Rezension – Wissen, Technik und Sozialismus
Wir leben im „Maschinenwinter“, so schlägt Dietmar Dath schon im Titel den Ton seines Büchleins an. Die Maschinen wurden allzu lange in Ketten gehalten; sie wurden folglich für die Verbündeten des Kapitals gehalten, fatalerweise. Denn statt sie zu stürmen, kommt es darauf an, die Maschinen richtig zu nutzen. Mit diesen knappen Worten kann man die These Daths zusammenfassen. Das klingt provokant und soll es in der Sicht des Verlags wohl auch sein. Die rechte Begleitmusik also für den Umzug von Frankfurt an die Spree, in die Hauptstadt der um ständiges Auffallen heischenden Hipness. So ist in der neu ins Leben gerufenen „edition unseld“ neben dem Neurobiologen Wolf Singer eben auch der Marxist Dietmar Dath versammelt. Tatsächlich passen beide Schreiber ganz gut zusammen, weisen sie sich doch je in ihrer Art durch eine Überhöhung von (Natur-)Wissenschaft und Technik aus - der eine naiv, der andere programmatisch. Dath vertritt ein aufrechtes Anliegen. Eloquent und gelehrt bricht er eine Lanze für die „demokratische Planung“ von Gesellschaft inklusive Wissenschaft und Technik, auch grimmig-entschlossen - so sind sie nun mal, die marxistischen Theoriemänner. Durchaus erfrischend sind dabei seine Bildungsergebnisse: „Wer nicht untergeht, obwohl andere [nämlich die Kapitalisten] für ihn planen, könnte die Zügel ebenso gut gleich selbst in die Hand nehmen. Viel Komplizierteres steht im ganzen Brecht nicht.“ Dath räsoniert mit Ecken und Kanten, wie es einer Streitschrift - so der Untertitel - ziemt. Und da er kaum ein Thema auslässt, erhält man ein umfassendes Zeugnis seiner Weltsicht. Bei einem 100-Seiten-Bändchen bleibt da kein Platz für argumentative Feinsicht und keine systematische Auseinandersetzung mit Wissenschaft und Technik. Es geht um die großen Zusammenhänge. Das ist jedoch kein Nachteil. Daths aufklärerischer Furor wendet sich gegen eine vor allem in Deutschland beheimatete Technikskepis, die sich an der Frankfurter Schule, Hans Jonas oder Günter Anders geschult hat. Seitdem sind die Konflikte mit einer marxistisch orientierten Linken, die offensiv für moderne Wissenschaft und Technik eintritt, vorprogrammiert. Dath begründet seine Sicht, indem er die Bedürfnisse der Menschen zum Maßstab macht. Diese seien nicht ohne Technik zu befriedigen: Vorsorge, Überwindung und Abwehr von Mangel und Emanzipation von Naturzwängen sind Grundlagen der Gesellschaftsentwicklung; dazu gehören anständiger Wohnraum, Kleidung, Nahrung und Bildung, angemessene medizinische Versorgung, reproduktive und sexuelle Rechte... Aus dieser Prämisse leitet Dath gleich einen zweiten Grundsatz ab. „Praktische Unterstützung verdienen nur diejenigen Formen des Antikapitalismus, die nicht vorkapitalistische Zustände wiederherstellen wollen. Tribalistische, völkische, rassistische, religiöse Attacken aufs Bestehende, Rebellionen, die nach Dorfgemeinschaft, Scholle, Urkommunismus oder überhaupt der Zeit vor der entwickelten Arbeitsteilung stinken, verschärfen den katastrophischen Zerfall einer Weltgesellschaft, die das Kapital ganz bewusst hergestellt hat und die es jetzt zerstört.“ Man kann es vielleicht auch so formulieren: Technikkritik ist eine Gratwanderung und darf nicht zur Gegenspielerin emanzipativer Politik werden. Von hier aus unternimmt Dath aber einen sehr großen Sprung. Um die (technischen) Produktionsmittel in den Dienst der Befreiung der Menschen zu stellen, müssten diese quasi nur aus dem Kontext unterdrückender Produktionsverhältnisse „befreit“ werden. Bezogen auf Gen- und Reproduktionstechniken liest sich das so: „In-vitro-Fertilisation ist ein Fortschritt - insofern sie die Kontrolle von Menschen - Frauen und Männern - über ihre eigene Reproduktion erleichtert hat. Soweit sie die Kontrolle über andere Menschen für Profit- und Herrschaftszwecke erleichtert, ist sie es nicht. Die Lösung der technischen Frage ist das eine; entscheidend ist die soziale Frage.“ Oder: „Wer nicht überwacht werden will, polemisiere nicht gegen Chromosomenuntersuchungen und digitale Minikameras, sondern sorge, dass er oder sie nicht beherrscht werde. Das einzige, was den Umschlag von Produktivkraftfortschritten in beschleunigte Zerstörung und Entrechtung verhindern kann, ist Freiheit." Die Operation dieser technikutopischen Sicht ist: Die Technik ist unschuldig. Das Problem sind die politisch-ökonomischen Verhältnisse. Daraus resultiert umgekehrt der bekannte wie (meist) unzutreffende Vorwurf an die TechnikkritikerInnen, sie wollten quasi zurück in die Steinzeit. Den Problemen der eigenen Argumentation geht Dath dagegen auffällig aus dem Weg. Dies fällt umso mehr auf, als in seinem politischen Rundumschlag ausgerechnet die Atomkraft und Agrogentechnik nicht vorkommen. Damit übergeht er aber auch die Ergebnisse einer differenzierten Auseinandersetzung mit Wissenschaft und Technik. Man lese zum Beispiel den letzten GID. Daths Entwurf erinnert an den Fortschritts- und Gesellschaftsentwurf des Frühsozialisten Claude Henri de Saint-Simon. Technik wird emanzipativ sein, wenn wissenschaftliche Vernunft zum Zuge kommt. Dath ist allerdings kein Expertokrat, sondern setzt auf die demokratische Willensbildung. Für die PID mag das gelten; für die pränatale Selektion schon weniger; die Probleme der Genetisch Veränderten Organismen (GVO) werden auch im „Verein freier Menschen“ nicht geringer. Anders als der Frühsozialist Saint-Simon ist Dath jedoch kein Positivist. Um seine Sicht zu begründen, vergleicht Dath die Entwicklung der Gesellschaft, der Wissenschaft und Technik mit der biologischen Evolution. Das ist natürlich problematisch - aber auch interessant. Denn Dath durchbricht auf diese Weise die unproduktive Dichotomie, auf die sich sowohl technische Fortschrittsgläubige wie ihre prinzipiellen Gegner berufen: Wissenschaft/Technik versus Gesellschaft beziehungsweise Natur versus Technik. Wissenschaft und Technik sind jedoch weder unschuldige Naturdinge noch das moderne Übel schlechthin. Es kommt vielleicht darauf an, sie besser zu verstehen. Umso bedauerlicher ist, dass Dath die aktuelle Wissenschaftsforschung auf den Sozialkonstruktivismus reduziert und damit einen Popanz aufbaut. Es ist zum Schluss deshalb auch nicht verwunderlich, dass Dath nicht zeigen kann, wie „man mit Technik doch noch Geschichte machen könnte“ (Umschlagstext). Lesenswert ist das Büchlein dennoch- auch weil wohl mit Günter Anders ebensowenig Geschichte zu machen ist.
Alexander v. Schwerin