Unter Generalverdacht

Bei den Vorstößen zur Ausweitung der DNA-Analyse im Zusammenhang mit polizeilichen Ermittlungen erweitert sich der Kreis derjenigen, die das erstmals 1983 im so genannten Volkszählungsurteil vom Bundesverfassungsgericht definierte Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung nicht in Anspruch nehmen dürfen, kontinuierlich. In der Diskussion um das Verbot heimlicher Vaterschaftstests wird es dagegen mittlerweile auch Säuglingen zugestanden. Ein nur scheinbarer Widerspruch: Wie die Diskussion über private Vater-schaftstests zeigt, setzt die Anwendungen der DNA-Identifizierung eine Kultur des Verdachts in Gang.

"Ich finde es unglaublich, dass Labors sogar in der U-Bahn werben, man solle anonym genetische Spuren einschicken", empörte sich Anfang Januar Bundesjustizministerin Brigitte Zypries über private Vaterschaftstests. "Dabei handelt es sich um einen schweren Eingriff in die Intimsphäre." (1) In der Tat finden sich Werbeplakate für Vaterschaftstests mittlerweile überall im öffentlichen Raum. Eine Vielzahl von privaten Anbietern konkurriert auf dem ständig wachsenden Markt. In dem Maße, wie die Methoden der DNA-Identifizierung in den letzten zwanzig Jahren standardisiert und vereinfacht wurden, wuchs auch die Zahl der Labore, die die gewinnträchtige Dienstleistung Vaterschaftstest in ihr Angebot aufnahmen. Stil und Inhalt der Werbung sind ähnlich; aufgrund der zunehmenden Konkurrenz zielt sie vor allem darauf ab, den Bedarf zu steigern. Aggressiv werden Ängste geweckt, wird Verdacht geschürt. "Ganz der Papa?" steht da etwa über dem Foto eines Babys, das freundlich in die Kamera blickt, oder: "Sind das wirklich Ihre Augen?" Und das Konzept funktioniert. Nach Angaben von DNA-Laboren, die Vaterschaftstests anbieten, schicken in der Bundesrepublik pro Jahr mittlerweile etwa 40. 000 zweifelnde Väter Speichelproben ein – Tendenz weiter steigend. In der Regel geben die Väter den Test ohne das Wissen, geschweige denn die Zustimmung der Mutter in Auftrag.

Schnelle Gewissheit und Diskretion

Thomas Krahn, Geschäftsführer bei Biotix, einem Potsdamer Labor, das sich auf Vaterschaftstests spezialisiert hat, sieht den Boom ganz nüchtern. "Das Bedürfnis nach Sicherheit war bei Vätern schon immer da", sagt er. "Jetzt besteht eine kosten-günstige Möglichkeit, sich diskret abzusichern." 465 Euro kostet ein Test bei der Firma. Dies ist ein Drittel des Honorars, das vom Gericht bestellte Sachverständige für ein Abstammungsgutachten bekommen. Deren Kosten allerdings können über Rechtsschutzversicherung oder Prozesskostenhilfe abgerechnet werden, während der private Test im Labor aus der eigenen Tasche bezahlt werden muss. Trotzdem lassen nur wenige Männer ihre biologische Vaterschaft gerichtlich überprüfen, denn Voraussetzung dafür ist eine Vaterschaftsanfechtungsklage. Solche Klagen werden überhaupt nur zugelassen, wenn Väter begründete Zweifel – etwa Zeugen eines Seitensprungs – vorweisen können. Zudem vergeht viel Zeit, bis die Abstammung gerichtlich geprüft ist. Vor allem aber trägt eine Vaterschaftsanfechtungsklage den Zweifel in die Beziehungen hinein, nicht nur zur Mutter, sondern eventuell auch zum Kind. Der "graue Markt" der Abstammungstests hingegen bietet schnelle Gewissheit und Diskretion. Über den Zweifel muss nicht gesprochen werden, der Familien- und Beziehungsfrieden kann gewahrt bleiben. Bisher gab es für die so genannten heimlichen Vaterschaftstests keine rechtlichen Regelungen. Damit sollte es nach dem Willen von Brigitte Zypries aber nun bald vorbei sein. Schon Anfang Januar 2004 hatte sie von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen in einem Interview mit dem Deutschlandfunk kundgetan, dass sie ein gesetzliches Verbot heimlicher Vaterschaftstests anstrebt. Ein Jahr später ging die Ministerin erneut in die Offensive, und diesmal war ihr das öffentliche Echo gewiss. In einem Interview mit der Frauenzeitschrift Brigitte hatte sie über ein konkretes Gesetzesvorhaben gesprochen: Der Entwurf für ein Gendiagnostik-Gesetz, der in ihrem Ministerium zurzeit ausgearbeitet wird, werde Vaterschaftstests, denen die Mutter und das Kind nicht schriftlich zugestimmt haben, verbieten. Der Schutz des informationellen Selbstbestimmungsrechtes gebiete es, ohne Zustimmung niemandem den Zugriff auf genetische Informationen einer anderen Person zu erlauben. Bestraft werden sollten deshalb künftig nicht nur Väter, die ohne Zustimmung der Mutter einen solchen Test durchführen lassen, sondern auch die Labore. Die Ankündigung beschäftigte die Medien über mehrere Wochen. Das "Kuckuckskind" erschien auf dem Parkett; über "untergeschobene" Kinder und jahrelange Unterhaltserschleichungen wurde polemisiert. Unzählige Geschichten von ahnungslosen Männern, die erst durch einen heimlichen Vaterschaftstest der Wahrheit auf die Spur kamen, erschienen in Zeitungen und Radiosendungen. Zeitweise schien es, als sei der betrogene Vater der Normalfall der Elternbeziehung. Dietmar Nikolai Webel, Bundesvorstandsmitglied des Vereins "Väteraufbruch e.V.", einem Zusammenschluss geschiedener Väter, verstieg sich gegenüber der Bildzeitung gar zu der Aussage, ein Verbot der Tests stelle "die Lügen der Mütter unter staatlichen Schutz." (2)

Ein neues "Recht" entsteht

Weniger polemisch, aber von der medial konstruierten Wirklichkeit nicht unbeeinflusst, verlief die Diskussion zwischen den Parteien. Mehrere Bundestagsabgeordnete kritisierten das angekündigte Verbot. Der Tenor: Väter bräuchten Sicherheit und hätten deshalb ein Recht darauf, Gewissheit über ihre Vaterschaft zu erlangen. "Ein Mann muss klären können, ob er Vater ist", so etwa der CSU-Abgeordnete Wolfgang Zeitlmann, Mitglied im Rechtsausschuss des Bundestages. "Dieses Recht ausschließlich von der Zustimmung der Frau abhängig zu machen, ist lebensfremd." (3) Weniger vage begründeten Politiker der Grünen und der FDP ihre Ablehnung der Gesetzesinitiative. "Es liegt nicht im Kindeswohl, wenn ein Vater ständig zweifelt oder gar klagen muss", so etwa FDP-Familien-Experte Klaus Haupt. "Ein heimlicher Test kann den Klageweg vermeiden und dient damit dem Familienfrieden." (4) Ähnlich argumentierte die Fraktionschefin der Grünen, Katrin Göring-Eckardt. Den Familien würde durch eine Klage zumeist vielmehr geschadet als durch einen heimlichen Test. Zudem seien die Hürden viel zu hoch; in den allermeisten Fällen stellten Anfechtungsklagen daher keine Alternative für zweifelnde Männer dar, sich Gewissheit zu verschaffen. So war es nahe liegend, das Vaterschaftsrecht neu zu regeln. Zusätzlichen Handlungsdruck erzeugte das Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofes (siehe Chronik). Die Richter entschieden, das Ergebnis eines heimlichen Vaterschaftstests könne vor Gericht nicht als Beweismittel gewertet werden. Genetische Proben ohne Zustimmung des Kindes beziehungsweise des Sorgeberechtigten zu untersuchen, verstoße gegen das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung und sei deshalb rechtswidrig. Inhaltlich lag das Urteil damit voll auf der Linie von Brigitte Zypries. Zugleich bestätigte es aber, dass Vätern kaum etwas anderes als der von Anbietern gern "diskret" genannte Vaterschaftstest bleibt, wenn sie Zweifel an ihrer biologischen Vaterschaft ausräumen wollen. Die Notwendigkeit einer juristischen Regelung, die die Feststellung der biologischen Vaterschaft ermöglicht, lag damit auf der Hand. "Die Anfechtung der Vaterschaft und damit auch die Distanzierung vom Kind ist ein schwerwiegender Schritt", so die bayrische Justizministerin Beate Merk (CSU), "den viele zweifelnde Väter gar nicht gehen wollen." (5) Deshalb forderte sie Anfang Februar, einen Anspruch des rechtlichen Vaters eines Kindes auf Feststellung der Vaterschaft gesetzlich zu verankern. Kurz zuvor hatte die FDP-Fraktion bereits einen Antrag gleichen Inhalts in den Bundestag eingebracht. In der Debatte des Antrags Mitte März erklärte Zypries dann, dass im Bundesjustizministerium an der Umsetzung eines solchen Rechtsanspruchs in ein Gesetz gearbeitet werde. An einem Verbot der "heimlichen" Vaterschaftstests halte sie nach wie vor fest.

Vom Recht zum Privileg

So findet der durch jahrelange, exzessive Werbung für Abstammungstests geweckte Bedarf der biologischen Absicherung von Vaterschaft nun in Form eines Rechtsanspruchs Eingang in die Gesetzgebung. Damit hat der Markt für Gewissheit, den die Labore mit den Vaterschaftstests seit Jahren einträglich bewirtschaften, in der öffentlichen Debatte nicht nur ein "Recht auf Sicherheit" für Väter hervorgebracht, das Mütter implizit unter Generalverdacht stellt. Einen Rechtsanspruch auf Feststellung der biologischen Vaterschaft gesetzlich zu verankern, beinhaltet auch, Instrumente zu schaffen, mit denen Väter ihren Anspruch gegenüber Müttern durchsetzen können. Damit wird das Recht auf informationelle Selbstbestimmung nachhaltig erodiert, wie der Vorschlag der bayrischen Justizministerin Beate Merk zeigt: Wenn Mütter – informationell selbstbestimmt – die Zustimmung zum Test verweigern, so ihre Idee, sollen Väter die Möglichkeit erhalten, ihren Rechtsanspruch gerichtlich durchzusetzen und die Mutter auf Zustimmung verklagen zu können. Im Einzelfall hätten dann Richter zu entscheiden, wessen Recht höher zu bewerten ist. Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung transformiert sich damit ähnlich wie in dem anderen Anwendungsbereich der DNA-Identifizierung, in der polizeilichen Ermittlungsarbeit, zu einem nur unter bestimmten Voraussetzungen gewährten Privileg. Fraglich bleibt, ob ein gesetzlich fixierter Rechtsanspruch private Abstammungstests ersetzen kann, sich das geplante Verbot privater Vaterschaftstests in der Praxis also durchsetzen lässt. Denn um den Rechtsanspruch durchzusetzen, wären die nach Gewissheit strebenden Väter dazu gezwungen, ihre Zweifel zumindest der Mutter mitzuteilen. Die Anbieter privater Vaterschaftstests geben sich denn auch gelassen. "Wie will Frau Zypries kontrollieren, ob heimliche Vaterschaftstests durchgeführt werden?", fragt etwa Thomas Krahn von Biotix. "Das ist doch völlig realitätsfern."

 

Fußnoten:

  1. Interview mit Brigitte Zypries, Brigitte, Heft 2/2005, Januar 2005
  2. Bildzeitung vom 7.1.05
  3. Ebda.
  4. Ebda.
  5. Zitiert nach Ärztezeitung Online, 10.2.05
Erschienen in
GID-Ausgabe
169
vom April 2005
Seite 44 - 46

Uta Wagenmann war Mitarbeiterin des GeN und GeN-Vorstandsmitglied.

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Wie funktioniert der Vaterschaftstest?

Die Methode der DNA-Identifizierung basiert auf der Analyse von Teilen der so genannten nicht kodierenden Bereiche der DNA. Sie bestehen aus 14 bis 36 DNA-Bausteinen (Nucleotiden) und wiederholen sich vier bis fünfhundert Mal – das ist bei jedem Menschen anders. Diese Wiederholungssequenzen werden auch als Mikrosatelliten bezeichnet. Da nun jeder Mensch über zwei vollständige Kopien der genetischen Informationen verfügt, je eine von der Mutter und eine vom Vater, ist es durch Vergleich der selben Abschnitte bei Vater und Kind möglich, eine Vaterschaft auszuschließen beziehungsweise zu bestätigen. Die Bundesärztekammer fordert, daß mindestens 12 dieser Abschnitte der DNA des Kindes und der des Vaters untersucht werden, um eine Aussage über das Verwandtschaftsverhältnis zu erhalten, in der Regel werden heute aber 15 und mehr analysiert. Dabei werden die ausgewählten Abschnitte der DNA von Vater und Kind zunächst mittels PCR (Polymerase Chain Reaction) vermehrt und dann mittels Gelelektrophorese ihrer Größe nach aufgetrennt. Vergleicht man die Ergebnisse, so muss jeder der ausgewählten Abschnitte der DNA des Kindes genauso lang sein wie derselbe Abschnitt auf der DNA des Vaters. Ist dies nicht bei allen Abschnitten der Fall, so kann der Mann als Erzeuger des Kindes ausgeschlossen werden.(uw)

Das Recht auf Gewissheit: Kleine Chronik

  • 3.1.: Bundesjustizministerin Brigitte Zypries kündigt ein strafbewehrtes Verbot heimlicher Vaterschaftstests im Gendiagnostikgesetz an.
  • 4.1.: Die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen, Birgitt Bender, unterstützt Zypries Vorstoß. Die Justizminister Bayerns und Baden-Württembergs, Beate Merk (CSU) und Ulrich Goll (FDP) wenden sich dagegen.
  • 5.1.: Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar begrüßt das Verbot heimlicher Vaterschaftstests.
  • 6.1.: Führende Grünen-Politiker wenden sich gegen das Verbot. Fraktionschefin Ka-trin Göring-Eckardt sagt, dass Männer ein Recht darauf hätten, Gewissheit über ihre Vaterschaft zu erlangen. Fraktionsgeschäftsführer Beck wendet sich vor allem gegen die vorgesehenen Strafen.
  • 12.1.: Der Bundesgerichtshof erklärt Vaterschaftstests, die ohne Zustimmung des Kindes oder der Sorgeberechtigten erfolgen, für rechtswidrig. Insbesondere sind sie vor Gericht als Beweismittel unzulässig und können deshalb nicht Anlass einer Vaterschaftsanfechtungsklage sein.
  • 31.1.: Die bayrische Justizministerin Beate Merk (CSU) legt der Landesregierung einen Gesetzentwurf vor, der einen Rechtsanspruch des Vaters auf Feststellung der Vaterschaft verankert. Willigt die Mutter nicht ein, soll der Vater beim Familiengericht gegen die Mutter klagen und damit eine Vaterschaftsanfechtung umgehen können.
  • 5.2.:Zypries kündigt an, Klagen zur Vaterschaftsanfechtung vereinfachen zu wollen.
  • 26.1.:Die FDP bringt den Antrag in den Bundestag ein, die Feststellung der Abstammungsverhältnisse unabhängig von einer Vaterschaftsanfechtungsklage zu ermöglichen und die Klagen zu vereinfachen.
  • 11.3.: In der Bundestagsdebatte über den FDP-Antrag erklärt sich Zypries im wesentlichen damit einverstanden, einen Rechtsanspruch von Vätern auf die Feststellung der Vaterschaft gesetzlich zu verankern.(uw)