Rezension – Vorsorge im Zeitalter genetischer Risikoberechnung?
Nach dem ersten Blättern wollte ich das Buch wieder weglegen. Eine Frau, deren Mutter und zwei Tanten jung an Brustkrebs gestorben sind, beschreibt ihren Weg zu BRCA-Gentest und positivem Testergebnis, ihre Ängste, Erfahrungen und Entscheidungsprozesse, die schließlich dazu führen, dass sie sich - gerade dreißigjährig und völlig gesund - vorbeugend beide Brüste entfernen lässt. Wer möchte denn so ein Buch lesen, so mein erster Gedanke, in dem die Risikovorsorge auf der Basis genetischer Tests ihr Horrorpotenzial voll entfaltet? Noch dazu, wenn der Bericht über die vorbeugende Selbstverstümmelung sarkastisch „Oben ohne“ heißt, pathetisch mit „Die Entscheidung zu leben“ untertitelt ist und die ganzseitige Nahaufnahme der Protagonistin auf dem Buchrücken Bekenntnis und Intimität suggeriert? Gerade diese Aufmachung hat dann aber doch auch mein Interesse geweckt. Schließlich sind wirklich authentische Erzählungen von Betroffenenseite auf dem (nicht nur biopolitisch) umkämpften Gebiet der Gendiagnostik mehr als rar. Und die Erzählung ist authentisch. Oder wäre es richtiger zu sagen, sie beruht auf einer wahren Geschichte? Denn so aufregend, erschütternd und existentiell die Erlebnisse, Konfrontationen und Entscheidungen für Evelyn Heeg gewesen sein müssen - der Bericht erscheint mir trotz aller Personalisierung seltsam unpersönlich, wie die Darstellung eines fremden Lebens. So wird zwar deutlich, dass der Dreh- und Angelpunkt ihrer Entscheidung für die vorbeugende Brustamputation der frühe Tod ihrer Mutter ist, den Heeg als Vierzehnjährige erleben und verarbeiten musste und von dem sie aus verschiedenen Perspektiven erzählt. Auch macht sie Konflikte um Schuld, Verantwortung und Verdrängung mit der Großmutter nachvollziehbar, die drei Töchter an die Krankheit verloren hat und stellt die aus ihren Erfahrungen resultierenden Ängste differenziert dar. Trotzdem bleibt Evelyn Heegs Geschichte merkwürdig schwerelos; sie wirkt immer wieder wie eine Illustration. Dass dieser Eindruck nicht ganz aus der Luft gegriffen ist, wird in einer Formulierung im Nachwort der Humangenetikerin Rita Schmutzler, Koordinatorin der zwölf Zentren für Familiären Brust- und Eierstockkrebs, deutlich: „Exemplarisch“ würde Heeg beschreiben, „welche Gedanken, Unsicherheiten und Zweifel einer gesunden jungen Frau mit einem hohen Erkrankungsrisiko durch den Kopf gehen.“ So ist das mit Unterstützung von Schmutzler und dem als Koryphäe auf dem Gebiet der prophylaktischen Brustentfernung geltenden Professor Axel-Mario Feller verfasste Buch (nicht die Geschichte von Evelyn Heeg wohlgemerkt!) wohl vor allem Ausdruck des Strebens nach Normalisierung und Popularisierung von Gentests und den derzeit verfügbaren Vorsorgemaßnahmen bei familiär gehäuft auftretendem Brustkrebs. Es passt jedenfalls in den Zeitgeist. Aus dem seit etwa einem Jahr bestehenden BRCA-Netzwerk, einem Zusammenschluss aus Erkrankten, positiv Getesteten und potenziell von einer Mutation auf BRCA 1 oder 2 Betroffenen war zu hören, dass Nachfragen zur vorbeugenden Brustentfernung zunehmen.
Uta Wagenmann