Planet der Vielfalt
Internationaler Kongress zu Biodiversität und Gentechnik in Bonn
Vom 12. bis zum 30. Mai dieses Jahres fanden in Bonn die Verhandlungen über die UN-Konvention für Biologische Vielfalt (CBD) und über das Cartagena-Protokoll für Biosicherheit statt. Die erste Verhandlungswoche wurde vom Kongress „Planet Diversity” begleitet. Organisiert wurde er von zwölf Organisationen, darunter auch das Gen-ethische Netzwerk.
Englisch, Französisch, Spanisch, Deutsch - aus jeder Richtung eine andere Sprache. Menschen in farbenfrohen traditionellen Gewändern, in schwarzen feinen Anzügen oder einfach in Jeans und T-Shirt: Vielfalt ist schon in dieser Hinsicht gegeben. Kommt in einer Gesprächsrunde eine weitere Person hinzu, so geht die Gruppe mitunter von einer Sprache zu einer anderen über. Oft muss jemand dolmetschen. Denn die Vertreter und Vertreterinnen von Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen, die sich hier miteinander unterhalten, sind aus allen Kontinenten angereist. Anlass für diese Zusammenkunft ist der internationale Kongress „Planet Diversity“, der parallel zu den Verhandlungen der Konvention für Biologische Vielfalt (CBD) und des Cartagena-Protokolls zur Biologischen Sicherheit stattfindet. Was die etwa 190 Vertragsstaaten der UN-Konvention im Bonner Maritim-Hotel verhandeln, sorgt zwei Straßenecken weiter, im Bonner Gustav-Stresemann-Institut, ebenfalls für Diskussionsstoff: der Erhalt und die Sicherheit der biologischen Vielfalt, die Regelung des Zugangs zu diesen Ressourcen, sowie Bedingungen für einen Ausgleich - das „Ob?“, das „Wie?“ und das „Wer?“.
Bewusstsein für die Vielfalt
Es schlägt zur Stunde: Die erste Plenarsitzung beginnt. Alle Gäste sind eingeladen, sich im großen Saal zu versammeln und die Vorträge zum „Paradigma der Vielfalt“ anzuhören. Aber in welcher Sprache wird das Plenum gehalten? Die Meisten entscheiden sich zur Sicherheit die Utensilien der Synchronübersetzung mitzunehmen. Als Pfand bleiben die Pässe vor der Tür des Plenarsaals zurück. Es sind hellrote japanische Büchlein, dunkelgrüne für Mexiko und Irland, ein blass-rötliches Lila für Senegal und ein dunkles Rot für Italien. Sie sammeln sich eng beieinander auf einem Tisch und auch sie bezeugen mit ihrer bunten Vielfalt, dass ihre Besitzerinnen und Besitzer tatsächlich von überall angereist sind. Der Saal füllt sich. Eine der fünf Vortragenden ist Suprabha Seshan, eine junge Frau mit offenen, freund-lichen Lächeln und selbstsicherem Auftreten. Ihre traditionelle indische Kleidung - ist das vielleicht ein Sari? - wirkt gleichzeitig sehr modisch. Unter ihrem kurzen Haar trägt sie ein Tuch um die Stirn. Sie ist Direktorin des Gurukula Botanical Sanctuary, eines Schutzgebietes im südwest-indischen Ghat-Gebirge. Die Rede beginnt Seshan mit einer Beschreibung ihrer Arbeit im Schutzgebiet, die Pflege bedrohter Pflanzenarten, sowie die Rekultivierung derer, die früher einmal in diesem Gebiet gewachsen sind. Anschließend ruft sie die Zuhörerschaft dazu auf, die Wälder und Gebirge zu besuchen und die dort lebenden Pflanzen und Tiere in ihrer kleinsten Einheit zu beobachten und zu erleben. Auf diese Weise könne ein angemessenes Bewusstsein dafür geschaffen werden, dass jeder Mensch mit jedem anderen Lebewesen auf der Erde verbunden und vernetzt sei, und dass die eine Seite ohne die andere nicht existieren könne. Aus Verliebtheit in sich selbst habe „unsere Spezies“ diese Tatsache aus den Augen verloren. „Wir haben eifrig und unkritisch ein Leben akzeptiert, das fast ausschließlich von menschlichen Technologien und Techniken bestimmt wird, die uns desorientieren, die uns einengen in unserem Geist, im Körper und im Herzen. Unsere Landschaften werden brutal verändert, so aber auch unsere Sensibilitäten und vielfachen Intelligenzen. Wir verlieren Perspektiven und werden unfähig, die Grenzen und die Gefahren unserer Erfindungen zu realisieren.“
Gemeinsam politische Ansätze erarbeiten
Die zur Auswahl stehenden Themen der Workshops - etwa zehn finden an jedem der drei Tage von „Planet Diversity” parallel zueinander statt - reichen von der kulturellen Rolle einer Pflanze über scheinheilige Konzepte zum Vorteilsausgleich zwischen indigenen Bevölkerungsgruppen und Pharmaunternehmen, über die Rechte der Frau im landwirtschaftlichen Kontext bis hin zu Fallbeispielen ökologischer Landwirtschaft oder den politischen Auswirkungen des Anbaus von gentechnisch veränderten Organismen (GVO). Letztere, die GVO, nehmen den größten Raum ein, unter anderem mit Überblicken über die Situationen auf einzelnen Kontinenten oder mit dem Augenmerk auf spezielle Technologien, wie zum Beispiel der so genannten Terminator-Technologie. Auch der Weltagrarbericht findet einige Aufmerksamkeit. In ihrem Workshop stellen Hans Herren, der Co-Vorsitzende des International Assessment of Agricultural Science and Technology for Development (IAASTD) und Kollegen den Bericht vor, an dem sie selbst über mehr als drei Jahre mitgearbeitet haben. Das Dokument ist im Auftrag unter anderem der Weltbank, der Welternährungsorganisation und der UNESCO von 400 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern erarbeitet und von 60 Ländern unterschrieben worden. Mitte April dieses Jahres wurde es veröffentlicht. Die Landwirtschaft in ihrer heutigen Form, so der Bericht, habe keine Zukunft. Wichtiger Lösungsansatz für die Probleme des Verlustes der Artenvielfalt, von Hunger- und Klimakatastrophen seien die kleinen bäuerlichen Farmen, lokal geleitet und mit nachhaltiger Bewirtschaftung. (Siehe auch das Interview mit Hans Herren in diesem Heft.) Der regelmäßige Wechsel zwischen Plenarsitzungen und Workshops geht weiter mit Beiträgen von Christine von Weizsäcker, Präsidentin der Organisation Ecoropa und Mitglied im Beirat des Gen-ethischen Netzwerks, sowie von der indischen Umwelt- und Menschenrechtlerin Vandana Shiva. Auf der abschließenden Sitzung am Donnerstag wird neben anderen Themen der Weltagrarbericht noch einmal aufgegriffen. Jean Grossholtz, emeritierte Politik-Professorin des Mount Holyoke College in Massachusetts, dankt der Weltbank und den Vereinten Nationen dafür, dass sie den Weltagrarbericht IAASTD initiiert beziehungsweise unterstützt haben. Dieser Bericht benenne das, wofür manche Besucher des „Planet Diversity“ jahrzehntelang gekämpft haben. „Es ist einfach nötig zu sagen, dass wir uns abwenden müssen von einem System der Landwirtschaft, welches nur auf „Geld-Sachen” aufbaut, und dass wir uns hinwenden müssen zu einem System, das auf echten Bedürfnissen beruht!”
Konkrete Forderungen
Weitere konkrete Forderungen, die von den Arbeitsgruppen des „Planet Diversity” während der letzten drei Tage entwickelt worden sind, werden nun noch einmal zusammengetragen:
- Es müssen weltweit Moratorien für Gentechnik und für Agrotreibstoffe verhängt werden.
- Es darf keine Patente auf Leben geben, es muss Lebensmittelsouveränität für alle Bevölkerungsgruppen herrschen und Bäuerinnen und Bauern müssen das grundsätzliche Recht auf Nachbau, Züchtung, Austausch und Verkauf von Saatgut haben.
- Spekulationen mit Nahrungsmitteln und Land, auf dem diese erzeugt werden, müssen verboten werden.
- Es muss wirtschaftliche Vielfalt gefördert, sowie die Entflechtung von Monopolen herbeigeführt werden.
- Forschung und Entwicklung müssen in der Fortsetzung der traditionellen Anbausysteme stattfinden, und zwar unter Einbindung der bäuerlichen Betriebe.
- Frauen als Rückgrat der Bewegung verdienen mindestens die gleichen Rechte.
- Vielfalt statt Monokulturen; lokal, vielfältig und gentechnikfrei!
Geplant ist, diese Forderungen später den Vertretern der UN-Konvention zu überreichen. Lauter Beifall, Zustimmung. Die Atmosphäre ist herzlich, Gäste bedanken sich bei den Veranstaltern und Freiwilligen für die Organisation dieses Kongresses. Viele zeigen Verbundenheit, Freundschaftlichkeit und auch Freude über das gemeinsame Interesse und die gemeinsame Arbeit an diesem Thema. Geografische Entfernung und Beteiligung an der gleichen Bewegung schließen sich nicht gegenseitig aus. Das hat „Planet Diversity" bewiesen. Manche Teilnehmerinnen und Teilnehmer reisen also mit offensichtlich aufgefrischter Motivation weiter oder zurück nach Hause, um ihrer eigenen, speziellen Arbeit an dieser Bewegung nachzugehen. Und sich vielleicht sogar an ein paar Sätze von Suprabha Seshan zu erinnern: „Es gibt Kräfte, die dort tätig sind, in diesem Universum, in der Natur, im Leben, die wir kaum begreifen können. Und trotzdem, was wir tun können, ist das Vertrauen darauf zu haben, dass sie arbeiten, wenn wir sie nur arbeiten lassen.“
Naima Blum absolviert ihr Freiwilliges Ökologisches Jahr beim Gen-ethischen Netzwerk.
Die Dokumentation von Plenarsitzungen und Workshops auf www.planet-diversity.org