Was steckt wirklich in unserem Essen?
Über Mikroorganismen und Zusatzstoffe in Lebensmitteln
Traditionell sorgten Mikroorganismen früher für haltbare Lebensmittel. Mit der Industrialisierung wuchs der Einsatz von Zusatzstoffen, oft durch gentechnisch veränderte Mikroorganismen hergestellt. Doch fehlende Kennzeichnung und mangelnde Forschung werfen Fragen zu möglichen Risiken auf.
Zur Herstellung von Käse und Brot werden Lebensmittelenzyme eingesetzt - meist hergestellt mit Hilfe von gentechnisch veränderten Mikroorganismen. Foto: Pixabay
Dass Mikroorganismen für eine längere Haltbarkeit von Lebensmitteln sorgen können, wussten Menschen bereits lange bevor der Kühlschrank erfunden wurde. Fermentation ist dabei ein wichtiger Prozess für die Herstellung von Käse, Brot, Bier und Wein. Eins haben sie gemeinsam, sie sind verarbeitete Produkte, die ursprünglich aus anderen Ausgangsstoffen wie Milch, Getreide oder Weintrauben hergestellt wurden. Mit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert wurden diese Herstellungsprozesse weiterentwickelt und effizienter gestaltet. Die Ansprüche von Konsument*innen stiegen, aber auch die Nachfrage nach weiteren verarbeiteten Produkten – Pizza, Säfte und vieles mehr.
Um sich abzuheben von der Konkurrenz, waren Zusatzstoffe, wie zum Beispiel Geschmacksverstärker oder eine intensive Einfärbung, eine willkommene Unterstützung. Zusatzstoffe können verschiedenste Eigenschaften betreffen: wie Säuerungsmittel, Verdickungsmittel oder Konservierungsstoffe. Dabei sind rund 320 Zusatzstoffe in Europa durch die European Food Safety Authority (EFSA) zugelassen, die in 27 Klassen unterteilt werden. Meist werden diese in der EU mit einer E – Nummer gekennzeichnet , aber anders als bei dem geltenden Verbot von gentechnisch veränderten Pflanzen und tierischen Produkten in Europa, kann für die Produktion von Zusatzstoffen Gentechnik eingesetzt werden. Dabei können zum Beispiel Bakterien, Pilze oder Hefen legal mit neuen Gentechnikverfahren so verändert werden, dass sie bestimmte Inhaltsstoffe wie Enzyme oder Vitamine produzieren. Der Grund für die fehlende Kennzeichnungspflicht liegt darin begründet, dass die Mikroorganismen nur zur Herstellung von bereits existenten natürlichen Produkten genutzt werden, welche selbst nicht gentechnisch verändert sind. Die Regulierung mit dem Umgang von GVO wird in der Verordnung (EG) des Europäischen Parlaments und des Rates No 1331/2008 und No 1332/2008 beschrieben . Diese besagt unter anderem, dass keine Kennzeichnung des Endprodukts besteht, insofern kein GVO enthalten ist oder zu nicht mehr als 0,9 Prozent. Wer annimmt, dass Zusatzstoffe nur auf hochverarbeitete Produkte beschränkt sind, irrt sich, denn diese sind längst in sämtlichen Alltagsprodukten vertreten.
Anpassung an die Industrie
Traditionelle Handwerksbetriebe wie Brauereien , Käsereien und Bäckereien haben ihre Prozesse an industrielle Verfahren angepasst. Für die Verarbeitung dieser Produkte können Zusatzstoffe wie Lebensmittelenzyme (LE) eingesetzt werden, um effizienter und einfacher für den Großhandel zu produzieren. Oft geht es dabei um eine höhere Menge und schnellere Produktion von Enzymen. Traditionell wurden zur Herstellung von Käse Labenzyme aus Tieren zum Eindicken von Käse genutzt. Das dafür benötigte Enzym Chymosin wird meist aus der Magenwand von Kälbern gewonnen, kann alternativ aber auch mikrobiell oder aus Pflanzen mit eiweißspaltender Wirkung erzeugt werden. Industriell wird dafür unter anderem ein Pilz namens Aspergillus niger gentechnisch verändert, welcher ein fast identisches Enzym produziert. In Bioreaktoren werden Kulturen des Pilzes herangezogen, um anschließend Enzyme durch Zentrifugieren oder Filtern zu extrahieren.
Dieser Pilz kann jedoch auch gentechnisch verändert werden, um Alpha-Amylase zu produzieren. Dies ist ein Enzym, das häufig zur Stärkeverzuckerung bei der Herstellung von Bier und Backwaren eingesetzt wird. Anstelle eines Pilzes kann auch beispielsweise das Bakterium Bacillus licheniformis eingesetzt werden, um dieses Enzym zu produzieren. Diese Auflistung kann für viele verarbeitete Produkte weitergeführt werden und steht nur stellvertretend für Lebensmittel aus unserem Alltag.
Keine Rückstände – keine Kennzeichnung
Begründet wird die Befreiung von einer Kennzeichnungspflicht durch die Annahme, dass kein gentechnisch veränderter Organismus (GVO) im Endprodukt zu finden sei. Forscher*innen aus Belgien hatten jedoch laut einer Studie aus dem Jahre 2021 in verschiedenen Lebensmitteln aus der EU Rückstände von GVO nachweisen können. Dabei seien nicht nur Enzyme registriert worden, sondern auch gentechnisch veränderte Mikroorganismen. Ein weiterer problematischer Punkt ist dabei der Fund von unbekanntem und eventuell unautorisiertem Genmaterial. Daraus ergibt sich die Frage nach Fehlern in Kontrollinstanzen. So wird angemerkt, dass die Überprüfung nur während der Registrierung von neuen gentechnisch veränderten Mikroorganismen bei der EFSA stattfindet, aber sobald die Produkte auf dem Markt verfügbar sind, gibt es offiziell keine Kontrollen mehr.
Risikobewertung von gentechnisch veränderten Mikroorganismen
Verschiedene Mikroorganismen sind allgegenwärtig, sei es in der Umwelt oder sogar im menschlichen Darm, auch als Mikrobiom bezeichnet. Der Lebenszyklus und die Vermehrung sind dabei im Vergleich zu anderen mehrzelligen Organismen weitaus schneller. Dadurch besteht ein hohes Potenzial eines sogenannten horizontalen Gentransfers zwischen verschiedenen Mikroorganismen. Dies betrifft auch Organismen, welche für den Menschen schädlich sein könnten. Die Problematik der Antibiotikaresistenz durch Massentierhaltung ist bereits bekannt, jedoch wurden in diversen Lebensmitteln auch Antibiotikaresistenzgene (antimicrobial resistance genes – AMR) von Mikroorganismen entdeckt. Wenn also gentechnisch veränderte DNA, oder zumindest Genfragmente aufgenommen werden, kann dies gesundheitlich bedenklich sein. Unter anderem können unbekannte Stoffe vom Immunsystem als Bedrohung gesehen werden und darauf mit allergischen Abwehrreaktionen reagieren. Rückstände von Antibiotikaresistenzgene durch gentechnisch veränderte Mikroorganismen in fermentierten Produkten wie Brot weisen auf eine Notwendigkeit hin, potentielle Gesundheitsrisiken zu untersuchen.
Laut EU-Lebensmittelbehörde EFSA besteht in der Anwendung von gentechnisch veränderten Mikroorganismen kein neues Risiko. Wissenschaftler*innen fordern deshalb Untersuchungen nach eventuellen Gefahren. Wobei die Kennzeichnungspflicht von Produkten, hergestellt mit gentechnisch veränderten Mikroorganismen, gefordert wird. Lebensmittelenzyme sind dabei nur ein Beispiel von vielen. Die Verwendungen sind vielseitig und gehen über den Lebensmittelsektor hinaus. Die Industrie sieht viel Potenzial für verschiedene Nutzung, wodurch der Anteil weiter steigen wird. Die Frage steht im Raum: Wenn umfangreiche Risikobewertungen und Regulierungen ohne ausreichende Kontrollen eine Verbreitung von gentechnisch veränderten Mikroorganismen zur Folge haben, was wird erst durch die geplante EU-Deregulierung passieren? Diese sehen vor, die strengen EU-Zulassungsregeln wie das Vorsorgeprinzip aufzuweichen. Ein Prinzip, welches zum Schutz der Bevölkerung eingesetzt wurde vor potenziellen Gefahren für Leib und Leben. Unter gewissen Umständen müssen für eine neue Zulassung von einigen Pflanzen dann keine Kontrollen mehr durchgeführt werden. Ohne eine Risikobewertung können keine Gesundheitsrisiken abgeschätzt werden. Bei einer fehlenden Transparenz wird den Bürger*innen die Wahlfreiheit genommen, zu entscheiden, ob sie Gentechnik unterstützen möchten oder nicht. Der Einsatz von Gentechnik ist bedenkenswert, da nach wie vor keine ausreichenden Studien über die Risiken für die Gesundheit von Mensch und Natur vorliegen. Eine weitere Gefahr besteht in der Monopolisierung der Lebensmittelproduktion. Patente auf gentechnisch veränderte Organismen, welche nur einer geringen Anzahl von Unternehmen gehören führen langfristig zu Abhängigkeiten von Produzierenden und Verbraucher*innen. Denn die hohen Kosten und komplexen Verfahren für eine Zulassungen neuer GVO können sich nur wenige Unternehmen leisten. Zusammen mit 16 weiteren Verbänden hat das GeN eine Stellungnahme verfasst wie ein verantwortungsvoller Umgang mit Gentechnik aussehen kann. Wer am liebsten ganz auf Gentechnik verzichten möchte, sollte auf Lebensmittel aus biologischer Landwirtschaft ausweichen, denn die verzichten ganz auf diese Technologie.
Thomas Bleß ist Agrar- und Gartenbauwissenschaftler und Referent für Landwirtschaft beim Gen-ethischen Netzwerk.
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