Kritische Wissenschaft unter Beschuss

Inhaltliche Kommunikation gegen Rechts

Die Geschlechterforschung wird in Deutschland und auch international scharf angegriffen. Diese Angriffe können als Einfallstore für Kritik an Wissenschaftsfreiheit und kritischer Wissensproduktion an sich verstanden werden. Interview mit Lilian Hümmler.

Wie wird in den Gender Studies oder Geschlechterstudien gesellschaftskritisch geforscht?

In den Gender Studies werden ganz unterschiedliche Wissenschafts- und Forschungsansätze betrieben, das Besondere ist hier die Annahme, dass Geschlecht als soziale Kategorie eigentlich alle Disziplinen durchzieht. Geschlechterforscher*innen sind also Kultur- und Sozialwissenschaftler*innen, aber auch Physiker*innen oder Informatiker*innen. In den Anfängen des Faches in den 1970er-Jahren ging es stark darum, aus einer Kritik an der herkömmlichen Wissenschaft zu forschen. Die Grundannahme der Frauenstudien war damals, dass Wissenschaft per se androzentrisch ist, also den Mann in den Mittelpunkt stellt und die Frau, wenn überhaupt, nur als Objekt der Forschung und nicht als eigenständige Akteurin behandelt. Diese Kritik hat sich dann entwickelt zu einer Forschung über die Vielfalt von Geschlechtern und auch über Männlichkeit. In der heutigen Geschlechterforschung steht Geschlecht aber nicht losgelöst von anderen Macht- und Herrschaftsverhältnissen wie Rassismus, Antisemitismus, Ableism. In der Geschichte hat sich die Geschlechterforschung also als Kritik am Status Quo entwickelt und für mich ist Kritik auch der Kern von Wissenschaft, egal welcher Disziplin.

Die Gender Studies waren bis vor kurzem eine eher randständige Wissenschaft, nun sind sie seit einigen Jahren massiv unter Beschuss von rechts geraten. Können sie diese Entwicklung beschreiben, wer sind da wichtige Akteur*innen?

Randständig sind die Gender Studies schon insofern, dass es nicht viele Professuren oder Studiengänge gibt, gleichzeitig erfahren ihre Inhalte sehr viel Beachtung in anderen Disziplinen und auch außerhalb der Universitäten in der Populärkultur und in Menschenrechtsdebatten. Tatsächlich ist es in den letzten Jahren vermehrt zu Angriffen gekommen, es gibt verschiedene Akteur*innen, die sich an den Gender Studies stören. Vor allem die, die vom bestehenden System profitieren und sich in ihren eigenen Ideologien dadurch herausgefordert sehen. Zum Beispiel haben wir da eher konservative Antifeminist*innen, die sich für eine klare hierarchische Rollenverteilung zwischen Männern und Frauen aussprechen, die sich gegen eine Vielfalt von Geschlechtern und Familienbildern einsetzen. Ein großer Akteur in diesem Feld ist sicherlich der Vatikan, der Geschlechtervielfalt im Schulunterricht in einem aktuellen Schreiben geradezu dämonisiert. Auf der politischen Ebene gibt es rechte Parteien, die in den letzten Jahren Zugewinne verbuchen konnten und beispielsweise an den Berliner Senat eine Vielzahl von Anfragen zu Geschlechterstudien an den Universitäten stellten. Im rechtsregierten Ungarn wurde im vergangenen Jahr der Studiengang der Geschlechterforschung komplett abgeschafft. Auch die außerparlamentarische Rechte, Nazi- und rechtsterroristische Gruppierungen verbindet eine Ungleichwertigkeitsideologie, die auf Rassismus aber auch Antifeminismus basiert. Die ungarischen Kolleg*innen Maari Põim und Eszter Kováts haben das als „symbolischen Klebstoff“ bezeichnet, der liberale, konservative, rechte und extrem rechte Positionierungen in den Angriffen auf Geschlechterstudien vereint.

So entstehen neue, international vernetzte Allianzen, die über unterschiedliche Aktionsformen und in einem Zusammenspiel von parlamentarischer und außerparlamentarischer Rechter eine neue Form von Radikalität im Kulturkampf gegen Gender Studies aufweisen. Ihnen allen ist der Vorwurf gemein, dass Geschlechterstudien nicht wissenschaftlich seien und daher abgeschafft werden sollten. Das ist aber nicht nur ein Angriff auf die Gender Studies, sondern auf die Wissenschaftsfreiheit an sich.

Einer der großen Vorwürfe quer durch all diese Spektren ist die Behauptung der Unwissenschaftlichkeit. Hat das auch etwas damit zu tun, dass die Gender Studies kritische Wissenschaft betreiben?

In den Gender Studies gibt es eine starke Auseinandersetzung mit Wissenschaftskritik, also eine feministische Wissenschaftstheorie, die davon ausgeht, dass es so etwas wie objektive Wissenschaft nicht gibt. Donna Haraway hat von situiertem Wissen gesprochen, das meint, dass meine eigene Positionierung in jeder Forschung und allem Wissen was ich produziere immer relevant ist. Das heißt aber nicht, dass es nicht wissenschaftliche Standards wie Nachvollziehbarkeit von Forschungsergebnissen gäbe. Eher sind im Gegenteil die Arbeiten der kritischen Geschlechterforschung meist viel transparenter, was den Forschungsprozess betrifft als solche, die meinen objektiv zu sein. Der Vorschlag der Geschlechterstudien, die eigene Positionierung mit einzubeziehen und zu reflektieren wird von anderen Disziplinen aufgenommen und als Bereicherung verstanden.

Neben dem Vorwurf der Unwissenschaftlichkeit gibt es auch den der Abgehobenheit und die Behauptung, es würde an der Realität der sogenannten normalen Leute vorbeigeforscht. Was entgegnen Sie diesem Vorwurf?

Erst einmal arbeitet die Geschlechterforschung wissenschaftlich, das heißt es werden theoretische Konzepte und Analysen erstellt, die nicht zwangsläufig leicht zugänglich sind für alle Menschen. Das ist also eine Frage von Wissenstransfer insgesamt und betrifft meines Erachtens die Akademie allgemein – Stichwort „Elfenbeinturm“. Gleichzeitig hat gerade die soziologische Geschlechterforschung viele Ansatzpunkte im Alltag, in den dort vorhandenen Macht- und Herrschaftsverhältnissen. Die Leute sind eben nicht normal im Sinne von gleich, sondern vielmehr tatsächlich vielfältig und auf unterschiedliche Weisen in die Gesellschaft eingebunden – oder eben ausgeschlossen. Dieser Komplexität wird die kritische Geschlechterforschung gerecht, indem sie sich die realen Lebensbedingungen und Handlungsmöglichkeiten von Menschen in ihrer Vielfalt ansieht.

Die Reflexion dieser Situiertheit und Vielfalt versuchen feministische Strömungen und die Gender Studies mit geschlechtergerechter Sprache abzubilden. Es gibt zwar mittlerweile eine gewisse gesellschaftliche Akzeptanz, der Versuch die Vielfalt von Identitäten und Lebensweisen abzubilden löst aber augenscheinlich auch viel Abwehr und Wut aus. Wie erklären Sie sich das?

Es gibt zahlreiche linguistische und sprachphilosophische Untersuchungen, die zeigen, dass Sprache das Denken formt. Das geht über Geschlecht hinaus, wir sprechen daher auch von diskriminierungskritischer Sprache. Da gibt es unterschiedliche Versuche und Vorschläge für diese weitere Realität Raum zu schaffen, wie das Gendersternchen (*) oder den Gendergap (_). Diese Erweiterung stellt aber Privilegien und Gewissheiten in Frage, worauf Menschen unterschiedlich reagieren, wie meine Kolleg*innen Mona Motakef, Christine Wimbauer und Julia Teschlade ausgeführt haben: mit Unsicherheit und Nachfragen oder mit Abwehrmechanismen. Vor allem diejenigen, die vom bestehenden System profitieren reagieren mit wütender Abwehr. Und das ist vielleicht auch ein Erfolg der Geschlechterforschung: Weil ich ja nur wütend werde, wenn ich etwas in Gefahr sehe, zeigen diese zunehmende Wut und die Angriffe, dass sich gesellschaftlich etwas bewegt hat.

Was können die Gender Studies und kritische Geschlechterforscher*innen diesen Angriffen entgegensetzen um die von Ihnen benannten Erfolge zu verteidigen und auszubauen?

Es kommt gerade bei der Breite der Angriffe sehr auf deren Form an: auf eine konkrete Morddrohung reagiere ich anders als auf eine wenn auch persönliche Schmähung in einem unbedeutenden Blog. Die Schwierigkeit bei Reaktionen in der Öffentlichkeit ist, dass diese auch immer in die gerade von rechten Angriffen erwünschte Aufmerksamkeitsmaschinerie reinspielen. Dann hat man zwar vielleicht die Vorwürfe widerlegt, die Angreifer*innen haben aber die mediale und öffentliche Aufmerksamkeit bekommen und damit eigentlich „gewonnen“. Dabei bleiben die erhobenen Vorwürfe präsenter in der Öffentlichkeit als deren Widerlegung.

Was die Geschlechterforschung deswegen vermehrt versucht, ist, unabhängig von diesen Angriffen und Vorwürfen, ihre Forschungsergebnisse in die breite Öffentlichkeit zu transferieren. Das ist wohl nicht nur für die Geschlechterforschung wichtig: Die Kritik, in einem „Elfenbeinturm“ zu verharren, betrifft ja die universitäre Forschung im Ganzen. Dieser Wissenstransfer funktioniert auf verschiedenen Ebenen, wir schreiben Bücher, die auch ohne großes Fachvokabular verständlich sind, schreiben Artikel eben nicht nur für Fachzeitschriften, sondern auch für Tageszeitungen und reden mit Menschen in unserer Umgebung, die sich unter Gender Studies vielleicht nicht so richtig was vorstellen können oder Vorbehalte haben.

Seit 2017 gibt es außerdem jeweils am 18. Dezember einen Aktions- und Wissenschaftstag im deutschsprachigen Raum, der sich #4genderstudies nennt. Die Idee dahinter ist, an einem Tag die Forschungsergebnisse aus den Gender Studies der Öffentlichkeit gebündelt zu präsentieren. Dabei berichten Forscher*innen über ihre neuen Publikationen, es gibt Veranstaltungen wie letztes Jahr beispielsweise an der Technischen Universität Berliner und in Marburg. Begleitet wird das Ganze von einer Kampagne auf Twitter, deshalb beginnt der Name dieses Tages auch mit einem Hashtag (#). Neben der Öffentlichkeitsarbeit geht es auch um Vernetzung. Die Veranstaltungen bieten die Möglichkeit zu einem Austausch darüber, wie wir damit umgehen, dass wir als Wissenschaft angegriffen werden und für eine Solidarisierung untereinander.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Kirsten Achtelik, Mitarbeiterin des GeN.

 

GID Meta
Erschienen in
GID-Ausgabe
250
vom August 2019
Seite 13 - 14

Lilian Hümmler arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin des Lehrbereichs für Soziologie der Arbeit und Geschlechterverhältnisse am Institut für Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin. Sie beschäftigt sich insbesondere mit dem Zusammenwirken der extremen Rechten, Geschlecht und sozialer Ungleichheit.

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