Offener Brief an das Deutsche Hygiene Museum
Herrn Klaus Vogel Direktor des Deutschen Hygiene Museums
Sehr geehrter Herr Vogel,
mit Befremden haben wir zur Kenntnis genommen, dass das Deutsche Hygiene Museum seinen Medienpreis dieses Jahr dem Autor und Journalisten Erwin Koch für seinen Beitrag "Der Gute Tod" verleiht. In diesem Beitrag wird die niederländische Praxis der Tötung schwerstbehinderter Neugeborener positiv und als humanste Form ihre Behandlung dargestellt. Es gebe Kinder, bei denen es nicht mehr in deren Interesse sei, das Leben zu erhalten. Ihre Tötung sei eine Erlösung von Leiden und Qualen und die einzige Alternative zu einer als sinnlos und endlos bezeichneten weiteren Behandlung. Andere Umgangsweisen mit schwerstbehinderten Neugeborenen, insbesondere die Möglichkeiten einer palliativen Versorgung, bleiben unerwähnt. Die Kritik an der heute in den Niederlanden straffreien Neugeborenentötung kommt nicht zu Wort. Im Gegenteil: Sie wird diskreditiert, indem sie nur noch als Zwischenruf erscheint, der die niederländischen Akteure mit Dr. Mengele gleichsetzt.
Die Methode des Artikels ist uns aus der internationalen Euthanasiebewegung allzu bekannt. Sie ist weder neu, noch überzeugend. Der Einzelfall, hier ein Mädchen mit Epidermolysis bullosa, wird als so leidvoll dargestellt, dass die Euthanasietäter mindestens mit Verständnis, wenn nicht mit Zustimmung rechnen können. Die emotionalisierende Darstellung dramatischer Einzelfälle haben Euthanasie- Befürworter immer wieder benutzt, um damit den Boden für eine Euthanasie ermöglichende Gesetzgebung zu bereiten. Die Reihe ist lang: Ann Quinlan 1975 in den USA, die Baby - Doe - Fälle Anfang der 80er Jahre, Hermy E. 1983 und der Fall Daniela 1987 in Deutschland, Anthony Bland 1996 in Großbritannien, Vincent Humbert 2002 in Frankreich und viele mehr. Die Fortführung dieser fraglichen Praxis mit einem Medienpreis zu ehren, können wir wenig nachvollziehen. Auch den Verweis auf die Naturvölker und die Völker der vorchristliche Antike, die ihre behinderten Kinder getötet haben und deshalb in besonderer Weise human gehandelt haben sollen, kehrt regelmäßig im Schrifttum der Euthanasiebefürworter wieder. Wir halten diese Aussage für ebenso abgegriffen wie die Behauptung, dass die drei monotheistischen Religionen, dem Töten Neugeborener mit der Erklärung der Heiligkeit des Lebens ein Ende gesetzt hätten, aber das Leid der Kinder missachteten. Einen Journalismus auf diesem Niveau halten wir für wenig preiswürdig.
Was schwerer wiegt: Leben unter der Bedingung von Behinderung wurde und wird von Journalisten in all diesen Fällen herabgewürdigt und zum Unwert erklärt. Regelmäßig wurde und wird die Behauptung aufgestellt, dass für diese Betroffenen der Tod besser sei als das Leben. Dies lässt Erwin Koch auch den niederländischen Kinderarzt sagen, obwohl gerade auch Kinder mit der hier beschriebenen Epidermolysis bullosa zwar sehr viel Behandlung und Achtsamkeit brauchen, aber durchaus ein glückliches Leben unter anderen Menschen führen können.
Wir bedauern die Preisauszeichnung, weil sie dem Bemühen des Hygienemuseums, sich mit seiner eigenen Vergangenheit kritisch auseinander zu setzen, ebenso widerspricht wie seinem wissenschaftlichen Renommee, das sich nicht zu letzt durch die derzeitige Präsentation der Ausstellung "Tödliche Medizin" und die damit verbundene differenzierte und historisch versierte Auseinandersetzung mit dem Thema Euthanasie begründet. Wir protestieren gegen die Preisverleihung und bitten das Hygienemuseum, seine Entscheidung zu überdenken.
Mit freundlichen Grüßen