„Denn wir leben von der gleichen Luft“
Unter dem Titel „Recht zu bleiben, Recht zu gehen. Soziale Kämpfe in Westafrika“ veranstaltete das Netzwerk Afrique-Europe-Interact im November 2011 eine Rundreise mit drei AktivistInnen aus dem westafrikanischen Land Mali, um die Ursachen von Migration und sozialer Kämpfe in Westafrika in das öffentliche Bewusstsein zu rücken. Welche Rolle spielt dabei die Landwirtschaft, in einem Land wie Mali, bei dem nur circa zehn Prozent der Landesfläche landwirtschaftlich genutzt werden können, aber 80 Prozent der Bevölkerung auf und von dem Land leben?
Wie sind Sie persönlich zur Zusammenarbeit im Netzwerk Afrique-Europe-Interact gekommen?
Alassane Dicko: Ich bin schon seit Jahren in der Organisation AME beschäftigt und war schon oft in Europa unterwegs. Ich arbeite für diese Organisation, weil Migration Teil meines Lebens ist. Ich selbst bin Teil der Migration. Ich habe nach meinem Studium als Elektroingenieur in der Elfenbeinküste gearbeitet. Diese Stelle habe ich später verloren, da ich wegen meines malischen Namens diskriminiert wurde. Nur mein Vater stammt aus der Elfenbeinküste, meine Mutter aber aus Mali. Ich habe dann versucht nach Belgien auszuwandern, wurde aber bei der Einreise wegen angeblich unvollständiger Papiere zurückgewiesen. Ich bin dann nach Mali gegangen und habe mich hier der AME angeschlossen. Denn der Kampf, den die AME führt, ist auch mein Kampf. Dorette Führer: Wir als Gruppe sind schon seit vielen Jahren in der antirassistischen Bewegung aktiv. Das NoLager-Netzwerk entstand 2002 und ist ein Zusammenschluss von einheimischen, antirassistischen Gruppen und Flüchtlingsselbstorganisationen. 2004 haben wir die AntiLagerAction-Tour durch Deutschand mit verschiedenen Widerstandscamps in der Nähe von Flüchtlingslagern veranstaltet. Auf der Tour hatten wir die Gelegenheit, Kontakte zu anderen Flüchtlingsaktivisten zu knüpfen. Einige dieser Kontakte haben sich bis heute gehalten. Im Austausch mit ihnen entstand die Idee, auch mit AktivistInnen in den Herkunftsländern zu kooperieren. Da die Repressionspolitik in Europa immer weiter fortschreitet und bis nach Afrika reicht, enstanden spätestens seit 2005 parallel neue aktivistische Verbindungen zwischen Europa und Afrika. In diesem Rahmen lernten wir die AME kennen. Bei einem Treffen in Bremen und nach vielen Diskussionen konkretisierte sich die Idee eines europäisch-afrikanischen Basisnetzwerks. So wurde Afrique-Europe-Interact gegründet. Seine erste große Aktivität hatte das Netzwerk im Februar diesen Jahres mit der Bamako-Dakar Karawane für Bewegungsfreiheit und gerechte Entwicklung. Der Austausch mit unseren Mitstreitern aus Afrika ist uns sehr wichtig. Wir lernen viel über die Situation der politischen Arbeit in Afrika. Auf der gemeinsamen Karawane nach Dakar zum Weltsozialforum konnten wir erfahren, dass es den politischen Gruppen meist am Nötigsten fehlt. Es scheitert oft an den einfachsten Dingen, wie zum Beispiel einem Computer, um sich über das Lokale hinaus zu vernetzen. Politische Arbeit in Afrika hat zunächst viel damit zu tun, die eigene Existenz zu sichern, ja überhaupt etwas zu essen zu haben. Daraus entstand die Idee, für elf Gruppen jeweils 1.000 Euro zu sammeln. Wir wollen mit unserer Tour das Bewusstsein für die Probleme in Westafrika schaffen. Migrationspolitische Themen sind ein Teil unserer Arbeit, sie umfasst aber auch Gruppen, die in sozialen Kämpfen aktiv sind. Geographisch sind wir nicht auf Mali beschränkt, sondern haben auch Kontakte zu Burkina Faso und der Elfenbeinküste.
Welchen Zusammenhang gibt es zwischen dem Hunger und der Migration in Mali?
A.D.: Viele junge Menschen sind nicht mehr dazu bereit, eine Landwirtschaft zu betreiben, bei der die Erträge immer geringer werden. Sie gehen in die Städte, nach Bamako, und schlagen sich zum Beispiel mit Kleinhandel durch. Aber auch in den Städten sind die Chancen nicht besonders gut, eine Existenz aufzubauen. Die Arbeitslosigkeit ist sehr hoch. Wenn sie es schaffen, können sie das Geld zusammenkriegen, mit dem sie weiter emigrieren können. Entweder gehen sie in ein anderes afrikanisches Land oder nach Europa. Es ist sozusagen eine Etappenemigration. 70 Prozent der Emigration in Mali kommt ursprünglich aus ländlichen Gegenden. Die Menschen gehen aber nicht nur freiwillig vom Land weg, sie werden auch vom Land vertrieben. Gründe sind zum einen die Ausbreitung der Städte und zum anderen die großen Konzerne, die Land in großem Stil aufkaufen. Die Bürgermeister oder reichen Bürger, die in den Boden investieren wollen, vertreiben die Kleinbauern, die dort leben. Da 80 Prozent der Menschen in Mali auf und von dem Land leben, ist der Landraub für einen Großteil der Bevölkerung existenzbedrohend.
Warum geht das so einfach, die Leute vom Land zu vertreiben? Besitzen sie keinen rechtlichen Schutz, keine Besitztitel auf das Land?
A.D.: Ursprünglich war der Besitz des Landes ein Gewohnheitsrecht. Die Regierung hat den Bauern das Land zugesprochen und den Besitz in das Grundbuch eintragen lassen, so dass sie zu den eigentlichen Eigentümern des Landes wurden. Sie haben zwar den Besitztitel, der Landraub läuft aber über die Korruption der Mitarbeiter in den Behörden. Wenn es zu Streitfällen oder einem Gerichtsverfahren kommt, dann läuft das darauf hinaus, dass diejenigen, denen der Boden weggenommen wurde, nur sehr selten Recht bekommen. Sie haben kein Geld, um sich einen Anwalt zu leisten. Die Leute, die Geld haben, können sich nicht nur einen guten Anwalt leisten. Oft verfügen sie auch über gute Beziehungen zum Bürgermeister, der wiederum oft öffentlichen Grund und Boden an Spekulanten verkauft. Korruption erlaubt, dass das Land verhökert wird. Sie ist weit verbreitet. Das spielt sich auf der Regierungsebene ab, aber auch stark in den Bezirken und Gemeinden. Dort verlaufen die Verfahren im Sand und die Leute gehen leer aus. Die Vertreibungen sind ein brisantes Thema in Mali. Es geht dabei nicht nur um die Enteignung von Boden, sondern auch um die Vertreibung aus den Häusern.
Was sind die Ursachen für Hunger in Mali?
A.D.: Es gibt derzeit keine Hungerepidemien in Mali. Allerdings gibt es große Probleme mit der Mangelernährung. Ungefähr ein Drittel der Bevölkerung ist unter-ernährt. D.F.: Aber es besteht die Gefahr, dass sich die Lage rapide verschlechtert. Durch den Klimawandel wird die Wahrscheinlichkeit von Dürren erhöht. Die Lage ist sehr prekär. A.D.: Die Regierung hat ein Ministerium für Ernährungssicherheit eingerichtet. Das bedeutet aber nicht, dass die Probleme damit gelöst sind. Die zentralen Probleme sind die der Bewässerung und der Landenteignungen. Ausserdem werden bestimmte Anbaumethoden gepusht. Zum Beispiel der Anbau von Agrarrohstoffen für die Herstellung von Biosprit und der Anbau gentechnisch veränderter Kulturpflanzen, für die in Mali in großem Maßstab geworben wird. Da es ohnehin Probleme mit der Verteilung von Land an die Kleinbauern gibt, wird die Lage noch dadurch verschlimmert, dass große Flächen des Ackerlandes für die Produktion von Biosprit benutzt werden. Wir als Teil der sozialen Bewegung sind mit der Situation konfrontiert, dass die Regierung in Mali den Weg geht, den auch andere Regierungen gegangen sind. Sie haben umfangreiche Investitionen zugelassen. Investoren aus Saudi-Arabien, China und Libyen haben sehr viel Land gekauft. Sie betreiben eine Landwirtschaft, die sehr verschieden von der traditionellen Landwirtschaft in Mali ist. Sie setzen viele Maschinen und viel Technik ein, die sich ein normaler malischer Bauer nicht leisten kann. Auch die Einführung von gentechnisch veränderten Pflanzen fällt unter die landwirtschaftliche Offensive der Regierung. D.F.: Die ausländischen Investoren bekommen natürlich die fruchtbarsten Gebiete, zum Beispiel die Gebiete am Niger. Und die malischen Menschen haben wie gesagt keine Mittel, sich zu wehren. Und schlussendlich wird das von der Regierung als Lösung für die großen Probleme in Mali präsentiert.
In euren Veranstaltungen weist ihr auch darauf hin, dass Strukturanpassungsprogramme des Internationalen Währungsfonds negative Auswirkungen auf die Situation in Mali hatten.
A.D.: Die Strukturanpassungsprogramme gibt es schon seit den 1980er Jahren. Sie haben dazu geführt, dass sich der Staat aus vielen Sektoren zurückgezogen hat, sei es aus dem Bereich Gesundheit oder dem Transportwesen. Die Programme haben auch zur Privatisierung vieler öffentlicher Betriebe geführt. D.F.: Zum Beispiel wurden die großen Huicoma-Baumwollöl-Fabriken nach ihrer Privatisierung geschlossen. A.D.: Die Folge war, dass das Heer der Arbeitslosen größer geworden ist und die Migrationswellen zugenommen haben. Auch die Welthandelsorganisation spielte eine negative Rolle. Durch den Abbau von Handelsschranken sind die Produkte von westafrikanischen Bauern nicht mehr konkurrenzfähig gegenüber den Billigimporten aus anderen Kontinenten wie zum Beispiel Europa.
Welche Forderungen habt ihr? Wie könnte die Situation verbessert werden?
A.D.: Eine erste Forderung ist, dass die Schulden gestrichen werden. Aber auch das ist nicht die Lösung aller Probleme, denn eine solche Maßnahme kommt nur denen zugute, die ohnehin schon genug haben. Eine zweite Forderung ist, den Landraub zu stoppen. Die Vertreibungen müssen ein Ende finden. Diese Probleme wurden auch auf dem westafrikanischen Forum des Peuples zusammen mit anderen Organisationen und Gruppen diskutiert. Dabei wurden verschiedene Deklarationen verabschiedet.1
Was können die Leute hier in Deutschland tun, um die Situation zu verbessern?
D.F.: Ein erster Schritt wäre, dass die Leute anfangen, über die Situation nachzudenken und sich in ein Verhältnis zu den Menschen in Afrika setzen. Dann können sie weitergehen und eigene Ideen entwickeln, was getan werden muss. Es ist wichtig sich zu fragen: Wie funktioniert das mit der Landwirtschaft? Wie ist das mit den Subventionen der Bauern hier in Europa? Welche Akteure gibt es? Welche Rolle spielen zum Beispiel die deutschen Banken? Es ist wichtig, die Menschen in Afrika nicht nur als Menschen wahrzunehmen, denen es schlecht geht, sondern als Menschen die kämpfen und versuchen, die Verhältnisse zu verändern. A.D.: Unsere Vision ist, dass man der Globalisierung, die immer als Schreckgespenst dargestellt wird, eine Globalisierung von unten entgegensetzt. Es ist die Idee einer universellen Bewegung der engagierten Bürger sowohl in Afrika als auch in Europa und auf anderen Kontinenten. Die Probleme, die sich uns stellen, sind keine national lösbaren Probleme. Denn wir leben von der gleichen Luft.2
Das Interview führte Birgit Peuker
- 1Sie können im Internet (in französisch) heruntergeladen werden unter: www.forumdespeuples.org.
- 2„...denn wir leben von der gleichen Luft“ ist der Titel des Dokumentarfilms „Für Bewegungsfreiheit und gerechte Entwicklung“ (2011) über die Karawane des Netzwerkes Afrique-Europe-Interact von Bamako nach Dakar. Weitere Informationen zum Netzwerk sowie Materialien finden sich unter www.afrique-europe-interact.net.
Alassane Dicko
Dorette Führer
Ernährungssouveränität...
...wurde von dem Netzwerk La Via Campesina in den 1990er Jahren als Gegenkonzept gegen neoliberale Politiken zur Umgestaltung der Landwirtschaft eingeführt. „Ernährungssouveränität“ steht für die eigenständige Produktion von Nahrungsmitteln von Individuen, Gemeinschaften und Staaten. Die Produktion soll den jeweiligen lokalen Bedingungen angepasst und ökologisch, sozial und ökonomisch nachhaltig erfolgen. Im Zentrum soll der Nahrungsmittelproduzent stehen: der Bauer, Fischer oder Hirte. Viele Organisationen und Gruppen haben die Idee der Ernährungssouveränität aufgenommen und in beständigen Diskussionen weiterentwickelt. Das Konzept der Ernährungssouveränität ist Bestandteil einer breiten globalen sozialen Bewegung gegen die zunehmenden Ungerechtigkeiten des derzeitigen Wirtschafts- und Sozialsystems.
Nyéléni...
...ist der Name für den Ort, an dem die erste internationale Konferenz zur Ernährungssouveränität 2007 in Mali stattfand und der eigens für das Zusammentreffen der Bauernorganisationen aus aller Welt erbaut wurde. Nyéléni ist aber gleichzeitig auch der Name einer Bäuerin aus einer malischen Legende. Sie soll verschiedene Arten der Hirse in Mali kultiviert haben und steht als Symbol für eine selbstbestimmte Landwirtschaft. Die TeilnehmerInnen des Treffens forderten unter anderem einen stärkeren Zusammenschluss zwischen ländlichen Produzenten und städtischen Konsumenten, um die Ziele der Ernhährungssouveränität durchzusetzen.
Nyéléni in Krems
In Österreich trafen sich im August diesen Jahres Delegationen aus 34 europäischen Ländern zu einem regionalen Folgetreffen, um gemeinsam nach Wegen zu suchen, wie Ernährungssouveränität auch in Europa umgesetzt werden kann. In der Abschlusserklärung betonten die TeilnehmerInnen, dass nicht nur eine stärkere politische Partizipation von Produzenten und Konsumenten nowendig ist, sondern auch eine Vervielfältigung bäuerlicher Produzenten in Europa.
Nyéléni revisited
An dem traditionsreichen Ort des agro-ökologischen Bildungszentrums in Nyéléni fand im November dieses Jahres die erste internationale Konferenz zum Landraub (Land Grabbing) statt. Die Vertreibung der ländlichen Bevölkerung für Investitionen in die großindustrielle Export-Landwirtschaft steht im krassen Gegensatz zur Forderung nach Ernährungssouveränität. Die dringend notwendige Modernisierung der Landwirtschaft sollte eher die Kleinbauern in den Mittelpunkt stellen und sich an den Werten der ökologischen und sozialen Nachhaltigkeit orientieren.
(Birgit Peuker)