Rezension: Wissenschaftsjournalismus
„Wissenschaft und Medien“ lautete der Schwerpunkt der letzten GID-Ausgabe. Unser Urteil über die gegenwärtige Wissenschaftsberichterstattung in den Mainstream-Medien fiel dort nicht sehr positiv aus. Doch zurecht? Der bereits 2008 im „Qualifizierungsprogramm Wissenschaftsjournalismus“ der Bertelsmann Stiftung, BASF und VolkswagenStiftung entstandene Sammelband „Wissenschaftsjournalismus in Theorie und Praxis“ zeichnet hierzu ein ambivalentes Bild. Bereits im einleitenden Artikel wird deutlich, dass sich Wissenschafts-JournalistInnen mit ganz verschiedenen Ansprüchen und Erwartungen konfrontiert sehen. Besteht deren Aufgabe vor allem darin, „relevante wissenschaftliche Ergebnisse zu übersetzen, dabei zu faszinieren und zu unterhalten“ - wie der Fernseh-Moderator Aiman Abdallah (Galileo) meint? Oder eher darin, „das Verständnis für Forschung und Technologie zu verbessern“ und Vertrauen in neue Technologien zu fördern - wie das BASF-Vorstandsmitglied Stefan Marcinowski denkt? Oder besteht die Aufgabe vielmehr in einer kritischen Darstellung wissenschaftlicher Erkenntnisse sowie ihrer sozialen, ökologischen und ökonomischen Implikationen? Glaubt man den später zu Wort kommenden AutorInnen, so findet derzeit ein Wandel im (Selbst-)Verständnis der Wissenschafts-JournalistInnen statt: Akzeptanzbeschaffung für neue Technologien und die bloße Übersetzung wissenschaftlicher Ergebnisse in eine verständliche Sprache verlieren an Bedeutung. Wissenschafts-JournalistInnen verstehen sich zunehmend in erster Linie als JournalistInnen, die eine Unabhängigkeit von ihrem Gegenstand wahren; und Interessenskonflikte zwischen Wissenschafts-PR und Wissenschafts-Journalismus werden reflektiert. Andererseits sprechen die empirischen Ergebnisse eine andere Sprache: Zwei Drittel der JournalistInnen würden sich den teuren Kongressbesuch mit Übernachtung im Luxushotel von einem Pharmaunternehmen finanzieren lassen. Immerhin ein Fünftel würde sich darauf einlassen, gegen ein Honorar der Pharmafirma über deren Pressekonferenz zu berichten. Investigativer Journalismus bleibt ein Randphänomen. „Infotainment“ ist auf dem Vormarsch, kurz: „Science wird zunehmend zum Pop“. Da ist es aus Sicht der Rezensentin positiv zu vermerken, dass im Praxis-Teil des Handbuchs nicht nur Schreibstil und gute O-Töne thematisiert werden, sondern dass hier auch methodische Tips für die kritische Überprüfung von Quellen ihren Platz finden. Auch für die Identifizierung fragwürdiger Forschungserkenntnisse sowie unseriöser Wissenschaftler wird Unterstützung geboten. JournalistInnen werden aufgefordert, die Grenzen wissenschaftlicher Aussagen klar zu benennen und die Visualisierung wissenschaftlicher Ergebnisse (man denke an die berühmte Doppelhelix) einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Das Buch bietet somit durchaus Raum für kritische journalistische Herangehensweisen jenseits von bloßer Akzeptanzbeschaffung. Dennoch ist die Rezensentin nicht ganz zufrieden. Zum Einen wirkt der 600seitige Wälzer wie ein umfassendes, aber wenig stringentes Nebeneinander verschiedenster Sichtweisen, das keinen roten Faden erkennen lässt. Zu unterschiedlich sind die behandelten Themen, zu stark variieren die in den Artikeln geäußerten Fragestellungen und Ansichten. Viele der im Laufe der Lektüre immer wieder aufgeworfenen Fragen bleiben unbeantwortet - allen voran die Frage nach der Kernkompetenz des gegenwärtigen Wissenschaftsjournalismus, die sogar im Schlusskapitel noch einmal auftaucht. Zum Anderen stellt sich die grundlegende Frage, welche Interessen die Bertelsmann Stiftung - die Haupteigentümerin der Bertelsmann AG ist - mit ihrem Engagement im Wissenschafts-Journalismus verbindet. Während die Stiftung stets vorgibt, im Dienste des Gemeinwohls zu handeln, dient sie „in erster Linie dem Bertelsmann Konzern“, schrieb Thomas Schuler vor zwei Jahren in seinem Buch „Bertelsmannrepublik Deutschland“. „Sie ist undemokratisch, beeinflusst aber die Demokratie.“ Es ist begrüßenswert, wenn solch ein mächtiger Akteur JournalistInnen in der Aufrechterhaltung eines kritischen Blicks unterstützt. Es wäre höchst bedenklich, wenn ausgerechnet das Medienimperium Bertelsmann den öffentlichen Diskurs über (Wissenschafts-)Journalismus dominiert. Unabhängige Medien und Publikationen der Gegenöffentlichkeit sind daher wichtig wie eh und je. Sie sollten sich die Reflexion über angemessene journalistische Standards sowie die praktischen Möglichkeiten kritischer Berichterstattung nicht aus der Hand nehmen lassen.
Anne Bundschuh
Holger Hettwer, Markus Lehmkuhl, Holger Wormer, Franco Zotta (Hrsg.): WissensWelten - Wissenschaftsjournalismus in Theorie und Praxis. Verlag Bertelsmann Stiftung (2008), 598 Seiten, 44 EUR, ISBN 978-3-89204-914-2.