Transparenz vs. Kontrolle

Biosicherheit - ein Offener Brief an die Bundeskanzlerin

Wenn WissenschaftlerInnen an gefährlichen Themen forschen - sollen ihre Ergebnisse in vollem Umfang publiziert werden? Aktuell läuft eine Art Ultimatum, das GrippeforscherInnen dem Rest der Welt gestellt haben. Testbiotech und das Gen-ethische Netzwerk haben mit einem Offenen Brief Bundeskanzlerin Angela Merkel aufgefordert, in dieser Sache Stellung zu beziehen.

In der wissenschaftlichen Praxis kommt dem Publikationswesen eine zentrale Rolle zu. Das so genannte Peer-Review-Verfahren soll eine hohe Qualität gewährleisten. Forscherinnen und Forscher bereiten die Versuchsdesigns und die Ergebnisse in der Regel in Form von Artikeln auf. KollegInnen - die Peers - werden vor deren Veröffentlichung in Fachzeitschriften als GutachterInnen tätig, um die Artikel auf Fehler und Plausibilität zu überprüfen. Die Publikation der Ergebnisse eines Forschungsprojektes hat natürlich in erster Linie mitteilenden Charakter: Schaut her, Kolleginnen und Kollegen, was ich Tolles herausgefunden habe. Daneben soll die detaillierte Publikation von Methoden und Ergebnissen andere Wissenschaftlerinnen und Wissenschafler in die Lage versetzen, diese zu überprüfen - zum Beispiel, indem die Versuche wiederholt werden. Neue Forschungen können auf die Ergebnisse aufbauen oder sich den Fragen widmen, die durch diese aufgeworfen wurden. WissenschaftlerInnen um Ron Fouchier vom Erasmus Medical Center in Rotterdam (Niederlande) hatten bereits im September berichtet, sie hätten das Vogelgrippe-Virus H5N1 im Labor in eine gefährlichere Variante überführt. Später wurde Gleiches von der Gruppe um Yoshihiro Kawaoka von der Universität des US-Bundesstaates Wisconsin in Madison bekannt. Artikel über die beiden Forschungen lagen zur Publikation in den Redaktionen der wissenschaftlichen Fachmagazine Science (Fouchier) und Nature (Kawaoka). Da von einem Missbrauchspotential der Ergebnisse ausgegangen werden kann, empfahlen die Mitglieder des US National Science Advisory Board for Biosecurity (NSABB) zunächst deren eingeschränkte Publikation, mittlerweile haben sie der Publikation zugestimmt - Gründe wurden nicht genannt. Die britische Tageszeitung Guardian weiß zu berichten, dass keine Kürzungen vorgenommen worden seien. Das NSABB ist Teil der wichtigsten Forschungsagentur und Forschungsförderinstitution der US-Regierung im Gesundheitswesen, des NIH (National Institutes of Health). Auch die TeilnehmerInnen eines ExpertInnentreffens der Weltgesundheitsorganisation WHO diskutierten über den Umgang mit den aktuellen Forschungsarbeiten. Sie sprachen sich in ihrer Stellungnahme für die vollständige Veröffentlichung der Ergebnisse aus. Allerdings sollte zuvor eine Kommunikationsstrategie entwickelt werden, um das Interesse der Öffentlichkeit in dieser Sache zu erhöhen und deren Verständnis zu verbessern. Außerdem halten die WHO-ExpertInnen eine vorsorgliche Prüfung von Biosicherheitsmaßnahmen für notwendig.

Volle Informationen für alle ...

In den vergangenen Monaten wurde in Wissenschaftskreisen und in den Medien heftig darüber diskutiert, ob oder inwieweit der Staat - oder eine andere Institution - den Zugang zu Genomdaten von gefährlichen Organismen (oder anderen brisanten Details einer Forschungsarbeit) kontrollieren soll. Gemeinsam mit der Nichtregierungsorganisation Testbiotech hat das Gen-ethische Netzwerk Anfang März in einem Offenen Brief an Angela Merkel gefordert: „Wissenschaftliche Details mit erheblichem Missbrauchsrisiko sollten nur eingeschränkt publiziert (...) werden.“

... mit relativem Mehrwert ...

Die bisher vorgebrachten Argumente für eine vollständige Veröffentlichung sind nach unserer Einschätzung eher vage bleibende Verweise auf die eventuellen Potentiale einer offenen wissenschaftlichen Diskussion. Wir schlagen demgegenüber in unserem Brief vor, dass die vollständigen Informationen „einem ausgesuchten Kreis von Experten zugänglich gemacht“ werden sollen. Der Mehrwert einer grundsätzlich vollständigen Veröffentlichung liegt entsprechend in der Differenz zwischen dem wissenschaftlichen Potential der WissenschaftlerInnen-Gruppe mit vollem Zugang und dem Potential der gesamten Gemeinschaft. Auch wenn es bisher kein Verfahren für die Auswahl der zugangsberechtigten WissenschaftlerInnen gibt, kann angenommen werden, dass es sich bei diesem in den Genuss der gesamten Informationen kommenden Personenkreis um ausgewiesene ExpertInnen handeln wird; vorstellbar ist auch, dass von Fall zu Fall andere Kollegen hinzugezogen werden könnten. Ensprechend sollte die genannte Differenz in einem überschaubaren Rahmen bleiben. Auch wenn wir in unserem Offenen Brief an die Bundeskanzlerin betonen, dass „Verfahren notwendig [sind], in denen ein demokratisch legitimierter Kreis von Personen aus Wissenschaft und Politik über den Zugang zu diesen Informationen entscheidet“, machen wir zum jetzigen Zeitpunkt keinen detaillierten Vorschlag in diese Richtung. Eine Antwort auf diese Frage sollte auch über die hier diskutierten Fälle hinaus tragfähig sein.1

... bei erhöhtem Missbrauchspotential

Nach jetzigem Stand der Dinge schätzen wir das Missbrauchspotential bei vollständiger Veröffentlichung von Ergebnissen und Methoden als nicht überschaubar ein. Dies gilt besonders für detaillierte Genomdaten. Die technischen Möglichkeiten im Bereich der Molekularbiologie im Allgemeinen und der Gensynthese im Speziellen haben sich sprunghaft weiterentwickelt. Verschiedene Forschungsarbeiten sind in den vergangenen Jahren auch in der breiteren Öffentlichkeit diskutiert worden. Im Jahr 2002 war es zum Beispiel ForscherInnen an der Universität von New York gelungen, das Erbgut eines Poliovirus aus verschiedenen Bestandteilen im Labor zusammenzusetzen, die man damals „im Internet“ bestellen konnte. 2005 wurden die Genomdaten des Erregers der spanischen Grippe in Nature veröffentlicht.2 2012 steht nun eine neue Variante des Vogelgrippevirus H5N1 zur Diskussion. Weitere Fälle werden folgen.

Vertrauen und Misstrauen

Die besten Argumente für eine vollständige Veröffentlichung liegen in den Empfindlichkeiten internationaler Diplomatie, insbesondere zwischen den Vertragsstaaten des „Übereinkommen[s] über das Verbot der Entwicklung, Herstellung und Lagerung bakteriologischer (biologischer) Waffen und von Toxinwaffen sowie über die Vernichtung solcher Waffen“. Für die Beurteilung dieser Empfindlichkeiten muss man sich vor Augen halten, dass die Forschung zur Entwicklung von Biowaffen der Forschung zur Abwehr von ebensolchen Waffen sehr nahe ist. Auch für ausgewiesene ExpertInnen ist der eine Forschungszweig nicht leicht von dem anderen zu unterscheiden. In der Konvention wird aus diesem Grund in erster Linie auf die Intention zur Entwicklung, Herstellung et cetera von Biowaffen abgehoben - unschwer zu erkennen: eine äußerst weiche Formulierung.3 In diesem Zusammenhang kommen der Transparenz und den vertrauensbildenden Maßnahmen zwischen den Vertragsstaaten zentrale Bedeutung zu. Käme es nun zur Bildung einer wie auch immer zusammengesetzten ExpertInnengruppe mit exklusivem Zugang zu den missbrauchsfähigen Informationen, ist es extrem wahrscheinlich, dass nicht jeder Vertragsstaat der Biowaffen-Konvention daran beteiligt sein könnte. Jede Auswahl sähe sich mit Legitimationszweifeln konfrontiert und könnte als Misstrauensbeweis gewertet werden, der dazu führen könnte, dass nicht beteiligte Staaten ihrerseits eigene vertrauensbildende Maßnahmen verwehren. Die USA haben gerade im letzten Winter deutlich gemacht, nicht zu vertrauensbildenden Maßnahmen gegenüber allen BWC-Vertragsstaaten bereit zu sein.4

Vorsorge ist nicht problemlos - aber besser als Nachsorge

Für Testbiotech und das Gen-ethische Netzwerk ist von immenser Bedeutung, dass das Missbrauchspotential von Versuchen und Ergebnissen weitestgehend überprüft werden muss, bevor die entsprechenden Projekte gestartet werden. Auch hier wären Gremien, Kommissionen und so weiter unabdingbar - diese sähen sich mit ähnlichen Problemen konfrontiert, wie sie die Biowaffen-Diplomaten schon seit geraumer Zeit kennen: Nur ein begrenzter Personenkreis könnte an diesen Entscheidungen teilhaben, Misstrauen wäre also auch hier vorprogrammiert. Der bisher letzte Akt der aktuellen Diskussionen wurde Anfang April mit einer Konferenz an der britischen Königlichen Akademie, der Royal Society in London gegeben.5 Auch hier schien die Einstellung vorherrschend zu sein, dass die vollständige Publikation sinnvoll und richtig sei.6 Beide Autoren, Kawaoka und Fouchier, waren in London anwesend und haben ihre Arbeiten vorgestellt. Es zeigte sich bei dieser Gelegenheit auch die Ambivalenz, die in dieser Diskussion mitschwingt: Auf der einen Seite beklagte die einzige Frau (sic!), die überhaupt für einen Vortrag nach London eingeladen war, dass es gerade in Bezug auf Kommunikation über Risiken gefährlich ist, wenn sich die Beteiligten zu ähnlich sind. Das weist in eine interessante Richtung. Denn auch in dieser Debatte tut sich ein Graben auf zwischen den ExpertInnen und den anderen. Und immer wieder blitzt eine gewisse Selbstgefälligkeit der ExpertInnen auf, die deutlich macht „Wir wissen in etwa Bescheid, was das Richtige ist. Es ist nur ein bisschen Zeit nötig, bis der Rest der Gesellschaft zu den gleichen Schlüssen kommt.“ In diesem Sinne kann auch das selbstauferlegte Moratorium verstanden werden, demzufolge die WissenschaftlerInnen ihre Forschungen an den neuen H5N1-Vogelgrippe-Viren gerade unterbrochen haben.7 Auf der anderen Seite konnte die gesamte Veranstaltung live via Internet-Stream verfolgt werden. Die Argumentationen der WissenschaftlerInnen waren also für einen potentiell großen Kreis von Interessierten frei zugänglich - ein klares Statement: So geht Transparenz! Es waren Männer und Frauen zu sehen, die sich zwei Tage lang konzentriert und offensichtlich auch sehr gut informiert über die Problematik der Grippe-Forschung, deren Missbrauchs-Potential und ihre eigene Verantwortung austauschen. Für die Forschungsarbeiten von Fouchier, Kawaoka und ihren KollegInnen läuft alles auf eine vollständige Veröffentlichung der Artikel hinaus. Deutlich wurde jedoch, dass es weiter großen Bedarf gibt, über die Wissenschaft - insbesondere die Biotechnologien -, die mit ihr einhergehenden Risiken und ihr Verhältnis zum Rest der Gesellschaft zu diskutieren. Nicht nur der US-Bioethiker Arthur Caplan brachte eine Neu-Auflage der Konferenz von Asilomar auf: Im Februar 1975 hatten sich 140 MolekularbiologInnen aus 16 Ländern im US-Bundesstaat Kalifornien getroffen, um über Fragen von Biosicherheit zu diskutieren.8 Dass es aber in diesem Zusammenhang nicht zuletzt an ganz praktischen Maßnahmen fehlt, macht das Ergebnis einer Untersuchung von Jan Hoppe von der Research Group for Bioweapons Arms Control an der Universität Hamburg deutlich: Hoppe hat untersucht, „ob und in welchem Maße der Themenkomplex Biowaffen, Bioterrorismus, ‚dual use‘ und Biosecurity in den lebenswissenschaftlichen Studiengängen in Deutschland behandelt wird“. Dafür wurden 58 Universitäten in Deutschland befragt; das Ergebnis ist ernüchternd: Spezielle Veranstaltungen bietet eine Universität an (22 Antworten, 21 Nein) - bezeichnenderweise die Uni in Hamburg. Nur wenig besser sieht es bei der Frage aus, ob der Themenkomplex in einer anderen Lehrveranstaltung angesprochen wird. Dies ist in vier Universitäten (sicher) der Fall, 21 Antworten bekam Hoppe insgesamt (3 Nein). Die überwiegende Mehrheit (14) antwortete mit „Weiß nicht“.9

  • 1Aus diesem Grund können aktuelle Unsicherheiten über die tatsächliche Gefährlichkeit der Stämme von Fouchier et al. in den Diskussionen vernachlässigt werden (siehe Kurznotiz auf Seite 38).
  • 2Wikipedia: „Der fachwissenschaftlichen Literatur zufolge betrug die Zahl der Todesopfer [der Spanischen Grippe] weltweit mindestens 25 Millionen“. Andere Quellen sprechen von bis zu 50 Millionen Opfern (abgerufen am 04.04.12).
  • 3Siehe dazu auch das Interview mit Gunnar Jeremias (Uni Hamburg) im GID 109, Februar 2012, im Netz unter www.gen-ethisches-netzwerk.de.
  • 4US-Außenministerin Hillary Clinton anlässlich der 7. Überprüfungskonferenz der Biowaffen-Konvention im Dezember 2011. Spiegel online, im Netz unter: www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,802342, 00.html und auf den Seiten des US-Außenministeriums (Department of State) www.kurzlink.de/gid211_b.
  • 5www.royalsociety.org/events/2012/viruses.
  • 6Allerdings konnte ich die Konferenz nur als Internet-Film und auch nur in Auszügen verfolgen.
  • 7Pause on avian flu transmission studies. Nature, 26.01.12.
  • 8Siehe auch: Summary Statement of the Asilomar Conference on Recombinant DNA Molecules. Proceedings National Academy of Science, Band 72, Nummer 6, Juni 1976.
  • 9Jan Hoppe (2011): Sicherheitsaspekte in den Lebenswissenschaften in der universitären Ausbildung in Deutschland. Im Netz unter www.biological-arms-control.org.
Erschienen in
GID-Ausgabe
211
vom Mai 2012
Seite 44 - 46

Christof Potthof war bis Ende April 2020 Mitarbeiter im GeN und Redakteur des GID.

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