Rezension: Oryx und Crake

Science Fiction: Oryx und Crake

Die Küstenstädte Nordamerikas sind überschwemmt, Seuchen breiten sich in rasantem Tempo aus und die Sonnenstrahlung ist derart aggressiv, dass die Haut, nur kurze Zeit der Sonne ausgesetzt, Blasen wirft. Im Unterholz tummeln sich merkwürdige, gefährliche Kreaturen: Hunölfe, Wakunks, Schlatten und Organschweine - transgene Organismen und Chimären; Produkte menschlicher Allmachtsphantasien. Nun ist die von Menschenhand veränderte Natur außer Kontrolle geraten. Schneemensch alias Jimmy hat die Katastrophe überlebt. Einsam und vor Hunger halluzinierend lebt er auf einem Baum an der Küste. Schneemensch ist eine Art Guru der „Craker“, denen er mit Mythen versetzt von ihrem „Schöpfer“ Crake und von Oryx erzählt. Sein Freund Crake, ein Genie und Gentechnikexperte, war Angestellter eines biotechnischen Multikonzerns, der seine Fähigkeiten dazu einsetzte, seine Vision von einer „besseren Menschheit“ zu realisieren. Mit seinen Reflexionen der Vergangenheit erzählt Schneemensch den LeserInnen, wie es dann zum Untergang der menschlichen Zivilisation kam. Entworfen hat dieses Szenario die Kanadierin Margaret Atwood, die als eine der bedeutendsten AutorInnen des angelsächsischen Sprachraums gilt. In ihrem jüngsten, spannenden Science-Fiction-Roman „Oryx und Crake“ zeichnet sie ein bedrückendes, vielschichtiges Bild der Zukunft. Neben der Entwicklung der Biotechnologie geht es um Konzernmacht, Zweiklassen-Gesellschaft, das menschliche Streben nach Glück und Unsterblichkeit, die Bedeutung von Religion sowie das Ende des Wortes und der Erzählung. Der Reiz des Romans liegt in der engen Beziehung zwischen Realität und Fiktion. Atwoods Zukunftsvision greift gegenwärtige Bemühungen der biotechnischen Forschung auf, treibt sie auf die Spitze und imaginiert ihre Konsequenzen. Der „perfekte Mensch“ erscheint hier als das „Ergebnis einer logischen Kette von Weiterentwicklungen“.

GID Meta
Erschienen in
GID-Ausgabe
164
vom Juni 2004
Seite 53

Julia Hörath

zur Artikelübersicht