Rezension: Zwischen Naturalismus und Religion
Zwischen Naturalismus und Religion
Das neue Buch von Jürgen Habermas, Professor em. für Philosophie an der J.W.Goethe-Universität in Frankfurt am Main, besteht aus mehreren philosophischen Aufsätzen. Der Titel ist Programm: Die aktuelle geistige Situation ist gekennzeichnet durch das Aufeinanderprallen zweier gegensätzlicher Weltbilder, einer naturalistisch geprägten Sicht sowie einem religiös-orthodoxen Standpunkt. Habermas beschreibt einerseits eine vermeintlich westliche Selbstauffassung, die zunehmend durch die Erkenntnisse in der Hirnforschung und der Genetik beeinflusst beziehungsweise bestimmt ist und andererseits das Wiederaufleben der großen Weltreligionen sowohl in der dritten als auch in der ersten Welt (besonders in den USA). Worauf gründen diese Weltbilder und wie ist eine Koexistenz trotz aller Unterschiede in einer pluralistischen Gesellschaft möglich? Um auf diese Fragen befriedigende Antworten zu finden, analysiert Habermas Theorien des kommunikativen Handelns in der Öffentlichkeit, beziehungsweise die Bedingungen eines gesellschaftlichen Diskurses. Den roten Faden durch das Buch bildet eben jenes Problem: Wie kann eine akzeptable Diskussionsebene geschaffen werden, wo doch die Argumentationsgrundlagen jeweils völlig andere Ausgangspunkte haben? Auf der naturalistischen Seite wird versucht, auf einer empirischen Basis zu argumentieren, die religiösen Dogmen jedoch gründen auf einer Metaphysik, also einer nicht-empirischen Basis. Um diese Problematik zu lösen bezieht Habermas die Wirkungsgeschichte verschiedener Philosophen (u. a. Kant und Adorno) wie auch aktuelle Debatten zum Beispiel in den Vereinigten Staaten zum Thema Religion im öffentlichen Raum ein. Das Buch ist ohne philosophische Vorkenntnisse, Philosophielexikon und viel Zeit, nicht leicht zu lesen. Wer aber genügend Muße hat, wird in einer der spannendsten aktuellen Debatten auf eine Goldgrube von interessanten Gedanken und Stellungnahmen stoßen.