Vor der Rechtsverordnung: Offene Fragen
Lücken im Gesetz zur Regelung der Präimplantationsdiagnostik
Das Gesetz zur Regelung der Präimplantationsdiagnostik (kurz PräimpG) in Deutschland ist zwar am 8. Dezember 2011 in Kraft getreten, konkrete Regelungen für das Entscheidungsverfahren fehlen aber bislang. Das Gesetz gibt dem Bundesgesundheitsministerium, das derzeit die vorgesehene Rechtsverordnung ausarbeitet, enorme Entscheidungsspielräume, und es weist erhebliche Lücken auf. Auf einem Workshop des Arbeitskreises Frauengesundheit Anfang November 2011 in Berlin wurden einige der offenen Fragen diskutiert, das GeN hat sie hier systematisch zusammengestellt.
„Hohes Risiko einer schwerwiegenden Erbkrankheit“
Die Zulässigkeit einer PID beschränkt sich laut PräimpG auf genetische Dispositionen, die nach derzeitigem Kenntnisstand ein „hohes Risiko einer schwerwiegenden Erbkrankheit“ bedeuten und soll dann auch nur zur Feststellung dieser bestimmten Disposition oder aber einer „schwerwiegenden Schädigung des Embryos (...), die mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Tot- oder Fehlgeburt führen wird“, eingesetzt werden (§3a, Abs.2, Satz 2). Offen ist, nach welchen Kriterien ein Risiko als „hoch“ bewertet und wie eine „schwerwiegende Erbkrankheit“ definiert wird. Ebenso ist nicht geklärt, wie die Bundesregierung garantieren will, dass die PID in der Praxis tatsächlich auf die genannten Fälle beschränkt wird: Soll ein Kriterienkatalog eingeführt werden, auf dessen Grundlage das Zutreffen der genannten Voraussetzungen geprüft wird, oder ist geplant, die jeweilige Entscheidung den Ethikkommissionen der einzelnen Zentren zu überlassen? Darüber hinaus: Wie wird der Umgang mit Zufallsbefunden, die den engen Kriterien des PräimpG nicht entsprechen, geregelt werden?
„Aufklärung und Beratung zu den medizinischen, psychischen und sozialen Folgen“
Das PräimpG sieht in § 3a, Abs. 3, Nr. 3 vor, dass vor der Einholung der Einwilligung eine „Aufklärung und Beratung zu den medizinischen, psychischen und sozialen Folgen der von der Frau gewünschten genetischen Untersuchung von Zellen der Embryonen" stattfinden soll. Unklar ist, wem Aufklärung und Beratung obliegen sollen - externen Anbietern oder den zugelassenen Zentren für PID? Auch ist nicht geklärt, ob das Aufklärungsgespräch personell und räumlich von der Beratung getrennt werden soll. Findet beides zugleich statt, ist es wahrscheinlich, dass die humangenetische vor der sozialen und psychischen Beratung in den Vordergrund rückt, ebenso wenn sowohl Aufklärung wie Beratung den zugelassenen Zentren obliegen. Weder ist geregelt, was Inhalt sowohl von Aufklärung als auch von Beratung sein soll, als auch, wer an der Formulierung dieser Anforderungen beteiligt sein wird. Zu befürchten ist, dass Behindertenorganisationen und andere nicht-medizinische Institutionen und Gruppierungen bei der konzeptionellen Abstimmung über notwendige Inhalte von Aufklärung und Beratung wenig oder gar kein Gewicht bekommen werden.
„Zulassung von Zentren, in denen die Präimplantationsdiagnostik durchgeführt werden darf“
Laut PräimpG bestimmt die Bundesregierung durch Rechtsverordnung „das Nähere (...) zu der Anzahl und den Voraussetzungen für die Zulassung von Zentren, in denen die Präimplantationsdiagnostik durchgeführt werden darf, einschließlich der Qualifikation der dort tätigen Ärzte und der Dauer der Zulassung“ (§ 3a, Abs. 3, Nr. 3). Es ist damit völlig offen, wie viele Zentren für Präimplantationsdiagnostik es geben wird und woran sich die Bundesregierung bei der Feststellung eines Bedarfes orientieren sollte. Ebenso muss geklärt werden, wer an den Entscheidungen über eine Zulassung beteiligt werden soll und wer die Voraussetzungen für die Zulassung formuliert, wie lange eine Zulassung gültig sein soll und welche Qualifizierungen von den Ärzten erwartet werden, die an den Zentren arbeiten.
„Ethikkommissionen für Präimplantationsdiagnostik“
Ebenfalls durch Rechtsverordnung sollen „Einrichtung, Zusammensetzung, Verfahrensweise und Finanzierung der Ethikkommissionen für Präimplantationsdiagnostik“ festgelegt werden (§ 3a, Abs.3, Nr. 3). Offen ist, wie viele Mitglieder diese Kommissionen haben sollen, wie sie konkret zusammengesetzt sein werden, ob externes Personal dafür an die PID-Zentren berufen werden soll und welches Gewicht solchen externen Kommissionsmitgliedern in der Zusammensetzung der Kommissionen zukommen soll. Außerdem muss entschieden werden, welche Professionen an der ethischen Begutachtung beteiligt werden sollen und ob Vertreter von Behindertenverbänden einen ständigen Platz in den Ethikkommissionen eingeräumt oder zumindest ein Anhörungsrecht zugesprochen bekommen. Auch ist die Finanzierung der Ethikkommissionen völlig offen und damit auch unklar, inwiefern sie von den PID-Zentren ökonomisch abhängig sein werden.
„Zentralstelle für Dokumentation“
Darüber hinaus sollen durch Rechtsverordnung auch die „Einrichtung und Ausgestaltung der Zentralstelle, der die Dokumentation von im Rahmen der Präimplantationsdiagnostik durchgeführten Maßnahmen obliegt“, festgelegt werden (§ 3a, Abs. 3, Satz 3). Geklärt werden muss hier, welche Institutionen die Zentralstelle einrichten sollen. Auch der Zugang der Öffentlichkeit zu den Informationen muss geregelt werden. Soll ein allgemeines Auskunftsrecht für interessierte Bürger und Medien etabliert werden oder soll der Öffentlichkeit lediglich der alle vier Jahre zu veröffentlichende Bericht der Bundesregierung (§ 3a, Abs. 6) zur Verfügung stehen? Zudem ist unklar, was genau dort nach Auffassung der Bundesregierung im Einzelnen dokumentiert werden soll. Wie kann die individuelle Vorgeschichte der Paare/Frauen anonymisiert dokumentiert werden? Wichtig wäre auch eine Dokumentation von Zufallsbefunden beziehungsweise von Befunden, die nicht den Indikationen des PräimpG entsprechen - sowie das weitere Verfahren mit den untersuchten befruchteten Eizellen in diesen Fällen.
„Schriftliche Zustimmung“ - von wem?
Die Durchführung einer Präimplantationsdiagnostik bedarf laut PräimpG der schriftlichen Zustimmung der Frau, auch wenn ihre Anwendung aufgrund eines Risikos in Betracht gezogen wird, das auf die genetische Disposition „des Mannes, von dem die Samenzelle stammt, oder von beiden“ zurückgeht (§3a Abs. 2, Satz 2). Nicht nur in diesen Fällen stellt sich die Frage: Wie ist vorzugehen, wenn der beteiligte Mann die Zustimmung der Frau zur PID nicht teilt? Plant die Bundesregierung dann ein Anhörungs- oder Vetorecht des beteiligten Mannes?
Was geschieht mit den überschüssigen Embryonen?
Für die PID müssen mehrere Embryonen bis in vitro entwickelt werden mit dem Ziel, diejenigen von der Implantation auszuschließen, die bestimmte unerwünschte genetische oder chromosomale Eigenschaften aufweisen. Damit billigt das PräimpG, dass überschüssige Embryonen entstehen, eine Situation, die in der bisher üblichen Interpretation des Embryonenschutzgesetzes ausgeschlossen wurde - bis auf die wenigen Fälle, bei denen etwas Unvorhergesehenes im IVF-Verfahren geschah. Völlig ungeregelt ist bisher, was mit diesen im Standardverfahren der PID nun anfallenden überschüssigen Embryonen geschehen soll.
Uta Wagenmann war Mitarbeiterin des GeN und GeN-Vorstandsmitglied.