“Verhindern Sie die weitere Kontamination...”

Als globale Reaktion auf die vor allem in den USA, in Europa, Japan, China und Nicaragua aufgetauchten gentechnischen Verunreinigungen verfasste eine Gruppe von unabhängigen WissenschaftlerInnen und AktivistInnen Ende September einen offenen Brief an die Behörden und Medien jener Länder, in denen bis dato die Kontamination nachgewiesen wurde. Darin wird gefordert, dass die verunreinigten Nahrungsmittel zurückgerufen werden und dass die Behörden dafür sorgen, dass eine weitere Kontamination der Nahrungskette verhindert wird. Wir dokumentieren den Brief, der in englischer und spanischer Sprache auf der Website der internationalen Initiative JIGMOD abrufbar ist.

Sehr geehrte Damen und Herren, in diesem Sommer wurden an verschiedenen Orten weltweit Spuren von artifiziellen genetischen Konstrukten (AGK) in Nahrungsmitteln festgestellt, die nicht gentechnisch manipuliert sein sollten. In Großbritannien, der Schweiz, Schweden, Deutschland, den Niederlanden und Frankreich enthielt aus den USA importierter, gentechnikfreier Langkornreis unerwartetet ein Molekül (das PAT Protein), das diesen Reis tolerant macht gegenüber der Herbizidmarke Liberty.(1) In Frankreich, Großbritannien und Deutschland enthielten aus China importierte Reisnudeln, die in Supermärkten erstanden werden können, ein Pestizid (das Bt Protein) (2) mit bedeutendem allergenen Potenzial.(3) In Nicaragua waren in nahezu allen Proben von Maismehl und Getreide, die das UN-Programm für Ernährung lieferte, AGK enthalten.(4) In China entdeckte das unabhängige Labor GeneScan bereits im Jahr 2005 Spuren von Bt in Babynahrung.(5) Somit wird die genetische Kontamination im Jahr 2006 ein globales Ausmaß erreichen. Dies alles wäre weitaus weniger beunruhigend, wenn diese übertragenen genetischen Konstrukte zumindest für die menschliche Ernährung zugelassen und auf dem Etikett des jeweiligen Nahrungsmittels deutlich gekennzeichnet wären, und zwar nach der Durchführung einer tatsächlich unabhängigen wissenschaftlichen Beurteilung. Dies alles wäre weitaus weniger beunruhigend, wenn Gesundheits- und Nahrungsmittelbehörden der betroffenen Länder rechtzeitig genug alarmiert worden wären, um zu verhindern, dass die Nahrungskette damit in Kontakt kommt. In jedem einzelnen Land stützt sich das Zulassungsverfahren für gentechnisch veränderte (gv) Produkte auf Dokumente, die der Antragsteller selbst vorlegt. Beispielsweise verlässt sich die US-Behörde für Nahrungs- und Arzneimittel (FDA) bei einer Stellungsnahme, die sie kürzlich zu dem Reis LL601 abgab, auf die Information, die dessen Anbieter (Bayer) (6) lieferte. Besagte Erklärung geht von der falschen Annahme aus, dass die sicheren natürlichen Gene, die das PAT Protein exprimieren, äquivalent dem artifizellen Konstrukt AGK sind, welches in den Empfängerorganismus eingeschleust wurde. Tatsächlich können ernsthafte Gesundheitsprobleme, die bei mit gv-Nahrung gefütterten Labortieren festgestellt wurden, auf ein AGK zurückgeführt werden, während die natürliche Version des betreffenden Gens definitiv als sicher gilt.(7) Überdies wurden Versuche mit dem besagte Reis im Jahr 2001 eingestellt. Angesichts der anerkanntermaßen hohen Instabiltät von AGK (8) gibt es keinen Beweis dafür, dass die molekularen Eigenschaften, welche Jahre zuvor untersucht wurden, erhalten geblieben sind. Aus diesem Grund müssen die kontaminierenden gentechnischen Produkte ebenso wie die kontaminierten Produkte solange als nicht für die menschliche Ernährung geeignet betrachtet werden, bis durch unabhängige wissenschaftliche Beurteilung der unzweideutige Beweis für das Gegenteil vorgelegt wird. So ist der Fall des US-Reises auch beispielhaft, was die Zeitverzögerung und ebenso was die unzulänglichen Reaktionen der Nahrungsmittelbehörden betrifft: - In der Riceland Kooperative wurde die Kontamination im Januar entdeckt, man meldete sie aber weder der Öffentlichkeit noch dem US-Landwirtschaftsministerium (USDA). - Der Bayer Konzern wusste im Juni davon, informierte jedoch erst am 31. Juli das USDA. - Das USDA verheimlichte die Verunreinigung während drei weiterer Wochen, weil es damit rechnete, dass ausländische Reisimporteure das Produkt ablehnen würden.(9) - Am 15. September veröffentlichte das Gremium für gentechnisch veränderte Organismen der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) eine Erklärung, in der es heißt, "die verfügbaren (US) Daten sind nicht ausreichend, um die Sicherheit des LLRICE601 entsprechend der Regeln der EFSA für die Risikobeurteilung einzuschätzen und die EFSA ist außerstande, eine vollständige Beurteilung des Risikos durchzuführen”. Weiter heißt es, der Verzehr des verunreinigten Reis "stellt für Menschen und Tiere wahrscheinlich keine unmittelbare Gesundheitsgefahr dar” (10), wohl deshalb, weil man sich auf das angenommen geringe, unbeabsichtigte Vorkommen von LLRICE601 und auf die umstrittene Äquivalenz zwischen dem natürlichen Gen und seinem artifiziellen Genkonstrukt stützt. Seit vergangenem Januar wurden mindestens 140.000 Tonnen dieses verunreinigten Reises nach Europa exportiert. Sie könnten derzeit in der Nahrungskette gegenwärtig sein und von Millionen von Menschen, einschließlich Babies, verzehrt werden. Obwohl zuerst Japan (11) und danach auch die Europäische Kommission (12) Ende August die Reiseinfuhren gestoppt haben, wurden keinerlei zufriedenstellende Pläne vorgelegt, um die kontaminierte Nahrung zurückzurufen. Die nationalen europäischen Behörden wurden lediglich an ihre Verpflichtung erinnert, die kontaminierten Erzeugnisse zu vernichten. Im Fall des US-Reis versucht der Bayer Konzern stattdessen Prozessen zu entgehen, indem er (in den USA, d. Ü.) die Deregulierung des LLRICE601 eingeleitet hat.(13) Aus diesen Gründen rufen wir Sie dazu auf, zu handeln und dafür zu sorgen, dass die derzeitigen kontaminierten Produkte unverzüglich zurückgerufen und in Zukunft die entsprechenden Mittel zur Beurteilung genutzt werden, um weitere Kontaminationen der Nahrungskette zu verhindern. Diese Maßnahmen würden aus der Sicht der BürgerInnen Ihre Vertrauenswürdigkeit wesentlich verbessern. Wir hoffen, dass Sie trotz des bekanntermaßen starken Einflusses der Industrie-Lobby noch immer die Macht besitzen, um solche Prioritäten zu setzen, die die Belange von Gesundheit und Sicherheit über die wirtschaftlichen Belange stellen. Wir danken Ihnen vielmals im Voraus dafür, dass Sie sich dieses Anliegens mit äußerster Dringlichkeit annehmen. Unterzeichnet von Organisationen, WissenschaftlerInnen, Vertreter von Organisationen, und Einzelpersonen aus Belgien, Bolivien, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Japan, Mexiko, Nicaragua, Peru, der Schweiz, Ungarn und den USA... 29. September 2006 Übersetzung: Ute Sprenger

  1. ”Bayer kept rice problem secret” (29/8/2006), http://icwales.icnetwork .co.uk/farming/farming/tm_objectid=17641742%26method =full%26siteid=50082%26headline=american%2dgm%2drice% 2dcontaminated%2dour%2dsupplies%2dfor%2dmonths-name_ page.html
  2. ”GMO Chinese Rice Found in EU” (05/09/2006), Jeremy Smith, Reuters, www.commondreams.org/headlines06/0905-04.htm
  3. Pryme, I.F., Séralini, G.E., Vélot, C. ”Statement on the potential allergenicity of the Bt toxin, Cry1Ac” (10/09/2006), www.greenpeace.org/international/press/reports/Sc…
  4. ”Consideraciones de la Alianza de Protección a la Biodiversidad sobre la presencia de Organismos Genéticamente Modificados 2006. Informe de Monitoreo OGM 2006”, www.cisas.org.ni / www.gensalud.org.ni
  5. ”Illegal GM rice found in UK”, Pressemitteilung Friends of the Earth (05/09/2006), www.foe.co.uk/resource/press_releases/illegal_gm_…; www.greenpeace.org/china/en/ press/releases/illegal-ge-rice-contaminates-f
  6. ”U.S. Food and Drug Administration's Statement on Report of Bioengineered Rice in the Food Supply” (08/2006), http://www.fda.gov/Food/Biotechnology/Announcemen… [Link korrigiert 10/2012].
  7. Ewen, S.W.B. and Pusztai, A. (1999b): ”Effects of diets containing genetically modified potatoes expressing Galanthus nivalis lectin on rat small intestine”. The Lancet 354, 1353-1354
  8. Samples of scientific evidence of the AGC instability : Mon810: Hernandez et al. Transgenic Res. 12, 179, 2003; Holck et al. Eur Food Res Technol 214, 449, 2002. T25: Collonier et al., Eur Food Res Technol, 2003. GTS 40-3-2: Windels et al. Eur Food Res Technol 213, 107, 2001. Bt11: Rönning et al. Eur Food Res Technol 216, 347, 2003. Hotspots: Kohli et al. Plant J 17, 591, 1999
  9. ”Biotech Firm, Govt. Hid Rice Contamination from Public”, Megan Tady, The New Standard, http://newstandardnews.net/content/index.cfm/ items/3575
  10. ”EFSA’s GMO Panel provides reply to European Commission request on GM rice LLRICE601” (15/09/2006), www.efsa.europa.eu/en/press_room/ press_release/llrice601.html
  11. Japan Suspends US Long-Grain Rice Imports » (20/8/2006), Easy Bourse, www.easybourse.com/Website/dynamic/News.php?NewsI…
  12. Geoffrey Lean (27/08/2006): Rice contaminated by GM has been on sale for months”, The Independant, http://news.independent.co.uk/environment/article…
  13. ”Protest against the stated intent of APHIS (USDA) to deregulate LLRICE601”, Brian John, (September 2006), http://altercampagne.free.fr/pages/GMRice-deregul…
Erschienen in
GID-Ausgabe
178
vom Oktober 2006
Seite 25 - 26