Das Gendiagnostikgesetz: Ein lückenhafter Schutz

Das neue GenDG unter der Lupe

Nach über zehn Jahren des Planens und Verhandelns haben Bundestag und Bundesrat nun einem „Gesetz über genetische Untersuchungen bei Menschen“ - kurz Gendiagnostikgesetz oder GenDG - zugestimmt. Positive bürgerrechtliche Regelungen werden jedoch von problematischen Lücken, Widersprüchen, Unklarheiten und Ausnahmeregelungen überschattet.

Wirklich zufrieden war am Ende nur die große Koalition. Nach monatelangen internen Verhandlungen legten SPD und CDU/CSU am 24. April ihren abschließenden Entwurf dem Bundestag zur Abstimmung vor; beide Seiten sprachen von einer Kompromisslösung.1 FDP und Linkspartei äußerten sich skeptisch, enthielten sich der Stimme und reichten Änderungs- und Entschließungsanträge ein. Eindeutig „gegen” den GenDG-Entwurf votierte lediglich die Fraktion der Bündnisgrünen. Priska Hinz, bildungs- und forschungspolitische Sprecherin, verwies auf den grünen Entwurf für ein GenDG von 2006, gegenüber dem der aktuelle Gesetzestext ein „Torso ohne Arme und Beine” sei.2 Anspruch des GenDG ist nichts Geringeres, als mit „Persönlichkeitsrechte(n) eines jeden einzelnen Menschen” auf gendiagnostische Verfahren und deren sich rasch ausdehnende Anwendungsbereiche zu reagieren. Das Gesetz beansprucht, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung - inklusive des Rechtes auf Nicht-Wissen - zu gewährleisten, um etwa eine massive Beeinträchtigung durch die Kenntnis genetischer Untersuchungsergebnisse zu verhindern. Weiterhin zielt es darauf ab, jeden Bürger/in vor einem Missbrauch seiner/ihrer sensiblen Daten sowie vor Diskriminierung aufgrund bestimmter genetischer Eigenschaften zu schützen.3 Kritische Beobachter/innen haben jedoch auf viele Details im Gesetzestext hingewiesen, die diesen Ansprüchen widersprechen.4 Die wichtigsten Regelungen und einige Einwände im Einzelnen:

Anwendungsbereich

Das Gesetz regelt genetische Untersuchungen und anschließende Analysen sowie den Umgang mit den gewonnenen genetischen Proben und Daten. Es gilt für Untersuchungen zu medizinischen Zwecken und zur Klärung der Abstammung sowie für den Versicherungsbereich und das Arbeitsleben. Ausdrücklich nicht erfasst von den Regelungen werden der Forschungsbereich, Vorschriften über Strafverfolgung und der Infektionsschutz.5Unklar bleibt, wie genetische Tests kommerzieller Anbieter geregelt werden sollen, die eher eine Antwort auf „nicht-medizinische“ Fragen wie Partnerwahl, individuelle Ernährung oder Herkunft der Vorfahren versprechen (siehe Kasten).

Einwilligung und nicht einwilligungsfähige Personen

Grundsätzlich gilt, dass nur genetisch untersucht werden darf, wer „ausdrücklich und schriftlich gegenüber der verantwortlichen ärztlichen Person eingewilligt hat”. Ein Widerruf ist jederzeit möglich, auch mündlich. Ausgenommen von dieser Regelung sind Menschen, denen die Fähigkeit abgesprochen wird, „Wesen, Bedeutung und Tragweite der genetischen Untersuchung zu erkennen”. Wird bei dieser Personengruppe aus medizinischen Gründen eine genetische Untersuchung um der eigenen Gesundheit willen als erforderlich angesehen und werden Risiko und Belastung als zumutbar eingestuft, darf - vorausgesetzt der oder die Betroffene lehnt den Eingriff nicht explizit ab - die Untersuchung auch ohne Einwilligung erfolgen. Dies soll auch gelten, wenn der Test notwendig ist, um vorgeburtliche diagnostische Untersuchungen bei schwangeren Familienangehörigen durchzuführen.6Prinzipiell ist diese fremdnützige Zweckbestimmung problematisch; denn der so genannte Ablehnungsvorbehalt bietet keinen ausreichenden Schutz des Selbstbestimmungsrechtes. Zudem wird den Betroffenen hier indirekt unterstellt, die Geburt von Menschen mit einer bei ihnen selbst vorliegenden, bestimmten genetischen Disposition eventuell verhindern zu wollen. Davon kann jedoch nicht generell ausgegangen werden.7

Arztvorbehalt

Ist die genetische Untersuchung diagnostisch, also auf die Abklärung bereits bestehender Krankheiten ausgerichtet, darf diese nur von einer/m Ärzt/in vorgenommen werden. Zielt die Untersuchung auf die Vorhersage potentieller Erkrankungen oder Störungen ab (prädiktive Analyse), sind ausschließlich Fachärzt/innen für Humangenetik oder Ärzte und Ärztinnen mit entsprechender Zusatzqualifikation zuständig.8Diese Regelung hat sich als Schwierigkeit für das Neugeborenen-Screening entpuppt. Diese Blutuntersuchung einige Tage nach der Geburt dient der Früherkennung schwerer Hormonstörungen und Stoffwechselkrankheiten und einer unverzüglichen Therapieeinleitung bei positivem Befund. Bisher waren auch Hebammen und Entbindungspfleger berechtigt, die Blutentnahme vorzunehmen. Der Arztvorbehalt beendet diese gängige Praxis und birgt das Risiko, dass Eltern auf ein Screening verzichten, wenn sie hierfür aktiv einen Arzt oder eine Ärztin aufsuchen müssen.9Auch der Gesundheitsausschuss des Bundesrates hatte auf die gesundheitspolitischen Ziele des diagnostischen Verfahrens hingewiesen und die Nichtbeachtung seiner Empfehlung, diesen Punkt gesondert zu regeln, ausdrücklich bedauert.10

Beratung

Eine genetische Beratung darf nur von Ärzt/innen durchgeführt werden, die sich dafür qualifiziert haben. Angeboten werden muss die Beratung nach diagnostischen Untersuchungen sowie vor und nach prädiktiven Tests. Die Beratung soll ergebnisoffen erfolgen. Wird angenommen, dass auch Verwandte des oder der Betroffenen Träger/innen der zu untersuchenden Eigenschaften sind, soll diesen eine Beratung empfohlen werden.11 Auch wenn Beratung als wesentlicher Bestandteil des Gesetzes zu begrüßen ist, verstößt letztere Regelung gegen das Prinzip der Non-Direktivität und verletzt das Recht auf Nicht-Wissen. Zudem schließt dieser Arztvorbehalt bei der Beratung Fachleute aus, deren Kompetenzen beispielsweise in den psychsozialen Dimensionen von Gentests liegen. Wesentliche Aspekte, die eine Entscheidung beeinflussen können, werden also zumindest als zweitrangig erachtet und den Humangenetiker/innen ohne entsprechende Ausbildung überlassen.12, 13

Vorgeburtliche Untersuchungen

Vorgeburtliche Untersuchungen werden auf medizinische Zwecke und damit auf die Analyse bestimmter genetischer Eigenschaften beschränkt, die „die Gesundheit des Fötus’ oder Embryos vor oder nach der Geburt beeinträchtigen“. Eine genetische Beratung ist vor dem Test und nach der Diagnose eines „auffälligen Befundes“ verpflichtend. Auf Anlagen für Erkrankungen, die - wenn überhaupt - erst im Erwachsenenalter auftreten, darf nicht untersucht werden.14Das war der entscheidende Streitpunkt innerhalb der Koalition. Die Forderung aus Kreisen der CDU, diese so genannten spätmanifestierenden Krankheiten aus der Pränataldiagnostik auszuschließen, konnte sich hier - zwar eingeschränkt auf Krankheiten, die erst nach dem 18. Lebensjahr auftreten - durchsetzen. Das Gesetz errichtet mit der genannten Definition „medizinischer Zwecke“ keine Barriere gegen die Tendenz in der Pränataldiagnostik, die Grenzen zwischen Selektion und einer genetischen Diagnose mit therapeutischen Zielen zu verwischen. Kategorien von lebenswertem und nicht lebenswertem Leben bleiben so im Spiel.15 Die Bundesarbeitsgemeinschaft für Menschen mit Behinderungen und chronischen Krankheiten e.V. betont in diesem Zusammenhang, „dass Erkrankungen oder Behinderungen die Möglichkeit eines glücklichen und gelungenen Lebens nicht ausschließen“ und warnt vor der Entstehung einer gesellschaftlichen Erwartungshaltung, „ein lebenslang gesundes Leben seit mittels der Genetik machbar und planbar“.13

Versicherungen

Das Gesetz verbietet, dass Versicherungsunternehmen von ihren Kund/innen eine genetische Untersuchung oder bereits gewonnene genetische Daten verlangen dürfen. Dies gilt jedoch nur bis zu einer bestimmten Höhe der Versicherungssumme. Werden bei Lebensversicherungen, Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsversicherungen sowie bei Pflegerentenversicherungen Leistungen von mehr als 300.000 Euro oder 30.000 Euro Jahresrente vereinbart, müssen genetisch diagnostizierte Risiken angezeigt werden.16Mit dieser Ausnahmeregelung wird eindeutig gegen das Diskriminierungsverbot aufgrund bestimmter genetischer Eigenschaften verstoßen. Dieser Umstand wird durch die Problematik der zunehmenden Privatisierung der Daseinsvorsorge und des Abbaus sozialstaatlicher Leistungen verschärft. Es gibt die Tendenz, etwa bei Berufsunfähigkeitsversicherungen, Menschen in die private Absicherung abzudrängen. Hier nun den Zugang zu Versicherungen aufgrund genetischer Risikoanalysen zu erschweren, ist bedenklich.17

Arbeitsschutz und Arbeitsrecht

Das Gesetz schützt prinzipiell davor, dass die Aufnahme oder Aufrechterhaltung eines Beschäftigungsverhältnisses von einer genetischen Diagnose abhängig gemacht wird. Allerdings gibt es auch hier Ausnahmeregelungen, die genetische Untersuchungen für den Arbeitsschutz betreffen. Der oder die Arbeitgeber/in darf genetische Untersuchungen eben doch einfordern, wenn im Rahmen arbeitsmedizinischer Vorsorgeuntersuchungen geklärt werden soll, ob bestimmte Tätigkeiten mit hoher Wahrscheinlichkeit bei der oder dem Beschäftigten zu schwerwiegenden Erkrankungen führen könnten.18Diese Ausnahmeregelung könnte zu einem Einfallstor dafür werden, prädiktive Gentests nach und nach, begründet über den Arbeitsschutz, als Eignungstest oder zur Auswahl von Beschäftigten einzubeziehen.19Zudem wird der Arbeitsschutz seiner genuinen Sinnhaftigkeit und Stoßrichtung beraubt. Arbeitsschutz sollte ursprünglich eigentlich gewährleisten, dass Beschäftigte nicht mit gesundheitsschädlichen Materialien und Substanzen in Kontakt kommen und nicht untersuchen, welche Beschäftigten die gefährlichen Stoffe am besten vertragen.2

Umgang mit Proben und Testergebnissen

Testergebnisse müssen grundsätzlich auf Verlangen der Betroffenen jederzeit unverzüglich vernichtet werden. Für den Umgang mit genetischen Proben allerdings, aus denen die Daten gewonnen werden, gilt eine unzureichend strenge Regelung. Im Gesetz heißt es, dass genetische Proben zu anderen Zwecken verwendet werden dürfen, „soweit dies nach anderen gesetzlichen Vorschriften zulässig ist oder wenn zuvor die Person, von der die genetische Probe stammt, nach Unterrichtung über die anderen Zwecke in die Verwendung ausdrücklich und schriftlich eingewilligt hat.“20Da davon auszugehen ist, dass es sich bei diesen anderen Zwecken um Forschungszwecke handelt, zeigt sich auch an dieser Stelle, dass das Gesetz seiner Intention, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung zu schützen, nicht gerecht wird. Eine schlichte „Unterrichtung“ über die mögliche weitere Verwendung der Proben, die der Gesetzgeber als ausreichend erachtet, kann eine notwendige umfassende Aufklärung nicht ersetzen. Bis es keine zusätzliche Regelung für den Forschungsbereich gibt, besteht die Gefahr einer „Blanko-Zustimmung“. Die Betroffenen könnten in die Weiterverwendung einwilligen, ohne zu wissen, wer in den Besitz ihrer Proben kommt, worin die jeweiligen Forschungsvorhaben genau bestehen und wer sie leitet und finanziert, und ohne zu wissen, welche Grenzen eine Pseudonymisierung in Biobanken hat.21Auch der Bundesrat hat dieses gravierende Defizit des Gesetzes erkannt und die Bundesregierung aufgefordert, „Regelungen zu dem Bereich ‚genetisch-medizinische Untersuchungen zu Forschungszwecken’ in einer gesonderten Rechtsvorschrift vorzunehmen“.22

Klärung der Abstammung

Auch bei Abstammungstests ist eine Einwilligung laut Gesetz zwingend erforderlich, heimliche Vaterschaftstests sind somit verboten. Mit dieser Regelung wird zu verhindern versucht, dass genetische Proben und Daten ohne Zustimmung der Betroffenen in fremde Hände geraten. Dieses Recht wird aber bei einer bestimmten Personengruppe nicht ausreichend geschützt. Das Gesetz führt Ausnahmeregelungen ein, wenn es um DNA-Tests geht, um bei Visumsverfahren für den Familiennachzug oder bei Passanträgen ein Verwandtschaftsverhältnis zu überprüfen.23Offiziell ist der Test freiwillig, den Ausländerbehörden und Ausländervertretungen schon bisher ohne gesetzliche Regelung einfordern, wenn ihnen die vorgelegten Dokumente nicht ausreichen oder sie deren Echtheit anzweifeln. Tatsächlich liegt hier jedoch eine Zwangssituation vor. Denn ein DNA-Test stellt in solchen Fällen die letzte Möglichkeit dar, mit leiblichen Verwandten gemeinsam in Deutschland leben zu können. Nicht-Blutsverwandte - etwa Waisenkinder, die in Bürgerkriegsgebieten unbürokratisch in andere Familien integriert werden - sind von der Regelung noch schwerer betroffen. Sie fallen ganz aus der zugrundeliegenden genetischen Familiendefinition heraus. Das Gesetz schließt diese Personengruppe darüber hinaus von dem Recht aus, Proben und Testergebnis jederzeit vernichten lassen zu können. Und: Obwohl das Gesetz ausdrücklich nicht für den strafrechtlichen Bereich gilt, dürfen diese Testergebnisse und Proben - auch nach Widerruf des Testverfahrens durch die Betroffenen - den Strafverfolgungsbehörden zugänglich gemacht werden. Das GenDG, das vorgibt, die informationelle Selbstbestimmung und vor Diskriminierung schützen zu wollen, kriminalisiert und stigmatisiert mit dieser Ausnahmeregelung Migrant/innen und legitimiert hier den DNA-Test als Methode der Migrationskontrolle.24

Antidiskriminierung und Gen-Gläubigkeit

So begrüßenswert ein Teil der Regelungen trotz aller genannten Einschränkungen sein mag, so beunruhigend sind die Implikationen auch einer gesetzlich eingehegten Gendiagnostik. Obwohl es nach derzeitigem Wissensstand keine Krankheiten gibt, deren Ausbruch ausschließlich durch das frühzeitige Wissen einer genetischen Veranlagung zu verhindern oder auch nur entscheidend zu therapieren ist, verwendet das Gesetz Begriffe wie „ursächlich”, „mitursächlich”, „behandelbar” und „vermeidbar” ganz selbstverständlich.25 Es wird ein Diskurs gestärkt, der sich aus Wahrscheinlichkeiten speist. In diesem Spannungsfeld von regulativer Notwendigkeit und der Manifestierung wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Gen-Gläubigkeit gilt es darauf zu achten, nicht hinter die Grundprinzipien des GenDG - keine genetische Diskriminierung und informelles Selbstbestimmungsrecht - zurückzufallen und die Entwicklung auch weiterhin kritisch zu begleiten. Jedenfalls sollte man sich nicht auf die Unabhängigkeit der Gendiagnostik-Kommission beim Robert-Koch-Institut verlassen, deren Einrichtung das GenDG vorsieht. Hier stehen dreizehn Sachverständigen für Medizin und Biologie nur zwei für Ethik und Recht gegenüber. Zudem ist es das Gesundheitsministerium, das diese auswählt.26

  • 1Hubert Hüppe im Gespräch mit Jürgen Liminski, Deutschlandfunk, 24.04.09
  • 2a2bStenografischer Bericht, Deutscher Bundestag, 218. Sitzung, 24.04.09
  • 3Ebda
  • 4GeN-Stellungnahmen vom 28.07.08 und 14.01.09, www.gen-ethisches-netzwerk.de/stellungnahmen
  • 5Entwurf eines Gesetzes über genetische Untersuchungen bei Menschen (Gendiagnostikgesetz/ GenDG, Drucksachen 16/10532, 16/ 10582) mit den Beschlüssen des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss, BT-Drucksache 16/12713, 22.04.09, § 2)
  • 6GenDG, § 8
  • 7Stellungnahme der Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe von Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung und ihren Angehörigen e. V. (BAG SELBSTHILFE) zum GenDG (13.10.08, BT-Drucksache 16/10532)
  • 8GenDG, § 7
  • 9Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin e.V. (DGKJ) zum Regierungsentwurf des GenDG, Januar 09
  • 10Empfehlung des Gesundheitsausschusses des Bundesrates zum GenDG, BR-Drucksache 374/1/09, 30.04.09, S. 2f.
  • 11GenDG, §10
  • 12Stellungnahme des Gen-ethischen-Netzwerkes (GeN) zum Regierungsentwurf des GenDG, 14.01.09, S. 4f.
  • 13a13bStellungnahme BAG
  • 14GenDG, § 15
  • 15Stellungnahme GeN, 14.01.09, S. 8f.
  • 16GenDG, § 18
  • 17Stellungnahme GeN, 14.01.09, S. 11f.
  • 18GenDG, § 20
  • 19Stellungnahme GeN, 14.01.09, S. 12f.
  • 20GenDG, §§ 12, 13
  • 21Stellungnahme GeN, 14.01.09, S. 6f.; vergleiche auch Interview mit Regine Kollek im GID 193, S.49
  • 22Empfehlung des Gesundheitsausschusses des Bundesrates zum GenDG, BR-Drucksache 374/1/09, 30.04.09, S. 1f.
  • 23GenDG §17, Stellungnahme GeN, S. 9ff.; www.fingerwegvonmeinerDNA.de; Susanne Schultz: DNA-Tests in der Migrationskontrolle in: Zeitschrift für Rechtspolitik, 42. Jg.; Ausgabe 20.05.09
  • 24Stellungnahme GeN, 14.01.09, S. 9ff.
  • 25Ebda, S. 6
  • 26Ebda, S. 13f.

Lifestyle-Gentests weiterhin in rechtlicher Grauzone


Bei der Recherche im World Wide Web stößt man mittlerweile auf eine große Anzahl unterschiedlicher Lifestyle-Gentests. Das Angebot reicht von Langlebigkeits-Gentests über Partnerschafts-Gentests bis hin zu individuellen DNA-Fitness- und Ernährungsprogrammen. Der neueste Trend im Geschäft mit der Gesundheit sind so genannte Gen-Diäten, das heißt personalisierte Diäten passend zum Genprofil; Genanalysen sollen erbliche Schwachstellen erkennen, die dann durch einen individuellen Diätplan ausgeglichen werden sollen. Jeden Tag kommen neue Gentest-Angebote hinzu. Gentests zu Zwecken der Lebensplanung (Lifestyle-Gentests) sind solche genetischen Untersuchungen, die für die künftige Lebensgestaltung vorgenommen werden und bei denen es gerade nicht darum geht zu klären, ob bestimmte Erkrankungen oder gesundheitliche Störungen vorliegen. Gerade in letzter Zeit ist zu beobachten, dass das Angebot der vorwiegend über das Internet vertriebenen Lifestyle-Gentests boomt. Nach Erlass des Gendiagnostikgesetzes (GenDG) stellt sich die Frage, wie sich nun die Rechtslage für derartige Lifestyle-Gentests darstellt. Das neu erlassene GenDG enthält keine eigenständige Regelung bezüglich Gentests zu Zwecken der Lebensplanung. Gemäß § 2 Abs. 1 GenDG erstreckt sich der Anwendungsbereich des Gesetzes allein auf genetische Untersuchungen zu medizinischen Zwecken, zur Klärung der Abstammung sowie auf genetische Untersuchungen im Versicherungsbereich und im Arbeitsleben. Es handelt sich um eine abschließende Aufzählung (1), sodass im Ergebnis Lifestyle-Gentests als eigenständige Kategorie vom Anwendungsbereich komplett ausgenommen sind. Es wäre jedoch denkbar, dass Lifestyle-Gentests in den Anwendungsbereich der genetischen Untersuchungen zu medizinischen Zwecken fallen. § 3 Nr. 6 GenDG definiert diese jedoch genauer als diagnostische oder prädiktive genetische Untersuchungen. Beide Untersuchungstypen stellen per definitionem ausschließlich auf Erkrankungen oder gesundheitliche Störungen ab, weshalb genetische Untersuchungen mit einer anderen Zweckbestimmung, wie es bei der Lifestyle-Diagnostik der Fall ist, laut Gesetzesbegründung nicht vom Anwendungsbereich des Gesetzes erfasst sind.(2) Folglich gelten also für Lifestyle-Gentests nach dem GenDG keinerlei Einschränkungen. Da somit auch die datenschutzrechtlichen Vorschriften des GenDG nicht für Lifestyle-Gentests gelten, fragt sich, ob gegebenenfalls das Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) einschränkende Regelungen enthält. Für private Unternehmen ( dazu gehören Biotechnologie-Unternehmen) gilt der dritte Abschnitt des BDSG über die Datenverarbeitung nicht-öffentlicher Stellen. Gemäß § 28 Abs. 6 BDSG ist das Erheben, Verarbeiten und Nutzen von besonderen Arten personenbezogener Daten Restriktionen unterworfen. Was besondere Arten personenbezogener Daten sind, regelt § 3 Abs. 9 BDSG. Darunter sind unter anderem „jegliche Angaben über die rassische und ethnische Herkunft, […] sowie Angaben über die Gesundheit oder das Sexualleben“ zu verstehen. Ganz allgemein werden unter die „Gesundheitsangaben“ grundsätzlich auch genetische Daten gefasst.(3) Hier wird jedoch streng zwischen medizinisch relevanten und sonstigen genetischen Daten unterschieden.(4) Nur der gesundheitsspezifische Informationsgehalt genetischer Daten führt zur Zuordnung zu den Gesundheitsdaten.(5) Bei aus genetischen Untersuchungen zu Zwecken der Lebensplanung gewonnenen Daten gibt es diesen Informationsgehalt nicht.(6) Die sonstigen genetischen Daten sind daher nicht als besondere Arten personenbezogener Daten im Sinne des § 3 Abs. 9 BDSG anzusehen.(7) Somit enthält auch das BDSG keine Regelungen hinsichtlich Lifestyle-Gentests, da die aus Gentests zu Zwecken der Lebensplanung gewonnenen genetischen Daten nicht vom Anwendungsbereich des BDSG erfasst werden. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass für Lifestyle-Gentests nach wie vor eine rechtliche Grauzone existiert und sie weiterhin ungehindert via Internet angeboten werden können.
Fußnoten: (1) BT-Drs. 16/10532 (Gesetzentwurf der Bundesregierung zum GenDG), S. 20 (2) BT-Drs. 16/10532 (Gesetzentwurf der Bundesregierung zum GenDG), S. 21 (3) Däubler/Klebe/Wedde/Weichert, Bundesdatenschutzgesetz, Basiskommentar, 2. Auflage, Frankfurt am Main, 2007, § 3, Rn. 57 (4) Schulte in den Bäumen, Genetische (Individual-) Informationen aus Sicht des Datenschutzrechts, Bundesgesundheitsblatt 2007, S. 201 (5) Dammann/Simitis, EG-Datenschutzrichtlinie, Kommentar, Baden-Baden 1997, Art. 8 Rn. 7 (6) Schulte in den Bäumen (2007), a.a.O., S. 202 f. (7) Schulte in den Bäumen (2007), a.a.O., S. 201
Lysann Hennig ist wissenschaftliche Mitarbeiterin für Öffentliches Recht an der Juristischen und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Sie dissertiert zum behandelten Thema.

GID Meta
Erschienen in
GID-Ausgabe
194
vom Juni 2009
Seite 50 - 54

Tom Bartneck ist Redakteur beim Gen-ethischen Informationsdienst (GID).

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