WTO-Urteil: übertriebene Befürchtungen?

Gut ein Jahr nach seiner Verkündung soll das Urteil des WTO-Streitfalls zur Gentechnik umgesetzt werden

Vor gut einem Jahr wurde das Urteil der Welthandelsorganisation (WTO) im Gentechnikstreitfall der USA nebst Verbündeten gegen die Europäische Union veröffentlicht. Beide Seiten sahen sich durch das Urteil bestätigt. Nur Nichtregierungsorganisationen warnten vor den weitreichenden Konsequenzen der Entscheidung der WTO, da sie das Vorsorgeprinzip ignoriert und damit das Biosicherheits-Protokoll unterminiert.

Als am 29. September 2006 die WTO ihr Urteil in dem Streitfall - zwischen der Europäischen Union auf der einen und den USA, Kanada und Argentinien auf der anderen Seite - über gentechnisch veränderte Organismen bekannt gab, wurde es von den drei gegen die EU klagenden WTO-Mitgliedern USA, Kanada und Argentinien als Erfolg gefeiert. „Die WTO hat zugunsten einer wissenschaftsbasierten Entscheidungsfindung und gegen die ungerechtfertigte Anti-Biotech-Politik der EU entschieden. Nach acht Jahren rechtlichen Blockierens und Gezänks seitens der EU sind wir einen Schritt näher dran, die Barrieren für US-amerikanische Landwirtschaftsproduzenten zu beseitigen und die globale Nutzung der viel versprechenden Fortschritte in der Nahrungsmittelproduktion auszuweiten”, jubilierte zum Beispiel die Handelsbeauftragte der USA, Susan Schwab. Für Frau Schwab ist die Botschaft aus dem Urteil klar: Die EU hat ihr Zulassungs-Moratorium für Produkte aus oder mit gentechnisch veränderten Organismen (GVO) aufzugeben und sie muss ihre Mitgliedsstaaten dazu bringen, die nationale Gesetzgebung WTO-konform durchzuführen. Demgegenüber sah sich die Europäische Union nicht als Verliererin und hielt die Siegesmeldungen der anderen für unberechtigt. Denn, so Peter Power, Sprecher der Generaldirektion Handel der EU-Kommission, die EU habe ja zwischenzeitlich die Gentechnik-Gesetzgebung geändert und das Urteil bestätige, „dass das europäische Zulassungssystem in strikter Anwendung des Gesetzes ausgeübt wird”. Nichtregierungsorganisationen (NRO) lasen aus dem Urteil jedoch eine andere Botschaft. Für sie war - und ist noch - die Entscheidung der WTO ein deutlicher Angriff auf das Biosafety-Protokoll wie auf das Vorsorgeprinzip. Denn beides erachteten die WTO-Richter für den Streitfall als irrelevant. Folglich sahen die NRO in dem Urteil eine gefährliche Weichenstellung gegen das international zunehmend anerkannte Prinzip der Vorsorge im Allgemeinen und das Biosicherheits-Protokoll im Besonderen. Zudem berge das Urteil eine Gefahr für solche Länder, die eine kritische Gesetzgebung zur Gentechnik anstreben, denn es interpretiere die Handelsregeln ausschließlich im Sinne eines unbehinderten Marktzuganges für Gentechnikprodukte. Im November dieses Jahres sollen nun alle Maßnahmen erfüllt sein, die sich für die Länder der Europäischen Union aus dem Urteil ergeben.

Worum ging es in diesem Streitfall?

Am 13. Mai 2003 hatten die USA einen Streitfall gegen das so genannte Gentechnik-Moratorium der EU angekündigt, dessen Ende zu diesem Zeitpunkt bereits feststand. Mit dem De-facto-Moratorium wird die Tatsache beschrieben, dass die EU ab Juni 1999 Produkten mit oder aus gentechnisch veränderten Organismen keine Zulassung für den europäischen Markt erteilt hatte. In dem Streitfall geht es aber außerdem um neun als nicht WTO-konform gebrandmarkte nationale Maßnahmen (wie Einfuhrverbote für bestimmte GVO) der sechs EU-Mitgliedstaaten Österreich, Frankreich, Deutschland, Griechenland, Italien und Luxemburg. In seiner zeitlichen Ausdehnung übertraf dieser Streitfall alle Fristen deutlich: Statt der von den Statuten der WTO vorgegebenen sechs bis neun Monate brauchte das Gremium der WTO-Streitschlichtung, das so genannte Panel, dreißig Monate zur Urteilsfindung, was als deutliches Zeichen für dessen Brisanz angesehen werden kann. Am Ende kamen die drei WTO-Richter zu dem Schluss, die Nichtzulassung von 27 Biotechprodukten in der Zeit zwischen Juni 1999 und August 2003 sei unvereinbar mit den Regeln der WTO. Zudem sei es in 24 Fällen zu unzulässigen Verzögerungen der Zulassung gekommen. Auch hätten die neun nationalen Maßnahmen nicht die WTO-Vorgaben für eine Risikoabschätzung erfüllt. Die Richter machten aber auch deutlich, dass sie nicht über die Frage entschieden haben, ob Gentechnik sicher sei oder nicht. Auch hätten sie zu klären gehabt, ob gentechnisch veränderte mit unveränderten Pflanzen handelsrechtlich gleichzustellen seien.

Aufgabe von zentralen EU-Positionen

Wie beschrieben: Sowohl das Biosafety-Protokoll wie auch den Vorsorgegrundsatz sahen die WTO-Richter als für den Streitfall unerheblich an. Die Autoren des Panel-Berichtes stellen darüber hinaus gehend fest, dass die Europäische Union kein Recht hätte, den Vorsorgegrundsatz bei ihren Entscheidungen zur Grundlage zu nehmen. Allein um diese Ignoranz aufzubrechen, hätte die EU in die Berufung gegen das Urteil gehen müssen. Aber sie verzichtete auf die Möglichkeit und schwächte damit ihre zentralen Positionen. Die EU hatte sich in der Vergangenheit für das Vorsorgeprinzip stark gemacht. Es ist seit 1992 fester Bestandteil der EU-Verträge, eindeutig definiert in den Rio-Prinzipien von 1992 und wurde in den vergangenen Jahren - nicht zuletzt aufgrund des Betreibens der Europäer - zunehmend in internationale Vereinbarungen wie dem Biosicherheits-Protokoll aufgenommen. Jede Bürgerin und jeder Bürger der EU kann sich darauf berufen. Statt dieses Prinzip zu verteidigen, verstieg sich Kommissionssprecher Peter Power zu der Aussage: „Die Auswirkungen dieses Urteils sind rein von historischem Interesse“. Denn: „Die Europäische Union hat entscheiden, nicht gegen das Urteil Einspruch zu erheben, weil die gegenwärtigen Gentechnikregeln der EU in keinster Weise durch das Urteil betroffen sind. Unser derzeitiges Zulassungssystem funktioniert, wie die zehn Zulassung belegen, die seit Beginn des Streitfalles erfolgten. Weitere Zulassungen stehen bevor“. Die Generaldirektion Handel zeigt sich dem fortgesetzten Druck der USA gegenüber wenig resistent. In einer Rede erklärte EU-Handelskommissar Peter Mandelson am 14. Juni 2007 in Brüssel, die EU müsse zur Vermeidung weiterer WTO-Klagen alles unterlassen, was andere Staaten als Handelshemmnisse sehen können, denn „wenn wir dabei versagen, unsere eigenen Regeln anzuwenden oder sie nur unzureichend umsetzen, können wir - und werden wir wahrscheinlich - angeklagt werden“. So ist es auch nicht verwunderlich, dass sich die EU, die in diesem Streitfall von ihrer Kommission vertreten wird, am 21. Juni 2007 mit den drei Klägern USA, Argentinien und Kanada darauf verständigte, bis zum 21. November 2007 die Vorgaben des WTO-Urteils umzusetzen - ohne den üblicherweise maximal möglichen Zeitraum von 15 Monaten auszuschöpfen oder gar einen längeren Zeitraum auszuhandeln. Einige Mitgliedsstaaten der EU haben sich durchaus als resistent gegenüber dem Anpassungskurs der EU-Kommission erwiesen und die Vorgaben des Urteils bisher nicht umgesetzt und es sieht auch nicht so aus als würden sie dies in absehbarer Zeit tun wollen. Dies könnte für die EU-Kommission Grund genug sein, diese Staaten vor den Europäischen Gerichtshof zu zerren und sie auf diesem Wege zur Übernahme der Verpflichtungen aus dem WTO-Fall zu zwingen. Denn dort, vor dem Europäischen Gerichtshof, konnte die EU-Kommission am 13. September 2007 bereits in einem Präzedenzfall einen Erfolg gegen das unspezifische Anbauverbot von GMO-Pflanzen in Oberösterreich erzielen.

Drohgebärden gegen Entwicklungsländer eingestellt?

Der Streitfall wird auch als eine Kampfansage an alle Nicht-EU-Länder gesehen, die der Gentechnik kritisch gegenüber stehen. Insbesondere auf Entwicklungsländer üb(t)en die USA Druck aus und droh(t)en mit einem WTO-Streitfall. Davon betroffen waren unter anderem Bolivien, Thailand, Südkorea und Sri Lanka wie auch Kroatien. Weitere Fälle sind in den letzten Jahren nicht bekannt geworden, was nicht heißt, dass es sie nicht gab. Es kann auch schlicht auch Ausdruck der Tatsache sein, dass inzwischen der Prozess der Entwicklung einer nationalen Gentechnik-Gesetzgebung in den meisten Ländern abgeschlossen ist und somit den USA direkte Einwirkungsmöglichkeiten nicht mehr gegeben sind oder sich auf Umsetzungsmaßnahmen konzentrieren, wo sie weniger offensichtlich beziehungsweise leicht nachweisbar sind.

Ein zweiter Gentechnik-Streitfall?

Als sei das nicht schon genug, droht weiteres Unheil: Die American Soybean Association (ASA) fällt seit Jahren dadurch auf, dass sie mit Penetranz die US-Regierung auffordert, die Interessen der US-Biotechindustrie und -farmer durch Streitfälle vor der WTO durchzusetzen. In den letzten Jahren war der ASA insbesondere die „Verordnung (EG) Nr. 1830/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. September 2003 über die Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung von genetisch veränderten Organismen und über die Rückverfolgbarkeit von aus genetisch veränderten Organismen hergestellten Lebensmitteln und Futtermitteln” ein Dorn im Auge. Kontinuierlich forderten die Soja-Lobbyisten die US-Administration auf, vor der WTO gegen diese Verordnung zu klagen. Sie taten dies zuletzt im Oktober 2006 bei einem Treffen mit US-Regierungsbeamten. Seitdem hat sich die ASA zumindest in Form von Presseerklärungen dazu nicht mehr geäußert. Der lange Atem fehlte Demgegenüber standen die Aktivitäten der Nichtregierungsorganisationen. Sie waren ebenso zahl- wie ideenreich, hatten nur einen entscheidenden Nachteil: Ihnen fehlte der lange Atem. So wurde zum Beispiel die deutsche GENug-WTO-Kampagne bereits im April 2005 abgeschlossen. Und als das Urteil im September 2006 dann endlich veröffentlicht wurde, blieben nur noch Presseerklärungen als Reaktionsmöglichkeiten. Lediglich das Forum Umwelt und Entwicklung zeigte noch einmal einen symbolischen Akt, indem es an Stelle der EU in die Berufung ging. In einem offenen Brief an den Vorsitzenden des Berufungsgremiums der WTO-Streitschlichtung, den Inder A.V. Ganesan, teilten sie mit, dass sie das Urteil nicht akzeptieren. Doch dieser symbolische Akt verpuffte: Weder sah Herr Ganesan sich bemüßigt, den Brief zu beantworten, noch sahen die Medien darin einen Anlass, endlich einmal ausführlich über den Fall zu berichten.

Vorsorgeprinzip, Risikoanalyse und die Codex-Alimentarius-Kommission

Es ist zu befürchten, dass die Schwächungen des Vorsorgeprinzips Auswirkungen auf andere internationale Gremien, insbesondere auf die für die Sicherheit von Nahrungsmitteln zuständige Codex-Alimentarius-Commission (CAC) von Welternährungs- und Weltgesundheitsorganisation, haben könnte. In der CAC wird seit längerer Zeit eine Diskussion über die Rolle des Vorsorgeprinzips bei der Risikoanalyse und beim Risikomangement geführt. Die in diesem Jahr verabschiedeten Working Principles for Risk Analysis for Food Safety for Application by Governments (CAC/GL 62-2007) bestätigten im Punkt 12, dass Vorsorge ein der Risikoanalyse innewohnendes Element sei: „Precaution is an inherent element of risk analysis”. Die weiteren Ausführungen lassen jedoch viel Spielraum offen. Die CAC hat seit geraumer Zeit den Ruf, dass in ihr eher die Interessen der Ernährungsindustrie als die der Verbraucherinnen und Verbraucher im Vordergrund stehen, so dass es vermutlich nicht des Urteils im Gentechnikstreitfall bedurfte, um eine derartige Position zu verabschieden. Allerdings wird der Codex nicht selten als Referenz für Nahrungsmittel-Standards in anderen internationalen Abkommen anerkannt - so auch in der WTO.

Auswirkungen auf das Biosafety-Protokoll

Die Geschichte des „Cartagena Protokolls zur biologischen Sicherheit” (Biosafety-Protokoll) ist eng mit der Gentechnikdebatte in der WTO verbunden. Des USA versuchten zunächst alles, um das Protokoll zu verhindern beziehungsweise zu verwässern. Ersteres gelang ihnen jedoch nicht, zweiteres zumindest nicht im angestrebten Ausmaß. Denn das Protokoll räumt den Staaten das Recht ein, sich aus Gründen der Vorsorge gegen genmanipulierte Organismen zu entscheiden. Es erkennt ausdrücklich an, dass genmanipulierte Organismen Gefahren für die menschliche Gesundheit und die Umwelt bergen. Um die biologische Vielfalt davor zu schützen, sind die Länder verpflichtet, Schutzmaßnahmen zu treffen. Im Januar 2000 wurde das Protokoll nach jahrelangen Verhandlungen verabschiedet, am 11. September 2003 trat es in Kraft. Argentinien, die USA und ie Kläger im Gentechnikstreitfall fehlten damals wie heute auf der Liste der Vertragsstaaten. Diese Liste ist inzwischen auf 143 Länder angewachsen und erfreute sich auch während des Streitfalls zahlreicher Neuzugänge. So sind allein seit 2006 weitere 18 Länder Mitglieder geworden. Doch allein Neuzugänge sind kein Kriterium dafür, Entwarnung zu geben. Wichtig ist nicht nur die Mitgliedschaft beim Protokoll, sondern auch dessen sachgerechte Umsetzung in entsprechende nationale Maßnahmen.

Gefährliche Weichenstellung oder übertriebene Befürchtungen?

Das Urteil der WTO-Panels birgt also gravierende Risiken für das Biosafety-Protokoll, für das Vorsorgeprinzip, für eine gentechnisch-kritische nationale Gesetzgebung und für zukünftige Handelskonflikte bezüglich der Gentechnik, auch wenn sich dies in den letzten zwölf Monaten (noch) nicht materialisiert hat. Was sich aber abzeichnet, ist die Tatsache, dass zumindest die Generaldirektion Handel der EU das WTO-Urteil nutzt, um Gentechnik-skeptische Mitglieder zu reglementieren. Die EU hat auf eine weitere rechtliche Auseinandersetzung gegen ihre Handelspartner bei der WTO verzichtet, wird die rechtliche Auseinandersetzung nun aber nach innen - gegen renitente Mitgliedsstaaten gerichtet - vor dem Europäischen Gerichtshof führen. Dafür wird der gesetzte Termin 21. November 2007 bei weitem nicht ausreichen.

Quellen: Die Homepage www.trade-environment.org/page/theme/tewto/biotec… liefert praktisch alle wichtigen Dokumente dieses Streitfalles. Forum Umwelt und Entwicklung: Gentechnik-Streitfall: Keine Sicherheit mehr für das Biosafety-Protokoll (Verfasserin Stefanie Hundsdorfer); im Netz unter: www.forum-ue.de/fileadmin/userupload/positionspap…. Forum Umwelt & Entwicklung: Das akzeptieren wir nicht! - Nichtregierungsorganisationen legen Einspruch gegen WTO-Urteil im Gentechnikstreitfall ein. Presseerklärung, Bonn, 28.11.2006. Hundsdorfer, Stephanie (2005): Freier Handel ohne Vorsorge. Gen-ethischer Informationsdienst (GID) 173, Dezember 2005/Januar 2006. Im Netz unter: www.gen-ethisches-netzwerk.de/node/423. GeneWatch UK & RSPB: The WTO GMO dispute: Implications for developing countries and the need for an appeal (Verfasserin Alice Palmer); Im Netz unter: www.genewatch.org/uploads/f03c6d66a9b354535738483…. Greenpeace International: Analysis of the Interim Report in the ‘EC-Biotech’ Case: A step backwards for international environmental law, but not the end of GE restrictions (Verfasser Duncan Currie); Im Netz unter: www.greenpeace.org/raw/content/international/pres…. Ein vollständiges Literaturverzeichnis zum Artikel ist auf Wunsch erhältlich.

Erschienen in
GID-Ausgabe
184
vom Oktober 2007
Seite 54 - 57

Jürgen Knirsch ist Mitarbeiter von Greenpeace und arbeitet unter anderem zu internationalen Handelsfragen

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