gibt. Aber die bisherigen Ergebnisse deuten dies durchaus an.
Interview: Ute Sprenger
Ute Sprenger ist Soziologin und freie Publizistin. Sie arbeitet zudem als Beraterin, Trainerin und Gutachterin in der internationalen Zusammenarbeit und in der Technikfolgenabschätzung.