Zurück in die Zukunft

Die Rückkehr der Familie in der genetischen "Individualdiagnostik"

Die Februar-Ausgabe des GID beleuchtete die Frage, wie sich Familienkonzepte und Vorstellungen von Verwandtschaft im Kontext der Reproduktionsmedizin verändern. Britta Pelters stellt in diesem Artikel heraus, dass es in einem anderen Bereich der Biomedizin, nämlich prädiktiven Gentests, nicht nur zu Dynamisierungen, sondern auch zu konservativen Trends der „Refamiliarisierung“ kommt. Ein positiver Gentest zum BRCA-Gen, das mit einem erhöhten Brustkrebsrisiko in Verbindung gebracht wird, setzt die Betroffenen unter Druck, sich zu ihrer „biologischen“ Familie in Beziehung zu setzen. Eine Steigerung individueller Verantwortung geht mit einem Rückbezug auf die Familie einher.

Für meine Dissertation beforschte ich den Einfluss genetischer Daten auf Körper- und Gesundheitserleben von BRCA-positiven gesunden Personen (siehe Kasten). Dabei stolperte ich immer wieder über einen Akteur, mit dem ich zunächst so intensiv nicht gerechnet hatte: die Familie. Während meiner Interviews zur Wissensfolgenabschätzung fühlte ich mich, als würde ich als Anhalterin ein Stück von einer Fahrerin mitgenommen, die in zwei Richtungen blickt. Einerseits nahmen meine Interviewpartnerinnen den von Barbara Duden beschriebenen Windschutz-Scheiben-Blick ein – das heißt den gebannten Blick in die Zukunft, die über Risikoberechnungen zwar möglichst übersichtlich gemacht1 werden soll, deren Gefahr jedoch dadurch umso deutlicher immerzu vor einem liegt und Lebendigkeit lähmt. Dazu kam aber auch noch der Blick in den Rückspiegel: Die Frauen bewegten sich auf ein „noch nicht“ zu, während sie von einem „nicht mehr“ verfolgt wurden. Bei diesem „nicht mehr“ handelt es sich um die sich in der Krebsgeschichte manifestierende biologische Familie.

Ein Fallbeispiel

In Andrea Schneiders Familie ist Krebs seit den 1970er Jahren ein ständiger Begleiter. Ihr Vater forderte sie im Alter von 20 Jahren auf, nach Hause zurückzuziehen, um ihn nach dem erwarteten Tod der Mutter zu versorgen. Sie war mit 17 ausgezogen, nachdem sie ein Kind bekommen hatte. Diese Erwartung an sie musste sie nicht erfüllen – die Mutter genas wieder. Da in dieser Zeit auch zwei ihrer Tanten an Krebs erkrankten und starben, ging Frau Schneider wie der Rest der Familie seitdem regelmäßig zur üblichen gynäkologischen Vorsorge. Aufgrund körperlicher Merkmale, die sie der „anderen Familienseite“ zusprach, rechnete sie jedoch nie damit, selbst an Krebs zu erkranken. Entsprechend erlebte sie es als Schock, als ihre Tochter 2004 BRCA2-positiv getestet wurde. Damit war klar, dass auch sie BRCA2-positiv sein musste, obwohl sie den Test eigentlich nicht machen wollte. Sie holte ihn nach, um ebenfalls an der intensivierten Früherkennung im zuständigen Zentrum für familiären Brust- und Eierstockkrebs teilnehmen zu können (siehe Kasten). Seitdem macht sie zusammen mit ihrer Schwester und ihrer Tochter jedes halbe Jahr einen „Familienausflug“ dorthin, der mit unterschwelliger Angst verbunden ist, und hat sich die Eierstöcke entfernen lassen. Sie findet, damit hat sie ihre Schuldigkeit getan. Ihre Schwester Beate, die trotz langjähriger Ehe kinderlos blieb und sehr an der mehrfach an Krebs erkrankten Mutter hängt, hat ein anderes Verhältnis zur Krebsvorsorge entwickelt. Sie erlebte das Gentest-Ergebnis zwar ebenfalls als Schock, da sie das familienübliche Erkrankungsalter zu diesem Zeitpunkt bereits überschritten und somit mit der Krebsgefahr abgeschlossen hatte. Anders als ihre Schwester Andrea deutete sie jedoch die Früherkennung eindeutig als Vorteil. Ihre Entscheidung für eine prophylaktische Entfernung der Eierstöcke diente zudem nicht nur dem Schutz vor Krebs,2 sondern auch dazu, gleichzeitig die sie belastende Menstruation zu beenden. Sie fühlt sich insgesamt in ihrer Situation geborgen, sowohl in der medizinisch professionellen Betreuung als auch in ihrer wegen des möglichen Brust- und Eierstockkrebses zusammengerückten Familie.

Rückbezug auf die Familie - unumgänglich

Wird das eigene Gentest-Resultat als Fortsetzung der familiären Krebsgeschichte erlebt, so ist der familiäre Rückbezug unumgänglich. Egal, ob das Resultat unerwartet kommt oder der Einzelnen als logische Konsequenz erscheint - es führt auf jeden Fall dazu, dass die Auseinandersetzung mit der Familie wieder aktuell wird und dass die Betroffene ihren Platz im sozialen Gefüge überdenken und neu bestimmen muss. Wie sich diese „zweite Adoleszenz“ gestaltet und welche Grenzziehungen oder Annäherungen daraus resultieren, hängt davon ab, wie die Familie bisher erlebt wurde: Im vorliegenden Beispiel hat Andrea Schneider bereits früh Unabhängigkeitsbestrebungen gezeigt, die ihre Familie verschiedentlich versuchte zu unterbinden. Das positive Gentest-Resultat verweist sie nun endgültig zurück auf ihre Familie. Sie empfindet, dass ihre Familie sie „eingeholt“ hat und die gemeinsamen Früherkennungsbesuche ihre Abgrenzungsbestrebungen einschränken. Gleichzeitig verfährt sie mit ihrem positiv getesteten Sohn ähnlich, indem sie ihn zur Teilnahme an der Brustkrebsfrüherkennung überredet, damit wieder einbindet und das wiederholt, was ihr selbst passiert ist.3 Man könnte bei Andrea Schneider von einer erzwungenen Familien-Compliance sprechen, wie sie für die Situation Jugendlicher typisch ist.4 Dieses Verhalten trägt ihr die Position einer akzeptierten Außenseiterin ein. Ihre Schwester Beate hingegen erfährt sowohl ihre näher zusammengerückte Familie als auch die medizinische Krebsvorsorge als eine doppelt abgesicherte Geborgenheit. Vor dem Hintergrund ihrer Kinderlosigkeit, der engen Bindung an ihre Mutter und der durchlebten Menopause, die sie als „umgekehrte Pubertät“ beschreibt, scheint sie diese „zweite Adoleszenz“ rückwärtsgerichtet durchschritten zu haben und wieder auf einer „Kinderposition“ angekommen zu sein. Die von ihr favorisierte Rückbindung an die Familie wurde hier durch das Testergebnis unterstützt. In beiden Fällen drängt sich die Familie aufgrund des Testergebnisses erneut oder verstärkt als relevanter Lebensraum auf, in dem die Frauen sich verorten müssen. Vergrößert wird dieser Trend dadurch, dass die beiden Frauen Krankheit als Privatangelegenheit begreifen und daher keiner Selbsthilfegruppe beigetreten sind. Da, wo sich Frauen bereits (räumlich oder persönlich) weiter von der Familie entfernt hatten, gibt es zwar oft auch deutlichere Abgrenzungen als in diesem Fall. Aber auch hier besteht der Druck, die Haltung zur Familie neu zu bestimmen, sich zu repositionieren. Nur dort bleibt die Situation stabil, wo es bereits eine starke Familienorientierung und -position gibt, die durch ein positives Testresultat kaum verändert wird. Generell lässt sich somit festhalten, dass in den aktuellen biomedizinischen Praktiken Familie eben nicht nur als Wahlfamilie im Zusammenhang mit einem Kinderwunsch eine Rolle spielt, sondern auch als Ursprungsfamilie ein wichtiges Thema ist.

Das System Familie – Suche nach Stabilität

Das Einwirken von Andrea Schneider auf ihren Sohn, ihre von der Tochter erzwungene Kenntnis ihres Genstatus und das allgemeine Vorsorge-Verhalten der Familie verweisen darauf, dass der Gentest eine Strategie nach sich zieht, die nicht nur für einzelne Familienmitglieder, sondern für die ganze Familie gilt. Das Testwissen fordert somit das gesamte System der Familie heraus, darauf zu reagieren. Dabei stellen sich divergierende Ansprüche an dieses System: Einerseits ergeben sich durch die Testergebnisse familiäre Umgruppierungen. Zum Beispiel haben Andrea und Beate Schneider eine weitere Schwester, die aktiv aus der Familie ausgeschlossen wurde, nachdem sie in Anwesenheit der positiv getesteten Familienmitglieder berichtete, sie habe nach ihrem negativen Testergebnis gefeiert. Andererseits zielen familiäre (wie auch andere geschlossene) Systeme auf Selbsterhalt ab, was zur Betonung von Stabilität beiträgt. Je nach Bewertung der „genetischen Herausforderung“ sind zwei unterschiedliche Vorgehensweisen möglich: Entweder wird die Bewältigung der Krebs-/Gen-Geschichte wie im vorliegenden Beispiel als zentrale familiäre Aufgabe betrachtet; dann werden auch die Personen zentral, die daran beteiligt sind. Diese wiederum legen Wert darauf, dass die bevorzugte Strategie (hier die der Vorsorge) von allen verfolgt wird und treten als gegenseitiges Korrektiv in Erscheinung. Es liegt also eine inkludierende Strategie vor. Es gibt aber auch die Konstellation, dass Krebs beziehungsweise eine eventuelle genetische Disposition als nicht relevant erachtet (beziehungsweise vermieden) wird, was den Ausschluss der offen „Betroffenen“ zur Folge hat, wie sich in meinem Datenmaterial zeigt. In beiden Fällen wird anhand und anlässlich des Gentestergebnisses noch einmal neu verhandelt, wer Familie ist und wie diese bewahrt werden kann.

Der Informationspool Familie – Interesse der Beratenden

Trotz vielfacher Betonung eines individuellen Beratungsansatzes lässt sich der Blick auf die Familie nicht aus der genetischen Beratung wegdenken, da diese ohne Familieninformationen schlicht nicht sinnvoll durchführbar ist. Trotz anders lautender Empfehlungen der Begleitforschung nehmen die Beratenden die Familie vor allem als System wahr, das genetische und Gesundheits-Informationen mehr oder weniger gut vermittelt und zugänglich macht.5 Die Klientin wird sowohl dazu angehalten, Gesundheitsinformationen über ihre Familie anzubringen, also eine Art „genetische Recherche“ bei Ärzten und Verwandten durchzuführen, als auch die Familie über die in der genetischen Beratung erhaltenen Informationen bis hin zum (positiven) Testergebnis in Kenntnis zu setzen, um die Wahrnehmung weiterer Gentests (und in der Folge weiterer Vorsorgemaßnahmen) in der Familie zu fördern. Hinzu kommt, dass ohne lebende Indexpatientin6 (oder die Blutprobe einer Verstorbenen) in der Regel keine spezifischeren Aussagen zur Erkrankungswahrscheinlichkeit gemacht werden können. Damit werden Klientinnen zu Mittlerinnen zwischen Familie und Biomedizin, was der Techno-Logik von Gentests immanent ist. Durch diese Vorgehensweise in der testbegleitenden genetischen Beratung wird die Verbindung zwischen der familiären Krebsgeschichte und der eigenen „Gen-Geschichte“ selbstverständlich unterstützt. Das gesamte Projekt der prädiktiven Gendiagnostik wird zu eben jenem „Blick zurück nach vorn“, der familiäre Vergangenheit mit persönlicher Zukunft verbindet und Individualisierung somit erschwert.

Alte und neue „Biosozialitäten“

Diese empirischen Beobachtungen lassen sich auf zweierlei Ebenen mit der aktuellen Debatte darüber verbinden, welche „Biosozialitäten“, das heißt, welche neuen sozialen Bezüge und kollektiven Identitäten im Kontext neuer biomedizinischer Technologien entstehen. Die Wahlfamilie wird uns durch Reproduktionstechnologien als Universum unendlicher Möglichkeiten der Selbstverwirklichung und kreativen Gestaltung schmackhaft gemacht. Im Gegensatz dazu scheint die Ursprungsfamilie in der öffentlichen Wahrnehmung zum Erbgut im eigentlichen Wortsinn zu verkümmern. Sie scheint auf eine Art Startguthaben reduziert zu werden, das man durch Investitionen in persönliche Gesundheits- und Bildungsfonds angemessen zu verwalten hat. Dieser Trend verweist auf die Individualisierung von Familie, die reproduktions-technologisch gewendet mit einer Schwächung von Blutverwandtschaft einherzugehen scheint.7 Im Gegensatz dazu zeigt sich in meinem Material, dass die Ursprungsfamilie ein Faktor ist, der forciert durch genetische Analysen wieder Einzug in das Leben von Personen erlangt. Ich vertrete daher die These der genetischen Refamiliarisierung des Individuums. Allerdings kommt es ganz entscheidend darauf an, welche Art von Technologie beziehungsweise Test zur Anwendung kommt. Zu erwarten wäre, dass Gen-Geschichten, die als Fortschreibung familiärer Krankheitsnarrationen geeignet sind, zur Stärkung des Einflusses von Blutsverwandtschaft beitragen, während solche, die als Beginn einer neuen (Familien-)Geschichte gedeutet werden können, eher trennend und schwächend auf blutsfamiliäre Zusammenhänge wirken.8 In ihren Untersuchungen zu technologisierten Vergemeinschaftungsformen kommen Autoren wie Thomas Lemke oder Paul Rabinow darüber hinaus zu dem Schluss, dass biologische Kategorien und Technologien mit einer Umformung gesellschaftlicher Verhältnisse einhergehen und neue Biosozialitäten in Form von Patientenvereinigungen oder Selbsthilfegruppen entstehen.9 Ihre These ist, dass diese zu einer Schwächung traditioneller Sozialitäten beitragen. Wenn man davon ausgeht, dass diese neuen Kollektive unter anderem deshalb attraktiv sind, weil sie die Erfahrung von Normalität versprechen (einmal abgesehen davon, dass sie auch stark wissenschaftspolitisch beeinflusst sind), dann sind sie allerdings nur eine Option der Vergemeinschaftung. Schließlich kann die/der Einzelne diese Normalität bei einer familiär gehäuft auftretenden Erkrankung auch innerhalb familiärer Zusammenhänge erfahren. Letztendlich muss eine Analyse relevanter „Biosozialitäten“ sowohl stabilisierende als auch umdeutende soziale Prozesse verstehen, die durch gentechnologische Interventionen ausgelöst werden. Sie muss ihren Blick auf reaktivierte Familienkonzepte UND auf „biologisierte“ Peer-Groups richten. Alte, neue oder auch neue Varianten der alten Biosozialität sind im Kontext moderner Biotechnologien relevant. Da gerade die als zukunftsweisend geltenden prädiktiven Gentests, die häufig mit „Volkskrankheiten“ in Verbindung gebracht werden, oft mit familiären Krankheitsnarrationen verknüpft sind, lässt sich feststellen, dass die Herkunftsfamilie auf keinen Fall ein „Auslaufmodell“ ist.

  • 1Vgl. Duden, Barbara (1997): "Die Verkrebsung. Die Historikerin des erlebten Körpers vor dem zeitgeschichtlichen Phänomen der Krebsprävention." Zit. nach: www.pudel.uni-bremen.de/pdf/VERKREBS.pdf.
  • 2Neben dem auf circa 3 Prozent gesenkten Risiko für Eierstockkrebs wird mit dieser Maßnahme auch eine 50-prozentige Senkung des Risikos für Brustkrebs verbunden (Gerhardus, A.; Schleberger, H.; Schlegelberger B.; Schwartz, F.W.: BRCA – Erblicher Brust- und Eierstockskrebs. Beratung – Testverfahren – Kosten, Springerverlag, 2005).
  • 3Bei BRCA2-positiven Männern ist die Wahrscheinlichkeit für Brustkrebs ebenfalls erhöht, jedoch ist sie mit 7 Prozent vergleichsweise niedrig. Dazu kommen erhöhte Prostata- bzw. Hodenkrebsrisiken (vgl. Gerhardus et al, a.a.O.).
  • 4„Unter dem Begriff ‚Compliance‘ versteht man den Grad, in dem das Verhalten einer Person in Bezug auf die Einnahme eines Medikamentes, das Befolgen einer Diät oder die Veränderung des Lebensstils mit dem ärztlichen oder gesundheitlichen Rat korrespondiert.“ Zit aus: R.B. Haynes: Einleitung. In: Haynes R.B., Taylor, D.W., Sackett, D.L. (Hrsg.): Compliance in Health Care 1979, S. 12. Der Begriff wird hier verwendet, um das Befolgen familiärer Regeln zu bezeichnen.
  • 5Zur Begleitforschung vgl. Kenen, R., Ardern-Jones, A., Eeles, R.: Family stories and the use of heuristics: women from suspected hereditary breast and ovarian cancer (HBOC) families. In: Sociology of Health & Illness, Vol. 25, Nr. 7, 2003, S. 838-865; Petersen, A.: The best experts: the narratives of those who have a genetic condition. In: Social Science & Medicine, 63, 2006, S. 32-42. Zur Wahrnehmung von Familie durch Beratende: Genogramme dienen beispielsweise dazu, für die Informationsweitergabe wichtige Beziehungslinien festzustellen und Informationsvermittler aufzuspüren. Vgl. Jung, H.: Genetische Beratung. In: Nestmann, F., Engel, F., Siekendiek, U., (Hrsg.): Das Handbuch der Beratung. Band 2 – Ansätze, Methoden und Felder. – Tübingen: dgvt-Verlag 2004, S.1127-1138. Diesen Trend konnte ich auch in Gesprächen mit Expertinnen erkennen.
  • 6Als Indexpatient/in wird eine verwandte Person bezeichnet, die an Krebs erkrankt und bereit ist, sich auf eine krankheitsrelevante Veränderung in BRCA 1 oder 2 testen zu lassen. Da diese beiden Gene sehr groß sind und viele zum Teil eben auch nicht sicher krankheitsrelevante Veränderungen (sog. unspezifische Varianten) vorkommen, kann nur in sehr eindeutigen Fällen (zum Beispiel eine das Proteinprodukt stark verkürzende Stop-Mutation) auch ohne lebende Indexpatient/in ein über das eingangs aus dem Stammbaum errechnete empirische Risiko hinausgehendes „molekulargenetisches“ Erkrankungsrisiko genannt werden.
  • 7Vgl. Beck-Gernsheim, E.: Auf dem Weg in die postfamiliale Familie – Von der Notgemeinschaft zur Wahlverwandtschaft. In: Beck, U./ Beck-Gernsheim, E.: Riskante Freiheiten 1994, Suhrkamp, Frankfurt a.M., S.115-138.
  • 8Vgl. Featherstone, K., Atkinson, P., Bharadwaj, A.: Risky relations: family, kinship and the new genetics, Berg, 2005. Bei dieser „neuen Geschichte“ könnte es sich sowohl um eine durch reproduktionsmedizinische Interventionen ermöglichte Wunscherfüllung als auch eine pränataldiagnostisch festgestellte, vorher unbekannte unerwünschte Krankheits- bzw. Behinderungsgeschichte handeln.
  • 9Vgl. Lemke, Th.: Verantwortung und Veranlagung. Genetische Diagnostik zwischen Selbstbestimmung und Schicksal, Transcript Verlag, 2004; Rabinow, P.: Artificiality and Enlightenment: From Sociobiology to Biosociality. In: Cray, J., Kwinter, S. (Hrsg.): Incorporations, New York, Zone Books, 1992, S. 234-252.
GID Meta
Erschienen in
GID-Ausgabe
188
vom Juni 2008
Seite 46 - 49

Britta Pelters ist Humanbiologin und Pädagogin und promoviert in Gesundheitswissenschaften. Kontakt: britta.peltersSTOPSPAM@gmx.de

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BRCA

Das Kürzel BRCA steht für BReast CAncer und bezeichnet zwei 1994 und 1995 identifizierte Gene (BRCA 1 und 2), die mit einer stark erhöhten Wahrscheinlichkeit für Brust- und/oder Eierstockkrebs assoziiert werden. Je nach untersuchter Population werden BRCA1-positive Frauen mit einem Risiko von 60-80 Prozent, im Laufe ihres Lebens an Brustkrebs zu erkranken, und von 40-55 Prozent für Eierstockkrebs konfrontiert. Bei BRCA2-Positiven liegen diese Wahrscheinlichkeiten bei 45-80 Prozent für Brust- und 10-20 Prozent für Eierstockkrebs. Beide Zahlen liegen weit über dem allgemeinen Lebenszeitrisiko von circa 10 Prozent für Brust- sowie 1 Prozent für Eierstockkrebs. Familiär gehäuft auftretende Krebserkrankungen machen jedoch nur circa 5-10 Prozent aller Brustkrebserkrankungen aus (vgl. Schmutzler, Rita K.: Molekulargenetik und Klinik des hereditären Mammacarcinoms. Verh. Dtsch. Path. 89, S. 25-34, 2005).

Früherkennung

In Deutschland existieren 12 Zentren für familiären Brust- und Eierstockkrebs, die aus einem zwischen 1997 und 2004 gelaufenen Pilotprojekt der Deutschen Krebshilfe hervorgegangen sind. Seit 2005 gehört das dort angebotene Paket aus Test und Vorsorge vor dem Hintergund einer bestimmten familiären Krebsgeschichte zur Regelversorgung der Krankenkassen. Werden Frauen BRCA-positiv getestet, so wird ihnen eine intensivierte Früherkennung angeboten, die halbjährliche Untersuchungen beinhaltet. Dabei wird in jedem Fall Ultraschall sowie im Wechsel eine Kernspintomographie beziehungsweise eine Mammographie gemacht. Diese Brustuntersuchungen werden durch die üblichen gynäkologischen Unterleibsuntersuchungen ergänzt. Darüber hinaus wird Frauen nach dem 35. Lebensjahr eine prophylaktische Eierstockentfernung sowie ab dem 25. Lebensjahr die prophylaktische Brustentfernung angeboten. Letztere wird in Deutschland allerdings beispielsweise im Vergleich zu den USA oder den Niederlanden nur sehr selten in Anspruch genommen. Auch prophylaktische Hormongaben werden manchmal angeboten. Keine der Maßnahmen kann das Risiko einer Krebserkrankung vollständig auf Null reduzieren.

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