„Völlig intransparente Situation"
Interview mit Kathrin Vogler
Die Debatte zur Präimplantationsdiagnostik in Deutschland befindet sich in einer Art Warteschleife; schließlich muss die Bundesregierung die Rechtsverordnung zum Präimplantationsdiagnostikgesetz noch erlassen. Für die stellvertretende Vorsitzende des Gesundheitsausschusses im Bundestag gab die Interims-Rechtslage aber Anlass für ein öffentliches Statement.
Sie haben sich im Februar öffentlich zu Wort gemeldet mit dem Hinweis, dass die PID derzeit verboten ist. Was ist der Hintergrund für diese Botschaft?
Obwohl wir jetzt eine klare Rechtslage haben - PID ist prinzipiell verboten und die Ausnahmen davon sind noch nicht geregelt - gibt es derzeit eine massive Werbekampagne der PID-Zentren. Die Zentren wollen sich wohl jetzt schon Kundschaft für später sichern und außerdem Druck entfalten und Fakten schaffen, um sich auf dem zu erwartenden Markt gut zu positionieren. Schließlich muss in der Rechtsverordnung noch geregelt werden, wie viele Zentren überhaupt Lizenzen für die PID erhalten. Außerdem ist mir beim Lesen in Blogs und Internetforen aufgefallen, dass es bei den Betroffenen eine massive Verunsicherung gibt: Einerseits hat der Bundestag die PID nun unter bestimmten Bedingungen freigegeben; auf der anderen Seite ist das Verfahren dazu noch nicht spruchreif, und auch die Praxis, die vom Bundesgerichtshof legitimiert worden ist, ist mit dem neuen Gesetz nun nicht mehr legal.
Mit welchen Schritten könnte dem Treiben der Kliniken Einhalt geboten werden?
Wir haben die Bundesregierung befragt, wie sie diese Werbekampagnen bewertet und ob sie es ausschließen kann, dass auch jetzt PID durchgeführt wird. Daraufhin hat sie uns bestätigt, dass es ein klares Verbot der PID seit dem Inkrafttreten des Gesetzes am 8.12.2011 gibt. Sie hat weiterhin erklärt, dass ihr keine Erkenntnisse über die Durchführung der PID nach diesem Zeitpunkt vorliegen. Und weiter: Die Verfolgung etwaiger Verstöße gegen das Präimplantationsdiagnostikgesetz obliege allein den hierfür zuständigen Strafverfolgungsbehörden. Das macht sehr deutlich, dass die Bunderegierung keine eigenen Anstrengungen unternehmen will, um aufzuklären, ob da vielleicht illegal gehandelt wird. Man kann den Eindruck gewinnen, dass sie sehr gezielt die Augen verschließt.
Wie ist denn der aktuelle Stand in der Entwicklung der Rechtsverordnung?
Es handelt sich um eine völlig intransparente Situation. Wir haben weder zu den Inhalten noch zum Zeitrahmen irgendwelche belastbaren Aussagen bekommen. Klar ist, dass das Bundesgesundheitsministerium mit den Bundesländern verhandeln muss - und wir gehen davon aus, dass diese ein Interesse daran haben, jeweils ein eigenes PID-Zentrum zu bekommen. Das finden wir eigentlich unsinnig, wenn es sich wirklich um 100 bis 200 Fälle pro Jahr handelt, bei denen PID in Frage kommt. So haben es uns schließlich die Abgeordneten, die das verabschiedete Gesetz beantragt haben, immer wieder kommuniziert. Viele Zentren würden bei dieser Anzahl ja auch gar nicht den nötigen Qualitätsstandards entsprechen können.
Wie viele Zentren fänden Sie denn angemessen?
Mir wäre es wichtig, dass die Zahl der Zentren dieser mutmaßlichen Zahl der Fälle angemessen ist - und das wären meiner Meinung nach ein bis höchstens zwei PID-Zentren.
Welche Aspekte der Rechtsverordnung sind Ihnen außerdem wichtig?
Wir drängen sehr darauf, dass die Ethikkommissionen, die an den Zentren über die Zulassung von PID-Verfahren entscheiden sollen, nicht ausschließlich aus Ärzten und Ärztinnen bestehen dürfen. Sie sollten auf jeden Fall Menschen aus den Behindertenverbänden und Selbsthilfeorganisationen einbeziehen, sowie auch Psychologen und Psychologinnen. Die Kirchen haben ja auch diskutiert, ob sie sich beteiligen würden. Die katholische Kirche lehnt dies strikt ab; die evangelische Kirche ist trotz aller Bedenken dazu bereit. Aus meiner Sicht sollten Religionsgemeinschaften in diesem Land aber keine Oberhoheit über ethische Debatten innehaben. Schließlich geht die Frage ja nicht nur religiös gebundene Menschen an. Weiterhin ist auch die Frage der Finanzierung wichtig: Meines Erachtens kann die PID nicht von den Krankenkassen finanziert werden; schließlich handelt es sich nicht um eine Diagnose im herkömmlichen Sinne, die zu einer Therapie führt. Aber auch dazu gibt es unterschiedliche Meinungen im Parlament.
Erstaunlicherweise wird öffentlich kaum debattiert, was mit den neuen überschüssigen Embryonen geschehen soll, die bei der PID anfallen werden - immerhin wurden diese ja bisher durch das Embryonenschutzgesetz weitgehend verhindert.
Diese Debatte steht uns sicherlich noch bevor. Wir können sie aber auch erst führen, wenn wir einschätzen können, wie viele Embryonen tatsächlich anfallen. Ich gehe davon aus, dass die PID derzeit grundsätzlich verboten ist, wofür ich mich ja auch immer eingesetzt habe; und insofern dränge ich das Ministerium auch nicht, in dieser Frage Gas zu geben.
Befürchten Sie nicht, dass die Rechtsverordnung da schon Fakten schafft?
Meines Erachtens ist die Frage, was mit den überschüssigen Embryonen geschieht, von so hoher gesellschaftlicher Bedeutung, dass das Parlament darüber noch diskutieren sollte. In der Koalition selbst sind ja zur PID beide Positionen namhaft vertreten - und vielleicht ist es auch als gutes Zeichen zu werten, dass sie sich mit der Rechtsverordnung so schwer tun. Wir haben von Anfang fachliche Kritik an dem Gesetz geübt und gezeigt, dass es voller unbestimmter Rechtsbegriffe ist und überhaupt keine Rechtsklarheit schafft. Auch das erschwert das Verfahren.
Sie hatten sich dem Gruppenantrag für ein Verbot der PID angeschlossen. Diese ParlamentarierInnengruppe war ja sehr heterogen, von konservativ bis links. Gab es Differenzen darüber, wie das Thema PID angegangen werden sollte - Stichwort zum Beispiel: der Status des Embryo?
Wir haben das sehr bewusst ausgeblendet. Es ist sicherlich für profilierte Abtreibungsgegner wie zum Beispiel Herrn Norbert Geis eine ebenso große Herausforderung, mit mir zusammenzuarbeiten, wie umgekehrt. Wir entschieden uns dafür, die Pluralität der unterschiedlichen Wege, zu diesem Verbotsantrag zu kommen, in die Waagschale zu werfen. Das war ein sinnvolles Vorgehen.
Ich selbst habe neben der Frage, was die PID für die Würde von Menschen mit Behinderungen bedeutet, das Selbstbestimmungsrecht von Frauen in den Mittelpunkt gestellt. Das ist eine Frage, die andere weniger bewegt hat.
Wie verbinden Sie das Selbstbestimmungsrecht von Frauen mit der Ablehnung der PID?
Aus meiner Sicht ist gerade die Unterwerfung von Frauen, die schwanger sind oder schwanger werden wollen, unter die Herrschaft der Reproduktionsmedizin kein Schritt in Richtung mehr Selbstbestimmung. Im Gegenteil: Frauen sind enormen Belastungen ausgesetzt - auch dann schon, wenn sie über das normale IVF-Verfahren Kinder bekommen wollen. Ein enormer gesellschaftlicher Druck steht dahinter: Frauen sollen sich nur vollständig und ganz fühlen, wenn sie ein biologisch eigenes Kind von ihrem Lebenspartner bekommen. Das ist ein überkommenes Frauenbild, das ich nicht perpetuieren will. Und bei der Frage, ob eine Frau es unserer Gesellschaft zumuten darf, ein behindertes Kind in die Welt zu setzen, entsteht dieser Druck noch einmal auf ganz besondere Art und Weise.
Welche Initiativen könnte die Zivilgesellschaft starten, um derzeit Einfluss auf die PID-Rechtsverordnung zu nehmen?
Konkrete Aktionen sind schwierig - wir müssen abwarten, weil das Bundesgesundheitsministerium sich nicht in die Karten gucken lässt. Sobald etwas im Gesundheitsausschluss vorgelegt wird, müssen wir uns alle kritisch damit auseinandersetzen. Prinzipiell finde ich es für die Zivilgesellschaft wichtig, dass wir noch viel stärker deutlich machen, dass nicht alles, was technisch möglich ist, auch ethisch geboten oder ethisch erträglich ist. Diese Debatte zu führen, ist sicherlich nicht ganz einfach; man sollte sich aber nicht ermüden lassen. Wir kommen immer wieder an Grenzen und müssen uns fragen, welcher wissenschaftlich-technische Fortschritt den Menschen dient und welcher nicht.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Susanne Schultz.
Die Pressemitteilung „PID seit Dezember 2011 ausdrücklich verboten“ von Kathrin Vogler und die Antwort der Bundesregierung finden sich unter www.kathrin-vogler.de > Themen > Gesundheitspolitik > Präimplantationsdiagnostik.