Gentechnikkritik revisited
Feministinnen und Grüne gegen Gentechnik
Der Gen-ethische Informationsdienst und das Gen-ethische Netzwerk verdanken ihre Entstehung dem breiten Interesse der sozialen Bewegungen der 1980er Jahre an Technologiekritik. Ein Rückblick auf die Anfangsjahre und auf das Verhältnis der Akteure Grüne Partei und feministische Bewegung.
In den 1980er Jahren entwickelten Feministinnen verschiedener Strömungen aus unterschiedlichen Perspektiven Kritik an Gentechnik, den aufkommenden Reproduktionstechnologien und dem bisherigen feministischen Konzept von Selbstbestimmung.1 Bedeutend für die innerfeministische Debatte und die Entwicklung der Kritik waren die beiden bundesweiten Kongresse gegen Gen- und Reproduktionstechniken 1985 in Bonn und 1988 in Frankfurt. An den Kongressen nahmen jeweils um die 2.000 Frauen/Lesben aus dem In- und Ausland teil. Hier flossen viele der unterschiedlichen Quellen der Kritik - nicht immer konfliktfrei - zusammen: Frauengesundheit, Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit, feministische Wissenschaftskritik, Ablehnung von Bevölkerungspolitik und Solidarität mit Frauen der damals so genannten 3. Welt. Eine nicht unwichtige Rolle spielten hierbei auch die Grünen, wobei das Verhältnis zwischen Partei und Frauenbewegung sowie zwischen Feministinnen in der Partei und außerhalb nicht unkompliziert war. Die grüne Partei, seit der Wahl 1983 im Bundestag vertreten, bot einen öffentlichen Raum für feministische Frauenpolitik und verstand sich auch als Anstoß und Motor für die gesellschaftliche Debatte über Gentechnik.2
Zwischen Bewegung und Partei
Der vom Arbeitskreis Frauenpolitik der Grünen mitorganisierte erste Kongress „Frauen gegen Gentechnik und Reproduktionstechnik“, der 1985 in Bonn stattfand, richtete sich in erster Linie gegen „die Zerstückelung und Kommerzialisierung der außermenschlichen Natur und des weiblichen Körpers“.3 Alle extrakorporalen Reproduktionstechniken wie künstliche Befruchtung, aber auch die „Auslese- und Ausmerze-Politik“ und die mit den Technologien verbundenen Ideologien wurden abgelehnt. Die dort vorgenommene Koppelung der Kritik der „Ausbeutung von Natur, Frauen und Dritte[r] Welt“ zeigt deutlich den Einfluss der differenzorientierten ökofeministischen Strömung, die die Unterdrückung von Frauen und die Ausbeutung von Natur als eng zusammenhängend wenn nicht gleichartig analysierte.4 Auch auf dem im folgenden Jahr von den grünen Frauen allein getragenen Kongress „Frauen & Ökologie“ war diese Strömung dominant. Dieser Kongress sollte an den Kongress gegen Gen- und Reproduktionstechniken und an die Weltfrauenkonferenz 1985 in Nairobi anknüpfen: Zwischen Frauen-, Weltwirtschafts-, Friedens- und der Ökologiefrage sollte ein Bogen gespannt werden. Durch die Reaktorkatastrophe im ukrainischen Tschernobyl im April 1986 bekam dieser Ansatz noch mehr Gewicht. Die bis dahin dominante grüne Antidiskriminierungpolitik, die das Mittel einer radikalen Geschlechter-Quotierung sämtlicher gesellschaftlicher Bereiche präferierte, wurde als zu systemimmanent angesehen und für ihre vermeintliche Orientierung an Wachstum und Fortschritt scharf kritisiert.5 Auch eine neue so genannte Mütterpolitik begann sich zu formieren: Diese setzte sich für das Recht ein, dass „Frauen ihre Kinderwünsche leben können“, bezeichnete Frauen ohne eigene Kinder allerdings konsequent und diffamierend als „Nicht-Mütter“ und forderte nicht eine bessere Vereinbarkeit sondern gesellschaftliche Anerkennung als Mütter und eben nicht als Frauen.6
Die Organisatorinnen des Ökologie-Kongresses beklagten, ihre Intention, der Bewegung Parlaments- und Parteiressourcen zur Verfügung zu stellen, sei von der außerparlamentarischen Frauenbewegung „nicht verstanden worden“. Statt das Angebot zu nutzen, sei ihnen „Vereinnahmung von Gedanken und Ressourcen der autonomen Frauenbewegung“ vorgeworfen worden, selbst von Frauen vom Verein für Sozialwissenschaftliche Forschung und Praxis für Frauen, mit denen der Arbeitskreis Frauenpolitik der Grünen noch im Vorjahr den gemeinsamen Kongress gegen Gen- und Reproduktionstechnologien organisiert hatte.7
Grüne Gen-Kritik, feministisches Subjekt?
Was bekämpfen die Grünen an der Gentechnik? Diese Frage führte zum Streit zwischen einer ökologischen und der feministischen Herangehensweise. Arnim von Gleich, Biologe und Koordinator des Arbeitsbereichs Umwelt der Bundestagsfraktion, kritisierte anlässlich der ersten Rotation im Bundestag die Konzentration der Kritik auf die Anwendung am Menschen. Dies würden die „Altparteien“ auch machen, die Aufgabe der Grünen sei es hingegen, hier ein Gegengewicht zu setzen und „die problematischen Folgen der Gentechnologie auf die außermenschliche Natur [zu] betonen“. Mit dem feministischen Ansatz gebe es zudem keine Chance auf ein breites Bündnis gegen Gentechnik, das auch die Kirchen miteinbeziehe.8 In der feministischen Kritik an den Gen- und Reproduktionstechniken überwog tatsächlich die Kritik an den Reproduktionstechnologien, vor allem an der erst wenige Jahre möglichen künstlichen Befruchtung (IVF). Die Extraktion der Eizelle aus dem weiblichen Körper bildete allerdings auch die Grundlage dafür, Gentechnik am Menschen überhaupt anzuwenden, weswegen der Frauenbewegung ein stärkeres Interesse an der Bekämpfung der Techniken zugesprochen wurde als anderen gesellschaftlichen Gruppen.9 An diesen innerparteilichen Debatten waren auch die Gründungsmitglieder des Gen-ethischen Netzwerks, Erika Hickel und Heidemarie Dann, maßgeblich beteiligt.
Umwelt- und „Lebensschutz“?
Der Streit um den Paragraphen 218, durch den Schwangerschaftsabbrüche strafrechtlich verboten und nur unter bestimmten Bedingungen möglich waren, war Mitte der 1980er Jahre durch die Absicht von Gesundheitsministerin Rita Süssmuth (CDU), die Beratungspflicht auszuweiten, erneut entbrannt. Um angeblichen „Mißbrauch einzudämmen“ sollten Beratungsstellen und Ärzt_innen stärker „für das Leben“ agieren.10 Das mobilisierte die Frauenbewegung und auch die grünen Frauen, die Forderung „Streichung des § 218“ stand wieder weit oben auf der Agenda. In diese erneute Debatte um eine Neuregelung der Abtreibung floss auch die Kritik an Gen- und Reproduktionstechniken mit ein. Auf der „Bundesweiten Protest-Veranstaltung gegen den § 218“ am 23. Mai 1987 in Frankfurt setzte sich die grüne Bundestagsabgeordnete Verena Krieger mit der Haltung ihrer Partei auseinander. Zwar habe sich die Forderung nach einer Streichung des Paragraphen bei den Grünen durchgesetzt, dabei werde aber von einem Interessenskonflikt zwischen Schwangerer und Fötus ausgegangen, kritisierte Krieger. Sie wies darauf hin, dass die „Lebensschützer“ sich im Aufwind befänden, auch, da sie ihr Auftreten „ökologischer“ gestalteten. Eine Verwechslung zwischen radikalen Abtreibungsgegner_innen und „dem, was links und alternativ ist“ sei nur deshalb möglich, weil Teile der Friedens-, Ökologie- und Frauenbewegungen sich simplifiziert als „Bewegung für das Leben“ gegen Gewalt positioniere. Wenn „Lebensschützer“ Abtreibungen auch unter Gewalt subsumierten, hätte man dem wenig entgegenzusetzen.11
Radikale Kritik und Repression
Gen- und Reproduktionstechniken waren vom Bundeskriminalamt (BKA) zu „anschlagsrelevanten Themen“ erklärt worden. Bereits anlässlich des 1. Kongresses 1985 hatte die militante Frauengruppe Rote Zora einen Anschlag auf den im Bau befindlichen Technologiepark in Heidelberg verübt, um „ein ungünstiges Investitionsklima auf allen Ebenen“ zu schaffen.12 Ende 1987 wurden verschiedene Projekte und Wohnungen der reprokritischen Frauenszene durchsucht. Die Schriftsetzerin Ulla Penselin und die Journalistin Ingrid Strobl wurden wegen „Unterstützung einer terroristischen Vereinigung“ nach § 129a festgenommen und saßen mehrere Monate in Isolationshaft. Der zweite Kongress gegen Gen- und Reproduktionstechnologien in Frankfurt 1988 war auch eine Antwort auf diese Kriminalisierungswelle. Die Fraktion der Grünen im Bundestag wandte sich mit einem offenen Brief an die Innenminister des Bundes und der Länder und die Öffentlichkeit. Durch die Kriminalisierung verbreiterte sich die Bewegung, die Kritik radikalisierte sich und die Vernetzung gegen die Technologien wurde vorangetrieben. Kritik an Gen- und Reproduktionstechnologien kann heute weit weniger Menschen mobilisieren als in den 1980er Jahren. Das Gen-ethische Netzwerk steht dafür ein, dass diese Kritik nie abgerissen ist und feministische und ökologische Schwerpunktsetzungen zusammen statt gegeneinander gedacht werden können.
Dieser Text basiert auf Recherchen im Archiv Grünes Gedächtnis und ist erstmals im Rahmen des Dossiers „Babys Machen“, eine Kooperation des Missy Magazine mit dem Gunda-Werner-Institut für Feminismus und Geschlechterdemokratie, erschienen. Original unter www.gwi-boell.de oder www.kurzlink.de/gid239_b. Er wurde für den GID leicht überarbeitet.
- 1Vgl. zu dieser Phase auch Erika Feyerabend: Reproduktive Freiheit? GID 232, S. 31-33, www.kurzlink.de/gid239_a.
- 2Vgl. Fortpflanzungstechnik und Gentechnik am Menschen, Beschlussvorlage zur Fraktionssitzung am 28.02.1986, Archiv Grünes Gedächtnis Bestand B.II.1, Akte Nr. 4488.
- 3Die Grünen im Bundestag/AK Frauenpolitik und Sozialwissenschaftliche Forschung und Praxis für Frauen (Hg.): Frauen gegen Gentechnik und Reproduktionstechnik: Dokumentation zum Kongress. Kölner Volksblatt Verlag, Köln 1986, S. 14.
- 4Ebd., S. 15.
- 5Vgl. ebd., S. 126.
- 6Vgl. Ilse Lenz (Hg. 2010): Die neue Frauenbewegung in Deutschland: Abschied vom kleinen Unterschied. Eine Quellensammlung, S. 621-637.
- 7Die Grünen im Bundestag/AK Frauenpolitik (1987): Frauen und Ökologie. Gegen den Machbarkeitswahn. Bundesweiter Kongress 1986, S. 7.
- 8Zur Debatte über Frauenpolitik in der Fraktion und darüber hinaus: Feminismus und Gentechnik, 06.03.1985 Archiv Grünes Gedächtnis Bestand Nickels, Christa, Akte Nr. 135.
- 9Vgl. Stellungnahme der Arbeitsgruppe Gentechnik der Bundesarbeitsgemeinschaft Forschung und Technologie der Grünen im Bundestag zur Rotation im Bereich Gentechnik, von Paula Bradish, 20.03.85, Archiv Grünes Gedächtnis Bestand B.II.1, Akte Nr. 4488.
- 10Fraueninitiative 6. Oktober: Brief an Rita Süssmuth, 17.03.1987, Archiv Grünes Gedächtnis Bestand Verena Krieger, Akte Nr. 37.
- 11Alle Zitate Verena Krieger: Lebensschützer/innen bei Grünen und Alternativen, in: Dokumentation Veranstaltung gegen den § 218 am 23. Mai 1987 in Frankfurt, S. 53-61, Archiv Grünes Gedächtnis Bestand Verena Krieger, Akte Nr. 37.
- 12Rote Zora, „Aktion gegen den Technologiepark Heidelberg“, April 1985, www.freilassung.de/div/texte/rz/zorn/Zorn51h.htm.
Kirsten Achtelik arbeitet als freie Autorin und Journalistin zu behinderten- und geschlechterpolitischen Themen.
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